ISKU, 21.10.2005

Das verkohlte Telefon der Özgür Politika

Ein Kommentar von Reimar Heider

Betrat man die Redaktionsräume der Tageszeitung „Özgür Polika“, so fiel ein geschmolzenes und verkohltes Telefon auf. Dieses Telefon ist beredtes Zeugnis der ereignisreichen Geschichte kurdischen Presseschaffens. Anfang der 1990-er Jahre erschien in der Türkei „Özgür Gündem“, die „Freie Tagesordnung“ auf dem Plan und berichtete als einzige wahrheitsgemäß über die Morde der staatlichen Todesschwadronen. Mehr als ein Dutzend Journalistinnen und Journalisten bezahlten diese investigative Tätigkeit mit dem Leben, ebenso wie Zeitungsausträger, meist Kinder. Özgür Gündem wurde geschlossen, mit „Özgür Ülke“ (Freies Land) eine Nachfolgerin ins Leben gerufen. Die Morde gingen weiter, und Özgür Ülke erlangte traurige Berühmtheit, als ihr Redaktionsgebäude durch einen von Tansu Çiller persönlich angeordneten Bombenanschlag zerstört wurde. Damals, Mitte der 1990-er Jahre, galt die Türkei als gefährlichstes Land der Welt für Journalisten. Özgür Gündem und Özgür Ülke waren mit Auslandsausgaben auch in Europa erschienen, erst nach der Bombardierung der Özgür Ülke wurde in Europa eine eigene Zeitung produziert, eben die Özgür Politika.

Hierzulande wird nicht gebombt, sondern verboten. Ein Abschiedsgeschenk der ganz besonderen Art machte der scheidende Bundesinnenminister Schily den Kurden in Deutschland und Europa, als er sich Anfang September in die Tradition Tansu Çillers stellte und nach nunmehr 11 Jahren unbeanstandeten Erscheinens die „Özgür Politka“ verbot. Türkische Zeitungen berichteten jubelnd bis süffisant, dass Schily damit einer Bitte des türkischen Außenministers Gül entsprach, die dieser über seinen Kollegen Joschka Fischer schriftlich weitergeleitet hatte. Dass das Verbot einer Tageszeitung hierzulande dann doch nicht so einfach ist, zeigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und hob am 19.10. das skandalöse Verbot kurzerhand wieder auf.

Während hierzulande über eine Durchsuchung bei einem Kulturmagazin namens Cicero viel Wind gemacht wird, fand der fast gleichzeitig erfolgende massive Eingriff in die Pressefreiheit, den das Verbot einer Tageszeitung darstellt, unverhältnismäßig wenig Resonanz. Grund dafür dürfte sein, dass es sich um eine von Kurden gemachte Zeitung handelte. Diese stellen zwar die viertgrößte Migrantengruppe in Deutschland, stehen aber unter einem gewissen Generalverdacht des Terrorismus, der besondere Sorgfalt überflüssig zu machen scheint.

So begründete Schilys Verbotsverfügung zwar wortreich, aber mit extrem windigen Argumenten, warum die Zeitung, die seit elf Jahren unbeanstandet europaweit erschien und gegen die kein einziges Strafverfahren lief, verboten werden musste, und warum dies unverzüglich geschehen zu habe. Dafür mussten sogar ein vor neun Jahren ordnungswidrig Plakate klebender Mitarbeiter und eine potentielle Gefährdung deutscher Touristen in Antalya herhalten. Pfiffigerweise wurde nicht die Zeitung direkt verboten, sondern die Verlagsgesellschaft, weil sie angeblich mit dem Kongra-Gel in Zusammenhang stehe. Damit erhoffte sich Schily wohl eine mildere Bewertung seiner Verbotswut durch die Gerichte, da doch das Verbot einer Zeitung als massivster denkbarer Eingriff in die Pressefreiheit eigentlich einer besonders hieb- und stichfesten Begründung bedürfte. Wie Ali Baba und seine 40 Räuber fielen Vollzugsbeamte in die Redaktionsräume der Zeitung ein und beschlagnahmten alles bis hin zu den Papierkörben. Der konstruierte „Terror-Zusammenhang“ sollte als Sesam-öffne-dich dienen.

Das Bundesverwaltungsgericht verwarf trotzdem die Verbotsverfügung. Das Verbot wurde als rechtswidrig beanstandet, Verlag und Zeitung können ihre Arbeit wieder aufnehmen. Viele ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind politische Flüchtlinge, die vor der Bombardierung bei Özgür Ülke gearbeitet haben. Das verkohlte Telefon aus dem völlig zerstörten Gebäude der Özgür Ülke brachten sie als eine Art Denkmal für die freie Presse mit nach Deutschland. Es wurde mit dem gesamten Inventar der Büros beschlagnahmt. Otto Schily hat es wohl nicht gesehen.