Rote Hilfe Zeitung 2/98
 
Kriminalisierung mit der PKK kämpfender deutscher InternationalistInnen durch den deutschen und den türkischen Staat
 
 

Seit 1992 sind ein paar Leute aus linken, antiimperialistischen, antifaschistischen Zusammenhängen aus der BRD als InternationalistInnen zur PKK nach Kurdistan gegangen. Manche sind wahrscheinlich heute noch dort, einige sind inzwischen zurückgekommen, zwei befinden sich seit Herbst letzten Jahres in den Händen des türkischen Staates bzw. der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), die gemeinsam mit dem türkischen Militär im Nordirak/Südkurdistan kämpft. Und hier in der BRD laufen derzeit massive Versuche der Bundesanwaltschaft, die InternationalistInnen bei der PKK zu kriminalisieren. 

Der Staat sucht neue Feindbilder 
Bereits im Verfassungsschutzbericht von Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1996 wurden diese InternationalistInnen besonders hervorgehoben, es wurde aus Briefen des deutschen ARGK-Kämpfers "Ciya" zitiert, die bei einer Durchsuchung der Infostelle Kurdistan (ISKU) 1995 gefunden wurden. 

Der Verfassungsschutzbericht und verschiedene Artikel im "Focus" ließen bereits erkennen, daß diese Form der Kurdistan-Solidarität kriminalisiert werden soll. Am 5. Februar 98 wurden auf Anweisung der Bundesanwaltschaft Karlsruhe Räume in Köln und in Hamburg durchsucht und zwei Leute in Hamburg vorübergehend festgenommen. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren nach §129a wegen einer noch namenlosen "terroristischen Vereinigung", bei dem es offensichtlich um die deutschen InternationalistInnen bei der PKK geht. Begleitend zu den Durchsuchungen erschienen wiederum hetzerische Presseberichte. 

Durchsucht wurde die Bürogemeinschaft in der Koelhoffstraße in Köln, in der sowohl der von der Roten Hilfe mitgetragene Rechtshilfefond "Azadi" als auch die ISKU arbeiten und die Brigittenstraße 5 in Hamburg, dem Treffpunkt u.a. der Kurdistan Solidarität Hamburg und dem Sitz des Computerinfosystems "Nadir", die beide vorher in Verfassungsschutz- und reaktionären Zeitungsberichten als "terroristisch" und "gefährlich", "RAF-bzw. PKK-Umfeld" etc. denunziert wurden. 

Jörg Ulrich 
Seit Ende Dezember 97 ist der Braunschweiger Antifaschist Jörg Ulrich in Südkurdistan (Nordirak) schwerverletzt in den Händen der KDP (Demokratische Partei Kurdistans von Barzani), die mit dem türkischen Staat gegen die PKK zusammenarbeitet. Er wurde nach einem Gefecht zwischen der KDP und der ARGK mit anderen ARGK-Kämpfern zusammen verschleppt. Eine Auslieferung an deutsche Vertretungen im Nahen Osten lehnt Jörg Ulrich (laut Auskunft der KDP) ab, er will entweder zur PKK zurück oder an das Internationale Rote Kreuz übergeben werden. Bisher wurden alle Kontaktversuche, sowohl Jörgs Rechtsanwältin als auch von prison watch international (pwi), von der KDP abgelehnt. 

Es gab verschiedene Solidaritätsaktionen für Jörg Ulrich. Die Rote Hilfe hat im Zusammenhang mit dem 18. März u.a. eine Postkartenaktion an die KDP-Vertretung in der BRD gestartet, mit der seine Freiheit (und die seiner kurdischen Genossen) gefordert wird. (Postkarten sind über den Rote Hilfe Literaturvertrieb zu bestellen.) Weitere/aktuelle Informationen zu Jörg sind zu erhalten über: 

Antifaschistisches Plenum und 
Jugend Antifa Aktion 
Cyriaksring 55, 38118 Braunschweig 
Fax: 05 31-280 99 20

Eva Juhnke 
Eva Juhnke aus Hamburg, die seit 1993 bei der ARGK war, wurde im Oktober 1997 im irakisch-türkischen Grenzgebiet unbewaffnet und in schlechter gesundheitlicher Verfassung von türkischen Spezialeinheiten festgenommen. Sie wurde vom Geheimdienst in Diyarbakir verhört und massiv unter Druck gesetzt. Ihr wurde gedroht, sie aus dem Hubschrauber zu werfen. 

