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    PRESSEERKLÄRUNGEN 
  
 
Januar '99
  
    Köln, 08. Januar 1999

    Nachfolgend geben wir die Pressemitteilung der Anwaltskanzlei Schultz und Reimers, Bremen, zur jüngsten Erklärung der italienischen Regierung bezüglich des Falles Öcalan wieder
     

    Fortsetzung der modernen Odyssee oder ernsthaft Schritte zu einer politischen Endlösung der kurdischen Frage auf europäischer Ebene?

    Nach erneuten ausführlichen Gesprächen in Rom, u.a. mit Herrn Öcalan und seinem römischen Rechtsbeistand, dem Kollegen Luigi Saraceni, überraschten uns Pressemeldungen der italienischen Regierung. Danach müsse Öcalan mit einem Prozeß in Italien rechnen, falls er nicht abgeschoben werden kann; sollte er Italien nicht in Kürze verlassen - so Ministerpräsident D’Alema - riskiere er, vor Gericht gestellt zu werden; Grundlage eines solchen Prozesses könnte die Anti-Terror-Konvention des Europarates von 1977 sein; danach verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, Terroristen entweder auszuliefern oder im eigenen Land vor Gericht zu stellen (dpa, ap u.a. vom 06.01.1999).

    Hierzu stellen wir fest: 
    1. Diese Ankündigung hält einer kritischen Überprüfung aus völker- und strafrechtlicher Sicht nicht Stand:

    Eine Abschiebung ist ebenso ausgeschlossen wie eine Auslieferung, nachdem Deutschland endgültig auf die Auslieferung verzichtet hat, der deutsche internationale Haftbefehl gelöscht ist und sich bisher kein anderer Staat bereit erklärt hat, Herrn Öcalan aufzunehmen. Eine Auslieferung oder Abschiebung in die Türkei kommt (unabhängig von der drohenden Todesstrafe) schon deswegen nicht in Betracht, weil ihm dort politische Verfolgung in der Form der Folter droht (Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention) und er einen Status als politischer Flüchtling in Italien erhalten müßte.
    Zwar besteht theoretisch die Möglichkeit der Einleitung eines Strafverfahrens auf der Grundlage der europäischen Anti-Terror-Konvention von 1977, über die der italienische Justizminister auf politischer Ebene zu entscheiden hätte. Hierzu besteht also keineswegs etwa eine rechtliche Verpflichtung. Vor allem aber ist die europäische Anti-Terror-Konvention auf die Vorwürfe aus der Türkei aus mehreren Gründen unanwendbar. Die angeblichen Straftaten erfüllen nicht den Begriff einer terroristischen Handlung, wie er in der europäischen Konvention vorausgesetzt ist. Sie fanden im Zusammenhang des Krieges zwischen dem türkischen Militär und der PKK statt, also im Rahmen eines internationalen Konflikts in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, für den gem. Artikel 1. Abs. 4 das I. Zusatzprotokoll von 1977 zu dem Genfer Abkommen von 1949 gilt. Selbst wenn man - wie die Türkei - den Krieg nicht als Internationalen Konflikt bewertet, findet auf ihn das II. Zusatzprotokoll von 1977 Anwendung.

    D.h., die Einrichtung eines Strafgerichts zur ausschließlichen Aburteilung des Vorsitzenden der PKK begegnet nicht nur rechtsstaatlichen Bedenken, die eine Sondergerichtsbarkeit verbieten, sondern wäre auch eine nach Artikel 3 Abs. 2 des II. Zusatzprotokolls unzulässige Einmischung in den Konflikt. 

    Auch die sogenannte stellvertretende Strafrechtspflege für Straftaten von Ausländern gegen Ausländer auf ausländischem Territorium ist zwar nach dem italienischen Strafgesetzbuch bei weiter Auslegung theoretisch möglich (Artikel 10), aber bisher ohne Präzedenzfall.
    Die in die rechtliche Debatte geworfene europäische Konvention von 1972 zur Übernahme einer Strafverfolgung gegen einen Ausländer für eine eigentlich vom anderen Staat zu verfolgende Straftat ist schon deswegen nicht anwendbar, weil Italien diesem Abkommen (genauso wie Deutschland) nie beigetreten ist.

