Newroz 2008 in Sirnak

Newroz ist das kurdische Frühjahrsfest, das in vielen Regionen des mittleren Ostens gefeiert wird. Es ist Symbol für den Widerstand gegen Unrecht und Unterdrückung. Heute wird es von KurdInnen in der Türkei/Irak/Iran, Syrien und im Exil in diesem Sinne und als Fest für Frieden, Freiheit und Demokratie gefeiert.

Die Lage in Sirnak
In der 50.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt zwischen den Gebirgsmassiven Cudi und Gabar, in der mehr als 10.000 türkische Soldaten stationiert sind herrscht faktisch ein andauernder Ausnahmezustand. Newroz 1982 wurden 83 Menschen von Sicherheitskraeften ermordet. Sirnak kann nur nach Passieren mehrerer Kontrollpunkte von Militär und Geheimdienst erreicht werden. In Sichtweite der Stadt wurde ein Folterzentrum mit mehreren unterirdischen Etagen errichtet. Die meisten Menschen leben hier von der Landwirtschaft, sind jedoch existenziell bedroht, da ihnen das Recht ihr Weideland zu Nutzen entzogen wurde. In dieser Gegend finden ständige Militäroperationen statt. Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art sind an der Tagesordnung.

Die Ereignisse um Newroz
Schon am Vortag des Festes feierten über 1000 Menschen in der Bergstadt in der Region Botan (Vierländereck Türkei/Syrien/Irak/Iran) kraftvoll und unangemeldet. Während einige Kundgebungen vom Geheimdienst überwacht wurden, wurde eine Feier an einem zentral gelegenen Ort in der Stadt angegriffen. Polizei, Spezialeinheiten des Geheimdienstes und Militär griffen die Kundgebungen mit Wasserwerfern, Tränengasgranaten und Schlagstöcken an, während die Umgebung von mit Sturmgewehren ausgestatteten Soldaten, Panzerfahrzeugen und Panzern abgesperrt wurde.
Selbst als die Situation sich beruhigt hatte, wurden ParlamentarierInnen, der Bürgermeister der Stadt und eine Menschenrechtsdelegation daran gehindert die Situation in Augenschein zu nehmen. Hierbei kam es sowohl zur Bedrohung des Rechts auf Leben von anwesenden Personen, als auch zu einem tätlichen Angriff auf den Bürgermeister der Stadt.
Ab morgens um 10 Uhr sammelten sich mehr als 10.000 Menschen in der Stadtmitte. Hier feierten sie kraftvoll, entschlossen und in solidarischer Atmosphäre das Widerstandsfest. An den umliegenden Häuserwänden waren mehrere Transparente angebracht. 2 von ihnen zeigten die im Februar bei Protesten Getöteten. Ein 16jähriger wurde in Cizre von einem Panzer überrollt, ein 58jähriger wurde in Van von Sicherheitskräften zu Tode geprügelt. Auf weiteren Spruchbändern stand zum Beispiel „Gegen Rassismus, Militarismus und Sexismus – Schluss mit den Morden an Frauen.“ Während des Fests spielten mehrere Musikgruppen kurdische Widerstandsmusik. In Redebeiträgen wurde die Assimilationspolitik gegen die kurdische Bevölkerung kritisiert und der Wunsch nach einem Leben in Frieden, Freiheit und körperliche Unversehrtheit zum Ausdruck gebracht. Immer wieder wurden die Grund und Menschenrechte und die Forderungen nach einem Dialog für eine demokratische Perspektive in der Türkei zum Ausdruck gebracht.

Die Menschen ließen sich trotz eines Verbots nicht davon abhalten traditionelle Kleidung und kurdische Sprache zu benutzen. Die Bevölkerung wurde an, mit z.B. NVA BTR-60 Panzern, Wasserwerfern, gepanzerten Fahrzeugen mit Maschinengewehr abgesicherten Kontrollen schikaniert. An diesen Kontrollen zeigte sich die perverse Logik der Sicherheitskräfte: Da bekannt war, dass in den Kabinen an den Kontrollen, in denen alle Teilnehmerinnen vor betreten des Festes kontrolliert wurden massive sexuelle Übergriffe zu erwarten seien, setzte die DTP (Demokratische Gesellschaftspartei) von Sirnak durch, dass die Kabinen offen bleiben müssen, damit beobachtet werden kann was passiert. Die Sicherheitskräfte setzten diese Anforderung um, erniedrigten aber Frauen vor den Augen vieler Anwesender Männer indem sie sie bis auf den BH entblößten und/oder ihnen an die Brüste griffen. Legitimiert wurde das Verhalten der Sicherheitskräfte mit dem angeblichen Einschmuggeln von Plakaten mit positivem Bezug auf die kurdische Bewegung. Dies sind sexuelle Übergriffe, die der öffentlichen Erniedrigung der Frauen dienen sollen und gegen die EU-Menschenrechtkonvention verstoßen.

Es gab vier Festnahmen. Zwei wegen Plakaten mit der Aufschrift „Biji Serok Apo“, zwei weitere Menschen wurden von Spezialeinheiten festgenommen und es ist weder bekannt was ihnen vorgeworfen wird, noch wo sie sitzen. In der Nacht nach dem Newrozfest wurden 5 weitere Personen unter ihnen der Moderator der Feier und am darauffolgenden Tag weitere 35 Personen festgenommen.

Militärs provozierten die Kundegebung, in dem Kampfhubschrauber mehrfach über die feiernde Menge flogen. Insgesamt ließen sich die Menschen jedoch von all dem nicht verunsichern und feierten offensiv und kraftvoll auch gegen den Willen des türkischen Staates und der Oligarchie.

In Wan und Yüksekova wurde jeweils ein Mensch von Polizisten getötet. Die Newrozfeiern waren hier verboten worden, woraufhin die Bevölkerung spontan feierte. In Van kam es zu heftigen Angriffen der Polizei auch auf das Büro der DTP, der parlamentarischen Vertretung der KurdInnen. Auch eine Menschenrechtsdelegation aus Italien wurde von der Polizei angegriffen. Bei den Polizeiübergriffen wurde ein Mensch getötet und viele auf brutalste Weise verletzt. Dabei wurden auf dem Boden sitzende alte Frauen von Polizisten mit Schlagstöcken und Fußtritten misshandelt. In Hakkari wurden scharfe Waffen gegen feiernde eingesetzt. Am 24. wurde die Stadt von Kampfhubschraubern angegriffen, wobei vıele Menschen verletzt und nach bisherigen Informationen auch 2 Menschen gestorben sind. Es ist noch nicht bekannt wie viele Festnahmen und Verletzte es insgesamt gab. Sicher ist jedoch, dass auch in der syrischen Stadt Quamislo, nahe dem Ort Silopi in der kurdischen Region der Türkei, drei Menschen durch die Waffen von Sicherheitskräften starben. Die Angriffe auf die Newrozfeiern werden von fortschrittlichen Kraeften in der Türkei und der DTP aufs schaerfste verurteilt.

Millionen Menschen feierten in den verschiedenen kurdischen Städten und setzten so ein deutliches Zeichen für Kulturelle und Grundrechte, Frieden und Demokratie und aber auch dafür dass sie sich völkerrechtswidrige Kriegseinsätze sowie Repressalien des türkischen Staates nicht gefallen lassen. Hierbei kam ein sehr politisches Bewusstsein zum Ausdruck. Auch die Rolle Deutschlands/Europas und der USA im Konflikt wird vollkommen klar gesehen. Die KurdInnen lassen sich von keiner Macht ausspielen, sondern treten für eine freie, demokratische und egalitäre Gesellschaft ein.