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Pressemitteilung
Berlin, 03.11. 2002

 

Wahlen in der Türkei: 2. Zwischenbilanz der Repressionen (Stand: etwa 16.00 Uhr)


Nach Informationen viele europäische Wahlbeobachter und Berichten aus der Region zufolge, wurden in sehr vielen kurdischen Dörfern die Wähler zu offenen Abgabe ihrer Stimmen gezwungen (s. u.). Ein weiterer gängiger Praxis war die Hinderung der Wahlbeaufsichtigten und Wahlhelfer der DEHAP. Entweder wurde ihnen der Zutritt in die Wahllokale verweigert oder sie waren körperliche Angriffe und festnahmen ausgesetzt. Im folgenden der zweite Teil der unvollständigen Bilanz der Repressionen während den Wahlen.

Repressionen in Beytüssebap
Die Hamburger Delegation, die heute in Beytüssebap die Wahlen beobachtet hat, berichtet von starkem Druck vor allem in den Dörfern. In fast allen Dörfern seien die Wähler zur offenen Stimmabgabe gezwungen worden. Während in den Dörfern Militär und Dorfschützer Druck auf die Bevölkerung ausüben, sind es in den Städten und Gemeinden Polizeieinheiten. Die Delegation selbst steht unter ständiger Beaufsichtigung durch Sicherheitskräfte.

Urnenbeobachter in Konya an ihrer Arbeit gehindert
In den Grundschulen Aksemsettin und Istiklal bei Konya wurde den DEHAP-Urnenbeobachtern der Zutritt zu den Wahllokalen verweigert.

Verletzung der Wahlfreiheit in Diyarbakir
Nach Informationen des Menschenrechtsverein IHD, der Anwaltskammer und politischer Parteien wurden in mindestens sieben Dörfern die Wähler zur offenen Stimmabgabe gezwungen. Im weiteren wurden in Kreisstädten und Gemeinden DEHAP-Urnenbeobachter an ihrer Tätigkeit gehindert. In der Kreisstadt Ergani wurden die Urnenbeobachter Hasan Akkaya und Abbas Kaya festgenommen.
Desweiteren wurden die Urnenbeobachter der DEHAP Hasan Akin, Mahmut Ekmen, Ramazan Baydemir sowie die Wähler Sevgi Kaya, Metin Yakistir und Sabri Kortak festgenommen.

Verletzte durch Angriff von Dorfschützern
Auf die Information hin, in den Dörfern Hasanhan, Karahacili, Yenidogan, Gödekli, Aratan und Haciaga werde eine offene Stimmenabgabe erzwungen, machte sich der DEHAP-Kandidat Mehmet Nuri Günes und Mitglieder einer französischen Wahlbeobachtungsdelegation auf den Weg in die besagten Dörfer. In Haciaga wurde die neunköpfige Gruppe von ca. 40 Dorfschützern angegriffen. Dabei wurde der Kandidat Nuri Günes, der Franzose Joel Dutto und das Vorstandsmitglied der DEHAP Igdir, Mehmet Yücebas, verletzt.
Wie Günes, der eine Kopfverletzung erlitt, erklärte, habe das Militär zu spät eingegriffen. In sechs Dörfern werden die Menschen weiterhin zu offener Stimmabgabe gezwungen.

Brandstiftung im Wahlbüro der DEHAP in Manavgat bei Antalya
In den frühen Morgenstunden wurde das DEHAP-Wahlbüro in Manavgat bei Antalya von unbekannten Tätern angezündet. Wie Untersuchungen ergeben haben, wurde die Tür des Büros gewaltsam geöffnet und mit Gas oder Benzin in Brand gesetzt. Durch das Feuer wurden Wahldokumente und weitere Gegenstände vernichtet.

Repression in Siirt gegen Wähler durch das Militär
In Siirt haben etwa 500 Wähler erklärt, dass sie aufgrund von Repressionen der Jandarma nicht zur Wahl gehen werden. Nach Informationen von Wahlbeobachtungsdelegationen, die vor Ort mit den Einwohnern gesprochen haben, übt der Jandarmakommandant in den Dörfern Cefan, Usi, Xalibi und Hüseyni Druck auf die Bewohner aus und fordert von ihnen, ihre Stimmen der MHP zu geben. Die Dorfbewohner haben erklärt, dass sie sich aus Protest gegen diesen Druck nicht an den Wahlen beteiligen werden.
Im weiteren beklagte die Delegation, die aus Abgeordneten des Europaparlaments besteht, die hohe Militärpräsenz in Kurtalan, Sirvan und Eruh bei Siirt. Bereits seit mehreren Tagen habe das Militär die Dörfer einzeln aufgesucht und die Dorfbewohner für den Fall, dass sie die DEHAP wählen, bedroht. Daraufhin haben die Bewohner von Zokey bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Soldaten gestellt.

