Warum taucht der Name der USA nirgends auf?

Ferda Çetin

Von der Tat in Paris ist mehr bekannt, als dass es sich um die Tat eines Auftragsmörders handelt. Um das Bekannte und Offensichtliche auszublenden, wird der Fokus beständig auf das „Unbekannte“ gerichtet.
Die Analysen über das Ziel dieser Morde kommen mehrheitlich zu dem Schluss, dass es sich um eine Provokation der gerade begonnenen türkisch-kurdischen Gespräche handelt. Andere meinen, dass sie das Werk jener Kräfte ist, welche die Regierung und die PKK bereits zu Anfang [der Gespräche] unter Druck setzten, und die Fortsetzung des Krieges wollen.
Dieser Mord ist keine Botschaft, die beide Seiten – Abdullah Öcalan und die PKK und Erdoğan und den Staat – mit der gleichen Wucht treffen soll. Die Botschaft richtet sich an eine Seite: An Öcalan, die PKK und das kurdische Volk. So gesehen ist das „Bedauern“ von Arınç und einigen Autoren kein gemeinsames Gefühl auf türkischer Seite. Die tiefe Freude Erdoğans, der Fethullah-Leute und der Medien ist das Gefühl von „unsere Verhandlungspartner dürfen sich nirgends in Sicherheit wissen“. Es ist überhaupt nicht schwer, dies zu erkennen.
Die Organisatoren dieses Mordes denken folgenderweise: Verhandlungen mit einer politischen Kraft, die Sorgen ums Überleben hat, sind leichter zu führen. Denn die Frage der Sicherheit wird vor die politischen Forderungen treten. Zu diesem Konzept passt, dass mit Beginn der Gespräche mit dem kurdischen Volksführer Öcalan auch die Luftangriffe auf die Guerillagebiete gesteigert wurden. Mit der Ermordung von Sakine Cansız und den Freundinnen sollte demonstriert werden, dass nicht nur die Guerillagebiete, sondern auch Europa, wo es starke politische Aktivitäten gibt, ein Angriffsziel ist.
Es ist bekannt, dass der türkische Staat in der Vergangenheit und heute dutzendmal versucht hat, Führungskräfte der PKK zu töten. Sie hält dieses Vorgehen für ihr legitimes „Recht“. Die Aussage Erdoğans, „egal wo sie sind, sie werden keine Ruhe haben“, spiegelt diese Denkweise wider. Die islamisch-türkische Gesinnung wird sich nur unter einer Bedingung ändern: Wenn sie erkennen, dass die Tötung kurdischer Politiker und Kommandanten sie teuer zu stehen kommen wird ...
Genau an diesem Punkt kommen die USA ins Spiel. Es sind die USA, die dem türkischen Staat, der in dem 30 Jahre dauernden Kampf gegen die Guerilla keinerlei Erfolge erzielen konnte, immer wieder suggerieren, dass „sie es dieses Mal schaffen werden und sich ein weiterer Versuch lohnt“. Der amerikanische Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone, hielt am 16. Oktober 2012 eine Versammlung mit den Ankara-Vertretern der Fernsehsender ab. Ricciardone erklärte auf dieser Versammlung, dass er der Türkei im Kampf gegen die Führungsleute der PKK die „Bin-Laden-Taktik“ vorgeschlagen habe, die Türkei diesen Vorschlag aber nicht akzeptiert habe. Aber was ist die „Bin-Laden-Taktik“?
Es bedeutet, mit einer – wie in Paris verwendet – 7,65mm Schusswaffe, mit Drohnen, Hubschraubern, Attentatskommandos, Bomben zu töten.
Victoria Nuland, Sprecherin des amerikanischen Außenministeriums gab am 11. Januar, zwei Tage nach dem Mord, eine Erklärung ab. Zwar sagte sie „wir halten die Gespräche im Allgemeinen für eine positive Entwicklung“. Aber sie, die jede ihrer Reden mit der Verurteilung des „Terrors“ beendet, verurteilte, warum auch immer, nicht die terroristische Aktion in Paris. War die Aktion nicht der Art nach eine terroristische Aktion? Oder hatten die Ermordeten es verdient, nach der „Bin-Laden-Taktik“ ermordet zu werden? Oder schenken die USA dem Vorfall darum keine Beachtung, weil die von den USA ausgebildete türkische Gladio darin verwickelt ist?
Wir sind der Meinung, dass wann immer die USA in verschiedenen Regionen der Welt militärische Diktaturen und despotische Führungen unterstützen, sie Staatsterror rechtfertigen und unterstützen.
Die USA haben bis heute nicht einmal vorgeschlagen, die Kurdenfrage auf dem Weg des Dialogs politisch zu lösen. Bei Bedarf haben sie in den Beziehung mit den vier ausbeutenden Staaten das kurdische Volk bei Bedarf immer ausgenutzt. In ihren monatlichen Erklärungen haben sie den gerechten und legitimen Kampf der Kurden als „Terrorismus“ bezeichnet.
„Die türkische Gladio würde solche Morde nicht ausführen. Nach der Asala würde der türkische Geheimdienst im Ausland solche Aktionen nicht ausführen“. Ist es so?
Es gibt zwei bekannte Morde des türkischen Staates von 1998 im Ausland.
Es war die Zeit, als Öcalan aus Syrien ausgereist war. Am 17. November 1998 wurde in Petersburg in Russland die Beraterin für Minderheiten des russischen Staatspräsidenten Jelzin, Galina Starowojoya, vor ihrer Haustür in einem Kugelhagel ermordet. Starowojoya war eine der Politikerinnen, die sich am stärksten für die Anerkennung eines poltischen Status einsetzte.
Wer, welche Staaten wollten keine Anerkennung eines politischen Status für Öcalan?
Bekannterweise: Die türkische Republik und die USA.
Eine Woche später, am 21. November 1998 wurde der zweite Mord im Iran ausgeführt. Der ehemaliger Arbeitsminister des Iran, Dariush Forouhar und seine Frau Pervaneh wurden ermordet. Forouhar beantragte einige Tage vor seiner Ermordung bei der iranischen Regierung eine Kundgebung für Öcalan. Iran hat diesem Antrag stattgegeben. Die türkischen Zeitungen haben diese Morde unter dem Titel „Drohung an Italien“ gebracht. Die Täter beider Morde wurden nicht gefunden. Und Russland und Iran haben diese Vorfälle übergangen.
Der iranische Geheimdienst hat zu verschiedenen Zeiten innerhalb der Türkei dutzende Oppositionelle ermordet. Russland hat noch vor kurzem den tschetschenischen Führer in Zeytinburnu ermordet. Die Geheimdienste haben also eine gegenseitige Vereinbarung getroffen im Sinne von „du siehst meine nicht und ich sehe deine nicht“ ...
Der französische Staat und sein Geheimdienst haben vielleicht den Täter noch nicht identifiziert. Aber eines ist sicher: Es ist ihnen längst bekannt, wessen Geheimdienst diese Morde begangen hat.

Ich ende mit einer Rückblende:
Der Staatssekretär des Geheimdienstes, Hakan Fidan, traf sich am 3. Januar 2012 in Ankara mit den [türkischen] Botschaftern. Fidan gab den Botschaftern die Verstärkung des Geheimdienstes im Ausland im Rahmen der Neustrukturierung des türkischen Geheimdienstes bekannt und erklärte im Rahmen der Verhandlungen, welche Politik gegen Kurden und die PKK im Ausland verfolgt werden soll.

Letzte Meldung: Der kurdische Kulturverein in Genk, Belgien, ist in Brand gesetzt worden. Der 76-jährige Aslan Usayan, kurdischer Geschäftsmann in Moskau, ist nach einem bewaffneten Angriff verstorben.

Quelle: Yeni Özgür Politika, 16.01.2013, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan