Kurze Geschichte der türkisch-kurdischen Beziehungen und einige ihrer wesentlichen Charakterzüge

Als im elften Jahrhundert Türken und vor allem Turkmenen, die sich von den herrschenden Schichten getrennt hatten, in die von Kurden bewohnten Gebiete einwanderten, kam es zu einer Vermischung beider Völker. Die relative Sesshaftigkeit der Kurden bewirkte in diesen Jahrhunderten, dass die türkischen Sippen absorbiert wurden. In der Politik dominierten die Türken, in den sozialen Strukturen dagegen die Kurden. Während die oberen Schichten der Türken sich die lokale politische Kultur aneigneten und beherrschten, wurden die unteren Schichten von den Kurden assimiliert. Die Ähnlichkeiten der sozioökonomischen, kulturellen und religiösen Strukturen der beiden Völker spielten bei der Vermischung eine große Rolle. Feudale Sozialstrukturen sind sich sowohl bei sesshaften als auch bei nomadischen Stämmen ziemlich ähnlich. Das ist, in aller Kürze, die Grundlage der oft betonten türkisch-kurdischen Brüderlichkeit.
Wenn wir die Geschichte betrachten, sehen wir, dass die türkische und kurdische Oberschicht - und damit auch die ihnen unterstellten sozialen Schichten - Land und Staat unter sich aufteilten, und zwar in dem von den Seldschuken gegründeten Imperium im Iran, Irak, in Syrien und den kurdischen Gebieten sowie später in den Fürstentümern der Mervaniden, der Artukiden, der Eyubiden, der Akkoyunlu und Karakoyunlu sowie auch in vielen kleinen Fürstentümern. Statt sich gegenseitig zu bekämpfen, lebten sie meistens in Beziehungen der gegenseitigen Übereinkunft miteinander. Dieses Konzept eines gemeinsamen Staates gab es mit keiner anderen Nationalität, weder mit Arabern noch Persern, weder mit Armeniern noch den Byzantinern. So entstand das Kurdisch-Türkische oder das Türkisch-Kurdische. Es ist für eine objektive Einschätzung wichtig, sich dies als eine ausgeprägte Besonderheit in Erinnerung zu rufen. Solch eine wissenschaftliche Erklärung der türkisch-kurdischen Geschwisterlichkeit ist von großer Bedeutung.
Ein beachtenswertes Beispiel für die osmanisch-kurdischen Beziehungen ist in der Epoche zu sehen, die mit Sultan Selim I. begann. Trotz seines Wunsches entschieden sich die kurdischen Fürsten zumeist nicht für einen eigenen Staat; sie fanden es vorteilhafter, unter der Verantwortung eines von ihm gesandten Oberhauptes zu stehen. Diese Haltung spielte eine wesentliche Rolle bei der erfolgreichen Schlacht von Caldiran gegen die iranischen Safawiden und gegen die arabischen Mameluken bei den Schlachten von Ridaniye und Mercidabik. Auf diese Weise gestaltete die kurdische Gesellschaft ihre Entwicklung bis zum frühen 19. Jahrhundert. Sprache und Kultur erreichten ein hohes Niveau. Es gab wenig Probleme. Unter dem Schutz des gemeinsamen Staates spielte die breite Autonomie der lokalen Regierungen, die Unabhängigkeit der Stammesstrukturen, die freie Entwicklung der Religion - außer für die Aleviten - sowie der Sprache eine große Rolle. Wir sehen hier ein vielseitiges und reiches Experiment, das uns für heute ein Beispiel geben kann.
Diese Beziehungsstruktur begann im 19. Jahrhundert zusammenzubrechen, als das Osmanische Reich gegenüber dem westlichen Kapitalismus versagte. Insbesondere nach dem Eindringen des britischen Imperiums in die Region erhöhte die zentrale Autorität ihre Forderungen nach Steuern und mehr Soldaten. Die Auflösung der alten Beziehungsstruktur wiederum leitete eine Periode von Aufständen ein, die bis heute andauert. Es ist typisch, dass diese Aufstände, obwohl sie viel umfangreicher waren, nicht zum Erfolg führten, während die Aufstände aller anderen Nationalitäten erfolgreich waren. Das Konzept eines gemeinsamen Landes und Staates als Leitmotiv war dafür der Grund. Ein Teil der Aufständischen war ohnehin immer auf der Seite des Staates. Niemals wurde eigentlich eine Trennungsidee oder Trennungspolitik entwickelt. Man strebte hauptsächlich nach Vorteilen und Zugeständnissen. Der folgende Gedanke war bestimmend: “Wenn du mir nicht gibst, was ich will, dann gehe ich mit fremden Mächten Bündnisse ein und mache einen Aufstand.” Das ist sowohl der typische Charakter der kurdischen Aufstände als auch ihr Schicksal und ihre Tragödie. Es ist eine Übertreibung, diese Aufstände als fortschrittlich oder reaktionär, als politisch oder national zu betrachten. Nichts davon war ihr Charakter. Das sind eher Vorwände. Sie waren einfach von den Interessen der Feudalherren, Herrscher, Häuptlinge, Scheichs und noch mehr von den Sippeninteressen oder Familieninteressen gelenkt. Sie hatten die Eigenschaft, statt in den Fortschritt in die Sackgasse zu führen; und sie belasteten die Geschichte des kurdischen Volkes mit großem Leid, Massakern und dem Niedergang.
Diese Aufstände besaßen weder eine Philosophie noch ein politisches Programm oder eine politische Organisation, sie hatten sogar innerhalb eines Stammes oder einer Familie bei jeder Rebellion zwei Führer, sie befolgten selten militärische Regeln und waren deshalb zum Scheitern verurteilt. Es ist wichtig für uns, diese Aufstände neu zu bewerten.
Eigentlich hatten sie so gut wie keinen Glauben an den Erfolg. Sie waren spontan und primitiv. Es ist offensichtlich, dass kein Erfolg erzielt werden kann mit der Einstellung: “Wer mir am meisten gibt, nach dem richte ich mich.” Darin liegt die Tragödie und das Unglück. Man ist versucht zu sagen: “Es wäre besser gewesen, wenn es diese Aufstände und ihre Geschichte nicht gegeben hätte.” Der Grund hierfür ist wieder derselbe. Sicherlich spielten neben dem Eindringen des Imperialismus der extreme Druck der Zentralmacht sowie die wachsende Steuerlast und die große Zahl von Rekrutierungen eine bedeutende Rolle. Aber die wichtigste Sache, die auch heute immer wieder betont wird, ist die Erfahrung der gemeinsamen Heimat, der Beteiligung an der Staatsgründung, der gegenseitigen intensiven Assimilation, die Erfahrung der gemeinsam geführten Kriege, der Nähe in Freud und Leid, kurz: die historische Einsicht in die Gefahren und Verluste, die durch eine Trennung entstehen. Das ist das Grundverständnis eines solchen Zusammenlebens, das sich in allen Bereichen ausdrückt. Sogar zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als alles getan wurde, um den Nationalismus zu fördern, wurde dieses Grundverständnis bewahrt und ein erfolgreicher nationaler Befreiungskampf geführt.