Leichnam deutscher Guerillakämpferin Andrea Wolf im Massengrab von Çatak

Andrea Wolf war eine Menschenrechtsaktivistin und Soziologin. Um über das Leben der Guerilleros zu schreiben, beteiligte sie sich Ende der 90er Jahre bei der PKK. Bei einer militärischen Auseinandersetzung ist sie unbewaffnet in die Hände des türkischen Militärs geraten und wurde umgebracht.
Bei der anschließenden diplomatischen Krise mit Deutschland, gab die Türkei an, über keinerlei Informationen bezüglich des Zwischenfalls zu verfügen. Man versuchte den Mord an Andrea Wolf zu verheimlichen und gab noch nicht einmal den Ort ihres Grabes bekannt. Die Spuren Andrea Wolfs führten allerdings nach Çatak, einer Provinz in Wan, zu einem Massengrab, in welchen 41 Leichname ausfindig gemacht wurden. In den Archiven der PKK gibt es Zeugenberichte sowohl von überlebenden PKKlern, die ebenfalls an dieser militärischen Auseinandersetzung beteiligt waren, als auch von vor Ort ansässigen Dörflern, die berichten, wie Andrea Wolf ermordet worden ist.

Trotz großer Bemühungen der Anwältin Eren Keskin und weiterer deutscher Anwälte beharrte der türkische Staat darauf, dass Andrea Wolf an dieser militärischen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Die berüchtigten Militärgerichte (DGM), das Innenministerium, das Verteidigungsministerium und die Militärkommandantur gaben sich große Mühe den Vorfall zu vertuschen. Allerdings nahm sich später der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Falles an und verurteilte die Türkei zu einer hohen Entschädigungsstrafe.

Der türkische Staat verleugnet bis heute den Fall. Die HPG (militärischer Arm der PKK) durchkämmte, nachdem das Massengrab von Çatak bekannt wurde, nochmals ihre Archive. Demnach ist in dem Dorf Dökmetas unter den 41 Leichnamen auch der Leichnam von Andrea Wolf. Die Berichte der überlebenden Guerillakämpfer bei dieser militärischen Auseinandersetzung unterstreichen die Gräuel des türkischen Militärs zu jener Zeit.

Die Geschichte der Ermordung von Ronahî, so der Name von Andrea Wolf mit dem sie in Kurdistan bekannt ist, beginnt am 15. Oktober 1998. Im Dreieck zwischen Colemêrg (Hakkari), Şirnex (Şırnak) und Wan (Van) beginnt eine militärische Operation des türkischen Militärs, an der 17 Bataillone beteiligt sind und die durch Militärhubschrauber und militärischen Fahrzeugen im großen Umfang Unterstützung erhält. Das Militär umzingelt das Gebiet und zieht diese Umzingelung Stück für Stück zusammen. Es kommt zu tagelangen Gefechten mit einer 50-köpfigen Guerillagruppe, die allerdings aufgrund ausgehender Munition nur begrenzt Widerstand leisten kann.

Selahattin Elci, der als einer der wenigen überlebenden PKKlern aus den Gefechten herausgekommen ist, berichtet von großen Gefechten in der Nähe vom Dorf Keles. Dort griffen die Soldaten mit Unterstützung von Kobra-Hubschraubern an. Als die Militärs das Gebiet einzunehmen begannen, töteten sie eine große Zahl an Guerilleros. Eine Gruppe von 12 bis 13 Kämpfern, so Elci, versteckte sich in einer Höhle. Das Militär forderte diese in kurdische Sprache dazu auf, sich zu ergeben. Elci erzählt, dass nach und nach immer mehr PKKler sich ergaben, unter ihnen auch Andrea. Am Ende blieben nur Elci und drei Weitere in der Höhle, die später allesamt überleben sollten.

Nach übereinstimmenden Berichten der vier Guerilleros in der Höhle, soll Andrea, als sie die Höhle verließ, in ruhiger Stimmungslage den Soldaten folgendes zugerufen haben: „Ich bin eine Sozialistin. Ich bin für die Freiheit aller Menschen der PKK beigetreten.“ Das Militär habe hiernach weiter die Höhle bombardiert.

Ein anderer überlebender Guerillero namens Xursit gab folgendes zu den Ereignissen an: „Die Dorfschützer sprachen über den Inhalt der Tasche von Ronahî (Andrea Wolf). Ich hörte ihre Stimmen. Sie warfen insgesamt acht Handgranaten in unsere Richtung, allerdings waren wir gut geschützt und uns passierte nichts. Eine halbe Stunde nachdem wir zum letzten Mal die Stimme der Freundin Ronahi hörten, nahmen wir eine Gewehrsalve war. Wir rührten uns die gesamte Nacht nicht vom Fleck. Wir warteten bis zum Mittag des nächsten Tages (24. Oktober). Die feindlichen Einheiten entfernten sich gegen Mittag von dem Gebiet, aber wir verließen erst nachts unsere Verstecke. Der Feind hatte die meisten Leichname unserer Freunde an einem Punkt gesammelt. Einige andere langen an anderen Orten. Den Leichnam von unserem Freund Kamuran hatten sie verbrannt. Die Leiche unserer Freundin Ronahî lag von den anderen Leichnamen getrennt und war entblößt. Es war klar, dass der Feind die Leichen geschändet hatte.

Nach Aussagen von vier Guerilleros wurde der Leichnam von Andrea Wolf misshandelt. Im Bericht des Guerilleros Welat Yilmaz heißt es: „Als ich rauskam, war es eine Stunde vor Abend. Den Leichnam von Kamuran hatten sie verbrannt. Dem Freund Agirî hatten sie den Kopf getrennt. Der Leichnam der Freundin Ronahî war nackt und sie hatten ihre Brüste abgeschnitten. Sie hatten ihr in den Kopf und in ihr Geschlechtsorgan geschossen. In dem Moment hörte ich die Stimme eines verletzten Freundes.“

Welat erzählt weiter: „Als Ronahî die Höhle verlässt, hörte ich einen Militärkommandanten sagen:
‚Eine blonde Hure ist hier. Fragt diese Hure welche Staatsangehörigkeit sie hat!‘ Ronahî antwortete hierauf: ‚Ich bin eine Internationalistin, ich bin eine Sozialistin. Weil ich dies in der PKK wiedererkannt habe, bin ich hier. Ich bin eine deutsche Staatsbürgerin, die hinter der PKK steht.‘ Die Antwort des Kommandanten lautete: ‚In Deutschland gibt es viele Huren und du bist eine von ihnen.‘ Ronahi begegnete ihm, dass sie Tiere sind. Kurze Zeit später war eine Salve aus einem automatischen Gewehr zu hören und die Stimme Ronahîs war nicht mehr zu hören.“

Auf dem sechsten PKK Kongress im Februar 1999 wurde Andrea Wolf einstimmig zur Symbolfigur des Internationalismus erklärt.

Bei den 41 Leichnamen im Massengrab von Çatak handelt es sich zum Teil um Menschen, die während der Gefechte getötet wurden und zum Teil um Menschen wie Andrea, die lebendig gefasst und danach ermordet worden sind. Laut des damaligen ARGK-Botan-Verantwortlichen lautet ein Teil der Namen der Kämpfer, die in diesem Massengrab verscharrt worden sind wie folgt:

Evrim Açan (Rohat), Şêxmûs Hasan (Cembeli), Cevdet Tatar (Hozan Hogir), Teyar Misto (Kamuran), Ayten Ene, (Azime Savaş) Agirî, Botan, Kamuran İnalkoç (Kawa), Enver Süleyman (Şiyar), Leşker, Kemal, Tekoşer, Neriman Ahmet (Amed), İbrahim Ercan (Deniz), Fevzi Muhammed (Gabar Afrin), Sipan, Selman, Habib ibo (bahoz), Dilbirîn, Xezal, Şerife Erdoğan (Sozdar Urfa), Fatih Yalçınkaya (Agit), Şiyar, Andrea Wolf (Ronahî), Minteha Ali (Canda), Yerivan Yıldız (Adife), Adife Aslan (Berfin), Cahide, Diyar, Newroz, Xelat.

Quelle: ANF, 25.03.2011, ISKU

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