Karayılan: Erdoğan führt Krieg für 400 Abgeordnete

In einem Interview mit ANF nahm Murat Karayılan, Exekutivratsmitglied der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), Stellung zum verstärkten Krieg der Türkei gegen KurdInnen in Nordkurdistan.

Es wird behauptet, dass der Staat mit Öcalan Gespräche führe und er folgendes angeblich gesagt haben soll, „Selbst wenn ich es ihnen sagen würde, werden sie den Konflikt nicht stoppen. Deshalb macht es keinen Sinn, sie dazu aufzufordern. Ich kann nicht zulassen, dass die Position der Führung infrage gestellt wird.“ Welchen Weg würde die PKK einschlagen, wenn Öcalan die kurdische Bewegung zu einem Ende der Kämpfe aufruft?

Wir haben diesbezüglich keine Informationen erhalten. Diese Aggression und dieser Krieg begannen eigentlich mit der Einführung der Isolation auf Imralı. Derzeit existierten eine Isolation und ein psychologischer Krieg gegen den Vorsitzenden Apo (Bezeichnung für Öcalan). Ich kann nicht verstehen, wie Beamte des Staates mit einem Volksvertreter unter Isolation reden können und ihn fragen, solch eine Erklärung zu machen. Wenn Erdoğan Respekt vor Gemeinschaften und Gruppen hätte, die anders sind als er, würde er den Vorsitzenden Apo nicht solcher unmenschlichen Isolation aussetzten. Dennoch können wir von Leuten, die eine Mentalität von Herrschaft und Ausbeutung besitzen, alles erwarten.
Wenn unser Vorsitzende eine Antwort, wie Du sie dargestellt hast, gab, tat er das Richtige, weil er im Moment nicht in der Lage ist „ beendet den Widerstand“ zu sagen und es wäre offensichtlich, dass er es unter Zwang täte.

Unser Vorsitzende unternimmt seit 1993, vor allem in den letzten 2,5 Jahren, große Anstrengungen für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage. Jedoch zerstörte Erdoğan alles. Er kippte zwar nicht die Gesprächsrunden, aber er verleugnete alles, und sagte, dass es keine kurdische Frage oder einen Adressaten gibt. Er ließ keine Grundlage für weitere Schritte zu. Es ist sehr deutlich, dass sie dem Vorsitzenden etwas aufzwingen wollen und er dagegen Widerstand leistet.

Eine andere Sache ist, dass Apo nur im Falle einer Vereinbarung eines Planes so einen Aufruf machen kann. Der Aufruf für seinen Plan, den er im Jahr 2013 vorstellte, basierte auch auf der Anerkennung durch den Staat und einer Vereinbarung beider Seiten. Doch nach einer Weile zog sich der Staat zurück und verleugnete alles. Diesbezüglich ist die von der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) verursachten Verwüstungen groß. Für den Stimmengewinn und die eigene Herrschaft ignoriert er alle bis zu diesem Punkt unternommenen Bemühungen. Aufgrund ihres eingeengten Blickes zerbrechen und zerschlagen sie diese für die türkische Gesellschaft historisch wichtigen Ergebnisse. Dies ist eine unverantwortliche und eigennützige Einstellung, die wohl nicht den Weg für eine Lösung pflastert.
Viele wertvolle Individuen und Kreise rufen jetzt nach einer Feuerpause und RepräsentantInnen der HDP (Demokratische Partei der Völker) haben kürzlich bemerkenswerte Aufrufe veröffentlicht. Wir schätzen den Wert dieser Aufrufe und ihre Unterstützung sehr. Dennoch sollten diejenigen, die diese Aufrufe machen auch sehen, dass die türkische Seite jeden Tag verspricht die „Operationen weiterlaufen zu lassen bis der letzte Terrorist seine Waffen niederlegt“, was eine scharfe und kriegstreiberische Einstellung sowie den Willen zur Weiterführung der intensiven Angriffe verfestigt. Wir machen von unserem Recht auf Vergeltung gebrauch. Das ist ein Widerstand gegen auf Vernichtung zielende, gewaltsame Angriffe, die eine Verteidigung für die Existenz und das Leben unvermeidlich machen. Der gegenteilige Fall wäre eine Kapitulation, welche sich nicht mit Menschlichkeit und dem Bewirken von Freiheit für alle vereinbaren lässt. Nur mit Hinblick auf diese Realität kann eine Waffenruhe realisiert werden. Qandil hört alle Rufe, aber für einen Waffenstillstand braucht es eine gemeinsame Haltung. Vergangene Praktiken zeigen uns, dass eine einseitige Waffenruhe zu keinem Ergebnis führt.

