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Berlin, 19. Oktober 1999


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  • Brief vom Zentralkomitee der PKK an den Staatspräsidenten Süleyman Demirel

Am 1. Oktober 1999 traf eine achtköpfige Guerillagruppe für Demokratie und Frieden in der Türkei ein. Diese Gruppe führte vier Briefe vom Zentralkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans an den Staatspräsidenten Süleyman Demirel, Premierminister Bülent Ecevit, den Generalstabschef und den Vorsitzenden der Türkischen Nationalversammlung mit sich. Am 18. Oktober wurde der Brief an den türkischen Staatspräsidenten Süleyman Demirel veröffentlicht. Nachfolgend geben wir ihn ungekürzt in eigener Übersetzung wieder.

"Sehr geehrter Herr Süleyman Demirel,
Staatspräsident der Türkischen Republik

Wir übermitteln Ihnen diese Botschaft in der dringenden Hoffnung und in der Verantwortung, daß kurz vor dem Jahr 2000 die Wiege der Zivilisation Anatolien und Mesopotamien ein Niveau erreicht, das sie in die Lage versetzt, aufs Neue Licht für die Menschheit auszustrahlen. Die türkischen und kurdischen Menschen und alle Bürger der Türkei haben ein Anrecht darauf. Wir wissen, daß eine solche Zukunft nahe ist und möchten den daraus resultierenden Stolz mit dem türkischen Volk erleben.
Wir sehen, daß die kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Güter, die der 150-jährige Kampf des türkischen Volkes für Demokratie geschaffen hat, auf dem Weg zum Jahre 2000 mit der Demokratie gekrönt werden wird und möchten uns ebenfalls an diesem ersehnten großen Ziel in gemeinsamer Verantwortung beteiligen. Denn die PKK ist Teil dieses 150-jährigen Kampfes für Modernisierung und es ist deshalb unvorstellbar, daß sie sich von diesem geschichtlichen Prozess loslöst. Die PKK hat sich mitsamt ihrer Fehler und Errungenschaften immer in der Absicht bewegt, einen Beitrag für das Ziel des türkischen Volkes, die Schaffung einer modernen Zivilisation, zu leisten. Der in seiner Verteidigung bekräftigte Wunsch unseres Vorsitzenden Abdullah Öcalan, sich im Rahmen einer demokratischen Lösung mit der Türkei zu vereinen, entspricht dieser Zielsetzung und ist ihr natürliches Ergebnis.
Unsere Welt und die gesamte Menschheit begehen das neue Jahrhundert mit dem Vorzug und dem Sieg der Demokratie basierend auf den aus Kämpfen und Leid gezogenen Lehren wie auch auf den im weltweiten Kampf für ein besseres Leben erzielten Fortschritten. Bereits jetzt ist zu erkennen, daß keine Kraft, welcher Ideologie auch immer sie folgen mag, im neuen Jahrhundert Bestand haben wird, wenn sie die demokratischen Maßstäbe nicht anerkennt. Auch die Türkei bereitet sich darauf vor, gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft als ein Land, das seine Demokratie entwickelt, in das 21 Jahrhundert einzutreten, indem sie Lehren aus der Geschichte zieht und durch das von ihr geschaffene große Wissen und Potential, auch wenn Kämpfe und Leid existent sind.
Eine nationale, politische, gesellschaftliche und kulturelle Realität abseits dieser Entwicklungen kann es nicht geben. Auch unsere Partei hat sich in der Erkenntnis, sich nicht von diesen Entwicklung in der Welt und in der Türkei loslösen zu können, entschieden, ihre unter dem Einfluß des Kalten Krieges und einer von Auseinandersetzungen geprägten Welt geformte politische Strategie zu verändern. Sie wird dies auf ihrem außerordentlichen Kongreß, der in naher Zukunft stattfinden wird, auch beschließen.
Unser Vorsitzende hat seit 1993 erkannt, daß das Andauern des Krieges nicht mehr sinnvoll ist und bei vielen Gelegenheiten betont, daß er eine Einigung mit der Türkei auf demokratischer Grundlage für den realistische Weg hält. Wenn er auch aufgrund verschiedener Hindernisse diese Zielsetzung nicht verwirklichen konnte, so hat er doch dafür gearbeitet, unsere Partei auf eine derartige Entwicklung vorzubereiten. Dass unsere Partei der neuen Strategie unseres Vorsitzenden im Ganzen zustimmt und sie als Direktive auffasst, ist das Ergebnis eines Prozesses, den sie seit 1993 voranzutreiben versucht.
Unser Parteivorsitzender hatte deshalb die Absicht, der Türkischen Republik und dem türkischen Volk sein Vorhaben und Ziel zu erläutern, doch ließen die negative Atmosphäre und die während des Krieges entstandenen Bedingungen bis zur seiner Verschleppung in die Türkei keinen Raum für einen derartigen Dialog. In der aktuellen Situation, in der sich unser Parteivorsitzender dem türkischen Staat und dem türkischen Volk nahe ist, haben wir den Glauben, dass auch das populäre türkische Sprichwort: "Jede Arbeit birgt eine Gunst in sich" einen wahren Kern beinhaltet. Im Bewusstsein unserer Verantwortung versuchen wir, diese Chance zu nutzen und uns in diesem Rahmen zu bewegen.
Unser Parteivorsitzender hat mehrfach die Beendigung des Krieges gefordert und darauf hingewiesen, dass dies bereits früher hätte geschehen sollen. Als Reaktion auf diese realistische, sensible und verantwortungsvolle Haltung unseres Vorsitzenden hat unsere Partei die Auseinandersetzungen beendet und unsere Einheiten aus den Kampfregionen zurückgezogen. Sie hat gegenüber der türkischen und der Weltöffentlichkeit erklärt, dass es sich hierbei um einen Beschluss zu einer strategischen Änderung handele, und dass sie nicht die Absicht habe, den Krieg erneut zu beginnen. Bei der Gelegenheit unterstreichen wir noch einmal, daß die erhobenen Vorwürfe einiger Kräfte und Institutionen, dies sei nur ein taktischer Schritt, der Wahrheit nicht entspricht.
Unsere Partei hat diese Schritte in Verbundenheit mit dem unterbreiteten Projekt unseres Parteivorsitzenden aus Imrali, der ein Zusammenleben mit dem türkischen Volk im Rahmen einer demokratischen Republik vorsieht und in Verbundenheit zu den daraufhin entwickelten Aufrufen, unternommen und glaubt, dass dies der richtige Weg ist.
Wir haben keinen Zweifel daran, daß diese Haltung eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Schwierigkeiten der Türkei spielen wird. Neuere Entwicklungen sind entstanden, die schon jetzt den Weg für die Lösungen aller Probleme eröffnen. Auf der anderen Seite wurde erkannt, daß nach dem Erdbeben unsere diese Haltung unumgänglich ist, eine andere Haltung nicht denkbar wäre und für die Überwindung des Leides und der Schwierigkeiten des türkischen Volkes diese Haltung unseren größten Beitrag leisten wird. Hiermit möchten wir im Zuge unserer Strategie zu den bisher eingeleiteten Schritten einen neuen hinzufügen. Um unsere Entschlossenheit einer Beteiligung an einer Türkei, die ihre Probleme auf der Grundlage der Demokratie lösen wird zu zeigen, senden wir mit dem Beschluß unseres Zentralkomitees, eine Gruppe für Frieden und eine demokratische Lösung in die Türkei. Wir unternehmen diesen Schritt, weil wir ein Teil der Türkei und des türkischen Volkes sind und diesen Konflikt direkt mit dem türkischen Volk und nicht unter Zuhilfenahme ausländischer Kräfte und Vermittler lösen wollen. Die Entsendung dieser Gruppe beweist unseren guten Willen zu dem eingeschlagenen Weg des Friedens und ist ein praktischer Schritt dazu. Unser Wunsch ist es, dies demnächst auch weiter praktizieren zu können.
Der persönliche Empfang der HADEP- Bürgermeister durch Sie und Ihre Bereitschaft, die bestehenden Probleme mit dem kurdischen Volk im Rahmen einer demokratischen und toleranten Haltung zu lösen, sowie einige andere Äußerungen von Vertretern der türkischen Republik haben uns bestärkt, diesen Schritt zu tun.
Es ist offensichtlich: sollte die Türkei die beabsichtigten demokratischen Reformen im Rahmen ihrer Bedürfnisse verwirklichen, im Zusammenhang damit ein grundlegendes Amnestiegesetz verabschieden und die Freiheit zur sprachlichen und kulturellen Freiheit gewähren, so wird dies den Prozeß beschleunigen. Sollte Ihre Aussage vom Jahre 1992 in Diyarbakir "wir erkennen die kurdische Realität an" in der Verfassung verankert werden, so werden die bestehenden Probleme der Vergangenheit angehören. Sollte sich mit diesem Schritt ein Türspalt für die Lösung der Frage in positivem Sinne öffnen und dafür die erforderliche Basis geschaffen werden, so erklären wir schon jetzt unsere Bereitschaft, uns nach unserem außerordentlichen Kongreß mit voller Kraft in das gesetzliche Rahmen der demokratische Republik zu beteiligen.
Wir haben keine Zweifel daran, dass die türkische Republik und ihre Einwohner bereit sind, die existierenden Probleme in einem demokratischen Rahmen zu lösen und sich mit uns, einem Teil von ihnen, zu vereinigen. Uns ist bewusst, dass bewaffnete Auseinandersetzungen und die mit ihnen verbundenen Leiden ein Vertrauensproblem darstellen. Wir nehmen das mit Toleranz zur Kenntnis und sind der Auffassung, daß die bis jetzt gezeigte Haltung und die bereits umgesetzten Schritte einige positive Entwicklungen bewirkt haben, die zu bewerten sind. Die Beispiele in der Welt zeigen, daß Völker, die seit langem miteinander leben, auch wenn es zwischen ihnen zu Auseinandersetzungen gekommen ist, diese nach Beendigung der Auseinandersetzungen in sehr guten Beziehungen zusammenleben können. Wenn es auch wenig Ähnlichkeiten mit der Türkei gibt, so sind die Beziehungen der Völker in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und viele andere Beispiele dafür. Es ist offensichtlich, daß wir im Endeffekt in eine noch grundlegendere Beziehung und Einheit mit dem türkischen Staat und dem türkischen Volk gelangen werden. Wenn es aber um das türkische und kurdische Volke geht, die mit Haut und Haaren verbunden sind, so ist dies noch zutreffender und sogar zwingender.
In der Erwartung, daß die Übergabe dieses Briefes, der unseren guten Willen bezeugt, durch die Gruppe für eine demokratische Lösung an Ihre Institution, einige positive Entwicklungen herbeiführt und einen Beginn ermöglicht, verbleiben wir mit dem Lebenswunsch in der demokratischen Republik und mit unseren aufrechten Gefühlen.


Hochachtungsvoll
Zentralkomitee der PKK"