Öcalan: JITEM arbeitet daran, den (Friedens-)Prozess zu zerstören

Sadik Topaloğlu

Adana (DIHA)- Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan hat bei dem Besuch seines Bruders Mehmet Öcalan wichtige Aspekte zu Kobanê und über die aktuelle Lage im Friedensprozess abgegeben: „Der JITEM [dt.: Geheimdienst und Terrorabwehr der Gendarmerie] arbeitet daran, den Prozess zu zerstören. Falls der JITEM nicht ausgeschaltet wird und nicht aus dem Prozess herausgehalten wird, wird dieser nicht weitergehen.“ Er sprach über die Angriffe auf Kobanê und rief auf: „Gegen diese Politik müssen sich alle KurdInnen, überall wo sie sich befinden, erheben. Sie müssen starken Widerstand gegen den Islamischen Staat zeigen. Wenn sie dies heute nicht tun, wird es morgen schon zu später sein können.“

Mehmet Öcalan, der Bruder des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan besuchte ihn vorgestern im Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali und berichtete der Nachrichtenagentur DIHA über die Einzelheiten des Gesprächs. Er erklärte, dass sie ca. 45 Min. miteinander reden konnten, dass es Öcalan gesundheitlich besser als zuvor gehe und dass Öcalan drei Themen analysiert habe. Mehmet Öcalan sagte, dass sie zunächst über die am Tag zuvor verstorbene Schwester Havva Keser gesprochen haben und Öcalan im Anschluss Analysen über Kobanê und den Lösungsprozess aufgestellt habe.

„Keser hat uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten geholfen“
Mehmet Öcalan erklärte, dass er zu Beginn des Besuchs die Todesnachricht der Schwester Keser überbracht habe. Öcalan habe darauf geantwortet: „Ich habe den Tod Havvas erwartet. Havva hat uns und unseren FreundInnen seit zwanzig, dreißig Jahren geholfen. GenossInnen fanden Unterschlupf bei ihr. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat sie versucht uns zu helfen.“ Ihre Hilfe dürfe nicht vergessen werden. „Wenn sie weiter im Dorf gelebt hätte und nicht umgesiedelt wäre, hätte sie vermutlich länger gelebt. Wenn jemand zwangsweise vertrieben wird, fern seiner Heimat leben muss, dann kann das Einfluss auf einen früheren Tod haben“, so Abdullah Öcalan.

„Überall müssen sich die KurdInnen gegen die Angriffe auf Kobanê erheben“
Zu den Angriffen auf Kobanê erklärte er: „Das kurdische Volk ist ein unschuldiges Volk. Das Volk von Kobanê ist ein unschuldiges Volk. Es ist eine Grenze zwischen uns gezogen worden. Das Volk von Kobanê steht dort mit eigener Kraft. Sie haben sich ein eigenständiges System aufgebaut. Der Staat kann dies nicht ertragen. Sie müssten sie unterstützen, tun dieses aber nicht. Unsere Menschen in Kobanê werden bis zum Schluss Widerstand leisten. Dort wo KurdInnen leben, werden wir bis zum Schluss Widerstand gegen den IS leisten. Es wird keinerlei Zugeständnisse an den IS geben. Der IS ist eine künstliche Organisation. Wo immer es solche Angriffe auf KurdInnen gibt, muss diesem beharrlich entgegengetreten werden.“ Öcalan habe betont, dass der international unterstützte IS versucht, die KurdInnen zu vernichten. Niemand hat das Recht, ein Volk zu vernichten. Gegen diese Politik müssen die KurdInnen sich überall erheben. Sie müssen gegen den IS einen heftigen Widerstand leisten. Wenn sie das heute nicht tun, kann es morgen schon zu spät sein. „Seht her was sie aus uns machen. Einen Teil von uns verzehren sie zum Frühstück, einen Teil zum Mittagessen und einen Teil zum Abendessen. Dies kann und darf nicht akzeptiert werden. Niemand hat das Recht, Kobanê im Stich zu lassen. Es muss ein heftiger Widerstand gegen den IS stattfinden. Kobanê ist alles für uns. Der Prozess in Kobanê gilt allen. Das kurdische Volk ist dort ein Schirm. Unter diesem Schirm können auch TurkmenInnen, AraberInnen, ArmenierInnen und alle anderen dort ansässigen ethnischen Gruppen ihr Leben führen“, so Abdullah Öcalan.