Erdoğan hat diesen Krieg begonnen. Jeder, der ein Ende des Krieges will, muss diese Wahrheit sehen. Obwohl einige Kreise, die für Verleugnung und Vernichtung sind, als Allianz in diesen Prozess involviert sind, wird dieser Krieg hauptsächlich von Erdoğan für 400 Abgeordnete geführt. Nachdem er die Wahrheit erkannt hat, dass er unter normalen Umständen keinen Erfolg hat, will er die Wahlen am 1. November gewinnen, indem er durch Krieg das Gleichgewicht auf den Kopf stellt.

Deshalb will eine Seite, dass der Krieg weitergeht. Diese Seite, welche die Regierung darstellt, muss dazu gezwungen werden, ihre Haltung in dieser Hinsicht aufzugeben. In anderen Worten gesagt, sie müssen erkennen, dass das Führen dieses Krieges nicht das Ergebnis bringt, was sie sich erwünschten. Deshalb sollten die türkische Gesellschaft und die Kreise, die aufseiten des Friedens und der Demokratie stehen, ihre Stimmen weiter erheben und eine stärkere Reaktion zeigen, um Erdoğan zu stoppen. Dies auch aufgrund der Tatsache, dass wir durch die einseitige Schwächung unserer Verteidigungsposition schwere Schläge erleiden könnten und das wiederum unerträgliche Folgen für uns und alle demokratischen Kräfte haben kann.

Die AKP will momentan ein Konzept durchsetzten, dass auf das gesamte kurdische Volk abzielt und beabsichtigt, es durch Einschüchterung zu unterwerfen. Dieser Prozess, der schon vor langer Zeit mit der illegalen Isolation des kurdischen Volksvertreters begann, basiert auf dem Gesetzt des Krieges und verletzt die eigenen Gesetzte des Staates. Eine neue Basis für eine Waffenruhe könnte dadurch erreicht werden, das als erstes der Kampf gegen die Politik der AKP aufgenommen wird und ihre kriegerische Haltung kritisiert wird. Und nur durch die Einleitung eines neues Verfahrens für eine gemeinsame, gegenseitige Waffenruhe unter der Einbeziehung von Schlichtern, die das Überwachen, kann dies sichergestellt werden.
Auf der anderen Seite ist die kurdische Bewegung jetzt nicht allein. In der Vergangenheit konnten wir Aufrufen und den Befehl geben, um Aktionen zu stoppen und die Guerilla würde es tun, aber die heutige Situation ist anders, da nicht nur die Guerilla Teil des Krieges ist. Es gibt die Wirklichkeit der YDG-H (Bewegung-der revolutionären-patriotischen Jugend) und der Gesellschaft. Wenn wir heutzutage Schritte unternehmen, können wir das nicht ohne das Wissen der Menschen aus Cizîrê, Gever und Amed tun. Während die Menschen gegen die Angriffe Widerstand leisteten, setzten sie ihr Leben dafür ein. Aus diesem Grund schränken die Umstände einseitige Schritte unsererseits aus, sofern keine Zusicherungen der anderen Seite, das keine Angriffe stattfinden werden, vorliegt, das heißt ein Projekt der Versöhnung. Einige sagen, die PKK könnte jetzt einen einseitigen Waffenstillstand wie in vergangenen Zeiten ausrufen. Richtig, wir konnten in der Vergangenheit einseitige Sachen machen, da es zu der Zeit nur eine Konfrontation zwischen der HPG (Volksverteidigungskräfte) und der türkischen Armee waren. Im Moment ist das nicht der Fall, weil der Widerstand jetzt vergesellschaftet wurde.

Die Komplexität der Materie ist natürlich offensichtlich. Wie oben erwähnt, kann dennoch eine gemeinsame Lösung erreicht werden, wenn ein Konzept entwickelt wird, das die Kritikalität der Materie berücksichtigt.

