Der Besuch bei Eva Juhnke im E-Tip-Gefängnis von Mus
von Doris Juhnke

Mus, 9.Juni 1998
Weit vorn am Anfang des Weges zum Gefängnis ist die erste Polizeikontrolle und die Frage nach Ausweispapieren. Als wir die auf türkische verfasste Besuchserlaubnis vorzeigen, darf das Taxi mit uns weiterfahren. 
Das E-Tip-Gefägnis von Mus liegt außerhalb der Stadt am Rande der Berge und inmitten von Feldern. Vor uns liegen hinter hohem und doppelten Nato-Draht 6 langgestreckte Steinbaracken. Im Abstand von ca. 200 Metern sind die Gebäude von Wachtürmen umgeben (natürlich alles in Tarnfarben), mindestens zwei Soldaten mit Maschinengewehren bewaffnet stehen auf jedem Wachturm. 
Am ebenfalls gut bewachten Eingangstor stehen wir nun direkt den mit MG bewaffneten Soldaten gegenüber. Sie stehen hinter Wachständen und blicken stur über ihre aufgeschichteten Sandsäcke hinüber. Wir fragen uns, wozu die großen Messer vorne auf die Gewehre aufgesteckt sind, um die Angehörigen der Gefangenen besser „unter Kontrolle zu haben“?
Am Zaun werden nun die Ausweise und Pässe sowie die Besuchsgenehmigungen eingesammelt, im Eingangsbüro geprüft, eine Liste der BesucherInnen erstellt und die Namen in ein Besucherbuch eingetragen. Auf einem großen Schild können wir lesen, daß es nur am Dienstagvormittag- und nachmittag Besuchszeiten gibt. Eine Besuchsgenehmigung erhalten theoretisch die Verwandten und die Anwälte. Daß oft genug selbst den engsten Verwandten manchmal monatelang ohne jegliche Begründung verwehrt wird, ihre gefangenen Angehörigen zu besuchen, wissen wir von vielen Erzählungen. Auch heute hören wir, wie einige von den zahlreich erschienenen BesucherInnen nach Hause geschickt werden - ohne Begründung. 
Zum Einlaß werden die BesucherInnen einzeln aufgerufen, durch den Zaun gelassen, müssen im Besucherbuch unterschreiben, erhalten eine Karte sowie einen Gefängnisstempel in der Innenseite des linken Handgelenks. In diesem Wachhaus ließen die türkischen Beamten als Pausenzeichen das Lied „Stille Nach, heilige Nacht“ laufen! Dann werden wir durch eine Tür hinter eine Mauer geführt und verschwinden aus der Sicht des Eingangs. Nun folgt ein kleines Haus, in dem sowohl die BesucherInnen als auch ihre Geschenke kontrolliert werden. Die Taschen müssen dortgelassen werden (nur ich kann meine Tasche mitsamt dem sehr schlecht kontrollierten Inhalt behalten). Dafür werde ich selbst gut kontrolliert. Dann werden die Geschenke nach mir nicht ersichtlichen Gesichtspunkten gründlich untersucht (die Familien bringen hauptsächlich Lebensmittel, meist schon fertig Gekochtes mit). Der Ausgang ist in Richtung des Gebäudes, in dem sich die Besucherzellen befinden.Vor dem Gebäude mit den Zellentrakten sind Soldaten angetreten, die erst den Platz im Laufschritt verlassen, als die letzten BesucherInnen in das Gebäude gehen.
Vor dem „Besuchsgebäude“ steht ein weiterer Tisch mit Personal (erstmal noch eine große Anzahl Gefängnispersonal, aber es hatte den Anschein als seien sie lediglich neugierig auf die Mutter von Eva). Dort erhält man einen weiteren Stempel in die Innenseite des rechten Handgelenks und die Karte wird an einem Schalter gegen eine neue eingetauscht. Über eine Treppe und einen Durchgang geht man nun in das eigentliche Gebäude. Dort wird jede/r Besucher/in in eine Besuchszelle gebracht. Da ich einfach hinter dem Beamten hinterhergegangen war, stand ich ohne es zu wissen vor der Tür, durch die Eva hindurch in die Zelle gebracht hätte werden müssen. Als Eva kam, standen wir uns gegenüber und haben uns natürlich erstmal umarmt. Sie meinte, daß wir nicht wissen, wann wir dazu wieder einmal Gelegenheit haben würden. Von da an konnten sie ihr ja erklären, wie sie sich den weiteren Verlauf vorstellten. Wir wurden in einen Raum mit 2 Tischen sowie je einer Holzbank und 2 Stühlen gebracht. Wir ignorierten die Bank und setzten uns nebeneinander auf die Stühle. Dann wurde uns Tee gebracht und Zigaretten angeboten. Bei dem Gefängniswärtern herrschte eindeutig Verwirrung und Unsicherheit darüber, wie sie mit uns umgehen sollten. 
Nach ca. 10 Minuten waren sie dann auch der Meinung nun sei es genug, kamen und behaupteten, den Raum für was anderes zu benötigen und brachten uns in eine der Besuchszellen, d.h. jede von uns in eine Einzelne. Vorher aber konnte Eva mir Fotos aus dem Gefägnis geben und ich ihr ein Foto einer gefallenen Genossin. 
Die Besuchszellen waren durch ein Gitter voneinander getrennt, das von der Decke bis zur Kniehöhe reichte und über die ganze 2 Meter Breite der Zelle ging. 
Während des Besuches in den Zellen konnten wir keine offen ersichtliche Überwachung feststellen.
Beim Verlassen des Gebäudes mußten wir BesucherInnen dann die 2. Karte abgeben und erhielten dafür unsere Papiere zurück. Dann ging es wieder in das Durchsuch-ungsgebäude, wo erneut eine zumindest bei mir gründliche aber unsystematische Kontrolle der Taschen und von mir stattfand. Sie suchten hauptsächlich nach Schriftstücken, während sie die Fotos lediglich anschauten. Meine Brieftasche, die Flugtickets, Landkarte der Türkei (türkisches Reisebüro), eine Besuchserlaubnis für das Gefängnis in Schwalmstadt/BRD (das Geheimpapier in ihren Augen!) wurden 5-6 mal gewendet und begutachtet. Die kleine Kulturtasche sowie mein Portomonaie und der Fotoapparat wurden nicht angesehen. Ich denke, daß sie Stunden gebraucht hätten, wenn sie sich alles genaustens angesehen hätten.
Da ich jetzt mein Baklava (Süßigkeit, die ich Eva nicht mitbringen durfte) zurückerhielt, aßen wir Besuchs-Frauen und Kinder es gemeinsam auf. Alle wußten inzwischen, daß ich Evas Mutter bin und alle waren wir danach leicht klebrig.*