    - Der PKK-Vorsitzende Öcalan betonte in den Gesprächen mit uns demgegenüber erneut, daß er gegen die Einrichtung eines internationalen Kriegsverbrechertribunals nach dem Vorbild der Gerichte für Ex-Jugoslawien oder Ruanda nichts einzuwenden hat, da dann auch die Straftaten des türkischen Militärregimes angeklagt und öffentlich verhandelt werden müßten! -
    Wir bleiben dabei: Alle anderen Formen von Strafverfahren wären also eine Einmischung in die Angelegenheiten einer legitimen Befreiungsbewegung unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung mit problematischen Mitteln.

    2. Die Androhung der italienischen Regierung entpuppt sich also als Versuch, Herrn Öcalan dazu zu bewegen, einer „freiwilligen“ Ausreise in ein anderes Land zuzustimmen.
    Dies wäre allenfalls akzeptabel, wenn der Aufnahmestaat (völkerrechtlich) verbindliche Garantien dafür übernehmen würde, daß

    der PKK-Vorsitzende nicht in die Türkei ausgeliefert würde;
    seine persönliche Sicherheit ebenso garantiert wäre, wie die Möglichkeit einer freien politischen Betätigung wie Freizügigkeit in dem Land und Besuchsmöglichkeiten durch Kurdinnen und Kurden, Politiker usw. aus anderen Ländern.

    3. Zu Recht verweist demgegenüber die kurdische Seite auf die Friedensinitiative der PKK, die sich nach wie vor an den bereits zum 01. September 1997 verkündeten einseitigen Waffenstillstand hält und die Ankunft des PKK-Vorsitzenden auf europäischem Boden als weiteren wichtigen Schritt zum Frieden verstanden hat.

    Die Regierung Italiens und die internationale Staatengemeinschaft sollte sich dessen bewußt sein, daß es Herr Generalsekretär Öcalan ist, der am verbindlichsten den weiteren erfolgreichen Weg für eine zivile und friedliche Lösung des Kurdenproblems garantiert. Die Staatengemeinschaft sollte sich an den Friedensprozessen in Palästina, Nordirland und dem Baskenland orientieren, in denen gemeinsam mit Vertretern von PLO, IRA und ETA nach einer friedlichen Lösung gesucht wird.
    In diesem Sinne appellieren wir an die Verantwortlichen in Italien und Europa alles zu tun, damit nicht die moderne Odyssee des PKK-Vorsitzenden fortgesetzt, sondern endlich die Ankündigung und Bereitschaft, zu einer politischen Lösung beizutragen, in konkrete Schritte umgesetzt wird.

    Hierzu könnte eine internationale Kurdistankonferenz unter Einschluß aller Betroffenen beitragen. Ohne die Beteiligung der PKK ist eine politische Lösung nicht vorstellbar, deswegen bedarf es eines gesicherten politischen Statuts für ihren Vorsitzenden als Verhandlungsführer.

    Abschließend teilen wir mit: Wir werden in Kürze zu einer internationalen Juristenkonferenz zu den hier angesprochenen Themen mit namhaften Experten in Rom aufrufen.

    Für das Internationale Juristenteam: Dr. Britta Böhler, Amsterdam; Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg; H. -Eberhard Schultz, Bremen

    Für weitere Informationen stehen zur Verfügung: 
    RAin Dr. Britta Böhler, Amsterdam    Tel: 0031/(0)20-6232405
            Fax: 0031/(0)620 3559
    Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg    Tel./Fax: 0049/(0)40 250 1934
    H.-Eberhard Schultz, Bremen     Tel: 0049/(0)421-663090
            Fax: 0049/(0)421 656533