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Berlin, 27.12.1999


An die Redaktionen:
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Abullah Öcalan:
  • Wir kämpfen, um das Jahrhundert zu retten

  • Der legitime Mensch wird die legitime Gesellschaft erschaffen

  • Schlüsselinstitution der Demokratischen Republik ist die Staatsbürgerschaft

  • Der Staat gewährt die Demokratie nicht, sie wird ihm abgerungen

    Am 26. Dezember 1999 erschien in der prokurdischen Tageszeitung Özgür Politika die folgende Erklärung vom Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Abdullah Öcalan für das kurdische Volk. Es beinhaltet wichtige Erklärungen über das Verständnis der Demokratie und die Aufgaben, die damit verbunden sind. Im folgenden geben wir die deutsche Übersetzung in gekürzter Fassung wieder:

    Abdullah Öcalan, Imrali

    Durch die Akzeptanz durch die EU ist die Türkei gleichzeitig in einen großen Demokratisierungsprozess eingetreten. Wir sehen uns vor einem Sprung, der so wertvoll und wichtig ist, wie es die Gründung der Republik war. Warum hat die EU getan, was sie jahrelang nicht getan hat? Das hat direkt mit unseren Friedensbemühungen zu tun. Mit der Aufnahme in die EU kam gleichzeitig der Aufbau der Demokratie auf die Tagesordnung. Das ist auch der springende Punkt.

    Der Aufbau der Demokratie ist so wichtig wie der Aufbau der Republik. Durch unseren jahrelangen Kampf haben wir die demokratische Revolution verwirklicht. Jetzt geht es darum, die erreichte Demokratie zu institutionalisieren. Es geht jetzt also um den Demokratischen Aufbau.

    Wir haben die Grundlagen für den Demokratischen Aufbau gelegt, jetzt geht es darum, ihn in angemessener Weise zu füllen. Die entscheidende Rolle in diesem Prozess spielt das Volk in unserer Region. Durch die Kandidatur der Türkei für die EU ist die Aufhebung der Gründe der Republik für Schmerz und Trauer, für Blut und Aufstand aktuell geworden. Es ist unumgänglich geworden, ein neues Demokratieverständnis zu entwickeln und zu etablieren.

    Europa hat der Türkei das Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung angeboten. Jetzt muss die Türkei dies füllen. Sie muss die Staatsbürgerschaft der Demokratischen Republik dem angemessen verwurzeln.

    Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Sieges und der Aufklärung

    Leider haben bisher die Politiker in der Türkei den Begriff der Demokratie ausgehöhlt. Sie haben dem Demokratiebegriff keine Tiefe gegeben, sondern waren unergiebig und demagogisch. Sie haben die Demokratie verraten, indem sie den Demokratiebegriff äußerlich beließen. Wir brauchen ein neues Demokratieverständnis.

    Der legitime Mensch wird die legitime Gesellschaft erschaffen

    Wir sind Garanten der Demokratie, der freien Vereinigung. Wir waren nie auf Teilung aus. Wir wollten unsere Identität, unsere Sprache und unsere Kultur. Alle unsere Anstrengungen waren auf das Projekt einer freien Republik gerichtet. Was wir taten, hatte diese Zielrichtung. In gewisser Weise haben wir der Republik einen großen Dienst erwiesen, indem wir aufzeigten, was für ein schwerwiegendes Problem die kurdische Frage ist. Unsere Zielscheibe waren nie das Land, die Einheit des Staates und seine einheitliche Struktur. Auch in Zukunft wird unser Ziel die Verwirklichung eines zivilisierten, freien Friedens sein, der dem historischen Wesen des ehrwürdigen Anatoliens angemessen ist. Die Republik auf ein legitimes Fundament zu stellen, heißt die Staatsbürgerschaft auf ein legitimes Fundament zu stellen.

    Der legitime Mensch wird die legitime Gesellschaft erschaffen

    Das wird die freie Vereinigung in der Republik bedeuten. Der 10. Dezember ist in diesem Sinne ein Wendepunkt. So wird die Republik zu einer Synthese. So reifen endlich nach und nach die Bedingungen heran für ein Ende von Leugnung und Vernichtung auf der einen, Aufstand und Kämpfen auf der anderen Seite.

    Die Schmerzen von 75 Jahren müssen ein Ende finden, die klassischen Ängste müssen besiegt werden. Die Republik, deren Gründung auch Wille der Kurden war, muss ihre historische, kulturelle und gesellschaftliche Identität begrüßen. So kann eine wirkliche demokratische Öffnung beginnen und wachsen. Man muss sich die Demokratie und das Projekt der Demokratischen Lösung [der PKK] als Schritte vorstellen, die Hand in Hand gehen und miteinander verbunden sind.

    Schlüsselinstitution der Demokratischen Republik ist die Staatsbürgerschaft

    Wenn man den Prozess der EU[-Kandidatur] richtig begreift und sich entsprechend dem Wesen einer Demokratisierung verhält, dann kann die Republik sozial und demokratisch gefüllt werden. Dafür müssen auch die 75jährigen Schmerzen gelindert, die Ängste besiegt werden. Da ist kein Platz für Leugnung und Vernichtung. Am Ende muss die Republik unsere Identität begrüßen.

