Dieser Prozess wird mit einer Demokratischen Republik und einer demokratischen Verfassung enden

Der Kern des als Republik gegründeten Staates ist eine der am wenigsten begriffenen Bestimmungen, obwohl soviel davon gesprochen wird. Atatürk kannte zweifelsohne das Werk, bei dessen Aufbau er die entscheidende Rolle spielte, und das er der Nation als einziges Geschenk hinterließ. Um es verständlich zu machen, hat er der Wissenschaft und der Bildung einen an erster Stelle stehenden Platz eingeräumt. Bezüglich dieser Themen hat er eine echte und große revolutionäre Rolle gespielt. Aber das Hauptproblem bestand insbesondere in der Erneuerung des gesellschaftlichen Fundaments, dessen es zur Vervollkommnung dieses Werkes bedurfte. Zwei demokratische Experimente, das der “Fortschrittsbewegung” und das der “Bewegung der freien Republik”, blieben erfolglos. Die Reformen im Überbau haben keine tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur bewirkt. Durch die Aufstände im Osten kam es zu einer noch stärkeren Rückentwicklung. Die Gefahr eines Weltkrieges hat einer Veränderung im Innern keine Chance gelassen. Daher ist zwar aus den übrig gebliebenen Trümmern des Imperiums ein restaurierter Staat hervorgegangen, es konnte aber kein entsprechender gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden. Während eine neue sozialökonomische Entwicklung die materielle Basis für diesen Konsens geboten hätte, befand sich der alte auf eine Feudalstruktur gestützte gesellschaftliche Kompromiss im Widerspruch zur Republik, was nicht überwunden werden konnte. Wegen einer in vieler Hinsicht bestehenden Schwäche und Erfahrungslosigkeit fehlte es an Kreativität. Auf Grund der Suche nach einer Aufrechterhaltung des Status Quo in der alten Gesellschaft kam es zur Konfrontation der Republik mit den sich zunehmend zuspitzenden Problemen der gesellschaftlichen Basis. Den entstandenen politischen Regimen gelang es nicht nur nicht, eine Brückenfunktion zwischen diesen beiden Strukturen einzunehmen, sie führten sogar zu ihrer weiteren Fanatisierung. Während ein Teil der politischen Struktur durch die Republik auf ihre Kosten kam, nutzte ein entgegengesetzter Teil die sich in diesem widersprüchlichen Zustand befindende Gesellschaft aus. Die Dialektik der politischen Degeneration entwickelte sich auf diese Weise. In vielen Gesellschaften der Welt, die einen Modernisierungsprozess durchliefen, kam es zu ähnlichen Problemen. Aber manche Länder, die sich in einer Vorreiterrolle befanden, schafften es, durch die Entwicklung von Maßstäben eines demokratischen Systems erfolgreiche Lösungen zu finden. Die Demokratie hat, vielleicht das erste Mal in der Geschichte, in umfassender Weise erfolgreiche Lösungsstrategien für die gesellschaftlichen Probleme entwickelt. So wie auf Gewalt gestützte dominierende und autoritäre Ansätze erfolglos blieben, traten auch die Zerstörungen und die Rückschritte, zu denen sie führten, offen zu Tage. Im Vergleich mit der Demokratie wurde deutlich, welches System zu Überlegenheit und Erfolg führte. Es ist nunmehr offenkundig geworden, dass die Türkische Republik sehr spät begonnen hat, dies zu begreifen, und dass sie sich nicht demokratisieren wird, indem sie, lediglich um dem Westen zu nutzen, rein formell entsprechende Bedingungen realisiert. Das raffinierte Spiel mit fundamentalen Begriffen kann vielleicht die Spezialisten der Demagogie zu erkennen geben. Aber die so dringend gebrauchten demokratischen Führer kann es nicht hervorbringen. Die Beziehung zwischen Demagogie und Demokratie, in deren Namen diese Demagogie betrieben wird, ist in einen Zustand gefährlichster Art von Verrat geraten. Die Gesellschaft der Türkei, die diesen Verrat nicht verdient hat, ist zu einer Gesellschaft geworden, deren Konstitution extrem riskant ist. Das Wesen jedes erhabenen Begriffs wurde völlig sinnentleert. Diese Begriffe, die insbesondere Produkte einer großen geistigen Tätigkeit sind und um derentwillen die Menschheit Jahrhunderte gekämpft hat, wurden zu Fetischen degradiert und ein Ausverkauf ihres Inhalts fand statt. Die klassenspezifischen Mängel der Intellektuellen vertieften sich. Während der Westen mit der Renaissance und der Aufklärung demokratischer wurde, bewegten sich manche, wenn auch begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten der Türkischen Republik aufgrund dieser intellektuellen und politischen Verschlagenheit in der Tiefe einer intellektuellen und politischen Morallosigkeit, die sich durch leeres, unüberlegtes Geschwätz und das Fernbleiben von praktischen Notwendigkeiten auszeichnete. Das Recht war nicht weiter in der Lage, eine diesen Notwendigkeiten gemäße regulierende Kraft darzustellen. Die Verfassung und die Gesetze konnten nicht davor gerettet werden, zu allmählich verstaubenden Schriften in den Regalen zu werden. Diese Strukturen sind auch der Grund dafür, dass heutzutage die Gerichtsbarkeit eine der schwächsten Institutionen ist. Indessen stellt doch die Rechtsprechung der Definition nach im System der Gewaltenteilung die dritte Gewalt dar.
Heutzutage hat es an sich wenig Wert, die Republik in summarischer Form zur Diskussion zu stellen. Aber für eine Demokratisierung ihrer Inhalte ist dies so nötig und unabdingbar wie Brot und Wasser. Es ist eindeutig, dass es keinen Fortschritt ohne Demokratisierung der Republik geben kann; es ist deutlich geworden, dass sie ihre Struktur, bezüglich deren Schutz sie sowieso Schwierigkeiten hat, in ihrer bisherigen Form nicht wird schützen können. Dieser Zustand rührt nicht von der Schwäche und Unerfahrenheit ihrer Institutionen her. Sie wurzelt auch nicht in der Schwäche der militärischen und zivilen Kader. Diese Einrichtungen der Republik sind zu Genüge vorhanden und sie sind stark. Auch eine Schwäche der sozialen und ökonomischen Basis ist nicht mehr Thema. Es hat sich eine gereifte soziale und ökonomische Struktur herausgebildet, die in einer sich zukünftig entwickelnden Demokratischen Republik hilfreich sein wird. Auch der kulturelle Erfahrungsschatz ist trotz aller Verwilderung und Verwirrung ausreichend. Bildungsinstanzen und Ausbilder sind überreichlich vorhanden. Es existiert auch eine Schicht von Rechtswissenschaftlern, wie geschwächt und ihres Wesens beraubt diese auch sein mag.
Aber all diese Gegebenheiten konnten das Auftreten der schwerwiegendsten Probleme in der Geschichte nicht verhindern und mehr noch, sie wurden immer wieder auf den Ursprung dieser Probleme zurückgeworfen, auch wenn dies ohne ihren Willen geschah.
Dies ist zusammengefasst die Realität, die der großen Diskussion um Demokratie zugrunde liegt. Ohne diese Diskussion nunmehr in eine Übereinstimmung und einen gesellschaftlichen Konsens zu überführen, wird es nicht zu verhindern sein, dass jeder vorwärts gerichtete Schritt, so wie es bis jetzt immer war, zurück führt. Jedes Kettenglied, das nicht dem Hauptglied der Kette angefügt wird, schwebt im Freien. Bisher konnten alle auf Zwang beruhenden Verfassungen, die den seit Zeiten Atatürks fehlenden gesellschaftlichen Konsens der Republik herbeizuführen versuchten, nicht nur in der Praxis nicht umgesetzt werden, sie konnten auch nicht davor bewahrt werden, immer wieder aufgehoben zu werden. Während in Ländern, in denen eine wirkliche Demokratie praktiziert wird, vielleicht einmal in hundert Jahren neue Verfassungen geschrieben werden, mussten hiesige Verfassungserneuerungen durchschnittlich einmal in zehn Jahren und dann auch noch auf illegitime Art und Weise durchgeführt werden. Grund ist wiederum die Abwesenheit eines freiwilligen gesellschaftlichen Konsenses, der sich an die Verteidigung von Gedanken- und Glaubensfreiheit anlehnt und der auf den Interessen aller Teile der gesellschaftlichen Realität und deren Übereinstimmung aufbaut.
Ein solcher Konsens konnte nicht hergestellt werden, da die Realität freier Individuen und einer freien Zivilgesellschaft nicht ausreichend verwirklicht werden konnte und hierzu auch keine Möglichkeiten eingeräumt wurden. Manche Interessengruppen stellen sich selber in einer Dimension dar, die sie nicht verdient haben. Während diese Schichten von der Ordnung oder auch der Unordnung profitierten und sich den anderen Gesellschaftsteilen auf eine undemokratische und rechtswidrige Art und Weise genähert haben, gelangten sie zu einer auf Verboten beruhenden Macht. Es gelang nicht, ein wirklich nationales und gesellschaftliches Recht zu installieren. Das existierende Recht jedoch konnte sich des Missbrauchs durch oligarchische Interessengruppen nicht erwehren.
Dem in diesem Sinne nicht zur Anerkennung gelangten Recht bzw. der bestehenden Rechtlosigkeit wird keine Gnade widerfahren. Es erntet, was es gesät hat. Alle gesellschaftlichen Gruppen, auch wenn sie sich auf Abwegen befanden, haben sich aus diesen entscheidenden Gründen auf gewisse Art erhoben. Die Gesellschaft befindet sich auf ihre Art in einem Zustand allgemeinen Aufstands. An diesem Punkt verteidige ich nicht den Kampf. Kampf hat zu Genüge stattgefunden. Aber ich bin dagegen, die Ursachen nicht zu ergründen und auf den Zweck der Kämpfe keine Antwort zu geben. Die Gegenwart nötigt uns vielleicht auf eine mit keiner anderen Zeit zu vergleichenden Art und Weise hierzu, und auch im Hinblick auf die unvergleichlichen Möglichkeiten, die sie in sich birgt, zwingt dieser große Kampf jeden Menschen zu den rechtmäßigen Grundlagen der Gesellschaft vorzudringen, und die hieraus resultierenden notwendigen Schritte in der Praxis umzusetzen. Diese Phase des “Entweder bist du die Lösung oder du gehst unter” erlebt jeder Mensch existenziell.
Diese Situation kann auch folgendermaßen bezeichnet werden: Wandel durch das Recht auf einen historischen gesellschaftlichen Konsens, der die Verwirklichung eines Übergangs darstellt. Die Geschehnisse zwingen jeden Menschen und jede gesetzliche wie ungesetzliche Institution zu einer Selbstkritik in diesem Sinne. Die Situation lässt keinen anderen Aus- und Rettungsweg offen.
Ein anderer Name für gesellschaftlichen Konsens wäre “demokratisches Gesellschaftssystem”, dessen Struktur und Formierung des Unter- und Überbaus auch Kernstück der verfassungsrechtlichen Diskussionen ist. Manche rein formelle Änderungen von Gesetzesvorschriften vertiefen jedoch die Krise noch. Beim Übergang zu einem gesellschaftlichen Konsens müssen als erstes das freie Individuum und die freie Zivilgesellschaft zur Grundlage gemacht werden, und selbst wenn dies nicht vollständig zu verwirklichen ist, müssen wir doch mit dieser Hypothese beginnen.
Dem freien Individuum und allen Teilen der Zivilgesellschaft müssen, was auch immer ihre religiösen, sprachlichen, nationalen und ethnischen Unterschiede seien, das Recht zuerkannt werden, ihre Gedanken, Überzeugungen und kulturellen Werte frei zu leben. Nicht ihre Anzahl und Existenzsituation sind Maßstab, sondern das zu geltende Prinzip hierbei basiert auf Gleichheit. Der fundamentale Fehler der Vergangenheit bestand darin, dass ein Teil dieser gesellschaftlichen Gruppen gegen die jeweils anderen unter Anwendung von Zwang und Gewalt benutzt wurde.
Ein solches Vorgehen macht das Wesen eines unterdrückerischen, totalitären und faschistischen Regimes aus. Weder im Namen nationaler noch klassenspezifischer Interessen darf in die Verschiedenheit der Gedanken, Überzeugungen und des kulturellen Lebens eingegriffen werden, da sie frei und gleich praktiziert werden können müssen. Falls ein solches Eingreifen doch stattfindet, wäre von Beginn an dem demokratischen Kompromiss ein entscheidender Schlag versetzt. An diesem Punkt ist die Frage: Minderheit-Mehrheit, nötig-unnötig nicht diskutabel, es geht um ein Prinzip. So würde der demokratische Wettbewerb auf seine beste Art funktionieren. Freiheit, und hiermit einhergehend: Gleichheit, ist Essenz eines gerechten Wettbewerbs. Freiheit und Gleichheit müssen daher allen freien Individuen und den durch sie gebildeten Gemeinschaften garantiert werden. Die Gründung eines demokratischen Systems dieser Wesensart wird, wenn es in den Geist der Verfassung und der Gesetze eingeht, die große produktive Kraft einer demokratischen Gesellschaft hervortreten lassen. Es wird erkannt werden, dass das Eintreten rechtlich garantierter unterschiedlicher Gedanken, Überzeugungen und Kulturen in einen Wettbewerb ein außerordentlicher gesellschaftlicher Reichtum sein wird. Unter solchen Umständen wird alles Nützliche und Wertvolle eine Bedeutung haben und der Gesellschaft weit mehr nutzen, als es ihr abverlangt. Das, was ohne Wert und von Schaden ist, wird ebenfalls den Platz finden, der ihm zusteht. Auf diese Art wird jede Haltung bewusst und rechtlich garantiert sein, so dass weder beim Staat, noch bei den Göttern der Religionen Zuflucht gesucht werden muss. Man wird sich auch nicht mehr an Reichtum und Macht anlehnen. In einer solchen Situation wird das Recht seine wirkliche Quelle repräsentieren und auf die gerechteste Art und Weise verteilen.
Das unvergleichliche Potenzial demokratischer Verfassungen und Gesetze ist die elementare Stärke und der berechtigte Stolz einer Gesellschaft. So wie es keinen Platz für Herrschsüchtige und Hinterlistige geben wird, wird es diesen auch für die Machtherde der Ungerechtigkeit nicht geben. Es wird auch keinen Platz für Unterdrückung geben, sei sie klassenorientiert oder nationaler, religiöser oder ethnischer Art. Alle Menschen teilen und leben geschwisterlich und gerecht. “Frei wie ein einzelner Baum und geschwisterlich wie ein Wald.”
Ich wurde nicht in einer solchen Türkei geboren. Der über lange Jahre anhaltende Gedanke: “Warum bereue ich es, dass ich nicht als ein städtischer Türke geboren wurde?” ist ein Gift, das durch einen gefährlichen Anti-Demokratismus angerührt wurde. Und dieses Gift barg den Samen jeglicher Art von Aufstand in sich. Egal, von wem und wie die Menschen geboren werden, sie dürfen nicht dazu gebracht werden, ihre Herkunft zu bereuen. Wenn eine Ordnung zu solch einer Situation führt, trägt die Verantwortung und Schuld hierfür diese Ordnung selber. Denn eine solche Ordnung erzeugt ständig aufs Neue Aufständische und damit Schmerz und Tod. Deswegen ist die entscheidende Lehre, die ich am Ende eines großen Aufstands gezogen habe: Es bedarf einer Ordnung, die nicht den Boden für Aufstände bereitet.
Eine solche habe ich in den Wertmaßstäben des demokratischen Systems gefunden, welche die wertvollste Angelegenheit oder den Sinn unseres Zeitalters darstellen. Kein Aufstand, sei er siegreich oder nicht, kann den Platz einer wie auch immer gearteten demokratischen Aktion einnehmen. So wie eine begrenzte demokratische Lösungsmöglichkeit einem erfolgreichen Aufstand vorzuziehen ist, ist auch eine noch so unzureichende demokratische Ordnung autoritären Ordnungen vorzuziehen, und seien sie noch so etabliert. Dies lehrt uns der Kampf. Er lehrt es jeden und jede. Er lehrt es auch alle Institutionen und den Staat.
Der mit den Worten des Staatspräsidenten als “der letzte kurdische Aufstand” bezeichnete Aufstand, um dessen willen mir der Prozess gemacht wird, ist eigentlich ein Aufstand gegen diese Ordnung der Türkei, die nicht in der Lage ist, auch nur auf die geringsten demokratischen Anforderungen eine Antwort zu finden. Aber der Staatspräsident spricht ohne jede Scham von einer Angelegenheit, die zu so großen Verlusten führte.
Ihr lasst das Symbol der grenzenlosen Unterdrückung, das Sprachverbot, das sogar gegen Tiere nicht praktiziert wird und vielleicht in der Geschichte nicht seinesgleichen findet - denn selbst Äsop war im Besitz einer Sprache der Sklaven und redete ohne Scham -, in das Wesen des gesamten Rechtssystems einfließen, und dann erwartet ihr von den Bürgern, dass sie sich dieser Ordnung unterwerfen. Das ist eine große Anormalität. Auch die Anormalität des kurdischen Aufstands lässt sich hierauf zurückführen. Wir haben keine andere Wahl, als beide Anormalitäten zu überwinden. Ein Kurde, der weder als Kurde noch, aufgrund vorenthaltener Bildung, als Türke, Araber oder Perser wirklich leben kann, ist die Quelle eines großen Problems. Auch sein Sterben oder Töten ist kein Ausweg. Dies ist eine Menschheitstragödie. Ich glaube nicht, dass die Republik ein Gegner der Kurden ist. Die Republik ist vielleicht sogar eher, als dass sie es für einen Türken wäre, für einen Kurden ein Glück. Da den kurdischen Machthabern das sehr wohl bewusst war, haben sie selbst das Lehren des Türkischen behindert, selbst das haben sie nicht gewollt. Das Verurteiltsein zu einer mehrfachen Rückentwicklung hat ihren Interessen eher entsprochen. Es ist eine Bereicherung, wenn die Kurden die türkische oder andere Sprachen lernen. Es ist eine Ehre, als freies Individuum Staatsbürger der Republik zu sein. All dies wird hier nicht diskutiert. Im Gegenteil, was hier gesagt wird, ist: Warum ist das System, die Demokratie, die Verfassung eines solchen Reichtums nicht geschaffen worden? Wenn es all dies gegeben hätte, hätte es dann die PKK gegeben? Wäre es zum Aufstand genommen? Hätte es einen Apo gegeben?
In meiner Verteidigungsschrift habe ich die legitime Basis dieses Aufstands beschrieben. Ich habe auch seine Fehler und Irrtümer zur Sprache gebracht. Es ist eine häufig anzutreffende gesellschaftliche Realität, dass jede neue Ordnung Produkt der ihr vorangegangenen Kämpfe ist. Es muss endlich, so wie das auch allgemein gilt, die Sinnlosigkeit des seit langer Zeit anhaltenden bewaffneten Konflikts der Kurden mit der bestehenden Ordnung begriffen werden. Am Übergang von der Etappe des bewaffneten Konflikts der jüngsten Vergangenheit zu der vor uns liegenden Ära des Friedens müssen auch die Kurden, so wie jede gesellschaftliche Gruppe, gemäß ihrer kulturellen Eigenheiten und ihrer eigenen freien Ausdrucksformen beteiligt sein. Hiermit wird keine privilegierte Stellung gefordert. Es ist weder die Rede von dem so viel heraufbeschworenen eigenen Staat, noch von einer Föderation oder Autonomie. Falls die Demokratie in die Praxis umgesetzt wird, besteht für solche Forderungen auch keine Notwendigkeit. Es existiert der Wunsch, als ein demokratisches Volk seinen Platz in einer Republik demokratischen Inhalts einzunehmen. Dies bedeutet, auch wenn sich schwer damit getan wird, einen Zusammenschluss, der so stark und reichhaltig ist, dass er nicht mehr zu trennen wäre. Die im modernen Sinne seit fast zwei Jahrhunderten andauernde kurdische Frage und die Aufstände verlangen danach, dass so eine Republik endlich eine demokratische Basis erhält. Wir glauben daran, dass dies die beste Lösung darstellt. Und ich sage, dies ist die einzig richtige Schlussfolgerung aus diesem Kampf.
Das heißt im Ergebnis, dass auch die Lösung dieses aus der Unfähigkeit der Republik zur Demokratisierung herrührenden Problems und des daraus resultierenden letzten Aufstands, der unter der Führung der PKK stattfand, von derselben Voraussetzung abhängig ist, nämlich von einer Demokratisierung. Die zum gordischen Knoten gewordene kurdische Frage hat allen gezeigt, dass eine außerhalb einer umfassenden Demokratisierung praktizierte Lösung unrealistisch sein wird. Am Ende des 20. Jahrhunderts haben die Wiederholung einer Phase von Niederwerfung und gewaltsamer Assimilation sowie darauf folgende, gegen diese Gewaltpolitik gerichtete Reaktionen und Aufstände auch wissenschaftlich gesehen keinen Sinn mehr. Das heißt, dass diese Methoden sowohl der Gesellschaft als auch dem Staat nichts anderes einbringen als Schmerz und steigende Verluste. Hierin besteht die nicht mehr zu ignorierende Lehre aus der Geschichte.
Es wurde zu der Einsicht gelangt, dass selbst eine mittelmäßige Umsetzung der fundamentalen Wertmaßstäbe des demokratischen Systems, die weltweit ihre unvergleichlich problemlösende Stärke bewiesen haben, uns einer Lösung zuführen können wird. Die Türkei ist dabei, sowohl als Staat als auch als Gesellschaft, über ausführliche demokratische Diskussionen der kurdischen Frage und aller anderen Probleme die Vorbereitung einer demokratischen Verfassung zu erleben. Diese muss endlich ernsthaft und ohne Hinwendung zu Demagogie geschehen. So wie auf dieser Grundlage die Republik zu einem demokratischen Inhalt gelangen wird, so befindet sie sich in einer historischen Phase, in der kein anderer Ausweg und keine andere Wahl mehr geblieben sind, als im Besitz einer diesem demokratischen Inhalt entsprechenden Staatsverfassung zu sein. Meine diesbezügliche Überzeugung wird sich mit dem Gelingen einer solchen Verfassung festigen.
Ich bin mir der Rolle und meiner Verantwortung bei diesen Entwicklungen sowohl in meiner Funktion innerhalb der PKK als auch als Person bewusst. Ich bin überzeugt, dass meine die Vergangenheit betreffenden Analysen wissenschaftlich fundiert und ehrlich sind. Wichtiger noch und das, was ich tun muss, sind meine zukünftigen Aufgaben und Arbeiten. Solange ich am Leben bin, bestehen diese darin, insbesondere die Abkehr der PKK von der Methode der Gewalt, ihre Teilnahme am Demokratisierungsprozess, in den die Türkei eingetreten ist, und ihre Transformation zur Legalität vorzubereiten. Hinsichtlich der Beendigung des bewaffneten Kampfes hat das Zentralkomitee der PKK seine Entschlossenheit bekundet. Ich bin davon überzeugt, dass auch die gesamte Organisation entschlossen ist, mit einem in naher Zukunft stattfindenden Kongress noch vor dem Jahr 2000, meine Haltung zur offiziellen Linie zu machen und dass sie hierin erfolgreich sein wird. Ich hege die Hoffnung, dass auch der Staat mit zunehmender Sensibilisierung bei der Schaffung einer Grundlage für eine Transformation und Rückkehr zum demokratischen legalen Prozess in der Türkei Erleichterungen gewährleisten wird. Diesbezüglich lassen Institutionen und Verantwortliche der höchsten Ebene ermutigende Einstellungen erkennen. Ich bin überzeugt davon, dass die PKK analysiert werden muss. Um hierzu einen Beitrag zu leisten, bin ich nicht davor zurückgeschreckt, die von mir selber erlebte Phase als Grundlage einer solchen Analyse darzulegen und selbst unter den schwersten Bedingungen für eine friedliche und geschwisterliche Lösung durch meine Worte und Praxis eine Antwort zu geben.
Ich muss darauf hinweisen, dass meine Haltung weit jenseits persönlicher Ängste davon herrührt, dass ich mir der zur Zeit stattfindenden historischen Phase bewusst und davon überzeugt bin, dass der effektivste Lösungsweg in den universalen Maßstäben des Rechts innerhalb eines demokratischen Systems angelegt ist. Ich habe meine Überzeugung bewahrt, dass diese Einstellung nicht nur die moralisch wertvollste ist, sondern auch eine richtige politische Haltung nur so aussehen kann. Mein diesbezüglicher Wille ist ungebrochen.