„Den Kurden bleibt der breite Widerstand“
„Das kurdische Volk will in Geschwisterlichkeit leben, mit allen, auch die TürkInnen sind unsere Geschwister, aber auch Geschwisterlichkeit beruht auf Rechtmäßigkeit. Wenn diese Rechtmäßigkeit nicht aufrecht gehalten wird, dann ist dies keine wirkliche Geschwisterlichkeit. Dies ist unakzeptabel. Es muss eine wahre Geschwisterlichkeit bestehen. Das gesamte kurdische Volk ist mit keinem einzigen anderen Volk verfeindet. Es ist mit jedem Volk und jeder Gruppe befreundet. Intellektuelle, DemokratInnen, jede und jeder dürfen das Volk von Kobanê nicht im Stich lassen. Niemand habe das Recht, das kurdische Volk zu vernichten, dass sie dies nicht akzeptieren. Den Kurden bleibt nur eins. Und das sei der große, breite Widerstand,“ gab Mehmet Öcalan seinen Bruder wieder.

„Theoretisch gibt es den (Lösungs-)Prozess, praktisch passiert nichts“
Über den Lösungsprozess habe Öcalan gesagt: „Unsererseits ist alles geklärt. Unsere Pflichten haben wir erfüllt und werden wir weiter erfüllen. Aber dieser Prozess kann einseitig nicht funktionieren. Die Türkei verabschiedet Gesetze. Sie sagen, dass die Bevölkerung aus dem Flüchtlingslager Maxmur kommen soll. Aber haben sie in dieser Hinsicht ein Gesetz erlassen? Nein, haben sie nicht. Sie sagen, die kurdischen KämpferInnen sollen kommen, aber gibt es dafür ein Gesetz? Nein. Also, warum sollen die KurdInnen dann kommen? Sollen sie sich ins Gefängnis werfen lassen? Dies ist unakzeptabel. Ich habe ihnen schon zu Beginn gesagt, wenn ein Prozess in Gang gesetzt werden soll, dann darf es keine Hinhaltetaktik geben. Es müssen korrekte und wahre Verhandlungen sein. Ich habe um einen Sekretär gebeten, damit alles Notwendige niedergeschrieben werden kann, sogar das haben sie nicht geschafft. Theoretisch gibt es den (Lösungs-)Prozess, aber praktisch passiert nichts. Auf diese Weise wird der Prozess nicht vorankommen.“ Mehmet Öcalan erklärte, dass Öcalan darauf aufmerksam gemacht habe, dass die Regierung und der Staat seit zehn Jahren über diesen Prozess ihre Macht aufrecht erhalten haben. „Wenn die Fortführung des Prozesses gewünscht ist und richtige Verhandlungen stattfinden sollen, so sind wir zu allem bereit. Wir verlangen die richtige Fortführung des Prozesses. Falls sie dies bis zum 15.Oktober nicht machen sollten, dann werde ich meinerseits den Prozess für beendet erklären. Für mich gibt es nichts mehr zu tun. Seit fünf Jahren läuft das und es ist nichts entstanden. Dies ist nicht richtig.“

„Der JITEM muss ausgeschaltet werden“
Öcalan habe außerdem gesagt: „Ich nehme zudem an, dass sich der JITEM eingeschaltet hat, um den Prozess zum Erliegen zu bringen. Falls der JITEM nicht ausgeschaltet wird, nicht herausgehalten wird, dann wird dieser Prozess nicht voran schreiten. Haltet den JITEM aus dem Prozess heraus, damit dieser demokratisch weiterläuft. Wir sind zu allem bereit, aber es muss ein richtiger und realistischer Prozess sein. Wir wollen keine Hinhaltetaktiken.“ Gegenüber der Bevölkerung habe Abdullah Öcalan gesagt, dass sie gegenüber dem JITEM wachsam sein soll: „Unser Volk soll wachsam sein. Es ist unklar, was morgen passieren wird. Jede und jeder soll seine Haltung einnehmen. Morgen kann es schon viel zu spät sein.“

Zum Ende des Gesprächs sendete Abdullah Öcalan besonders dem Volk in Kobanê und allen, die gegen den IS Widerstand leisten, seine Grüße.

DIHA, 08.10.2014, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan