junge Welt, 21.12.1999

Haft in Türkei, Prozesse in Deutschland

Proteste für kurdische Gefangene. Hamburgerin Eva Juhnke setzt Hungerstreik in Türkei fort

Für den Hungerstreik der Hamburgerin Eva Juhnke im Gefängnis von Sivas in der Türkei sowie für Ilhan Yelkovans in der Hamburger Haftanstalt Holstenglacis werden die Solidaritätsaktionen ausgeweitet. Eva Juhnke ist in der Türkei als PKK-Mitglied in Haft.

Erst am Montag wurde zu einer Protestkundgebung vor dem türkischen Konsulat aufgerufen. Dort übergaben die Demonstranten ein Protestschreiben an das Justizministerium in Ankara, in dem die Verlegung der inhaftierten Hamburgerin gefordert wurde. Den Anfang bildete ein Hungerstreik der Gefangenen der Haftanstalt Sivas am 28. November dieses Jahres, die gegen die schlechten Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen protestierten. Eva Juhnke forderte darüber hinaus ihre Rückverlegung nach Batman. Die Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen sind mehr als kritisch. Erst im September dieses Jahres wurden im Gefängnis in Ankara elf Gefangene bei einem Überfall durch die Sicherheitsbeamten getötet. Medico International appellierte aufgrund dieses Vorfalls an den Europarat, eine Kommission zu gründen, die sich mit den menschenunwürdigen Haftbedingungen in der Türkei auseinandersetzt. Obwohl die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU an die Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt sein sollten, kam es nicht zur Gründung eines solchen Gremiums.

In Sivas müssen die Gefangenen jeden Tag zum Zählappell antreten. Dabei werden sie mit faschistischen Sprüchen beschimpft. Nächtliche Zellenrazzien gehören zum Alltag. Dagegen wollten die Gefangenen sich mit ihrer Nahrungsverweigerung zur Wehr setzen. Nach drei Tagen brachen sie den Hungerstreik ab, Eva Juhnke führte ihn jedoch weiter. Mehrmals wurde versucht, sie zwangsweise zu ernähren. Die Hamburgerin ist jedoch fest entschlossen, ihren Hungerstreik fortzusetzen, bis das Justizministerium in Ankara ihrer Verlegung zustimmt. Dort stieß ihr Anliegen bis jetzt auf Ablehnung. Für Montag nachmittag war ein Gesprächstermin mit diplomatischen Vertretern Deutschlands in Ankara festgesetzt. Über die Ergebnisse des deutsch-türkischen Gespräches wurde bis Redaktionsschluß nichts bekannt.

Die 120 weiblichen Gefangenen in Sivas sind am 16. Dezember erneut in den Hungersteik getreten, um der Forderung Eva Juhnkes Nachdruck zu verleihen. Parallel zu den Aktionen in der Türkei rief am Samstag das Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen zu einer Kundgebung vor dem Untersuchungsgefängnis (UG) Holstenglacis auf. Eine Sprecherin der Kurdistan-Solidarität Hamburg erinnerte in ihrer Rede an eine Gruppe kurdischer Gefangener, die wegen Spendengelderpressung angeklagt sind. Zwei von ihnen waren ebenfalls in Holstenglacis inhaftiert. Gegen die beiden Männer wurde bereits im vergangenen Jahr ein Prozeß wegen angeblicher Spendengelderpressung geführt. Sie befanden sich knapp sechs Monate in U-Haft, bis am fünften Verhandlungstag der Hauptbelastungszeuge vernommen wurde. Der Mann benannte mehr als 20 Zeugen, von denen niemand seine Angaben bestätigen konnte. Die beiden Angeklagten wurden am selben Tag aus der U-Haft entlassen und am folgenden Prozeßtag von dem Vorwurf der Spendengelderpressung freigesprochen. Das Schicksal der beiden Kurden ist steht stellvertretend für die Willkür der deutschen Justiz.

Derzeit werden Tausende Verfahren gegen Kurdinnen und Kurden im Zusammenhang mit den Protesten nach der Verschleppung Abdullah Öcalans im Februar geführt. Allein in Hamburg sei ab Februar mit etwa einhundert Prozessen zu rechnen, erklärte die Rednerin am Samstag.

Birgit Gärtner