| Salih 
        Müslim: Patriots in der Türkei für neuen Krieg vorgesehen  Im Interview mit 
        der Nachrichtenagentur ANF erklärte der Co-Vorsitzende der PYD Salih Müslim 
        unter anderem, dass Syrien seit 1992 im Besitz von Chemiewaffen sei. Laut 
        Müslim verfüge das Regime über Scud-Raketen mit chemischen Sprengköpfen, 
        die sich in der Nähe von Damaskus befänden und gegen den Staat Israel 
        gerichtet seien. „Allein deswegen wird es zu keiner Intervention von außen 
        kommen“, erklärt der PYD-Co-Vorsitzende. Was das Patriot- Raketensystems 
        der Nato angehe, glaube Müslim, dass dieses nicht wegen des Syrien-Krieges, 
        sondern wegen eines zukünftigen anderen Krieges in der Türkei stationiert 
        werden solle.Müslim ging im Interview auch auf die Entwicklungen in Westkurdistan und 
        den Versuch der Türkei, die diplomatischen Bemühungen der PYD in Europa 
        zu unterbinden, ein. Im Folgenden geben wir die Aussagen Müslims zu den 
        verschiedenen Themen wieder.
 EINFLUSSBEREICHE„In manchen Gebieten haben wir einige Schwierigkeiten. Im Cezire Gebiet, 
        also in Qamişlo, Serê Kaniyê und Tirbespî verfügen die anderen kurdischen 
        Parteien über einen gewissen Einfluss. Es gibt unterschiedliche politische 
        Ansichten und es herrscht ein Durcheinander. Wir versuchen, mit der Bevölkerung 
        zu sprechen und sie zu überzeugen. Hier müssen wir noch größere Anstrengungen 
        unternehmen. Aufgrund der Arbeit der anderen Parteien sind nationalistische 
        Gedanken teilweise auch unter den KurdInnen in diesem Gebiet verbreitet, 
        was uns die Arbeit erschwert. Aber wir können sagen, dass unser System 
        [die Demokratische Autonomie] in Westkurdistan allgemeine Akzeptanz genießt.“
 DEMOKRATISCHE AUTONOMIE„In Afrîn und Kobanî haben wir einen Großteil unseres Konzepts umgesetzt. 
        Es fehlen uns noch etwa zehn Prozent, bis zur völligen Umsetzungen unseres 
        Systems. Die Komitees und Räte sind organisiert. In den Dörfern befinden 
        sich die Kommunen gegenwärtig im Aufbau, sie stehen noch am Anfang. Die 
        Dorfbewohner kümmern sich um ihre Selbstverteidigung. Aber die Kommunen 
        haben bereits auch ihre Produktion aufgenommen, es entstehen erste Kooperativen. 
        Auch hier befinden wir uns erst am Anfang, der sich unter den gegebenen 
        Bedingungen nicht einfach gestaltet.“
 KEINE POLITISCHEN 
        FESTNAHMEN„Unsere Priorität liegt zunächst auf der Verteidigung. Die Verteidigung 
        eines jeden Dorfes wird mit geeinten Kräften vorangebracht. Mittlerweile 
        haben wir in Form von Komitees auch Gerichte aufgebaut. Wenn es unter 
        der Bevölkerung Streitigkeiten gibt, kümmern sich diese Volkskomitees 
        darum und versuchen zu schlichten. Beschwerden werden nicht an staatliche 
        Stellen gerichtet, sondern werden in diesen Komitees behandelt. Streitigkeiten 
        zwischen Bürgern werden durch Vermittlung zwischen den Streitparteien 
        gelöst. In unseren Gebieten gibt es keine politisch motivierten Festnahmen. 
        Nur in Fällen von Diebstahl oder ähnlichen Straftaten kann es zu Festnahmen 
        kommen. Aber es gibt keine längeren Haftstrafen oder ähnliches.
 Die Assimilationspolitik hat glücklicherweise bei unserer Bevölkerung 
        nicht sonderlich gefruchtet. Wir sprechen alle unsere kurdische Muttersprache. 
        Von den Menschen, die vor langer Zeit von Westkurdistan nach Damaskus 
        oder Helep (Aleppo) gezogen sind, sind einige assimiliert worden. Ansonsten 
        können die meisten ihre Muttersprache sprechen. Wir habend den Aufbau 
        der Demokratischen Autonomie auf dem PYD-Kongress im Jahr 2007 beschlossen. 
        Am Anfang fiel es uns schwer, diesen Beschluss umzusetzen. Wir waren auch 
        mit staatlicher Repression konfrontiert. Zunächst haben wir die Volkshäuser 
        eröffnet. Danach haben wir die ersten Schulen aufgebaut. In den Dörfern 
        haben wir einige Schulen errichtet. Diese ersten Schulen hatten auch eine 
        symbolische Bedeutung für die Bevölkerung. Denn es ist ein Grundrecht, 
        dass die Kinder ihre Sprache erlernen können. Wenn der Staat gekommen 
        wäre, um diese Schulen abzureißen, wäre die ganze Dorfbevölkerung aufgestanden 
        und hätte sich dagegen gewehrt. Mit der Zeit haben wir hunderte solcher 
        Schulen eröffnet und die Bevölkerung hat verstanden, dass sie eine Muttersprache 
        hat, die es zu verteidigen gilt. Wenn die Behörden jetzt kämen, um der 
        Bevölkerung ihre Sprache zu verbieten, würde sie das nicht mehr so ohne 
        weiteres akzeptieren. Auch um dieses Verständnis bei der Bevölkerung zu 
        etablieren, haben wir diese Schritte unternommen.“
 OFFIZIELLE SCHULEN 
        ERÖFFNET„Als Ergebnis dieses Prozesses haben wir in diesem Jahr unsere ersten 
        offiziellen Schulen eröffnet. Wir haben den Grundschulunterricht in kurdischer 
        Sprache aufgenommen. Aber uns fehlt gewissermaßen die Grundlage, um dies 
        weiter auszubauen. Für eine kurdisch-sprachige Schulbildung benötigt man 
        tausende von Lehrerinnen und Lehrern. Deshalb müssen wir zunächst die 
        LehrerInnen ausbilden und das nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch. Dort, 
        wo es diese LehrerInnen gibt, gibt es auch kurdisch-sprachigen Unterricht. 
        Wir werden dafür sorgen, dass im neuen Syrien die Ausbildung der kurdisch-sprachigen 
        LehrerInnen gesichert wird.
 ES GIBT KEINE UNIVERSITÄTEN„Es gab ohnehin keine Universitäten in Westkurdistan. Das war Teil der 
        Politik des Baath-Regimes. Selbst in Qamişlo gibt es keine Universität. 
        In Hesîçe gibt es zwei Fakultäten. Diese befinden sich aber in den arabischen 
        Siedlungsgebieten.
 Alle KurdInnen, denen zuvor die syrische Staatsbürgerschaft aberkannt 
        worden war, besitzen nun wieder die Staatsbürgerschaft. Aber uns reicht 
        das nicht mehr. Wir werden unsere eigenen Identitätskarten erstellen. 
        Weil wir uns gegenwärtig in einem Übergangsprozess befinden, haben wir 
        uns damit noch nicht befasst. Wie gesagt, liegt zurzeit die Priorität 
        auf der Gewährleistung unserer Sicherheit.“
 SICHERHEITSFRAGE„Bei uns gibt es zwei Arten von Sicherheitskräften. Einmal die Asayiş, 
        welche die Aufgaben der Ordnungskräfte in den Städten übernommen hat, 
        und zum anderen die YPG, die als bewaffnete Volksverteidigungseinheiten 
        außerhalb der Städte agieren. Sie schützen die Bevölkerung bei einem Angriff 
        von außen. Wenn es zu einem demokratischen Wandel in Syrien kommt, kann 
        man das Verhältnis dieser Kräfte zur Zentralregierung vertraglich regeln.“
 Die FREIE SYRISCHE 
        ARMEE FSA„Die Freie Syrische Armee stellt keine Einheit dar. In ihr gibt es verschiedene 
        Strömungen. Einige ihrer Verantwortlichen sitzen in der Türkei, andere 
        in Katar oder Saudi-Arabien. Hinzu kommt, dass es verschiedenste Gruppen 
        gibt, die behaupten, Teil der Freien Syrischen Armee zu sein. Auch wenn 
        der Westen es oft so darstellt, als handle es sich bei der Freien Syrischen 
        Armee um eine Einheit, ist dies in Wirklichkeit nicht der Fall. In Helep 
        denken und handeln sie anders als beispielsweise in Humus [Homs]. In Helep 
        haben die Gruppen der Freien Syrischen Armee sogar untereinander Widersprüche. 
        Das ist auch ein Beweis dafür, dass in Syrien viele unterschiedliche Mächte 
        ihre Finger mit im Spiel haben. Es gibt auch Gruppen, die vom Geheimdienst 
        aufgebaut worden sind. Verantwortliche der Freien Syrischen Armee berichteten 
        mir, dass es sich beispielsweise bei der Al Nusra-Front, die für die Angriffe 
        in Serê Kaniyê verantwortlich war, um eine Gruppe handele, die mit dem 
        Syrischen Regime zu tun habe. Sie hätte keinerlei Verbindungen zur Freien 
        Syrischen Armee und [ihre Mitglieder] seien Verräter und Provokateure, 
        so der Verantwortliche. Wir können auf jeden Fall festhalten, dass sie 
        keine Einheit darstellen. Von Zeit zu Zeit bekämpfen sie sich auch untereinander.
 Bei dem Angriff von Serê Kaniyê kamen die bewaffneten Gruppen von der 
        türkischen Seite der Grenze. Sind sie vom syrischen Geheimdienst aufgebaut 
        worden? Wir wissen es auch nicht. Aber ich wiederhole mich, wir wissen, 
        dass sie keine Einheit darstellen und sich untereinander durchaus widersprechen. 
        Wir wissen aber auch, dass es Araberinnen und Araber gibt, die sich, genau 
        wie wir, selbst schützen wollen. Wir akzeptieren diese als Freie Syrische 
        Armee. Und mit ihnen haben wir uns verständigen können. Wenn wir in ihre 
        Gebiete gehen wollen, fragen wir nach ihrem Einverständnis und genauso 
        tun sie es, wenn sie in unser Gebiet kommen. Den Rest der Gruppen akzeptieren 
        wir nicht als Freie Syrische Armee.“
 DEN KAMPF „BIS ZUM 
        BITTEREN ENDE“ GIBT ES NICHT IN UNSERE VORSTELLUNG„Wir standen von Anfang an auf der Seite einer friedlichen Revolution 
        in Syrien. Aber andere Kräfte, allen voran die Türkei, haben die bewaffneten 
        Auseinandersetzungen geschürt. Aktuell erleben wir in Syrien einen Machtkampf 
        und keine Revolution. Uns geht es um die Revolution. Aber nach dem Verständnis 
        der anderen, wird es solange Krieg geben, bis eine der beiden Seiten nicht 
        mehr existiert. Dies entspricht nicht unseren Vorstellungen.“
 SERÊ KANIYÊ„Serê Kaniyê ist ein sensibles Gebiet. Hier leben AraberInnen, KurdInnen 
        und andere Minderheiten. In anderen Städten haben wir die Regimekräfte 
        vertrieben und die Kontrolle erlangt. In Serê Kaniyê haben wir dies nicht 
        getan. Warum? Weil es hier auch zu einem arabisch-kurdischen Konflikt 
        kommen könnte. Deswegen sind wir vorsichtig. Die kurdischen Stadtteile 
        sind unter unserer Kontrolle, hier gewährleisten wir die Sicherheit. Die 
        anderen Gruppen sind in den arabischen Stadtteilen ein- und ausgegangen. 
        Sie haben sich nicht in unsere Angelegenheiten eingemischt und wir uns 
        nicht in ihre. Die Türkei hat versucht, dies in Helep durcheinander zu 
        bringen und ist daran gescheitert. In Afrîn haben sie das in einigen strategisch 
        wichtigen Dörfern versucht. Aber auch dort sind sie gescheitert und haben 
        sich zurückgezogen. Die Türkei plant derzeit, in Serê Kaniyê zu intervenieren 
        und von dort aus in Richtung Osten vorzudringen. Sie wollen die YPG-Kräfte 
        an der Grenze vernichten, die Kurden dadurch ihrer Verteidigungsmöglichkeiten 
        berauben und die dort ansässige Bevölkerung nach Südkurdistan vertreiben. 
        Das war der Plan und der erste Schritt hierzu sollte in Serê Kaniyê getan 
        werden, denn es ist der westlichste Ort des genannten Gebietes.
 Sie [die bewaffneten salafistischen Gruppen] sind am 8. November aus der 
        Türkei gekommen und haben zunächst die Kräfte des Regimes, die Polizeistation 
        und das Geheimdienstzentrum angegriffen. Dabei sind dutzende von Menschen 
        ums Leben gekommen. Wir haben sie davor gewarnt, in die kurdischen Teile 
        der Stadt zu kommen. Daraufhin hat sie der Staat aus der Luft angegriffen. 
        Als dies später aufhörte, fühlten sie sich wie im Siegesrausch. Sie dachten 
        sich wohl: „Der Staat hat uns nicht aufhalten können. Glauben die Kurden 
        etwa, dass sie es schaffen können?“ Sie haben angefangen, die KurdInnen 
        zu provozieren. Am 19. November haben sie den Volksratsvorsitzenden [Abid 
        Xelil] getötet. Dem waren einige Versuche vorausgegangen. So hatten sie 
        beispielsweise versucht, in Dirbesiyê und Amude einzudringen, wurden aber 
        von den YPG-Kräften aufgehalten. Auch in Serê Kaniyê sind sie auf heftigen 
        Widerstand der YPG gestoßen. Daraufhin mussten sie sich erstmalig zurückziehen. 
        Sie wollten sich mit uns verständigen und hofften auf eine Vereinbarung. 
        Dafür hatten wir ihnen zwei Bedingungen gestellt: Zum Ersten sollten sie 
        sich aus der Stadt zurückziehen und zum Zweiten sollte unter Beteiligung 
        aller Volksgruppen der Stadt ein Volksrat gegründet werden, der die Leitung 
        der Stadt übernehmen soll. Damit waren sie einverstanden. Als sie sich 
        zurückziehen wollten, ließ dies die Türkei jedoch nicht zu und schloss 
        ihre Grenzen. Deswegen mussten sie in den arabischen Stadtteilen bleiben. 
        Der Staat hat sie daraufhin ein zweites Mal aus der Luft angegriffen und 
        einige von ihnen sind umgekommen. Am 4. Dezember haben sie dann einen 
        erneuten Angriff auf unsere Kräfte gestartet. Es fing damit an, dass einer 
        von ihnen auf ein YPG-Mitglied schoss und dabei verletzte. Die YPG hat 
        darauf reagiert und bei den Gefechten sind eine Vielzahl von ihnen getötet 
        worden. Dann behaupteten sie, dass derjenige, der auf das Mitglied der 
        YPG geschossen hatte, ein Provokateur aus der Türkei gewesen sei. Aber 
        sie denken auch weiterhin, dass wir mit dem Regime zusammenarbeiten würden. 
        Als sie von der Luft aus angegriffen wurden, dachten sie, wir würden sie 
        zeitgleich vom Boden aus angreifen, was natürlich nicht der Fall gewesen 
        ist. Sie begreifen immer noch nicht, dass wir autonom handeln.“
 DAS REGIME VERFÜGT 
        ÜBER CHEMISCHE WAFFEN„Bevor im Jahr 2011 die Aufstände begannen, haben wir uns als Partei zusammen 
        gesetzt und überlegt, was in Syrien demnächst passieren könnte. Schon 
        damals gingen wir nicht davon aus, dass es zu einer militärischen Intervention 
        in Syrien kommen wird. Weshalb nicht? Weil das Regime über chemische Waffen 
        verfügt. Diese Waffen sind nicht für den Einsatz gegen die eigene Bevölkerung 
        gedacht. Sie sind vielmehr eine Gefahr für Israel. In der Nähe von Damaskus 
        hat das Regime Scud-Raketen mit chemischen Sprengköpfen stationiert. Sie 
        befinden sich alle am Fuße der Berge und sind auf Israel gerichtet. Man 
        kann diese Raketen nicht auf einen Streich vernichten. Käme es zu einem 
        Angriff auf das Regime, würden diese Raketen möglicherweise gegen Israel 
        eingesetzt. Sie befinden sich ohnehin ganz in der Nähe der israelischen 
        Grenze. Selbst wenn Israel an seinem gesamten Grenzverlauf das Patriot-Raketenabwehrsystem 
        stationiert, würden die Scud-Raketen, wenn sie überhaupt von den Patriots 
        erfasst werden, auf israelisches Staatsgebiet fallen. Das liegt ganz einfach 
        daran, dass die Scud-Raketen so nah am israelischen Territorium stationiert 
        sind. Wegen dieser Gefährdung Israels wird es zu keinem Angriff von außen 
        kommen. Sollte es aber den Gegnern des Regimes gelingen, diese Scud-Raketen 
        zu vernichten, könnte es auch zu einer Auslandsintervention kommen. Heute 
        redet die Weltöffentlichkeit über die Chemiewaffen des syrischen Regimes. 
        Dabei verfügt das Regime seit 1992 über diese Waffen.“
 STATIONIERUNG DER 
        PATRIOT-ABWEHRRAKETEN IN DER TÜRKEI IST KRIEGSVORBEREITUNG GEGEN DEN IRAN, 
        NICHT GEGEN SYRIEN„Gegen die Türkei werden diese Raketen jedoch mit großer Sicherheit nicht 
        eingesetzt werden. Die Patriots in der Türkei dienen deswegen einem anderen 
        Zweck: Sie sind Teil der Vorbereitung auf einen anderen Krieg, dem gegen 
        den Iran. Wie schon gesagt, die Chemiewaffen Syriens sind nicht für die 
        Türkei vorgesehen. Die Raketen sind auch nicht auf die Türkei gerichtet. 
        Ihre Reichweite beträgt ohnehin nur etwa 250 Kilometer, sodass die Raketen 
        in nördlicher Richtung nicht weiter als Helep kämen.“
  Quelle: ANF, 15.12.2012, 
        ISKU
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