Das Staatssicherheitsgericht (DGM) in Van klagt Eva wegen PKK-Mitgliedschaft an, ihr drohen 24 Jahre Gefängnis. Der Verhandlungstag am 19. März wurde von einer elf-köpfige Delegation aus der BRD, bestehend aus FreundInnen und VertreterInnen von pwi, sowie JournalistInnen und ihrer Mutter beobachtet. 

Eva Juhnke hat ihren ursprünglich auf 15 Tage befristeten Hungerstreik in Solidarität mit den anderen politischen Gefangenen in Mus und anderen türkischen Gefängnissen, die für eine menschenwürdige Behandlung kämpfen, für ein Ende der Folter und des Polizeiterrors, in einen unbefristeten Hungerstreik umgewandelt. Evas gesundheitlicher Zustand ist sehr kritisch, beim Prozeß konnte sie kaum reden. Sie war seit zwei Wochen in Mus in Polizeihaft in Totalisolation, alleine in einem toten Trakt. Inzwischen wurde sie nach Van verlegt; sie ist nach wie vor isoliert von anderen weiblichen Gefangenen, aber unter 24-Stunden-Bewachung durch eine Polizistin. 
Die Delegation berichtete, daß sie ebenso wie JournalistInnen massiv daran gehindert werden sollte, in den Gerichtssaal zu gelangen. Erst nach einstündiger Verhandlung des Gerichtes mit ProzeßbeobachterInnen und Vertetern der deutschen Botschaft konnte eine Teilnahme durchgesetzt werden. An diesem Tag waren mindestens 18 verschiedene Verhandlungen angesetzt, d.h. man kann von Schnellgerichtsverfahren sprechen. 

Im Gerichtssaal war ein großes Aufgebot schwerbewaffneter Militärs, was zum Ausdruck bringt, daß noch nicht einmal der Anschein eines demokratischen Prozesses gewahrt werden soll. Der Prozeß begann mit der Verlesung der Anklageschrift, wozu sich Eva mit einer politischen Verteidigungsrede äußern wollte, was vom Gericht nicht zugelassen wurde. Der Dolmetscher übersetzte darüber hinaus falsch. Evas Aussage, sie sei in Südkurdistan, (also auf irakischem Staatsgebiet) festgenommen worden, wurde mit "in den Grenzen Kurdistans" übersetzt, der Richter wies zudem eine Existenz Kurdistans zurück. 

Die Verteidigung stellte die Zuständigkeit des Gerichtes in Frage, da Eva als Deutsche auf irakischem Gebiet festgenommen wurde. Dieser Antrag, vielleicht die letzte Möglichkeit, eine Verurteilung zu verhindern, wurde abgelehnt, ebenso wie der Antrag auf einen anderen Dolmetscher. 

Das Gericht bestimmte einen neuen Termin für den 30. April. Evas Aussage soll bis dahin in Ankara übersetzt werden. Eva und ihre Anwälte fordern eine Verlegung in ein Gefängnis, wo Eva gemeinsam mit anderen Gefangenen aus der PKK untergebracht werden kann, um ihre Totalisolation aufzuheben. 

Evas Mutter, der Hamburger Pastor Christian Arndt und die Vorsitzende von pwi, Heidi Lippman-Kasten, konnten Eva im Gefängnis besuchen. Sie berichteten, daß Evas gesundheitlicher Zustand sehr kritisch ist, da sie schon vor dem Hungerstreik stark abgemagert und entkräftet war. (Weitere Informationen zu Eva über: prison watch international, Haus der Kulturen, Hagenweg 2, 37081 Göttingen, Fax: 0551-63759) 

Es zeichnet sich eine Kriminalisierungswelle gegen die InternationalistInnen als eine Form der Kurdistan-Solidarität ab. Da ist die Solidarität und Unterstützung der betroffenen Leute durch die Rote Hilfe gefordert. Frühzeitige umfassende Informationen durch die betroffenen Zusammenhänge selbst an die Rote Hilfe und andere ist notwendig und sehr hilfreich, um wirksam und schnell Unterstützung leisten und Solidaritätsaktionen organisieren zu können. 

Schluß mit der Kriminalisierung der InternationalistInnen bei der PKK! 
Schluß mit den 129 a-Ermittlungen! 
Aufhebung des PKK-Verbots und der Verfolgung kurdischer Organisationen in der BRD! 
Freilassung oder Übergabe von Jörg Ulrich an das Internationale Rote Kreuz. 
Freiheit für Eva Juhnke und alle politischen Gefangenen in der Türkei! 

RG Nürnberg-Fürth-Erlangen 
(Aktualisierungen von der Red.)