Öcalan: Weil ich keinen Ansprechpartner finde, ziehe ich mich zurück

ISTANBUL - Öcalan erklärte im Gespräch mit seinem Verteidigungsteam, die Kurden seien immer noch einem kulturellen Genozid ausgesetzt. „Die Bedingungen für eine Fortsetzung des Prozesses sind nicht gegeben, daher wäre es für mich sinnlos, weiter daran festzuhalten. Da ich keinen Ansprechpartner gefunden habe, ziehe ich mich nach dem 31. Mai zurück“, kündigte er an.
„Dies ist keine Kriegserklärung, ich rufe nicht zum Krieg auf“, betonte Öcalan. „Nach dem 31. Mai ziehe ich mich zurück. Ein Prozess in der jetzigen Weise nutzt weder der KCK noch dem Staat. Von jetzt an liegt die Verantwortung in den Händen der KCK, der BDP und des Staates. Sie werden selbst entscheiden, was sie tun. Sie genießen großes Ansehen bei der Bevölkerung und haben eine große Verantwortung übernommen. Sollten sich jedoch die Umstände ändern und sich ein Ansprechpartner ergeben, bin ich zu Gesprächen bereit.“
Die aktuellen Angriffe auf kurdische Strukturen interpretierte Öcalan als zentral gesteuerte Kampagne: „Der Staat versucht, die Bevölkerung einzuschüchtern. Es mag sein, dass diese Angriffe sogar noch weiter zunehmen. Dagegen sollten Vorkehrungen getroffen werden. Es wird allseits kommentiert, dass diese Angriffe, die bis zu Lynchkampagnen reichen, weiter zunehmen und darauf abzielen, die Gesellschaft auf Massaker vorzubereiten. Gegen die Kurden soll ein politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Genozid verübt werden. All diese Angriffe hängen zusammen und gehen von einem einzigen Zentrum aus.“
Ein weiteres Mal unterstrich Öcalan die Wichtigkeit der inneren Einheit der Kurden und verwies auf das nicht-nationalistische Lösungsprojekt, die demokratische Autonomie: „Die Innere Einheit der Kurden in allen vier Teilen ist wichtig, in Erbil sollte ein Kongress der Nationalen Einheit durchgeführt werden. Jedoch sollten die Weltöffentlichkeit, Intellektuelle und demokratische Kreise die kurdische Frage nicht nur als eine ethnische Auseinandersetzung begreifen. Die kurdische Revolution findet im Herzen des Mittleren Ostens statt. Sie gleicht nicht den Konflikten in Palästina oder Afghanistan. Diese Revolution wird Veränderungen in einem Umfang schaffen, wie sie die Französische Revolution oder die Russische Revolution hervorgebracht haben. Doch anders als diese wird sie frei von Nationalismus sein.
Mein Lösungsprojekt beruht auf der demokratischen Autonomie. Das Projekt der demokratischen Autonomie sieht eine Lösung vor, bei der es im Inneren keine Konflikte über Grenzen gibt. Auf der anderen Seite lehnen wir die universale Hegemonie ab, ohne mit ihr in Konflikt zu treten. Es ist möglich, die eigene Existenz und die eigenen Prinzipien nachhaltig zu sichern, ohne von der auch als ‚Imperium’ bezeichneten globalen Hegemonie absorbiert zu werden. Diese Lösung beinhaltet auch die Prinzipien des demokratischen Konföderalismus, die politischen, sozio-kulturellen, wirtschaftlichen und diplomatischen Prinzipien genauso wie das Prinzip der Sicherheit. Die Lösung dieses Problems auf der Grundlage der demokratischen Autonomie wird den gesamten Mittleren Osten positiv beeinflussen.“
Die Kritik Öcalans galt der Politik der türkischen Parteien: „Gegen die Kurden besteht eine oligarchisch-faschistische Allianz aus AKP, CHP und MHP. Die Kurden sollten sich nicht an dem verlogenen Referendum der AKP über die Verfassung beteiligen. Die Verfassungsänderungen sind ein hinterlistiger Schritt, um den politischen und kulturellen Genozid an den Kurden zu bemänteln und zu verstecken. Darüber hinaus wird so die Chance auf eine neue, demokratische Verfassung zunichte gemacht. Dagegen können die BDP und die Kurden eine Alternative schaffen. Sie können ihre eigene Verfassung erstellen, die demokratische Autonomie deklarieren und darüber ein Referendum durchführen. Sie können der Bevölkerung ein alternatives Lösungspaket vorlegen und sie um ihre Meinung befragen.“
Die Gefechte der letzten Wochen kommentierte er mit einem Aufruf an Staat und KCK: „Der Staat sollte sich an das Kriegsrecht halten und Zivilisten, Frauen und Kinder verschonen. Auch die KCK sollte sich daran halten. Es ist möglich, dass sich die PKK mit dem Staat einigt, eine Lösung ist möglich, es kann aber auch zu einer festgefahrenen Situation und einem Krieg wie in den 1990er Jahren kommen. Es ist möglich, dass die PKK den Krieg verliert und ausgelöscht wird, das können wir nicht wissen. Wir können nicht wissen, was passiert, falls es zum Krieg kommt. Ich appelliere nochmals an Ministerpräsident Erdoğan. Wir können das Problem auf friedlichem und demokratischen Wege lösen. Ansonsten liegt die Verantwortung in Zukunft bei der AKP.“

Quelle: ANF, 26.05.2010


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