AGA
AuslandsGeschäftsAbsicherung der Bundesrepublik Deutschland

Exportkreditgarantien der Bundesrepublik Deutschland
Projekt Ilisu: Presseinformationen
Stellungnahme der Bundesregierung zu den Expertenberichten

05. März 2008

1. Einleitung

Nach Abschluss ihrer ersten gemeinsamen Reise in das Gebiet des geplanten Wasserkraftwerks Ilisu in der Türkei hat ein Komitee unabhängiger internationaler und nationaler Experten drei Berichte vorgelegt. Die Bundesregierung hatte für den deutschen Lieferanteil dieses Projekts eine Exportkreditgarantie übernommen. Die Übernahme dieser Absicherung war an die Zusicherung der Türkei geknüpft, hohe internationale Standards zum Schutz der Umwelt, Kulturgüter und der Menschen (Weltbankstandards) einzuhalten. Hierfür wurde eine Reihe von Maßnahmen, die zum Teil vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten erfolgen müssen, mit der Türkei vereinbart.

Schwerpunkt der rund zehntägigen Expertenreise Anfang Dezember 2007 war die Überprüfung des Fortschritts bei den vereinbarten Maßnahmen. In die Berichte flossen Gespräche sowohl mit der Bevölkerung, insbesondere im Baugebiet der späteren Staumauer, als auch mit den ausführenden Behörden ein. Erste dringliche Handlungsempfehlungen der Experten für eine vereinbarungsgemäße Umsetzung des Projekts wurden bereits am Ende der Reise mündlich präsentiert. Sie waren Gegenstand von Gesprächen der beteiligten Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz und auf türkischer Seite auf Ministerebene. Die türkische Regierung bekräftigte dabei nochmals die Bedeutung des Projekts für die Türkei sowie ihre Entschlossenheit, die getroffenen Vereinbarungen zu erfüllen.

In jedem der drei untersuchten Bereiche - Kulturgüter, Umsiedlung und Umwelt - haben die Experten deutliche Mängel bei der bisherigen Umsetzung der Maßnahmen festgestellt und Wege aufgezeigt, wie diese ausgeräumt werden können.

Alle drei Berichte kommen zu dem Ergebnis, dass dringend eine Institution eingerichtet werden muss, die die Umsetzung der Maßnahmen betreut und der hochqualifiziertes, nur für das Projekt tätige Personal angehört. Im Januar 2008 richtete die türkische Regierung eine solche Institution - Project Implementation Unit / PIU - gemäß der Empfehlungen der Experten ein.

2. Inhalt der Berichte im Einzelnen

Kulturgüter

Die Reise der Kulturgüterexperten sollte vor allem dazu dienen, Informationen zu der genauen Ausdehnung des Reservoirs, zu aktuellen Kulturgüter-Studien sowie zum Stand der archäologischen Untersuchungen in der historischen Stadt Hasankeyf zu gewinnen. Außerdem sollte damit begonnen werden, eine erste eigene Bewertung des Erhaltungszustandes der Monumente durchzuführen. Die Experten stellen in ihrem Bericht vor allem Informationslücken der für die Durchführung der vereinbarten Maßnahmen zuständigen Stellen fest. Die Experten geben u.a. folgende Empfehlungen:

* Um ein vollständiges Bild über das kulturelle Erbe der Region zu erhalten, sind alle vorhandenen Informationen und Berichte zu den abgeschlossenen und noch laufenden Ausgrabungen dem Expertenkomittee zur Verfügung zu stellen.
* Mit der weiteren archäologischen und historischen Untersuchung des Dammbau-Gebietes sowie einer ethnographischen Studie über die heutige Lebensweise der Bewohnerinnen und Bewohner sollte umgehend begonnen werden.
* Ein Projektplan zu den Ausgrabungs- und Erhaltungsmaßnahmen sollte die Prioritäten festlegen und zügig erstellt werden.

Die Kulturgüterexperten haben die vereinbarten Maßnahmen detailliert kommentiert und weiter spezifiziert bzw. in Einzelmaßnahmen untergliedert. Zudem bieten sie ihre weitere Unterstützung an. Damit liegen der PIU konkrete Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der Maßnahmen vor.

Umsiedlungen

Der Vor-Ort-Besuch der Umsiedlungsexperten sollte vor allem eine Bestandsaufnahme zur Erfüllung der mit der türkischen Seite vereinbarten Terms of Reference (ToRs) liefern. Ein weiteres zentrales Ziel der Experten war es, solche Enteignungen mit den vereinbarten Weltbankstandards abzugleichen, die von türkischer Seite bereits in 2007 in sechs Dörfern in unmittelbarer Nähe zur künftigen Baustelle durchgeführt worden waren. Zudem sollten Interviews mit den in der ersten Phase des Projektes umzusiedelnden Dorfgemeinschaften durchgeführt werden. Der Umsiedlungsbericht enthält eine umfassende Bestandsaufnahme der Situation vor Ort. Er zeigt auf, dass nur wenige der vereinbarten und z. T. dringend durchzuführenden Maßnahmen erfüllt bzw. dass die mit den Maßnahmen angestrebten Ziele bisher noch nicht erreicht wurden. Von den Umsiedlungsexperten werden deshalb eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen ausgesprochen, so z.B.:

* Die komplexe Aufgabe der Umsiedlung, die in der Türkei erstmalig nach Weltbankstandards erfolgen soll, setzt einen von den internationalen Experten unterstützten raschen Aufbau von institutionellen Kapazitäten und profundes Wissen um die Projektgrundlagen voraus.
* Die bereits erfolgten Entschädigungsmaßnahmen müssen auf das in den Weltbankstandards festgelegte Niveau angehoben werden. Noch wichtiger ist es jedoch, zukünftig den Fokus nicht nur auf die Höhe der Entschädigung, sondern auf gemeinsam mit den Menschen im Baugebiet entwickelte Maßnahmen zur vollständigen Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlage, bzw. deren Verbesserung, zu legen.
* Es wurde in der Nähe des "Ilisu Village" ein alternatives Siedlungsgebiet identifiziert, das von den umzusiedelnden Einwohnern ohne Einschränkungen akzeptiert werden kann. Eine Aufnahme in den Umsiedlungsplan durch die staatlichen Stellen wurde erbeten.

Umwelt

Der Bericht der Umweltexperten gliedert sich in die beiden Bereiche Wasserqualität/Abwasserbehandlungsanlagen und Biodiversität/Umweltmanagement.

Ziel der Vor-Ort-Begehung für den Bereich Wasserqualität war es u.a., die vorhandenen Abwasserbehandlungsanlagen in der Region zu bewerten und Informationen über die geplanten Anlagen sowie über potenzielle Verschmutzungsquellen zu erhalten. Zum Thema Biodiversität wollten die Experten einen ersten Eindruck von der Region und seiner Artenvielfalt bzw. den Auswirkungen des Dammbaus auf diese gewinnen und hierauf basierend Gespräche mit der PIU über die dringlichsten Maßnahmen führen. Die Umweltexperten stellen u.a. Folgendes fest:

* Die Fortschritte bei Planung und Bau der drei Abwasserbehandlungsanlagen im Projektgebiet liegen hinter dem ursprünglich vereinbarten Zeitplan zurück.
* Die Studien zu Biodiversität, Flora und Fauna sowie zu den Fischbeständen werden von der PIU extern vergeben. Die Ausschreibung und Vergabe des Auftrages muss umgehend erfolgen. Wesentlich ist, dass die Studien schnell beginnen, damit eine Bestandsaufnahme vor Baubeginn erfolgt.
* Die Umweltmanagementpläne für einzelne Bauphasen und -aktivitäten müssen zügig erstellt und den Experten vorgelegt werden.

Die Umweltexperten bieten ihre Unterstützung für die Implementierung der Maßnahmen an. Hinsichtlich der Biodiversitäts- und Fischstudie sowie der Maßnahmen für die Gesundheitsvorsorge ist dringend Eile und sofortige Umsetzung der Maßnahmen geboten.

3. Resümee

Die detaillierten Berichte Kulturgüter, Umsiedlungen und Umwelt zeigen Defizite bei der Umsetzung der Maßnahmen auf, liefern jedoch gute Ansätze für die PIU, wie die festgestellten Mängel mit Unterstützung der Experten behoben werden können. Für die Bereiche Kulturgüter und Umwelt wird deutlich, dass alle Untersuchungen und Studien schnellstmöglich begonnen werden und bereits erstellte Dokumente erheblich ergänzt werden müssen. Bei der Umsiedlung muss die Abkehr vom bisherigen Entschädigungsprinzip hin zum Leitgedanken der Wiederherstellung der Lebensbedingungen nach Weltbankstandards noch vollzogen werden. Ein zentraler Aspekt ist hierbei die intensive Einbeziehung der Bevölkerung im Baugebiet, da nur hierdurch die notwendigen Erkenntnisse für den Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensbedingungen dieser Menschen gewonnen werden können.

Die PIU ist nun aufgefordert, die Empfehlungen der Experten sowie die vereinbarten Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. Dafür erscheint eine weitere Beteiligung der Experten im Sinne einer intensiven Beratung der türkischen Seite unerlässlich.

Ein erster Erfolg der Beratung durch die Experten ist die Benennung der ausführenden Einheit (PIU) durch die türkische Regierung. In dieser Einheit sind nunmehr Mitglieder aller beteiligten Ministerien und Behörden sowie der Bevölkerung im Baugebiet vertreten.

Mit weiteren Maßnahmen wie z.B. einer Feldstudie der Universität Kocaeli zu den Kulturgütern oder einer weiteren Aufstockung der lokal stationierten PIU-Kapazitäten für die Umsiedlungsmaßnahmen wurde ebenfalls begonnen.

Die nächste Überprüfung der Projektdurchführung sowie der Umsetzung der Empfehlungen durch die Experten ist noch im März/April 2008 vorgesehen. Hierbei wird es neben Gesprächen mit den neu benannten Mitgliedern der PIU vor allem darum gehen, einen neuen Zeitplan für das Projekt festzulegen, damit die von türkischer Seite eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen noch erfüllt werden können. Der Plan soll festlegen, in welchem Zeitrahmen die von den Experten empfohlenen Maßnahmen durchzuführen sind, bevor mit dem Bau begonnen werden kann.

http://www.agaportal.de/pages/aga/ilisu/presseinfo/2008-03-05_ilisu.html