Anzeige wegen Verletzung des Wahlrechts in Mardin
Der Anwalt Hüseyin Cangir des Rechtsbüros der DEHAP hat bei der Staatsanwaltschaft des Landkreises eine Anzeige wegen Verletzung des Wahlrechtes gestellt. Im Zentrum von Mardin sowie in den Bezirken Kizilpepe, Marzidagi und Svur sei eine offene Stimmabgabe erzwungen worden.
Desweiteren wurden Erkan Özdemir und Servet Özdemir im Dorf Sure bei Mardin nach ihrer Stimmabgabe unter Gewaltanwendung festgenommen und die DEHAP-Urnenbeobachter ihrer Plätze verwiesen. Wähler wurden bedroht, damit sie ihre Stimmen nicht der DEHAP geben.

Ein Verletzter in Mus sowie 22 gestohlene Stimmzettel
Im Dorf Elciler bei Mus hat der Landvorsteher Sadrettin Eken die Wähler dazu gedrängt, ihre Stimmen einem unabhängigen Kandidaten namens Zeki Eker zu geben. Als die Wähler dieser Forderung nicht nachkamen, wurden sie beschimpft und anschließend mit Steinen und Stöcken angegriffen. Dabei wurde eine Person verletzt. Aufgrund einer Anzeige von Eken bei der Jandarma wurden in Folge Abdurrahman Akalin (70 Jahre) sowie seine Söhne Faruk und Mazhar und sein Neffe Cevdet Akalin festgenommen.
Fast zeitgleich haben auch in Kagitbasi die Anhänger des Kandidaten Zeki Eker die Urnenbeobachter angegriffen. Es kam zu einer Schlägerei, in die auch die Jandarma eingriff. Hinterher wurde festgestellt, dass 22 Stimmzettel aus den Urnen fehlten. Der Urnenbeauftragte protokollierte den Diebstahl und benachrichtigte die Wahlkommission des Regierungsbezirkes.

Wahlhinderung mit der Begründung einer doppelten Wahlregistrierung
Wie bekannt wurde, sind in Mersin 1000 Personen von der Polizei an der Wahl gehindert worden. Als Begründung wurde angeführt, sie seien doppelt registriert und hätten bereits gewählt.

Vier Urnenbeobachter der DEHAP festgenommen
In Savur bei Mardin sind die Urnenbeobachter der DEHAP, Isa Can, Hasan Uyuk, Hikmet Poyraz und M. Salih Budak, von der Jandarma festgenommen worden.

Wahlrechtsverletzungen in Diyarbakir
Nach Informationen eines Krisenstabes, der sich aus Vertretern des IHD, der Anwaltskammer und politischen Parteien zusammensetzt, sind eine Vielzahl von Bürgern auf dem Weg zur Stimmabgabe festgenommen worden.
Dabei handele es sich u.a. um Gülisatan Isik, Haci Akengin und Arif Akkaya (Gewerkschaftler), Hakki Engünli, Zelal Akçer, Zevi Ipek, Ercan Celik, Kudret Yakut und Gezal Perihan. Auch Wahlhelfer der DEHAP seien von Festnahmen betroffen.

MHP übt Druck aus, um eine offene Stimmabgabe zu erzwingen
In den Dörfern Yunuslar, Tosunbag und Avcilar der Kreisstadt Kurtalan bei Siirt mussten die Wähler aufgrund von Repressionen durch Anhänger der MHP ihre Stimmen offen abgeben. Insbesondere im Dorf Yunuslar, aus dem der MHP-Kandidat aus Siirt, Kasim Ceylan, stammt, wurden die Wahlberechtigten zur offenen Stimmabgabe gezwungen. Einige Dorfbewohner haben aus Protest ihre Stimmzettel verbrannt.

Festnahme von 17 Urnenbeobachtern der DEHAP in Agri
In Dogubeyazit bei Agri sind 17 Wahlbeobachter der DEHAP willkürlich und ohne Erklärung festgenommen worden. Dabei handelt es sich um Sabiha Savas, Fatma Tunç, Fatma Karakus, Ahmet Kahraman, Perihan Savas, Sefika Gürhan, Fatma Karadag, Naife Demir, Feridun Üstimen, Derya Çakal, Nasir Baris, Serdar Kutay und fünf weitere Personen, deren Namen bislang unbekannt sind.

Wahlhinderungen in Mersin
Wie bekannt wurde, sind Hunderte Wahlberechtigte in Mersin durch Sicherheitskräfte an der Wahl gehindert worden. Die Vorfälle ereigneten sich vor allem in Stadtteilen mit einem hohen DEHAP-Wählerstimmenpotential.

Urnenbeobachtern in Maden Zugang verwehrt
Im Dorf Akboga bei Maden-Elazig ist DEHAP-Urnenbeobachtern von Dorfschützern der Zugang zum Dorf verwehrt worden. Bereits im Vorfeld waren Drohungen des Landrates sowie der Jandarma bekannt geworden, um jegliche Stimmabgabe zugunsten der DEHAP zu verhindern.

Angriff auf IHD-Sekretär und Norweger in Mardin
In Dikmen bei Kiziltepe / Mardin sind der Sekretär der IHD-Filiale Mardin und die norwegische Wahlbeobachtungsdelegation von dem ANAP-Kandidaten Ömer Ertas angegriffen worden, als sie eine offene Stimmabgabe verhindern wollten. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde daraufhin die Stimmabgabe unterbrochen.