Hungerstreik gegen die Haftbedingungen im E-Typ-Gefängnis von Hatay

Im Namen der Gefangenen

Ein offener Brief aus dem E-Typ-Gefängnis von Hatay

Rıdvan Kılıç, Özgür Gündem, 05.12.2014

Wir, die Gefangenen des E-Typ-Gefängnisses von Hatay, wollen der Öffentlichkeit mitteilen, dass die immer schlimmer werdenden Zustände in unserem Gefängnis, die willkürlichen Unterdrückungsmethoden der Gefängnisleitung, sowie die anhaltenden Rechtsverletzungen hier vor Ort, das Leben der Gefängnisinsassen schwer machen und eine große Gefahr darstellen. Diese Probleme sind nicht neu, sie bestehen seit Jahren. Doch anstelle, dass die Probleme endlich gelöst werden und die Gefängniszustände sich verbessern, verschlimmert sich die Lage immer mehr; von uns wird erwartet, dass wir dies akzeptieren.

Wir möchten zunächst mitteilen, dass mit den Umständen, auf die wir weiter unten eingehen werden, nicht nur die PKK-Inhaftierten konfrontiert sind, sondern alle Gefangene im E-Typ-Gefängnis von Hatay. Allerdings treffen sie gerade für Inhaftierte, die aufgrund der Mitgliedschaft bei der PKK verurteilt wurden, in noch größerem Ausmaß zu. Es findet hier ein systematischer Angriff auf unsere Persönlichkeit und Identität statt. Sollte dies nicht unterbunden werden, wird dies in naher Zukunft zu ernsthaften Schwierigkeiten führen.

Wir befinden uns seit vier Jahren in diesem Gefängnis. Seitdem werden hier jede Nacht die Gefangenen zum Appell gerufen. Diese Praxis ist weder rechtens, noch gibt es Zählungen dieser Art in einem anderen Gefängnis des Landes. Jeder Appell kommt einer Razzia in den Zellen gleich. Die Gefangenen werden also in jeder Nacht in den psychischen Zustand einer Hausdurchsuchung gebracht. Die allnächtliche Wiederholung dieser Praxis hinterlässt bei den Gefangenen unweigerlich Spuren.

Das Trinkwasser, das wir von der Gefängnisleitung erhalten, deckt nicht den täglichen Wasserbedarf der Gefangenen. Die schmutzigen Behältnisse, in denen wir das Wasser erhalten, führen zu chronischen Krankheiten bei den Gefangenen. In den Gefäßen, in welchen wir das Wasser in unserer Zelle aufbewahren dürfen, haben sich aufgrund dessen bereits Algen gebildet. Aus den Wasserhähnen fließt neben Wasser vor allem Schmutz und Sand. Hinzu kommt, dass manchmal tagelang gar nichts aus den Wasserhähnen fließt.

Die Einzelzellen im E-Typ-Gefängnis von Hatay sind derart gestaltet, dass kein Lebewesen darin wirklich leben kann. Die zwei m² großen Zellen erinnern viel mehr an Käfige. Welche Auswirkungen der Aufenthalt in diesen Zellen auf die Psyche und Gefühlswelt des Einzelnen hat, lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Die Umschreibung der Einzelzellen als Todesgrube wäre keine Übertreibung.
Kranke Gefangene werden, wenn sie das „Glück“ haben überhaupt eine ärztliche Behandlung zu erhalten, in Handschellen untersucht. Die Ärzte weigern sich, die Handschellen der Gefangenen öffnen zu lassen, weil ihnen gegenüber nach ihrer Ansicht Schwerverbrecher sitzen. Handelt es sich bei dem kranken Gefangenen um einen PKK-Inhaftierten, so entscheidet kein Arzt darüber, ob der Gefangene zu einer Untersuchung ins Krankenhaus geschickt werden darf, sondern der stellvertretende Gefängnisleiter. In einem Fall sind wir Zeuge dessen geworden, wie der Gefängnisleiter Druck auf den Arzt ausgeübt hat, damit dieser das Attest für einen unserer Freunde zurückziehen sollte. Das Attest bescheinigte, dass der Betroffene nicht gesundheitlich in der Lage war, vor Gericht zu erscheinen. Fortan solle der Arzt, so die Gefängnisleitung, auch keine weiteren Atteste dieser Art ausstellen.