Wenn dieser Krieg so weitergeht, kann es keine Wahlen geben. Beide, wir und die AKP wissen das. Die AKP führt weiterhin Wahlkampf. Wenn sie das kommende Scheitern bemerken, könnten sie den laufenden Konflikt als Grund für eine weitere Verschiebung der Wahlen benutzen. Deshalb wollen sie den Krieg weiter laufen lassen. In der gleichen Weise könnten sie durch die Erfüllung der jetzigen Kriegsumstände eine Weiterführung des Krieges wollen. In anderen Worten, die AKP hat die Absicht den Krieg bis zum 1. November fortzuführen und nicht damit aufzuhören, selbst wenn wir es täten. Wenn nationale und internationale Kreise sowie zivilgesellschaftliche Organisationen gegen diese Mentalität des Stimmenfangs durch Krieg Stellung beziehen würden, könnten sie diese Idee fallen lassen. Andernfalls sieht es so aus, als ob die AKP diesen Krieg vor der Wahl beenden wird. Auf dieser Grundlage wird der Krieg in Wirklichkeit geführt. Die anderen Aspekte sind nur ein Mittel, um die Wahrheit zu verdrehen. Aus diesem Grund veröffentlichen der Mainstream, das heißt AKP nahe Medien, jeden Tag überspitzte Berichte und Überschriften, die auf Lügen basieren und darauf abzielen, die Menschen zu provozieren. Sie schrieben zum Beispiel, dass 280 Guerillas von den Bergen nach Cizîrê kamen. Dort wurden 21 ZivilistInnen zu MärtyrerInnen. Wer von ihnen war ein Guerilla? Keiner. Dazu sagte das Innenministerium der AKP „während der Ausgangssperre in der Stadt töteten wir 32 Terroristen“. Wenn das so ist, wo sind die Körper dieser 32 Menschen? Das sind alles Lügen. In Cizîrê gibt es keine Guerilla, nur Jugendliche, zivile Menschen sind dort.

In Silopi umkreisten türkische Kräfte ein Haus und beschossen es von abends bis in den Morgen und machten es zu einer Ruine, um schließlich zu sagen, „wir töteten 3 PKK-Mitglieder“. Später stellte sich heraus, dass zwei von ihnen Jugendliche aus der Gegend waren und einer ein gewöhnlicher Zivilist war, der täglich über die Straße ging. Ein ähnlicher Fall fand in Dîlok statt, wo ein Student aus Dihê getötet wurde. Sie schossen den Jugendlichen tot und nannten ihn später „PKK-Mitglied“. Sie töten jeden, Frauen und Kinder, selbst 75-jährige Senioren und 35 Tage alte Babys, um sie im Nachhinein „PKK-Mitglieder“ zu nennen.

Die Basis für diese derzeitige Situation wurde hauptsächlich durch die Hauptmedien geformt. Diese von den Mainstream Medien erschaffene Basis von psychologischer Kriegsführung entwickelte die in vielen Teilen der Türkei stattfindenden Angriffen von organisierten Gruppen gegen KurdInnen und die HDP. Kurz gesagt, sie wollen durch die Verbreitung von Nachrichten, die KurdInnen als Ziel und Widerspiegelung der Realisierung eines intensiven Krieges zeigen, Stimmen gewinnen.

In einer Fernsehsendung sagte Erdoğan; „wir töteten 2000“ was eine totale Lüge ist. Weder die Angriffe aus der Luft noch am Boden fügten uns schwere Verluste zu. Es ist wahr, das wir Verluste erlitten und sehr wertvolle GenossInnen von uns als MärtyrerInnen gefallen sind, wenn wir aber die Dimension der Angriffe betrachten, ist diese Zahl wie ein Tropfen im Ozean. Eine türkische Zeitung schrieb, „2/3 der PKK wurde zerstört“. Diese Überschrift bildet ein Beispiel der großen Verachtung gegenüber der Gesellschaft. Es ist nicht schön, das zu sagen, aber sie betrügen die Menschen. Um das zu verlängern, produzieren sie Lügen und entwickeln Desinformationen. Diese Bemühungen bilden die Grundlage, um den Krieg bis zum 1. November weiterzuführen.

Die Forderungen nach einer Rückkehr an den Verhandlungstisch sind wertvoll und achtsam, jedoch unmöglich durchzuführen, solange die unverhohlenen Angriffe gegen unseren Vorsitzenden, unser Volk und unsere Kräfte nicht gestoppt werden. Wenn Anstrengungen unter Berücksichtigung dieser Wahrheit erfolgen, könnte ein Ergebnis erreicht werden.

Nach dem Newroz Fest 2013 sagten einige führende Akteure der kurdischen politischen Bewegung, „wir wollen weg von dem Etikett ‚Terroristen‘“ Wenn ihr weiterhin der gleichen Meinung seid, warum lasst ihr den Konflikt weiter gehen?

Unser Kampf ist gerecht und legitim. Wegen der totalen Zerstörung des mit politisch-demokratischen Methoden geführten Kampfes wurden wir zum Beginn des bewaffneten Kampfes gezwungen. In diesem gerechten und berechtigten Kampf haben wir nie gefordert „weg vom Etikett Terroristen“. An diesem Punkt könnte es Missverständnisse geben und kein kurdischer Politiker würde so etwas sagen. Der Kampf des kurdischen Volkes ist ein Kampf der Selbstverteidigung gegen den Staatsterror und wurde im Angesicht von Vernichtungstendenzen begonnen. Als das Recht auf Leben ist die Selbstverteidigung von internationalem Recht anerkannt. Das Recht auf Leben ist heilig. Wir sind auch der selben Meinung. Wir haben das Recht uns zu verteidigen, unser Volk hat das Recht ihre erklärte Selbstverwaltung zu verteidigen und unsere Kräfte haben das Recht, Angriffe eines souveränen, ausbeuterischen Staates zu vergelten. Das ist die Haltung, die wir in dieser Hinsicht haben und wir glauben, dass dieses Problem nicht durch gegenseitige Vernichtung und dem Gebrauch von Waffen gelöst werden sollte, sondern am Verhandlungstisch und bemessen dieser Perspektive Priorität bei. Jeder hat eine andere Beschreibung für Terror. Wenn mit Terror Gewalt gemeint ist, existiert in Kurdistan zu aller erst Gewalt durch den Staat, welcher in Form von Staatsterror begangen wird. Mit welcher Gewalt wurden die 21 Menschen in Cizîrê getötet? In dieser Frage existiert hier eindeutig Staatsterror. Und es ist offensichtlich, dass solch einseitige Praktiken darauf abzielen, das kurdische Volk unter den Namen des Terrors zu stellen, keine Lösung bringt und bringen wird, sondern nur zum Stillstand führt.

Sie sagten, dass die AKP und Erdoğan den Friedensprozess beendet haben und dass dahinter eine Wahlkampfstrategie steht. Wenn Sie so denken, steht nicht am Ende die eskalierende Gewalt für die größte Unterstützung dieser Strategie?

Wie wir schon ausgeführt haben wurde der Prozess von der AKP und Erdoğan als Teil der Wahlkampfstrategie beendet und der Krieg begonnen. Es ist lebenswichtig für uns, die Angriffe der AKP zu beantworten. Anders gesagt, um das Erleiden eines Rückschlages zu vermeiden, müssen wir die Angriffe vergelten. Für jeden Luftangriff auf unser Gebiet und jedem Massaker an ZivilistInnen müssen wir Vergeltungsmaßnahmen durchführen. Wenn wir das nicht tun, würde sich jeder Angriff verstärken und uns in eine Zwangssituation bringen. Weil wir so handeln, werden militärische und andere Kräfte, die nicht aktiver Teil dieses Prozesses und der Angriffe sind, nicht zu unserem Ziel.

Kurz gesagt, wir führen einen Selbstverteidigungkampf. Nicht wir, sondern die AKP eskaliert die Gewalt. Ich stimme nicht damit überein, dass unsere auf Basis der Selbstverteidigung geführten Antworten eine große Unterstützung der Strategie der AKP sein soll. Das ist eine umstrittene Situation. Zum Beispiel wollen sie einen kontrollierten Krieg entwickeln und ihre Strategie zur Vernichtung der PKK zu Ende bringen, wie es Erdoğan selbst immer erklärt. Wenn wir uns selbst beschützen, die Angriffe, ohne Verluste zu erleiden, zurückschlagen und unser eigenes demokratisches System voranbringen, können wir ihren Plan komplett bezwingen. Aus diesem Grund ist das Festhalten an „der jetzige Prozess bedient die AKP-Strategie“ umstritten. Sie wollen Stimmen gewinnen, indem sie uns töten, aber unsere Verteidigung und Anwachsen wird letztlich die Pläne des Palastes (Sitz von Erdoğan) zerstören. Wenn dies gelingt, werden sie verlieren während der kurdische Freiheitskampf und die demokratischen Kräfte in der Türkei triumphieren.
Ich würde folglich gerne betonen, dass wir Wert auf die Bemühungen und Gedanken der vielen friedlichen und demokratischen Kreise legen und erachten deren Kritik und Bestrebungen als notwendig. Wir sind nachdrücklich an einer Lösung durch ein Zusammenleben der Menschen in der Türkei interessiert, was nur durch die Demokratisierung der Türkei und dem Steigern von Demokratischer Autonomie in Kurdistan und der Türkei erreicht werden kann. Diese Wahl von uns ist eine Wichtige die von türkischen Beamten wertgeschätzt werden sollte, da wir auch andere Möglichkeiten haben. Wenn sie uns, trotz unserer Bemühungen für eine Lösung und Frieden, sagen; „werdet Sklaven und gebt auf, oder wir töten euch“, müssen wir uns eigene Wege suchen. Von diesem Standpunkt aus gesehen sind der aktuelle Prozess des Krieges und die Betrachtungen dazu sehr wichtig für uns. In diesem Zusammenhang sage ich noch einmal, dass wir alle Anstrengungen zur Lösung respektieren und wertschätzen.

ANF, 19.09.015, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan