3 Sprachen, 1 Land ...

Assyrer in Rojava ...

Yildiz Çelik – Während der Zeit vom 6.–7.Januar wurde das Gebiet Rojava/Westkurdistan, oder anders genannt der Norden Syriens, nach einer Entscheidung der „Legislative der autonomen Regierung Rojavas“, in der Kurden, Araber, Assyrer, Aramäer, Tschetschenen und Armenier vertreten sind, in drei Kantone aufgeteilt. Am 21. Januar hatte der Kanton Cizîre, am 27.Januar der Kanton Kobanî und am 29. Januar der Kanton Efrîn seine Autonomie ausgerufen. In dem Regierungsmodell bestehend aus den vier Säulen, kantonales System, Legislative, Verwaltung und Wahlbehörde sind in Rojava, die drei Sprachen Kurdisch, Arabisch und Aramäisch als offizielle Sprachen anerkannt worden.

Was sind die Erwartungen der Assyrer, die eines der ältesten Völker des Mittleren Ostens sind und deren Muttersprache Aramäisch eine 5500-jährige Geschichte hat? Welchen Einfluss haben sie in der Regierung, in welcher Position befinden sie sich und werden sie sich aktiv in der Politik beteiligen?

David Vergili, Mitglied der in Brüssel (Belgien) ansässigen „Union der Assyrer in Europa“ (European Syriac Union/ESU) und aktiv in der Interessenarbeit der Assyrer gegenüber Vertretern der EU, hat die Fragen beantwortet.

Was bedeutet die „Rojava-Revolution“ für die Assyrer? Welche Schritte haben die Assyrer während der „Rojava-Revolution“ genannten Phase getan?

Die Neuordnung im Gebiet Rojava in Syrien ist aus Sicht der Assyrer sehr wichtig und ein notwendiger Schritt gewesen. Die seit drei Jahren andauernden Kämpfe in ganz Syrien und das seit Jahren an der Macht stehende System konnte die Forderungen der Völker nicht erfüllen. Die Assyrer sind ein seit Jahrhunderten in Syrien ansässiges Volk. Sie sind in verschiedenen Regionen Syriens existent. Auch in Rojava gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Assyrern. In den letzten zwei Jahren griffen insbesondere der Al-Qaida nahestehende Gruppen in dem Gebiet an und es war unabdingbar, ein neues System aufzubauen. In dieser Zeit haben die Assyrer mit den Kurden zusammen aktiv am Aufbau des neuen Systems mitgearbeitet. Es wurde daran gearbeitet, dass die Sicherheit, Bildung und öffentliche Aufgaben in der Region lückenlos weiterliefen. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Bedürfnisse der regionalen Bevölkerung und ihr alltägliches Leben zu erleichtern.

Seit Jahrhunderten leben stets Assyrer, Aramäer, Christen, Araber und andere Völker zusammen in dieser Region. Vor kurzem wurde in Westkurdistan bzw. Rojava der Reihe nach in Cizîre, Kobanî und Efrîn die von den Kurden erwünschte „Demokratische Autonomie“ ausgerufen. Was war ihr Wunsch als Assyrer? Hat es sich so entwickelt wie gewünscht?

Die in Rojava ausgerufene „Demokratische Autonomie“ ist ein Projekt, um auf beste Weise den Forderungen der regional ansässigen Völker entgegenzukommen und Blockaden zu überwinden. Betrachtet man den andauernden Krieg in Syrien und die seit Jahren geführte Politik, erkennt man deutlich den Kollaps des Zentralismus. Assyrer leben in hoher Zahl in Cizîre. Aus Sicht der Assyrer ist die in Rojava ausgerufene „Demokratische Autonomie“ die Ordnung, die die Gemeinsamkeiten und Gleichberechtigung der Völker in der gesamten Region anerkennt und demokratisch und gleichberechtigt vertritt. Die Assyrer kämpfen dafür, dass im neuen Aufbau Syriens und der Neuordnung des Mittleren Ostens ihre Stellung und ihre Rechte garantiert werden. Daher ist es in Rojava ein den Forderungen der Assyrer entgegenkommendes Projekt.

