Presseerklärung der Libertad! - Kampagne für die Freiheit der politischen Gefangenen:

Die Überlebenden des Massakers in den türkischen Gefängnissen brauchen Solidarität.

Jetzt!

Das Blutbad, daß das türkische Militär am Dienstag morgen in den Gefängnissen begonnen hat, dauerte bis zum 22. Dezember an. In Ümraniye (Istanbul) verteidigten sich die Gefangenen bis zum Nachmittag gegen die Erstürmung der Zellen. Wie viele Tote die Militäroperation gekostet hat, kann niemand sagen. Menschenrechtsvereine schätzen die Zahl der massakrierten Gefangenen auf mindestens 30. Allein im Gefängnis von Bayrampasa soll die Zahl der Getöteten mindestens 20 betragen. Gefangene des Frauentraktes berichten, dass Soldaten einzelnen Frauen die Kleider vom Leib rissen, sie mit einer Flüssigkeit überschütteten und in Brand steckten. Die Verletzten sind bisher ungezählt. Von schweren Schussverletzungen wird aus dem Gefängnis in Gebze berichtet. Zahlreiche Gefangene werden unterdessen in Militärkrankenhäusern auf Pritschen geschnallt und gegen ihren Willen zwangsernährt. In den letzten 48 Stunden wurden sämtliche F-Typ-Gefängnisse belegt. Zum Teil sind die Zellen im Rohbau, zum Teil sind ganze Gebäudeteile noch nicht fertiggestellt. Die türkische Ärztekammer hat keinen Zugang zu den Gefangenen. Der Verbleib und der gesundheitliche Zustand der Gefangenen ist unklar. Haluk Tokucoglu, Staatssekretär im Gesundheitsministerium droht allen Ärzten Lizenzentzug und Strafverfahren wegen Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung« an , wenn sie sich weigern Zwangsernährung zu praktizieren.

Die Militäroperation, die zynischerweise den Namen »Zurück zum Leben« trägt, sollte den Widerstand der Gefangenen brechen und ihren seit 63 Tagen andauernden Hungerstreik beenden. Das Ziel der Hungerstreikenden ist unter anderem die Schließung der F-Typ Gefängnisse. Die Gefangenen in der Türkei kämpfen seit Jahren gegen Ihre Verlegung in diese Isolationstrakte. Schon 1996 starben in einem Hungerstreik gegen die Verlegung 12 Menschen. Die Gefangenen in der Türkei wollen nicht, wie die türkischen Medien und Politiker nicht müde werden zu propagieren, in völlig überbelegten Zellen unter katastrophalen hygienischen Bedingungen vor sich hinvegetieren. Ihre Forderungen sind Zellen mit Gruppen von zehn Personen und die Möglichkeit der Interaktion untereinander. Die Gemeinschaft gibt ihnen Schutz vor den Übergriffen ihrer Folterer und die Möglichkeit ihre politische Identität aufrecht zu erhalten. Im Laufe des letzten Jahres war die Einführung der F-Typ-Gefängnisse ein Thema, das in der Türkei Staat und Gesellschaft beschäftigte. Die Technologie und die Erfahrung der Disziplinierung von Gefangenen durch Isolation wurde von Deutschland an den Bosporus exportiert. Türkische Beamten besuchten die JVA Stammheim und zeigten sich von der Effizienz »weißer Folter« beeindruckt. In der Türkei werden die Isolationszellen als »Luxuszellen nach europäischem Muster gepriesen. Vielleicht schwiegen deshalb 61 Tage lang die Medien, vielleicht ließ sich deshalb 61 Tage lang kaum etwas aus Regierungskreisen zu diesem Hungerstreik vernehmen. Mindestens zwei Delegationen mit Bundestagsabgeordneten befanden sich währen des Hungerstreiks in der Türkei. Sowohl Cem Özdemir, als auch Claudia Roth haben dort Gespräche über die Situation in den türkischen Gefängnissen geführt. In der deutschen Öffentlichkeit wurde all dies totgeschwiegen, bis zu viele Tote dem Schweigen ein Ende machten.

Und jetzt? Der Kampf der Gefangenen in der Türkei geht weiter, die Überlebenden erklärten ihr Todesfasten weiterzuführen. Nahezu alle linken und demokratischen Organisationen und Vereine in der Türkei verurteilen die Massaker und rufen zum Protest auf. In den letzten 48 Stunden wurden mehrere tausend Menschen bei dem Versuch, ihre Empörung über dieses neue Massaker auszudrücken verhaftet. Die Türkei ist Beitrittskandidat der EU, permanent werden ihr Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, ernsthafte Konsequenzen hat sie jedoch nicht zu fürchten. Als hofierter NATO-Partner braucht sie sich keine Gedanken zur Ächtung in der westlichen Welt zu machen.

Wir fordern die deutsche Regierung auf alles in ihrer Macht stehende zu tun, das Massaker zu beenden und die überlebenden Gefangenen zu schützen. Wir fordern eine internationale Kommission zur Aufklärung des Massakers. Wir fordern die sofortige medizinische Untersuchung der überlebenden Gefangenen durch internationale Ärzteteams.

Frankfurt, den 22.12.2000, H.P. Kartenberg

Libertad! - Kampagne für die Freiheit der politischen Gefangenen Falkstr.74, D-60487 Frankfurt Tel.: 069-79201774, Fax.: 069-79202750 Internet: www.libertad.de eMail: kampagne@libertad.de