23. September 1998 Jungle World
 

Ausland Nachrichten

15 Jahre Haft für Eva Juhnke  

Nach elfmonatiger Untersuchungshaft ist die Hamburgerin Eva Juhnke vergangene Woche vom türkischen Staatsicherheitsgericht (DGM) in Van wegen Mitgliedschaft in der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Im Oktober 1997 war Eva Juhnke nach eigenen Angaben völkerrechtswidrig in Nordirak festgenommen worden; das türkische Militär sagt, das sei auf türkischem Staatsgebiet geschehen.  

Das Urteil erfolgte in Abwesenheit von Eva Juhnke; sie hat sich einem seit dem 5. September laufenden Boykott der DGM durch politische Gefangene in der Türkei angeschlossen. In einer gemeinsamen Erklärung wird die Schließung der Sondergerichte und die Aufhebung von deren Urteilen gefordert.  

Eva Juhnkes Anwalt hat Beschwerde bei der EU-Menschenrechtskommission eingelegt, weil seine Mandantin von den türkischen Behörden zwangsweise einer "Jungfräulichkeitsuntersuchung" unterzogen wurde.  

Wegen eines Kommentars zu Eva Juhnke in der Zeitung Ülkede Gündem im April wurde der inhaftierte Abgeordnete der pro-kurdischen Partei DEP, Hatip Dicle, nach einem Bericht der Informationsstelle Kurdistan aus Köln zu zwei Jahren Haft verurteilt.  

Wahlverdruß in Bosnien  

Optimist ist, wer nach dem Wahlgang trotzdem lacht: Hanns Schumacher, stellvertretender Bosnienbeauftragter, hat die zweiten Wahlen nach Ende des Krieges in dem Balkanstaat als "insgesamt positiv" bewertet. Wegen der hohen Wahlbeteiligung, die nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) achtzig Prozent betrug, und des friedlichen Ablaufs des Urnengangs sehe er die Integration der drei Bevölkerungsgruppen auf gutem Weg, sagte Schumacher nach Schließung der Wahllokale am vorletzten Wochenende.  

Mit seiner Auffassung steht der deutsche Diplomat jedoch ziemlich alleine da. Scharfe Kritik an der Organisation der Abstimmung durch die OSZE äußerte eine Delegation des Europarats: Eine beträchtliche Anzahl Stimmberechtigter sei nicht registriert wurden bzw. ihre Daten seien unvollständig gewesen. Nachdem vergangene Woche durchgesickert war, daß die Serbische Radikale Partei, die dem Rechtsextremisten Vojislav Seselj in Serbien nahesteht, zur stärksten Kraft in der bosnischen Teilrepublik Srpska avancieren könnte, hatte die OSZE die Veröffentlichung von Teilergebnissen um eine Woche verschoben. Auch Momcilo Krajisnik, Mitglied der Partei des wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagten Radovan Karadzic, hat gute Aussichten, den serbischen Sitz im Staatspräsidium zu verteidigen. Auf den Vorwurf, die Verzögerung der Auszählung sei ein Versuch, das Wahlergebnis "in politisch genehme Bahnen" zu lenken, erklärte Robert Barry, Leiter der Bosnien-Vertretung der OSZE: "Wahlfälschungen sind unmöglich. Der Prozeß der Auszählung ist transparent und kontrollierbar."  

Aung San Suu Kyi provoziert die Militärjunta  

Einen gewagten Schritt hat eine kleine Gruppe Oppositioneller in Myanmar (Birma) unternommen: Am Donnerstag erklärte sie alle Gesetze und Erlasse der Militärregierung für ungültig und sich selbst zum legitimen Parlament des Landes. In dieser Funktion will die Gruppe bis zur Einberufung eines formellen Parlaments handeln. Sie besteht aus zehn Politikern und wird angeführt von Aung San Suu Kyi, der Friedensnobelpreisträgerin von 1991. Alle zehn gehören der National League for Democracy an, der Siegerpartei der Wahlen von 1990. Die Militärs, die das Land seit 1962 regieren, verweigerten damals die Übergabe der Macht und inhaftierten Mitglieder der NLD, darunter auch Aung San Suu Kyi.  

Die gegenwärtige Situation wird von Beobachtern als die angespannteste seit zehn Jahren bezeichnet. Die Militärregierung hat noch nicht reagiert, es wird aber mit drastischen Maßnahmen wie Massenverhaftungen und einer endgültigen Zerschlagung der NDL gerechnet. Auch ein Szenario wie 1988, als die Militärs einen Aufstand blutig niederschlugen, wird nicht ausgeschlossen.  

Proteste in Indonesien  

Die wirtschaftliche Lage in Indonesien hat sich in den letzten Wochen weiter verschlechtert. Am Freitag stellte die Regierung die #Subventionen für Reis und andere grundlegende Nahrungsmittel ein, was zu erneuten Preissteigerungen führen wird. Die Streichung von Subventionen ist eine Hauptbedingung des Internationalen Währungsfonds für weitere Kredite.  

Fast täglich kommt es zu oft studentisch initiierten Protesten, die sich gegen die hohen Preise richten und mittlerweile auch den Rücktritt Präsident Habibies fordern. 500 Studenten protestierten am 14. September vor dem Parlament, 6 000 Arbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe demonstrierten am gleichen Tag vor dem Büro des Gouverneurs in Medan. Tags darauf plünderten mehrere Hundert Menschen auf Osttimor ein Lebensmittellager der Regierung.  

Am 16. September setzte eine aufgebrachte Menge 400 Häuser und zehn Geschäfte auf Sumatra in Brand, unter anderem Wohnhäuser der chinesischen Minderheit, dem traditionellen Sündenbock in Indonesien.  

Armeechef und Verteidigungsminister Wiranto kündigte an, daß nun auch Militär und Polizei gegen die Studenten eingesetzt würden. Moslemführer und Oppositionspolitiker Amien Rais hat unterdessen Angst vor Chaos und Anarchie und denkt gar nicht daran, die autoritäre Staatsführung und das Militär herauszufordern: Er forderte die Studenten auf, ihre Rufe nach Habibies Rücktritt als "zu politisch" zu unterlassen.  

Liberale Niederlande  

"Gewöhnung an Arbeit und Disziplin": Treffsicher benannte der christdemokratische ehemalige niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers die Vorteile von - wie er es nannte - "Arbeitslagern" für straffällige Jugendliche. Nicht nur in Deutschland ist der Unterschied zwischen Christ- und Sozialdemokraten marginal: Unter seinem Nachfolger Wim Kok (PvdA - sozialdemokratische Partei der Arbeit) wurden tatsächlich drei Jahre lang einige der auch als "Lubbers-Lager" bekannten Disziplinaranstalten betrieben. Nach Beendigung dieses Experiments durch die damalige linksliberale Justizministerin Sorgdrager erwägt Kok jetzt, die Idee wieder aufzugreifen.  

Das Klima wird rauher: Königin Beatrix verwies Mitte September in ihrer diesjährigen Thronrede, die ihr von der Regierung vorgegeben wird, auf die wachsende Jugendkriminalität. Als Reaktion werden die Mittel für Polizei und Justiz aufgestockt. Außerdem kündigte sie eine Änderung des Ausländerrechts an. Das Anerkennungsverfahren für Asylbewerber soll verkürzt und abgelehnte Personen sollen schneller abgeschoben werden.  

  •  Die Nachrichten wurden von Badelt, Beier und Bickel zusammengestellt