Kalkan: Mordanschlag ist Teil eines Vernichtungskonzeptes

Brüssel – In einem Beitrag für den kurdischen Nachrichtensender Nuce TV bezeichnete Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), die Ermordung der PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız, der Frankreichvertreterin des Nationalkongresses Kurdistan (KNK) Fidan Doğan und der Jugendaktivstin Leyla Şaylemez als Bestandteil des Liquidationskonzeptes gegen die kurdische Freiheitsbewegung.
Er bezog sich auf eine Frage, die letzte Woche in einer Diskussionssendung im kurdischen Sender Sterk TV debattiert worden war: „Was, glaubt Ihr, wird der PKK und dem kurdischen Volk passieren, wenn die PKK ihre Waffen niederlegt?“ „Die Antwort darauf haben wir in Paris erhalten. Das Massaker von Paris ist offensichtlich die Antwort auf diese Frage“, so Kalkan, der betonte, dass sie sich dessen sicher seien, und weiter: „In diesem Sinne ist das Massaker von Paris keine willkürliche Tat. Sie steht in Zusammenhang mit der [politischen] Phase. Dass es sich dabei um einen äußerst bewussten und planmäßigen Teil eines Vernichtungs- und Liquidationsangriffs handelt, steht außer Frage.“
Es gelte, die Mordtat auf diese Weise zu analysieren: „Dadurch, dass unsere Freundin Sakine als Angriffsziel erkoren wurde, wird genau dies ausgedrückt. Manche ‚Kolumnisten’ haben mit ihren Hetzartikeln seit Wochen auf einen solchen Mord hingearbeitet. Bringt die Führung der PKK um, so der Tenor der Journalisten, aus deren Mündern der Geifer und aus deren Stiften Blut tropft. Folglich ist genau das passiert, was diese Kreise vorhersagten. Zweifellos handelt es sich um einen Angriff, der auf unseren Vorsitzenden, die Existenz und die Freiheit des kurdischen Volkes und in diesem Sinne auf den geführten Kampf abzielte.“

„Unsere Führung ist das Ziel“
Man sollte nicht nur an die gezielte Ermordung von Sakine Cansız denken: „Offensichtlich soll die seit einiger Zeit andauernde Vernichtungs- und Liquidierungsoperation, die mit solch schmutziger Vorgehensweise auf unseren Vorstand abzielt, somit fortgeführt werden. Die Morde stellen den ersten und bedeutenden Akt zur Realisierung eines entsprechenden Plans dar. Eventuell hatte es schon im Vorfeld ähnliche Bestrebungen gegeben, wir erhielten Informationen darüber. In Kandil soll ein umfassender Angriff auf den Vorsitzenden des Exekutivrats geplant gewesen sein. Das ist ebenfalls der Presse zu entnehmen“, so Kalkan weiter.
Kalkan unterstrich, dass der Mord an Sakine Cansız in Europa mehrere Bedeutungen habe: „Neben dem Angriff auf unsere Partei, unseren Vorsitzenden und die aktuelle Phase handelt es sich ebenfalls um eine Botschaft an unser in Europa lebendes Volk. Mehrere Kräfte sind in diesen Fall verstrickt. Daher kommt der Aufklärung der Tat besondere Bedeutung zu.“
Außerdem betonte Kalkan die Wichtigkeit der Aufklärung des Mordanschlags für die Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei: „Niemand sollte auch nur denken, die kurdische Frage könne gelöst und die Türkei demokratisiert werden, bevor diese Tat aufgeklärt wurde. Dabei handelt es sich um eine außerordentlich wichtige Angelegenheit. Selbstverständlich steht sie mit der aktuellen Phase in Zusammenhang.“

Geschichte Frankreichs spielt entsprechende Rolle
Kalkan hob zudem hervor, dass Frankreich, falls es seiner Geschichte gerecht werden und weiterhin als Wiege der Demokratie gelten wolle, den Mordanschlag aufzuklären und die darin involvierten Kräfte und die Täter zu ermitteln habe. Dadurch werde Frankreich einen Schimmer seiner historischen Verantwortung gegenüber den Kurdinnen und Kurden retten können: „Solange die Tat nicht aufgeklärt ist, wird die Verantwortung bestehen bleiben. Wir erwarten daher von der französischen Regierung, sich verantwortungsbewusst zu verhalten und den Vorfall voll und ganz aufzuklären. Wir werden das Geschehen bis zum Schluss verfolgen. Es handelt sich auch nicht um eine spontane Einzeltat.“
Kalkan verwies zudem auf die Diskussionen, wonach die Morde äußerst professionell ausgeführt worden seien: „Anscheinend handelt es sich um eine vorbereitete, schon lange zuvor geplante Tat und demnach nicht um eine sehr zeitnahe Planung, dennoch steht sie mit der aktuellen Phase in Zusammenhang. Der Angriff ist als Teil des Vernichtungs- und Liquidationskonzeptes gegen unsere Freiheitsbewegung zu werten.“
Der Angriff habe auf eine Abrechnung mit der kurdischen Frau, dem kurdischen Volk und der PKK abgezielt: „Von wegen, es sollen Angst, Schrecken und Befriedung erreicht werden. Wir verstehen ganz genau, was bezweckt wird. Durch eine neue Ausrichtung soll das Konzept der vollständigen Vernichtung unserer Bewegung fortgesetzt werden.“
Bisher seien die Angriffe ökonomisch, sozial, kulturell, politisch, militärisch und psychologisch auf allen Ebenen geführt worden, nun sollten mit Mordanschlägen des schmutzigen Krieges die Massaker fortgesetzt werden, so Kalkan weiter.

Integrationsstrategie als Vernichtungskonzept
Kalkan erinnerte zudem daran, dass die derzeitige Regierung im Jahr 2006 ein ähnliches Ziel verfolgt habe: „Damals hatten wir es aufdecken können. Nun zeigt sich ein ähnlicher Fall. Es wird Integrationsstrategie genannt. In der Art: Wir führen Gespräche, gleichzeitig töten und verhaften wir. Das heißt Vernichtung. Gegenwärtig ist die von der AKP-Führung als Integrationsstrategie bezeichnete Planung als Angriffskonzept zu interpretieren.“
Kalkan zu den Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und des stellvertretenden AKP-Vorsitzenden Hüseyin Çelik kurz nach dem Mordanschlag: „In großer Panik haben sie sofort den Täter ermittelt. Noch bevor jemand etwas gehört hat, noch vor irgendeiner Stellungnahme gaben sie die erste Erklärung ab. Woher hatten sie die Informationen? Warum sahen sie sich so schnell zu einer Erklärung veranlasst? Noch bevor die kurdische Presse die Tat gemeldet hat, schrieb die AKP-nahe Presse wie Zaman und Yeni Şafak darüber. Zudem titelten sie, dass es sich dabei um einen Konflikt innerhalb der PKK handele. Woher hatten sie die ganzen Informationen? Anscheinend gibt es Schuldgefühle. Demnach handelt es sich bei ihnen um Mittäter. Das Verhalten Hüseyin Çeliks zeigt die Merkmale eines Täters mit Schuldreaktionen. Eines Menschen, der auf frischer Tat ertappt wurde und die Schuld auf andere schieben will. Der davon ausgeht, dass von dem Fall nicht abgelassen und dieser verfolgt und aufgeklärt wird. Dagegen wird sich eines Ablenkungsmanövers bedient. Warum? Zudem heißt es, derzeit fänden Gespräche statt. Selbst der Ministerpräsident sagte das. Sie meinen, sich um die Lösung des Problems zu kümmern. Handelt es sich bei dieser Ausdrucksweise, bei dieser Haltung um eine lösungsorientierte Annäherungsweise? Sicherlich nicht.“
Kalkan wies darauf hin, dass Hüseyin Çelik nach diesen Äußerungen als Verantwortlicher gesehen werden müsse, und fuhr fort: „Ich kann nicht genau sagen, ob hinter diesem Vorfall die gesamte AKP oder nur ein Teil von ihr steckt. Allerdings werden von der ‚Grünen Gladio’ seit einiger Zeit ohnehin Massaker an der kurdischen Jugend begangen und die kurdischen Patrioten eingesperrt. Nun sind wir damit konfrontiert, dass in Europa, in einer Stadt wie Paris, kurdische Frauen auf grausamste und brutalste Weise massakriert werden. In dieser Hinsicht hat die AKP ihre Haltung zu konkretisieren. Derzeit ist die AKP der Verantwortung für das Massaker in Paris angeklagt.“
Die AKP trage für das Massaker in Paris genauso viel Verantwortung wie für das Massaker von Roboskî: „Unser Volk, die demokratischen Kreise interpretieren das so. In diesem Sinne werden sie sich verhalten und sie zur Verantwortung ziehen. Falls es AKPler geben sollte, die nicht involviert sind, sollten sie sich dazu äußern. Sie sollten sich gegen diejenigen wenden, die in der AKP verantwortlich sind, und gegen die Medien. Die AKP ist tief verstrickt. Natürlich gibt es auch Mittäter. Es handelt sich hierbei um eine äußerst gründlich geplante und organisierte Tat. Dieser Fall steht in Zusammenhang mit der neuen Phase, die der Vorsitzende Apo beginnen will, er demonstriert die Sabotageabsichten.“
Außerdem betonte Kalkan die Notwendigkeit für die demokratischen Kräfte, den Vorfall bis zur Aufklärung weiterzuverfolgen: „Bevor der Fall nicht aufgeklärt und die Verantwortlichen nicht ermittelt sind, bevor diese Annäherungsweise, diese Politik, diese Mentalität nicht geändert wird, kann weder die kurdische Frage gelöst noch die Türkei demokratisiert werden.“

Quelle: ANF, 14.01.2013, ISKU

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