Cemil Bayık: Dies ist die letzte Chance

Der Kovorsitzende des Exekutivrates der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, Cemil Bayık, hat in Kandil die Fragen der türkischsprachigen Zeitung „Evrensel“ beantwortet. Bayık hat darin bedeutende Erklärungen zum Lösungsprozess, zur Niederlegung der Waffen und zu den Wahlen abgegeben.

Fatih POLAT - Hüseyin DENIZ

Wir sollten zunächst mit dem aktuell auf der Tagesordnung stehenden Entwurf von Herrn Öcalan beginnen. Sırrı Süreyya Önder, Teilnehmer der Imralı-Delegation, hat mitgeteilt, dass im Entwurf sehr viele wichtige Rubriken, einschließlich der Autonomie, vorhanden sind. Der stellvertretende Ministerpräsident Yalçın Akdoğan wiederum hat diese Erklärung mit der Betonung darauf, dass eine Autonomie nicht besprochen worden ist, dementiert. Was beinhaltet dieser Entwurf inhaltlich?

Nun, der Vorsitzende Apo [Öcalan] hat den Entwurf zur demokratischen Lösungsverhandlung in vier Artikel geteilt. Natürlich beinhaltet jeder einzelne Artikel umfangreiche Unterpunkte. Er hat diesen Entwurf sowohl uns, als auch der Regierung geschickt. Wir haben den Entwurf studiert und der Öffentlichkeit in einer Erklärung bekannt gegeben, dass wir diesem zustimmen. Dem Vorsitzenden Apo haben wir mitgeteilt, dass wir den Entwurf annehmen und dass im Falle dessen Anerkennung durch die Türkei dies der Lösung der kurdischen Frage und ebenso der Demokratieprobleme der Türkei dienen wird. Wir haben vom türkischen Staat eine zeitnahe Erklärung über Akzeptanz oder Ablehnung dieses Entwurfes verlangt. Die türkische Regierung hat bisher keinerlei Erklärungen darüber abgegeben.

Der 1. Artikel dieses Entwurfs handelt von der Methode. Also welche Methode während der Verhandlungen eingehalten werden soll. Die Frage der Methode ist aus Sicht der Produktivität und dem Erfolg der Verhandlungen wichtig. Der 2. Artikel behandelt den historischen, philosophischen und theoretischen Hintergrund. Denn wenn die Verhandlungen voran gebracht werden sollen, dann muss es dafür eine Grundlage geben. Es ist ungesund, ohne Basis die Verhandlungen auszubauen. Wenn nachhaltige Verhandlungen geführt werden sollen, dann muss es Grundlagen dafür geben. Der 3. Artikel beinhaltet die Inhalte der Verhandlungen. Wenn diese verhandelt und abgeschlossen sind, dann wird zum 4. Artikel übergegangen. Der 4. Artikel bearbeitet die praktische Umsetzung der anerkannten Punkte. Dieses wird nicht nach dem Prinzip Stufe um Stufe stattfinden, sondern wechselseitig parallel. Dies bedeutet dann eben, die Verhandlungen umzusetzen und abzuschließen.

Damit wird nicht nur das Ziel der Lösung der kurdischen Frage angestrebt. Die Zielsetzung ist die Lösung aller Demokratieprobleme der Türkei. Wir, als Vorsitz unserer Bewegung, haben mit allen unseren Teilen darüber diskutiert und diesen Entwurf für konstruktiv befunden. Falls die Regierung es akzeptiert, dann werden alle Demokratieprobleme der Türkei mit diesem Entwurf leicht gelöst werden können. Von der kurdischen Frage bis zur alevitischen Frage können die Probleme unterschiedlicher Völker und Kulturen gelöst werden und eine demokratische Gesellschaft geschaffen werden.

Wir verlangen vom türkischen Staat und seiner Regierung, sich entsprechend dem Zeitplan im Entwurf zu verhalten. Ob sie es nun akzeptieren oder auch nicht.

Wir haben für die Artikel 1, 2 und 3 eine Frist festgelegt. Auch für den 4. Artikel haben wir einen Zeitpunkt festgelegt. Falls der Verhandlungsentwurf akzeptiert wird und es zu Verhandlungen kommt, dann wollen wir dies bis Mitte März beenden. Der März sollte nicht überzogen werden. Denn der Prozess ist ein sehr wichtiger Prozess. Die Türkei bewegt sich auf die Parlamentswahlen zu, die 2015 stattfinden werden. Es muss feststehen, ob vor den Wahlen Verhandlungen stattfinden oder nicht. Und wenn Verhandlungen stattfinden werden, dann müssen diese abgeschlossen sein. Wir akzeptieren es nicht Verhandlungen aufzunehmen und dann zu sagen, die Zeit habe nicht gereicht, da mitten in der Wahlphase keine Verhandlungen stattfinden können und es dann auf später zu verschieben. Wenn sie Verhandlungen nicht akzeptieren oder akzeptieren, aber sie nicht dem Zeitplan entsprechend verhalten, dann werden wir dies als Hinhaltetaktik, als Täuschung und gleichzeitig als Kriegsvorbereitung bewerten. Dann werden wir unsere Haltung sehr eindeutig der Öffentlichkeit mitteilen. Wir, der Vorstand, haben zwei Erklärungen abgegeben. Erstens ging es darum, dass wir das, was wir akzeptiert haben, auch von der Regierung erwarten und dass nicht hingehalten wird. Zweitens sollte die Delegation zum Vorsitzenden Apo gehen. Dazu hatten wir eine Frist gesetzt. Diese Frist wurde überschritten, und wir haben diesbezüglich gewarnt. Auf keinen Fall darf eine Frist überschritten werden. Wir haben gesagt, dass einem festgelegten Datum entsprechend gehandelt werden muss. Wir haben erklärt, dass wir im Falle einer Fristüberschreitung den Entwurf der Öffentlichkeit mitteilen werden. Darum sollte sich die Delegation heute (Mittwoch, 17. Dezember) nach Imralı begeben und mit dem Vorsitzenden Apo treffen. Darum haben wir den Verhandlungsentwurf nicht der Öffentlichkeit dargelegt. Wäre heute das Treffen nicht zustande gekommen, dann hätten wir den Verhandlungsentwurf der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Die Gegenseite wollte nicht die Veröffentlichung des Entwurfs und hat erklärt, dass das Treffen heute stattfindet. Wir haben diesbezüglich eine Nachricht erhalten. Daher haben wir auch die Bekanntgabe an die Öffentlichkeit eingestellt.

Sie haben erklärt, dass im Falle einer Nichteinhaltung der Schritte bis zum 15. März der Prozess erschwert werde und haben das Wort „Kriegszustand“ benutzt ...

Nun, auch der Vorsitzender Apo hat bei dem letzten Treffen sehr klare Definitionen aufgestellt. Wir stellen klar, dass wir diesen Prozess so nicht weiterführen können und am Ende angelangt sind, wenn dieser Verhandlungsentwurf nicht angenommen und wenn er nicht nach dem von uns gesetzten Terminplan angegangen und abgeschlossen wird. Auch der Vorsitzender Apo hat dies klar und deutlich bestimmt. Es hatte verschiedene Gründe, dass wir bisher den Prozess unilateral vorangetrieben haben und vieles hingenommen haben. Nun sind wir darin aber an die Grenzen gestoßen. Von nun an wird der Prozess nur weiter geführt werden, wenn ab hier Verhandlungen stattfinden und wenn diese dem festgelegten Zeitplan entsprechend geführt werden. Ansonsten wird der Prozess beendet. Es wird nichts mehr geben, was wir tun können. Dies haben wir klar und deutlich dargelegt und es ist gut, wenn die Öffentlichkeit dies weiß.

Sie sagen, dass aus Ihrer Sicht das Vertrauen an der Regierung am Boden angelangt ist ...
Das Problem ist nicht Vertrauen oder Misstrauen. Wir sind eine Bewegung, die Vertrauen in sich hat. Und weil wir uns selbst vertrauen und darauf drängen, die kurdische Frage auf demokratisch politische Weise zu lösen, haben wir seit 1993 einseitige Waffenstillstände ausgerufen. Zuletzt haben wir zu Newroz 2013 eine Haltung eingenommen, die mehr als ein Waffenstillstand ist. Das weiß die Öffentlichkeit. Wir haben unilateral den Krieg eingestellt, unsere Gefangenen freigelassen und die Guerilla von ihren Stellungen in den Süden abgezogen. Wir haben Schritte getan, die niemand auf der Welt getan hat. Eine Bewegung, die kein Vertrauen in sich selbst hat, die nicht auf eine Lösung drängt, wird solche Schritte nicht tun. Wir wollten mit diesen Schritten den Boden für Verhandlungen ebnen. Wir wollten damit die chauvinistische Einstellung in der Türkei überwinden. Und auf diese Weise wollten wir die demokratische, politische Lösung der kurdischen Frage realisieren. Darum haben wir alle diese Schritte getan. Mit unseren unilateralen Bemühungen haben wir es bis zu einem bestimmten Punkt gebracht. Wir mussten uns dabei erheblich anstrengen. Denn der Staat und die Regierung wollten zu keiner Zeit diese Schritte in multilaterale Schritte umwandeln. Sie wollten es stets auf Einseitigkeit belassen und versuchten, den Prozess ins Bedeutungslose zu führen, diesen aushöhlen. Sie wollten die Kontrolle übernehmen. Sie wollten es stets auf eigene Weise vorantreiben. Nur den Waffenstillstand wollten sie. Darüber hinaus wurde kein Schritt getan. Der Waffenstillstand wurde nur akzeptiert, damit keine Schlachten geführt werden um die Wahlen zu gewinnen. Sie haben noch nicht einmal die Notwendigkeiten eines Waffenstillstands eingehalten. Wir haben diesen einseitig eingehalten und haben dies bis zu einem gewissen Punkt getan. Der Staat und die Regierung haben einen Spezialkrieg gegen uns geführt. Damit beabsichtigten sie, unsere Bewegung außer Gefecht zu setzen. Sie beabsichtigten damit, der Bewegung ihre Wünsche aufzuzwingen. Ihre Absicht war, die Bewegung als Lösungskraft auszuschalten, zu liquidieren. Alle von uns getätigten Schritte, all unsere Geduld, haben sie für ihre Machtzwecke benutzt. Alles der Macht und den Wahlen geopfert. Wir haben zuletzt einen historischen Zug getätigt. Ebenso wie wir am Newroz 2013 einen historischen Zug getan haben, so haben wir auch jetzt einen getan. Der vom Vorsitzenden Apo entwickelte Verhandlungsentwurf drückt dies aus. Dies ist die letzte Chance. Mehr als bisher ist nicht möglich. Es war alles, was wir tun konnten. Falls dieser Entwurf nicht akzeptiert wird, dann gibt es keinen weiteren vorzulegenden Entwurf.

Hinzu kommt, dass regierungsnahe Zeitungen folgende Nachricht herausgebracht haben: „Die PKK wird Ende März die Waffen niederlegen, der MIT (türk. Geheimdienst) wird diese einsammeln.“ Fragen wir aus erster Hand, führt die PKK derzeit Diskussionen über eine Waffenniederlegung?

Nein, nein. Solch eine Diskussion gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Wir werden, ohne den Verhandlungsentwurf zu diskutieren, ohne ihn zu den festgelegten Terminen abzuschließen und ohne eine Einigung an diesem Punkt, keinesfalls die Waffen niederlegen. Es gibt keinerlei Absichten, die Waffen niederzulegen. Welches Problem ist den gelöst worden, damit wir die Waffen niederlegen? Zudem finden gegen unser Volk die brutalen Angriffe des IS statt. Die ganze Welt sieht das. Wie können wir in solch einer Lage unsere Waffen niederlegen? Der türkische Staat steht hinter den IS-Angriffen, wie können wir da die Waffen niederlegen? Die Waffen niederzulegen bedeutet, sich zu ergeben. Es bedeutet den Tod. Niemand kann das von uns verlangen. Lassen wir das beiseite, nicht einmal der Rückzug wird passieren. Wir haben uns in der Vergangenheit zurückgezogen. Dies haben wir mehrfach für eine demokratisch, politische Lösung getan. Wir haben dies aus Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in der Türkei gemacht. Und wir haben es getan, um dem Staat und der Regierung Vertrauen zu geben.

Nichts davon ist für eine Lösung genutzt worden. Ganz im Gegenteil wurde es zur Liquidation der Bewegung genutzt. Bevor nicht in der kurdischen Frage eine demokratische, politische Lösung realisiert worden ist, werden weder Waffen niedergelegt werden, noch werden die Guerilla ihre Stellungen verlassen.

Die Regierung äußert sich in der letzten Zeit darüber, dass nicht die erforderlichen Schritte des Rückzugs getan worden seien. Ist solch ein Versprechen gegeben worden?

Dies dient voll und ganz der Täuschung der Öffentlichkeit, des Volkes. Sonst nichts. Wir haben weder solche Versprechen gegeben, noch haben wir Schritte des türkischen Staates und der Regierung gesehen, die in Richtung einer demokratischen, politischen Lösung in der kurdischen Frage gehen. Wir haben ganz alleine Schritte getan, die nirgendwo auf der Welt irgendeine Bewegung hätte tun können. Keine einzige kämpfende Kraft auf der Welt würde ohne eine dritte Kraft, ohne irgendetwas zu unterschreiben, einen einzigen Schritt tun. Man beachte, dass wir die Gefangenen in unserer Hand ohne ein Abkommen freigelassen haben. Ohne irgendein Abkommen haben wir die Waffenruhe ausgesprochen. Ohne ein Abkommen zu unterschreiben, haben wir den Krieg beendet und vor der Welt erklärt, dass wir das Problem politisch lösen möchten. Ohne Unterschreiben eines Abkommens, haben wir eine bedeutende Zahl von Kräften abgezogen und die Guerilla von ihren Stellungen in den Süden abgezogen. Nirgendwo auf der Welt hat dies eine Bewegung getan und wird es wohl nicht tun. Um alle diese Schritte tun zu können, werden unter Beobachtung einer dritten Seite Abkommen geschlossen, diese unterschrieben und dann agiert. Nun, wir haben dies alles zwar getan, was aber hat die Türkei im Gegenzug getan? Wir haben Friedensgruppen geschickt. Der Vorsitzender Apo hat selbstkritisch erklärt: „Ich hätte dies mit dem Unterschreiben einer Absprache tun sollen. Das habe ich nicht getan. Es war daher eine fehlerhafte Haltung, und ich übe in dieser Hinsicht Selbstkritik aus.“

Was aber hat die Regierung dem gegenüber getan? Sie hat nicht einmal die todkranken Menschen in den Gefängnissen freigelassen. Und das ist an sich eine ethische, humane Frage. Der türkische Staat und die Regierung, die selbst nicht einmal ethische, humane Schritte tun, sagen über uns: „Sie haben Versprechen gegeben und diese nicht eingehalten.“ Welche praktischen Schritte haben sie getan, um die kurdische und türkische Öffentlichkeit an eine Lösung glaubenzulassen. Was haben sie außer Worte zu sagen getan. Die Regierung hat das Problem stets als Terrorproblem betrachtet. Sie hat es nur wie folgt behandelt: In der Türkei gibt es kein kurdisches Problem. Die PKK hat dieses Problem geschaffen. Es gibt ausländische Kräfte, die die Entwicklung der Türkei nicht möchte und mit der PKK zerstören sie die Türkei. Wir haben auf der Gegenseite Terrorismus, und wir kämpfen gegen den Terrorismus. Daher haben sie immer versucht, das Problem mit dem Krieg zu lösen. Niemals haben sie das Problem als politische Frage auf die Tagesordnung gesetzt und keinerlei Schritte in Richtung einer Verhandlung getan. Die Regierung hat alle unsere für die Aufnahme von Verhandlungen gemachten einseitigen, großartigen Schritte für ihre Macht und ihre Wiederwahl ausgenutzt. Alles wurde diesem geopfert. Zu wissen ist nun, dass wir dies nicht mehr zulassen werden.

Evrensel, 20.12.2014, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan