Reportage
mit Leyla Agirî, Mitglieder der YJA-Koordination
"...
lasst uns die gemeinsame Widerstandsfront der Frauen stärken"
Veysi SARISÖZEN –
Sedat YILMAZ für die Tageszeitung Özgür-Gündem
Bei
unserem Aufenthalt in den Meder-Verteidigungsgebieten, bei dem wir die
Ansichten, Gedanken und Vorbereitungen der kurdischen Bewegung kennenlernen
wollten, haben wir beobachten können, dass die Frauenbewegung eine der
dynamischsten Institutionen der kurdischen Bewegung darstellt. Der letzte
Kongress der YJA (Yekîtiya Jinên Azad– Einheit der freien Frauen) hat
sich zum Ziel gesetzt, mit Frauen des Mittleren Ostens eine demokratische
Einheitsfront aufzubauen, den Demokratischen Konföderalismus im Mittleren
Oste umzusetzen und einen weltweiten Frauenkongress zu organisieren. Mit
dem Mitglied der YJA-Koordination Leyla Agirî haben wir über den Dachverband
der Frauen und die Revolution der Frau gesprochen.
Die kurdische
Frauenorganisierung hat sich mit einer neuen Dachorganisation mit dem
Namen YJA erneuert. Können Sie etwas über die Anfangsphase der Organisierung
und den institutionellen Rahmen erzählen?
Die YJA hat eine über 20-jährige Geschichte des Freiheitskampfes. Wir
sind 1993 mit der Perspektive des Vorsitzenden [Abdullah Öcalan] zuerst
in eine Armeewerdung eingetreten. Mit der Erfahrung unserer ersten Organisierung
als YJK haben wir im Jahr 2001 die PJAK gegründet. Mit dem Paradigmenwechsel
unserer Vorsitzenden auf Imrali haben wir als Frauenbewegung uns neu organisiert.
Im Jahr 2003 sind wir als Koma Jinen Bilind (Hoher Frauenrat) in eine
konföderale Organisierung übergegangen. Die Dachorganisation, von der
wir sprechen, baut auf drei Dimensionen. Als ideologische Dimension die
PAJK, als gesellschaftliche die YJA und als legitime Selbstverteidigung
die YJA-Star. Zuletzt, als vierte Komponente, noch die Organisierung der
jungen Frauen. Mit dem Beginn der neuen Phase, Newroz 2013 durch unseren
Vorsitzenden, haben wir auf Grundlage der Perspektive der Demokratischen
Nation uns selbst und unsere Organisierung reflektiert. Bei unserem Kongress
vor einiger Zeit haben wir die KCK-Frauen, die YJA gegründet. Die YJA
ist eine konföderale Dachorganisation. Mit den KCK-Frauen sind wir in
ein noch autonomeres und freiheitlicheres System übergegangen.
Sprechen wir
bei den ganzen Institutionen auch über die Grundlage, die Frauenrevolution.
Wie sehr wurde dies innerhalb der Widerstandsbewegung Kurdistans verinnerlicht?
Das Grundprinzip des Vorsitzenden Öcalans ist „Ohne die Befreiung der
Frau, keine Befreiung der Gesellschaft“. Mit einer starken Hinterfragung
und Analyse der 5000-jährigen patriarchalen Ideologie hat er gleichzeitig
die Entwicklung der Frauenfreiheitsbewegung gestärkt. Natürlich haben
sich die kurdischen Frauen auf Grundlage von nationalen Widersprüchen
der PKK angeschlossen. Aber im gesellschaftlichen Sinne wurde uns eine
sexistische Identität bzw. Status gegeben. Ein anderer Grund, warum wir
in die Berge gingen, war, das als Frau Erlebte. Die ersten Kriegsjahre
waren aus unserer Sicht sehr schwierig. Es war nicht leicht aus Frauenperspektive
Krieg zu führen und im Krieg zu einer organsierten Kraft zu werden, auf
dem Machtgebiet, auf dem sich die männliche Dominanz am stärksten äußert,
dem Mann dieses Werkzeug zu entreißen und auf dieser Grundlage mit dem
etatistischen System konfrontiert zu werden.
In diesem
Gebiet, wo die männliche Dominanz herrscht, habt Ihr ein ganz anderes
Leben aufbauen können …?
Wenn wir uns als Frauen nicht als Kraft zu demokratischen Subjekten mit
eigenem Willen entwickeln, können wir in keinem Bereich des Lebens eine
starke Alternative gegen die Männer hervorbringen. Aus diesem Grund haben
die im Krieg erlebten sexistischen Verhaltensweisen der Männer und der
traditionellen Haltung der Frauen sehr ernsthafte Probleme eröffnet. Der
Vorsitzende hat dies gesehen, verstanden und mit der Perspektive „die
Frauen müssen eine autonome Organisierung entwickeln“ gelöst. Dies hat
eine bedeutende Dialektik bei der Entwicklung der anfänglichen autonomen
Armeewerdung, der Parteiwerdung der Frauen und der heutigen KCK-Frauen
hervorgebracht. Natürlich brauchten wir ganz am Anfang eine Bewusstseinswerdung.
(…)
Seit Ihr mit
Behinderungen und Widerstand von Seiten der Männer konfrontiert gewesen?
Wir sind nicht einfach bei dem hier und heute angelangt. Die heutigen
Errungenschaften sind Ergebnisse von sehr viel Kämpfen, Opfern und Schwierigkeiten.
Es gab neben der Realität des kurdischen Mannes die 5000-jährige patriarchale
Mentalität. Bei jedem unserer Schritte sind wir gegen die sexistische
Haltung der Männer gestoßen. Mit Konfrontation und Kampf haben wir die
Kraft, das Bewusstsein, den Willen und die Organisierung heute erlangt.
Gegen das erniedrigende und ausschließende Verständnis des Mannes, dass
„die Frau nichts von kämpfen und organisieren versteht“, haben wir einen
sehr ernsthaften Kampf geführt.
Was sehen
Sie konkret für Veränderungen bei den Männern? Wie waren sie früher und
in was für einem Zustand sind sie heute?
Früher sahen uns die Männer nicht als Kraft an. Kraft bedeute Mann sein.
Wenn die Kurden heute als eine dritte Kraft im Mittleren Osten gesehen
werden und es Kritik und Bewertungen von Freunden oder Feinden gibt, gibt
es beim Thema Frau eine Übereinkunft: Der Vorsitzende Öcalan hat mit den
kurdischen Frauen eine Revolution verwirklicht. Die Frau kann in den Bereichen,
in denen sie organisiert ist, die männliche Dominanz hinterfragen und
bekämpfen. Nun werden wir als Kraft verstanden und beachtet. Mit unserer
eigenen Lebenskultur in den Bergen haben wir die festgefahrenen Positionen
zerstört. Es gibt nicht sowas wie Männer- oder Frauenarbeit. Jede/r macht
jede Arbeit. Von der Küche bis zur Sicherheit läuft alles gemeinsam.
Kämpfen im
Krieg die Frauen und Männer getrennt oder zusammen?
Wir haben in all unseren Lebensbereichen eine autonome Organisierung.
Neben unserer Präsenz in der allgemeinen Struktur haben wir unsere eigenen
autonomen Strukturen. (…) Wir haben die freie Frau und den freien Mann
geschaffen, aber der Freiheitskampf verlangt Kontinuität. In diesem Sinn
gehen unsere Suche und unsere Mühen weiter.
Bei der Grundlage
der Frauenideologie beginnen Sie immer mit der Betonung auf die Mühen
Öcalans. Diesen Punkt kritisieren einige feministische Kreise in der Türkei
damit, dass „die Grundlage einer Frauenideologie kein Mann aufbauen kann“.
Wie stehen Sie dazu?
Früher sind wir ständig mit solchen Herangehensweisen konfrontiert gewesen,
aber heute ist das ein bisschen mehr verstanden. Wir nehmen die Frau und
den Mann nicht als biologische Phänomene. Der gesellschaftliche Sexismus
bringt eine solche Realität hervor. Es erschafft zwei verschiedene Geschlechter,
zwei verschiedene Welten, zwei verschiedene Arten von Bewusstsein, zwei
Seelen. Der Vorsitzende ist ein Mensch der dies sehr ernsthaft hinterfragt,
der die Grundlage, den Geist, die Mentalität und das Verhalten des Mannes
stark hinterfragt. Der Vorsitzende ist für uns kein Individuum, sondern
eine Identität. Wenn die genannten Kreise die Bücher des Vorsitzenden
lesen und seine Ideologie, Philosophie und sein Verständnis von Widerstand
verstehen, werden sie bewusst werden, dass dies aus Sicht der gesamten
Menschheit die vernünftigste Lösung ist. Jeder der unser Leben, unsere
Haltung und unsere Organisierung beobachtet, ist überrascht. (…)
Gibt es Erfahrungsaustausch
und Diskussionen mit Frauen aus anderen Ländern?
Zu Ländern in Lateinamerika haben wir, wenn auch verspätet, Beziehungen.
Letztes Jahr haben wir eine Frauenkonferenz für den Mittleren Osten verwirklicht.
Wir haben nicht nur die Freiheit der kurdischen Frauen zum Ziel. Wir sind
eine Bewegung, die die Freiheit für alle Frauen zum Ziel hat und dafür
kämpft. (…)
In allen Kriegen
spielen Männer die Hauptrolle. Sie haben nun eine konföderale Struktur
für den Mittleren Osten als Ziel. Vielleicht habt ihr als Frauen einen
Vorteil bei der Zusammenführung des Mittleren Ostens …?
Wir haben sowohl einen Vorteil und sind auch die Hauptkraft. Denn die
Hauptwerkzeuge der kapitalistischen Moderne sind der Fundamentalismus,
Nationalismus, Sexismus und der Szientismus. Mit diesen Werkzeugen und
Waffen werden alle Identitäten voneinander entfremdet, geteilt, getrennt
und gelenkt. (…)
Wenn Sie zuletzt
noch eine Botschaft haben …?
Wie man in Mosul sieht, habt ihr Männer nicht so viel zu verlieren, aber
die Zukunft der Frauen ist in Gefahr. Deshalb sage ich, lasst uns die
gemeinsame Widerstandsfront der Frauen stärken. Eine Organisierung aller
Frauen auf Basis einer demokratischen Einheitsfront ist notwendig. Alle
Frauenorganisationen des Mittleren Ostens und die Frauen der Welt müssen
sich um diese Organisierung zusammenschließen. Als Frauen fällt uns für
die Türkei auch die sehr wichtige Aufgabe zu, die Front auf Basis eines
gemeinsamen Friedens der Völker und der Demokratie zu entwickeln.
Ozgür Gündem, 08.07.2014,
ISKU
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SARISÖZEN
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