"Ich bin stolz auf meinen Sohn"

Der Leichnam des in Rojava bei Silûk gefallenen YPG-Kämpfers Kevin Jochim wird in Habur aufgehalten. Die in Kahlsruhe um ihren Sohn trauernde Mutter Maurine Lucia Kozluk erklärte: „Ich bin stolz auf meinen Sohn“.

Die Mutter des in Rojava gefallenen 22-jährigen deutschen YPG Kämpfers Kevin Jochim (Dilsoz Buhar), Maurine Lucia Kozluk, sagte zudem: „Mein Sohn ist tausende Kilometer gereist, um ein Volk, das er nicht kannte, zu verteidigen. Er kämpfte und verlor sein Leben. Ich bin stolz auf ihn“.

Der Leichnam von Kevin und 12 weiteren YPJ/YPG und YJA-Star/HPG Kämpfer_innen, die im Krieg gegen die Grausamkeiten des IS (Islamischen Staats) ihr Leben verloren haben, werden vom türkischen Staat, entgegen jeglicher menschlicher oder moralischer Regeln, seit sechs Tagen unrechtmäßig am Grenzübergang Habur aufgehalten. Die YPG hatte am 13. Juli zu Kevins Tod folgendes erklärt: „Er hat sich 2012 den Reihen der Freiheitsbewegung angeschlossen. Er nahm an Aufgaben in verschiedenen Gebieten Kurdistans teil, bis er in den Wintermonaten 2015 nach Rojava ging. Genosse Dilsoz leistete heldenhaften Widerstand gegen die grausamen IS-Banden und spielte eine wichtige Rolle im Rahmen der Rubar Qamişlo Offensive, bei der vom IS besetzte Dörfer und Siedlungen befreit wurden. Am 06. Juli 2015 wurde Genosse Dilsoz bei einem Kampf im Dorf Şergirat im Kreis Silûk zum Märtyrer.“

Wenn man auf der Internetplattform Youtube nach „Kevin Jochim“ (Dilsoz Bahar) sucht, findet man Videos, in welchen Kevin in fließendem Kurdisch seine Lebensgeschichte erzählt und die Notwendigkeit der Teilnahme an der Rojava Revolution und seine Gedanken zum Freiheitskampf Kurdistans darstellt.
Wir haben uns mit seiner Mutter Maurine Lucia Kozluk getroffen.

Könnten Sie uns als Kevins Mutter etwas über ihren Sohn berichten? Was für ein Kind war er?
Kurz bevor Sie hierher gekommen sind, habe ich mir Fotos aus seiner Kindheit angeschaut. Mein Kind war ein glückliches Kind voller Hoffnung. Er war immer bei seinen Geschwistern, verbrachte mit ihnen seine Zeit und übernahm schon im Alter von neun Jahren Verantwortung für seinen kleine Bruder. Er liebte es zusammen mit anderen Kindern zu sein. Kevin war seit seiner Kindheit immer darum bemüht, anderen zu helfen und stellte sich immer auf die Seite der Schwächeren. Das war auch in der Schule so und aufgrund dieser Haltung wurde er immer wieder zum Klassensprecher gewählt. Meine Beziehung zu Kevin war sehr gut. Was für Probleme auch immer auftraten, er teilte sie mir ohne Vorbehalte mit. Die schwierigste Situation für Kevin war vielleicht, dass uns sein Vater, als er zwei Jahre alt war, verließ und er ihn nie wieder sah. Von dem Mann mit dem ich danach verheiratet war, habe ich ständig Gewalt erfahren, was für Kevin ein großes Problem war. Als er 13 oder 14 Jahre alt war, sagte er: „Mama, du musst Dich sofort von diesem Mann trennen“.

In dieser Zeit verließ er das Haus und zog zu seiner Oma. Die Mittelschule schloss er mit sehr guten Noten ab. Er wollte Erzieher werden, weil er gut mit Kindern umgehen konnte und sehr mochte, aber daraus wurde nichts.

Wie war das Verhältnis Ihres Sohnes Kevin zur Politik?
Kevin sprach jeden Tag mit mir über Politik. Er sagte andauernd: „Mama schau, überall auf der Welt ist Krieg. Menschen werden ermordet. Sie sind so hilflos. Wie können sie ihr Leben führen?“. Er interessierte sich sehr für die Probleme der anderen Völker, der unterdrückten Menschen. Nicht nur für das was das kurdische Volk erlebt, sondern für alle unterdrückten Völker von Afrika bis Amerika.

Bis Kevin 13 Jahre alt war verbrachte er seine Freizeit immer zu Hause. Zu dieser Zeit las er sehr dicke und schwere Bücher und begann sich für Politik und Geografie zu interessieren. In der Schule bekam er in diesen Fächern immer gute Noten.

Wie haben Sie erfahren, dass Ihr Sohn nach Rojava gegangen ist?
Ich wusste überhaupt nicht, dass er gegangen ist. Er kam damals am 02. November, seinem Geburtstag, nach Hause und holte seine Sachen. Er sagte: „Ich nehme an einer Aktion Teil“. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ein paar Tage später ging ich zur Polizei, die mir sagte, dass Kevin über 18 Jahre alt sei und sie daher nichts machen könnten. Wenn ich etwas höre, sollte ich mich melden.

Da Kevin sich sehr für Politik interessierte, war er der Polizei bekannt uns sie hatten bereits eine Akte über ihn angelegt. Vor zwei Monaten rief mich die Polizei an und zeigte mir ein Video, das Kevin ins Internet hoch geladen hatte. Nach drei Jahren sah ich meinen Sohn das erste Mal wieder, er hat in einer anderen Sprache gesprochen, mit einer Waffe in der Hand. Ich war geschockt, als die Polizei mir sagte, er sei in Syrien.

Was haben Sie empfunden, als Sie sein Video sahen?
Ich hatte meinen Sohn etwa drei Jahre nicht mehr gesehen und stand regelrecht unter Schock als ich das Video das erste Mal sah. Bevor mein Sohn gegangen war wollte er mir eine kurdische Freundin vorstellen, aber das kam nicht zustande. Ich sagte: „Kommt zusammen zum Frühstück“, aber wir haben uns nicht kennengelernt.

Wie sehen Sie Kevins Teilnahme an so einem Kampf und dass er in einem anderen Land sein Leben verloren hat?
Ich weiß nicht ... Kevin hat mit mir andauernd über Politik gesprochen, das war sein Interessengebiet. Aber unsere Gespräche haben mir nicht die Möglichkeit ins Bewusstsein gebracht, dass er in den Krieg gehen könnte. Natürlich sprach er über Politik, aber nicht nur über Politik. Er beschäftigte sich mit verschiedenen Bereichen, aber er hat mir nichts erzählt. Hätte er es mir erzählt, ich hätte nicht zugelassen, dass er stirbt. Wir hätten gemeinsam uns mit diesem Kampf beschäftigt und ich wäre bereit gewesen ihm zu helfen. Mein Sohn hat immer zu mir gesagt: „Lass Dich nicht schlagen“. Das hat gezeigt, dass er immer beschützen wollte. Kevin stand an der Seite derer, die ihr Haupt vor Unrecht nicht beugen. Ich kann es nachvollziehen, dass mein Sohn gekämpft hat, um ein Volk, das tausende Kilometer von hier entfernt ist, zu schützen. Das ist etwas sehr Schönes. Ich bin stolz auf meinen Sohn. Aber ich bin eine Mutter. Und dass es damit endete, dass er gestorben ist, ist sehr hart. Aber es ist ganz seine Entscheidung. Ich denke, dass das, was er getan hat, eine wunderbare Sache ist.

Ich bin jetzt wieder mit jemandem zusammen, den Kevin nicht kennt. Ich habe ihm von Kevin erzählt und wollte sie einander vorstellen. Aber Kevin ist gestorben. Er sagte zu mir „Sei stolz auf deinen Sohn. So wie er gegangen ist, soll er in deiner Erinnerung bleiben. Das war seine Entscheidung und er wusste was er tut.“ Ich dachte ich könnte ihn eines Tages wieder in die Arme schließen, hoffte auf diesen Tag und freute mich darauf. Seine Geschwister fragen immer nach ihm: „Wann kommt unser großer Bruder zurück?“. Sein neunjähriger Bruder Nikolas fragte, als er von Kevins Tod erfuhr: „Mama ist Kevin jetzt ganz tot?“. Wie können Sie als Mutter diese Frage beantworten? Aber trotz allem bin ich stolz auf meinen Sohn, er hat das Richtige getan. Er war ein guter Mensch und ist als guter Mensch gestorben.

Lebte Kevin mit Ihnen zusammen?
Kevin lebte mit seiner Großmutter zusammen, bei der er all seine Sachen hat. Seine Großmutter sagte gestern zu mir „Jetzt kommt bald Kevins Geburtstag. Ist er noch nicht wieder zurück?“. Weil sie herzkrank ist, konnte ich ihr nichts erzählen. Seine Oma sagt: „Ich verstehe nicht, wie ein Mensch alle Sachen zurücklassen und gehen kann“. Vielleicht rechnete auch sie damit, dass er eines Tages wiederkommen würde. Ich habe bei ihr eine Schachtel gefunden, in der ein Brief war, den Kevin mir im Alter von neun Jahren geschrieben hat. Seine Kindheitsfotos zeigen, was er für ein glücklicher Mensch war.

Ist die Polizei nach Kevins Tod zu Ihnen gekommen?
Nein, sie waren überhaupt nicht da. Bevor er gestorben ist, hat sich die Polizei ständig bei mir gemeldet aber nach seinem Tod ist sie überhaupt nicht mehr gekommen. Mein Sohn hat damals gesagt: „Mama ich komme am Sonntag“. Nach drei Jahren erhielt ich diese Nachricht. Ich bin traurig, aber stolz auf ihn.

REHA SARI-ZİLAN KIZILATEŞ / KARLSRUHE

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YÖP, 01.08.2015, ISKU

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