    Die grundlegende Parole ist die Staatsbürgerschaft der Demokratischen Republik. Diese Parole ist ein Schlüsselbegriff des ganzen. Der Begriff 'Demokratie' wurde an diesem Punkt nicht ganz verstanden. Mit der Aufnahme in die EU kam der Aufbau der Demokratie auf die Tagesordnung(...) Die Demokratie ist der Schlüssel des ganzen.

    Die Demokratie und meine Demokratielinie wurden in der Türkei verstanden. Der demokratische Aufbau ist ebensowichtig wie der Aufbau der Republik. In den wichtigen Phasen unseres Kampfes haben wir die Grundlagen für den demokratischen Aufbau gelegt, jetzt muss er ausgefüllt werden. Wir waren niemals separatistisch. Das muss man gut verstehen. Man kann nicht in einer Zeit, in der versucht wird, den Nationalstaat zu überwinden, in der Logik von Nationalstaaten denken. Europa ist nicht verrückt. Das ist ein großes Ereignis (...) Das Problem ist am Punkt der Verständigung. Die Türkei wirkt aufrichtig, was eine Verständigung angeht. Als Griechenland sah, dass das Spiel, das sie mit uns spielen liessen, nicht aufging, bewegte sie sich auf eine Verständigung zu. Die Rede von Clinton im türkischen Parlament ist wichtig. Die EU musste die Türkei nehmen, sonst hätte sie viel verloren. Es liegt auch in ihrem Interesse.

    Die zivilen Politker der Türkei sind mangelhaft. Sie sind widerlich, sie höhlen die Begriffe aus. Ecevit ist überlegt, aber die Tiefgründigkeit ist mir nicht bekannt.

    Die Sache wird nach und nach die Kopenhagener Kriterien umfassen, die Lösung der Kurdenfrage wird aus dem Gerichten hervorgehen. In diesen breiten Dimensionen muss man denken. Recht und Politik greifen ineinander, das wird eine Lösung sicherstellen. Man wird das demnächst noch besser verstehen. Das Problem wurde nach Europa gebracht. Die juristische und die politische Lösung des Problems müssen gemeinsam angegangen werden.

    Der Staat gewährt die Demokratie nicht, sie wird ihm abgerungen

    Das wesentliche des Ganzen konzentriert sich auf die Staatsbürgerschaft der Demokratischen Republik. In dieser Phase ist die Saatsbürgerschaft der Demokratischen Republik die Schlüsselinstanz. Für mich sind Begriffe wichtig. Ich verwende sie nicht sinnlos. Ich habe meinen Willen, durch ihn lebe ich.

    Der Unterschied zwischen der Demokratischen Republik und früher ist folgender: Diese neue Republik akzeptiert mich mit meiner historischen, gesellschaftlichen Identität. Darüber könnte man hundert Bände füllen.

    Wir gehen in einen großen Demokratisierungsprozess. Die Türkei muss sich sensibilisieren. Wir werden zusammen mit der Türkei Teil einer tiefgreifenden demokratischen Lösung sein. Hinrichtungen, Repression usw. müssen komplett aufgegeben werden.

    Wenn sich Demokratie entwickelt, gibt es keinen Aufstand

    Dies ist eine legitime Verteidigung: Die Republik muss uns mit unserer historischen Identität akzeptieren. Es gibt Erklärungen von Atatürk. Wir haben auch Fehler gemacht. Wir haben die Sache bis hierher gebracht. Der Staat hat das 1991 akzeptiert. Er sagte "Die zwei Völker ähneln einander". Der Staat kann diesen Begriff nicht füllen, aber dieses Geständnis ist wichtig. Legitime Menschen bilden eine legitime Gesellschaft. Das vertritt niemand besser als wir.

    Es ist keine Schande; wir sind die besten Verteidiger der gemeinsamen Heimat, der Demokratischen Republik. Sie bedeutet für uns Reichtum. Musa Anter drückte das aus, als er sagte: "Warum soll ich auf die Pfirsiche von Bursa verzichten?" Das liegt in unserer Philosophie, dafür muss man sich anstrengen.

    Es muss Projekte für eine Wende geben

    Ich möchte meine Stimme an Diyarbakir richten. Durch Blut und Schmerzen ist eine Chance geschaffen worden. Du wirst die Regeln für die Staatsbürgerschaft der Demokratischen Republik ausarbeiten. Der Staat wird das akzeptieren, den Weg zeigen; Du wirst deinen Willen durchsetzen. 40 Kommunalverwaltungen sind ein Wille. Es muss viel Arbeit geleistet werden. Wir werden der Türkei die Demokratie bringen, das ist der grundlegende Weg des ganzen. Und das ist auch unsere grundlegende Aufgabe.

    Wir gehen in einen großen Demokratisierungsprozess. Die Türkei muss sich sensibilisieren. Wir werden zusammen mit der Türkei Teil einer tiefgreifenden demokratischen Lösung sein. Hinrichtungen, Repression usw. müssen komplett aufgegeben werden. Wenn sich die Demokratie entwickelt, gibt es keinen Aufstand.

    Wenn das Spiel weitergeht, gibt es noch einen Aufstand. Da soll sich niemand verrechnen. Wenn die Demokratie in einer verlässlichen Weise ins Leben gerufen wird, wird ein ganzer Berg von Problemen überwunden. Es müssen große Projekte geschaffen werden in den Bereichen Verfassung und Politik, Demokratie und Kultur, Gesetzgebung und Verwaltung, bis hin zur Ökonomie. Jeder muss sie an der eigenen Front ins Leben rufen. Die vor uns liegende Phase wird eine sein, in der diese Dinge intensiv diskutiert werden. Auf dem Weg zur Lösung oder bei der Verwirklichung einer demokratischen Wende muss Du ein Projekt haben.

    Haben die, die mich in jetzt kritisieren auch nur eine einzige Friedensdemonstration organisiert? Nein.

    Kein Nationalbewußtsein ohne Demokratie

    Bildet viele Kader aus. Manche sind hinter Aghatum her; sie sichern sich ein Monopol. Was immer wir sagen, sie handeln nach dem eigenen Kopf.

    Es geht auch mit solchen, die eine andere Philosophie haben, aber gut arbeiten wollen. Man muss demokratisch sein. Demokratie bedeutet Überwindung des Feudalismus. Man muss nicht das gleiche Glaubensbekenntnis haben. Lasst uns die Demokratie zuerst in uns selbst entwickeln. Der Stil "auf jeden Fall jemand aus unserer Familie" bedeutet Feudalismus. Wer nicht demokratisch ist, kann nicht auf nationale Interessen bedacht sein, sondern ist vielmehr chauvinistisch, primitiv nationalistisch. Bitte, die Intellektuellen sollen uns anhören. Es gibt eine historisch Trägheit, die muss schnell überwunden werden.

    Wir haben gesagt, das ist etwas neues. Es braucht ein brandneues Demokratieverständnis. Wir sind die Garanten der Demokratie, der freien Einheit. Wir betonen die Staatsbürgerschaft der Demokratischen Republik. Auch das Volk des Gebiets [Kurdistan] muss sich das bewusst machen. Das Volk des Gebiets ist der Motor der Demokratie. Der alte Kurde ist abgetreten, der neue Kurde kommt. Wir setzen den Begriff der demokratischen Staatsbürgerschaft theoretisch-praktisch um. Veränderung ist ein Naturgesetz. Im Universum gibt es Veränderung. Wissenschaftlichkeit ist die Methode, nicht primitiver Materialismus. Demokratie ist eine Sache des Sozialismus, mehr als des Kapitalismus. Das ist die Essenz meines Sozialismusverständnisses. Sozialismus erfordert zuerst Demokratie. Niemand hat auf den Sozialismus verzichtet. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Sieges der Demokratie. Die demokratische Lösung ist die universale Lösung. Aber die Kurden haben zum ersten Mal die Chance erlangt, diesen Moment zu erwischen. Die Türkei ist bereit. Wir haben 30 Jahre lang gekämpft, wir sind auch bereit. Wie wird das Realität? Das muss man genau bedenken. Bündnisse sind nötig. Bildet enorme Bündnisse für Organisierung und Ausbildung. In fünf Jahren werdet ihr die Früchte ernten. Die Demokratie muss sorgfältig organisiert werden.

    Unsere Friedensbemühungen sind nicht oberflächlich

    (...) Brot, Wasser, auch die Sicherheit hängt daran. Es wird voller Schwierigkeiten stecken. Wir leiden enorm, damit ihr ruhig arbeiten könnt. Ihr wisst es nicht zu schätzen. Entwicklungen können nicht dadurch erreicht werden, in dem man am Sessel sitzenbleibt (...)

    Es gibt immer Tod. Lasst uns unsere Arbeit machen, der Tod soll kommen, woher er will. Von der Arbeitsweise des Krieges in die Arbeitsweise des Friedens zu wechseln ist sehr schwer. Am schwersten war es für mich. Die größten Schwierigkeiten hatte ich. Es gibt hier keinen Egoismus, wir erfüllen unsere historische Aufgabe. Weil wir gut gearbeitet haben und das in die Praxis umgesetzt haben, kommt der Staat nicht gegen uns an. Wir sind stärker als früher. Das weiss auch der Staat. Dies ist ein Anfang. Was bleibt, wird der demokratische Kampf ausfüllen. In diesem Sinne begrüße ich die EU. Sie ist auch für unser Volk positiv. Sie ist ein guter Anfang. Es wird eine neue Stufe kommen. Mit diesem Prozess werden wir die Demokratie retten. Denn unsere Friedensbemühungen sind nicht oberflächlich, sie sind, um das Jahrhundert zu retten. Das ist keine Kapitulation, es ist die demokratische Staatsbürgerschaft auf legitimer Grundlage.