Auch wenn dieses Gefängnis offiziell als E-Typ Gefängnis geführt wird, gleicht die alltägliche Praxis hier derjenigen eines F-Typ Gefängnisses (Die Isolationsgefängnisse in der Türkei werden als F-Typ-Gefängnis bezeichnet; Anm. d. Ü.). Der Lebensraum der Gefangenen wird durch überzogene Regulierung äußerst eingeschränkt. Selbst die Kleidung der Gefangenen wird reguliert, traditionelle kurdische Kleidung ist gar verboten, weil diese als „Propaganda für die Terrororganisation“ gewertet wird. Obwohl gar gerichtlich eine derartige Regulierung der Kleidung als nicht rechtens gewertet wurde, verweigert die Gefängnisleitung uns die Aushändigung von Teilen unserer Kleidung.
Im Folgenden möchten wir weitere Rechte, die uns vorenthalten werden, benennen: An den Besuchstagen sind unsere Familienangehörigen dem willkürlichen Verhalten des Gefängnispersonals ausgesetzt. Waren und Lebensmittel, die wir mit unserem eigenen Geld kaufen, gehen regelmäßig im Depot „verloren“ oder werden ganz offen durch die Gefängnisleitung beschlagnahmt. Briefe und Texte, die wir an Tageszeitungen verschicken wollen, werden oftmals vernichtet, weil wir vermeintlich so Kontakt zur „Terrororganisation“ aufbauen wollen. Fernsehsender, deren Aufnahme wir in das Fernsehprogrammangebot wir wollen, werden uns verweigert. Legale Zeitschriften und Zeitungen, die wir fordern, werden uns ebenfalls verweigert, weil sie vermeintlich verboten sind.
Rechtlich betrachtet verfügen politische Insassen in den Gefängnissen über erweiterte soziale Rechte. Doch auch diese Rechte werden uns hier vorenthalten. Die Gefängnisleitung erlaubt uns alle zwei bis drei Monate für eine Stunde Sport zu treiben und meint auf diesem Wege uns unsere sozialen Rechten genügend gestattet zu haben. Auf unsere Beschwerden hin bekamen wir von der Gefängnisleitung die Antwort, dass dieses Gefängnis nicht für politische Gefangene geeignet sei und aus diesem Grund uns keine weiteren sozialen Rechte zugestanden werden könnten. Wir erklärten daraufhin, dass unsere Inhaftierung in diesem Gefängnis reine Willkür darstelle. Dennoch wurden unsere unzähligen Gesuche, in ein anderes Gefängnis verlegt zu werden, allesamt abgelehnt.
Die genannten Probleme stellen nur einen Teil der Schwierigkeiten des Alltags im E-Typ-Gefängnis von Hatay dar. Da jegliche Möglichkeit eines Dialoges mit der Gefängnisleitung für uns verschlossen wurde, machen wir derzeit Gebrauch von unserem legitimen Recht auf Widerstand gebrauch, indem wir protestieren, gegen die Türen schlagen und das Essen verweigern. Bislang reagierte die Gefängnisleitung auch hierauf nicht positiv. Im Gegenteil, gegen fünf unserer Freunde wurden Disziplinarverfahren eröffnet. Das einzige „Entgegenkommen“ der Gefängnisleitung auf unsere Aktionen war bislang, dass der Gefängnisoberaufseher uns angeboten hat, die Disziplinarverfahren einzustellen, wenn wir unsere Aktionen beenden.

Wir werden mit unserer politischen Identität in diesem Gefängnis nicht anerkannt. Aus diesem Grund fordern wir, dass wir in anderen Gefängnissen zu den politischen Gefangenen verlegt werden. Wir sind hier derzeit neun politische Gefangene (Ridvan Kiliç, Mahsum Sağlam, Kamuran Sunbat, İsmail Kirmizdal, Eyüp Çelik, Serhat Kutlu, Sami Abay, Murat Şimşek, Aydin Oğuz ). Bis unsere Forderungen erfüllt werden, sind drei von uns(Ridvan Kiliç, Mahsum Sağlam, Kamuran Sunbat) seit dem 17.11.2014 in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Sollte die Gefängnisleitung weiterhin an ihrer ignoranten Haltung festhalten werden die übrigen sechs von uns in den kommenden Tagen ebenfalls in Hungerstreik treten. Für alle möglichen daraus resultierenden Folgen ist allein die Gefängnisleitung verantwortlich.

ISKU | Informationsstelle Kurdistan