Da sich das Zentrum des Patriarchats seit 1932 in Syrien befindet, ist Syrien für Sie sehr wichtig. Wo im Gebiet Rojavas leben die meisten Assyrer?

Die Assyrer leben in verschiedenen Regionen und Orten Syriens. In Rojava leben insbesondere im Gebiet Cizîre in den Orten Qamişlo, Hasake und den umliegenden Dörfern Assyrer. In einigen Dörfern leben nur Assyrer und in einigen Dörfern leben sie mit anderen Völkern zusammen.

Das Bildungsministerium der Türkei lehnte den Antrag der assyrischen Gemeinde auf die Eröffnung eines Kindergartens zum Lehren der 5500 Jahre alten Sprache mit der Begründung ab sie seien eine primäre Gruppe und keine Minderheiten. Nach langen Bemühungen erlangte die assyrische Gemeinde ihr nach dem Lausanner-Abkommen zustehende Recht zurück. In Rojava ist Aramäisch neben Kurdisch und Arabisch als 3. offizielle Sprache anerkannt worden. Wie verliefen ihre Aktivitäten in diesem Bereich?

Die Assyrer haben in Rojava, wie die anderen Völker in der Region, innerhalb der neu gebildeten Parameter ihre Position im Neuaufbau eines Systems eingenommen. Der Notwendigkeit des Projekts der „Demokratischen Autonomie“ entsprechend und auch der Forderung der Assyrer und ihres hohen Anteils an der Bevölkerung entsprechend hat Aramäisch den Status der offiziellen Sprache erlangt. Davor und auch jetzt wird an der Zusammensetzung eines Lehrplans, der Vorbereitung der Fachkräfte und der Behebung technischer Probleme gearbeitet. Schon jetzt wird an einigen Schulen offiziell Aramäisch gelehrt.

Wie werden sich die Assyrer in Rojava in die Politik einbringen?

Die Assyrer werden sich in Rojava mitten in der Politik befinden und einbringen. Die Neustrukturierung ermöglicht den Assyrern große Chancen und auch eine große Verantwortung. Die Assyrer fordern wie die anderen Völker in der Region ihre Rechte ein und wollen über sich selbst entscheiden. Sie sind in jeder Stufe der Politik vertreten. In der neuen Formation des Kantons Cizîre sind die Assyrer stark vertreten.

Die Assyrer haben in Syrien volle staatsbürgerliche Rechte. Wie sieht ihre Lage und Position in Rojava aus?

Die Assyrer in der Region haben seit Jahrhunderten und trotz aller Schwierigkeiten, Verleumdung und Vernichtungspolitik ihre Existenz schützen können und ihre Kultur und ihr soziales Gefüge aufrecht gehalten. Die kulturellen, sozialen und ökonomischen Erfahrungen der Assyrer wirken sich positiv auf die Region aus. Dies wirkt sich auf eine weitere Entwicklung und den Fortschritt der Region aus. In jeder der regionalen Gesellschaftsschicht sind die Assyrer vertreten.

Hegen Sie Hoffnungen bzw. Zweifel über die bisherigen und zukünftigen Schritte?

Im Allgemeinen, der Mittlere Osten und insbesondere Syrien durchläuft im Moment eine gefährliche Phase. Einige gefährlich extremistische und religiöse Gruppen versuchen das Vakuum in dieser gefährlichen Zeit zum Aufbau ihrer Autorität zu benutzen. Die Existenz solcher Gruppen stellt für die regionale Bevölkerung eine große Gefahr dar. Vor kurzem haben wir dies bitterlich im Irak erlebt. Betrachtet man die Länder, die Schauplatz von Kriegen, Bürgerkriegen und Auseinandersetzungen waren, erkennt man die schmerzhafte Zeit der postkonflikthaften Phase. Damit in Syrien nicht ein solches Déjà-vu stattfindet, muss die regionale Bevölkerung ihren Zusammenhalt verstärken, gemeinsam arbeiten, Projekte entwickeln, den Fortschritt der internationalen Gesellschaft unterstützen und für die Zukunft der Region bereit sein.

BasNews, 13.02.2014, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan