"Wer ist denn die Guerilla? Das sind doch unsere Kinder!"

Gespräche mit weiblichen Angehörigen von Gefangenen, Verschwundenen und Ermordeten 
am Freitag, den  05. Juni 1998 im HADEP-Büro in Diyarbakir 
von Annett Bender

Als wir ankamen warteten ca 20 Frauen auf uns, die über die Realität des Krieges, die Morde sogenannter unbekannter Täter, das Verschwindenlassen von Menschen und über die Situation in den Gefängnissen berichten wollten.

Als erstes berichtet uns Fatma, die Vorsitzende der HADEP Frauenkommission von ihrer Arbeit:
Einmal wöchentlich treffen sich die Frauen, um über Probleme zu diskutieren. Sie versuchen u.a., Bildungsarbeit für Frauen aufzubauen. Jedes Jahr organisieren sie einen Alphabetisierungskurs für Frauen. Ihr Ziel ist es, eine freie Frau zu entwickeln. Es ist ein Schwerpunkt ihrer Parteiarbeit. Jede Frau hat das Recht, sich zu allem zu äußern und überall zu sein. In diesem schmutzigen Krieg werden Frauen genauso gefoltert und festgenommen wie die Männer, dazu kommen die Vergewaltigungen - wie bei Remsiye Dinc und Sükran Aydin (hierbei handelt es sich nicht um die HADEP-Mitarbeiterin in Diyarbakir!). Viele Prozesse gegen die Vergewaltiger werden gar nicht erst eröffnet. Sie schließt ihren Bericht mit : "Wir sind als HADEP fest entschlossen, diesen Kampf bis zum Ende zu führen."

Bei den folgenden Berichten haben wir die Namen der Frauen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind, aus Sicherheitsgründen nicht aufgeführt. 

Gespräche mit Angehörigen von Ermordeten - 
Eine Frau erzählt:
Ihr Bruder, Vater von vier Kindern, hatte einen eigenen Friseurladen. Er ist vor 5½ Jahren in seinem Geschäft ermordet worden. Schon 1 Jahr zuvor ist er öfter von Polizisten bedroht worden. Zuletzt kamen Zivilpolizisten in das Geschäft und sagten ihm: "Du wirst sterben." Eine Woche später stürmten vier Polizisten das Geschäft und verletzten ihn durch Schüsse schwer. Er ist ins Krankenhaus gebracht worden, erhielt aber keine Behandlung, da die Ärzte massiv bedroht wurden. Als er starb, stand er unter schwerer Bewachung. Noch nicht einmal seine Frau durfte den Leichnam sehen. Unter Sicherheitsvorkehrungen, bei denen nur die Familie anwesend sein durfte, wurde er beerdigt. Es ist nie zum Prozeß gegen seine Mörder gekommen.

Sie erzählt noch, daß bisher 4-5000 Menschen in der kurdischen Region ermordet wurden. Es gab Zeiten, in denen bis zu sieben Menschen an einem Tag von "unbekannten Tätern" umgebracht worden sind - hauptsächlich in Diyarbakir, Silvan, Batman. "Unbekannte Täter" heißt es in den Gerichtsakten, in den meisten Fällen sind die Täter allerdings bekannt. 
Da es sich aber um Staatsangestellte oder vom Staat Beauftragte handelt, werden sie nicht zur Rechenschaft gezogen.

Eine andere Frau erzählte uns,
wie ihr Dorf zerstört und dabei ihr Onkel vom Militär ermordet wurde. In ihrem Dorf Yaklaköy wohnten vierhundert Familien. Vor sechs Jahren kam das Militär und behauptete, daß das Dorf die Guerilla unterstützen würde. Sie wurden alle auf den Dorfplatz getrieben, geschlagen und bedroht. Dann zündeten die Militärs die Häuser mit allem Hab und Gut an. An diesem Tag wurden drei Menschen aus dem Ort ermordet. Einen haben sie verbrannt, dem anderen schnitten sie Nase und Ohren ab, einer von ihnen war ihr Onkel. Alle mußten fliehen, und bis heute wird niemand zu dem zerstörten Dorf gelassen. Sie fragt zum Schluß in den Raum: "Wer ist denn die Guerilla?" Und antwortet selber: "Das sind doch unsere Kinder!"

Eine andere Frau berichtete,
daß ihr Neffe vor 6 Monaten während seines Militärdienstes erschossen wurde, direkt ins Herz. Das Militär behauptete, er sei beim Manöver erschossen worden. Da sie es nicht glaubten, strebten sie einen Prozeß an. Daraufhin sagte ihnen die zuständige Militärbehörde, daß er von ihnen erschossen worden wäre, sie ihnen aber gar nichts anhaben könnten. Die Klage wurde nicht angenommen. Stattdessen bekamen sie die Rechnung für die Überführung der Leiche zugestellt. Es kommt oft vor, daß unliebsame Wehrpflichtige - meistens sind es Kurden - umgebracht werden. Es heißt dann, es sei ein Unfall gewesen.

Ein Gespräch mit Hatice Tekdag,
deren Mann Ali Tekdag am 4.11.1994 in Diyarbakir "verschwundengelassen" wurde. Sie haben 7 Kinder. Nach dem Militärputsch 1980 wurde die Familie immer wieder von Polizei- und Militärkräften überfallen, die ihnen dabei diverse Male die Wohnungseinrichtung zerschlagen hatten. Sie wollten, daß Ali Tekdag für sie arbeitet. Ingesamt ist Ali Tekdag 19 Mal auf die Wache verschleppt worden, und wurde dann später zu 13 Jahren Haft verurteilt. Nach fünf Jahren ist er bei einer Teilamnestie freigelassen worden.
Über sein "Verschwinden" und über ihren Kampf, ihn wiederzufinden, erzählte Hatice Tekdag folgendes: Sie waren in der Stadt. Irgendwann merkten sie, daß ihnen Polizisten folgten. Er sagte, sie solle hier 5 Minuten warten, er hätte etwas zu erledigen. Kurz darauf sah sie ihn rennen, die Polizisten hinterher. In einer kleinen Seitenstraße sah sie, wie sie ihn packten, ihm die Jacke über den Kopf rissen und eine Pistole an seinen Kopf hielten. Sie zogen ihn in einen Hauseingang. Sie konnte sehen, wie sie ins Funkgerät sprachen, und rannte hin, als auch schon ein Polizeiwagen um die Ecke kam, die mit ihrem Mann davonfuhren. Sie ging sofort zum Polizeipräsidium, um zu fragen, wo sie ihren Mann hingebracht hätten, und erzählte, was sie gesehen hatte. Die Polizeibeamten sagten ihr, daß ihr Mann nicht bei ihnen wäre, und daß es keine Polizisten gewesen sein könnten, und warum sie sie nicht sofort gerufen hätte. Sie blieb dabei, daß es Polizisten waren, da sie Waffen und Funkgeräte gehabt hätten, und da es vor einer Bank passiert ist, wo viele Polizisten waren, die ja sonst eingegriffen hätten.
Zwei Monate lang sind sie oder die Mutter immer wieder zum Polizeipräsidium gegangen, um nach ihrem Mann zu fragen. Eines Tages hat sie sich so mit einer Polizistin gestritten, daß sie festgenommen wurde. Als sie dem Staatsanwalt vorgeführt wurde und sie ihre Geschichte erzählte, sagte er: "Wenn du einen Zeugen findest, glauben wir es."
In der Zeitung Özgür Gündem war kurz darauf ein Brief von einem Seffetin Demir veröffentlicht, der anscheinend in derselben Polizeistation war wie Ali Tekdag. In dem Brief schrieb er, daß er Ali Tekdag gehört hat, als er schrie: "Sie wollen mich verschwindenlassen, sagt meiner Familie Bescheid!" Sie hat dann den Brief über die Anwaltskammer zur Staatsanwaltschaft weiterleiten lassen. Die Staatsanwaltschaft hat überprüft, ob es einen Seffetin Demir zu der Zeit in Haft gab. Die Staatsanwaltschaft sagte zu, alles zu tun, um Ali Tekdag zu finden. Hatice besuchte Seffetin Demir im Gefängnis, um sich seine Begegnung mit ihrem Mann bestätigen zu lassen. Von der Staatsanwaltschaft bekam sie keine Nachricht mehr.
Eine ganze Weile später erhielt sie einen anonymen Anruf, ihr wurde gesagt: "Kauf dir heute die Evrensel-Zeitung." In dieser Zeitung war ein Bericht über einen höheren Polizeibeamten, der bei einem psychologischen Gespräch ausgesagt hatte, daß er Ali Tekdag in vier verschiedenen Polizeistationen in Diyarbakir, Erzurum, Pirinc und Silvan gefoltert habe. Dann wäre er durchgedreht. Der Polizist beschrieb, wie sie ihn 6 Monate folterten, sie hätten ihm Spritzen gegeben, damit er weiterlebe. Haare und Bart wären bei Ali Tekdag schon zusammengewachsen gewesen. Zum Schluß hätten sie ihn erschossen, verbrannt und in einen Fluß geworfen. Sie hätten ihn zum Reden bringen wollen, aber er habe bis zum Schluß nichts gesagt. Dieser Polizeibeamte - ein Offizier- sagte dann noch aus, daß außer ihm noch ein Alaadin Kanat (war u.a. auch am Mord an Musa Anter beteiligt) und zwei andere beteiligt gewesen seien. Sie hätten dem Supergouverneur jeden Tag über die Folterungen Bericht erstatten müssen.

Hatice Tekdag sagte zum Abschluß: "Ich habe in der Türkei alles versucht, habe mich an Amnesty International, an den Menschenrechtsgerichtshof und an die Mütter des Plaza del Mayo gewandt. Wir wollen Frieden, die Gegenseite streitet sogar den Krieg ab. Alles, was wir von Deutschland wollen, ist, daß die Türkei nicht mehr unterstützt wird."

Danach redete die Mutter von Ali Tekdag
Von ihr ist noch ein Sohn - Mehmet Tekdag - ermordet worden. Er ist auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz erschossen worden. Einen Tag vor der Erschiessung klingelten an der Tür zwei Männer, die sagten, sie wären Elektriker, und sie müßten etwas reparieren. Sie sahen aber, daß sie Knüppel in der Hand hatten, und ließen sie nicht herein. Am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit wurde auf ihn geschossen. Er hatte zwei Durchschüsse, einen am Hals, einen im Bein. Da die Ärzte bedroht wurden, wurde auch im Staatskrankenhaus keine Hilfe geleistet. Dann haben sie versucht, ihn nach Ankara zu fliegen, sie hatten sogar einen Arzt, der mitfliegen sollte. Aber es wurde ihnen immer gesagt, er könne in seinem Zustand nicht transportiert werden. Er ist dann im Krankenhaus verblutet. Sie, die Mutter, durfte ihn dann kurz sehen, er lag nackt in einer riesigen Blutlache. 
Auch ihr Mann ist durch Folter getötet worden. Erst fiel er ins Koma, später ist er an den Folgen der Folter gestorben. 
Alle erwachsenen männlichen Angehörigen von ihnen sind ermordet worden.

Edip Aksu, "verschwunden gelassen" am 07.Juni 1995:
Seine Frau berichtete uns, daß ihr Mann, bevor er verschwunden gelassen wurde, beim IHD Diyarbakir gearbeitet habe. Er ist am 7.6.95 im Dagkapi Park in Diyarbakir von Unbekannten in ein Auto gezerrt worden. Es gab Zeugen, die es gesehen haben. Sie ist zur Polizei gegangen, wo ihr gesagt wurde, daß sie ihn nicht hätten. Sie bekam kurz darauf einen Anruf, daß sie 20 Millionen TL bezahlen solle, dann würden sie ihren Mann vor Gericht stellen. Sie gab das Geld ab und ging jeden Tag zum DGM (Staatssicherheitsgericht), in der Hoffnung, daß der Prozeß gegen ihren Mann laufe. Sie haben ihn aber nicht angeklagt. Daraufhin ging sie wieder zur Polizeistation und forderte, daß sie ihr doch sagen sollten, was mit ihrem Mann wäre, sie hätten doch das Geld genommen. Ihr wurde geantwortet, daß sie ruhig sein solle, sonst würden sie sie auch so foltern. Sie ist dann zum IHD gegangen und wollte mit dessen Hilfe Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof einreichen. Die Polizei hat es mitbekommen und der Mutter von Edip Aksu gedroht, sie würden ihre Schwiegertochter genauso umbringen wie ihren Sohn, wenn sie nicht ruhig bleiben würde. Aber sie hat sich nicht einschüchtern lassen sondern erst eine örtliche Klage eingereicht und später, als diese abgelehnt wurde, beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.
 

Situation in den Gefängnissen
Eine Familie berichtete, daß drei ihrer Angehörigen im Gefängnis von Elazig inhaftiert sind. Dort befinden sich die politischen Gefangenen seit dem 02.Juni 1998 im Hungerstreik. Sie waren am Vortag beim Besuch und berichteten, daß die Haftbedingungen sehr schlecht sind. Die Gefangenen und die Angehörigen werden u.a. mit der Aussage bedroht, daß mit ihnen dasselbe passieren würde wie mit den Gefangenen in Diyarbakir (Massaker im September 1996 an PKK-Gefangenen). Sie wollen sich draußen am Hungerstreik beteiligen, um Öffentlichkeit zu schaffen. Es sind alles politische Gefangene in Isolationshaft. Eine Frau erzählt, daß dort grundsätzlich die Rechte der Gefangenen verletzt werden. "Wenn jemand von sich sagt, er sei ein Mensch, dann kann er nicht die Augen davor verschließen. Es geht alle an, was dort in dem Gefängnis passiert."

Wenn sie ihre Angehörigen besuchen, werden alle mitgebrachten Sachen zerstört. Sie sagen ihnen, sie sollten nicht soviel mitbringen. Das Gefängnis behauptet, es gäbe genug Tee und Zucker für die Gefangenen, aber nur für viel Geld. Die Gefängnisverwaltung wirtschaftet in die eigene Tasche.

In einer Presseerklärung des Kurdistan Informationszentrum vom 17.7. 1998 wird über den Hungerstreik im Gefängnis vom Elazig folgendes berichtet: "Im Gefängnis von Elazig befinden sich seit dem zweiten Juni die PKK-Gefangenen im Hungerstreik gegen die Rechtsverletzungen, Willkürmaßnahmen und die Repression. Achtzehn Gefangene befinden sich im unbefristeten Hungerstreik, siebzehn führen Hungerstreikketten von jeweils 5 Tagen durch. Am 16. Juli 1998, dem 34. Tag des Hungerstreiks, wurde bekannt, daß sich der Gesundheitszustand der Gefangenen von Tag zu Tag verschlechtert. Am 15. Juli gab es ein Gespräch zwischen dem Vorsitzenden des IHD in Elazig, Cafer Demir, dem IHD-Sekretär in Elazig, Hilmi Elci, dem Vorsitzenden der Gefängniskommission des IHD-Elazig, Rechtsanwalt Piltan Erdogan, dem stellvertretenden Staatsanwalt von Elazig, Tuna Gungor, dem ersten Direktor des Gefängnisses von Elazig und den Vertretern der Gefangenen, Murat Görmez und Mehmet Akdogan.

Die Delegation berichtete, daß die Gefangenen in den Gesprächen ihr Mißtrauen gegenüber der Gefängnisleitung zum Ausdruck gebracht haben. Außerdem forderten sie eine gemeinsame Verlegung in andere Gefängnisse, da sie befürchten, daß die Zusagen für die humanitären Forderungen nicht eingehalten werden, genau wie nach den vorangegangenen Hungerstreiks. Die Gefangenen erklärten ihre Entschlossenheit, ihren Antrag auf gemeinsame Verlegung auch durchzusetzen. 
Als bei dem Gespräch die Delegation darauf aufmerksam machte, daß die Gefangenen ihren Hungerstreik erst bei einer Zustimmung zu ihren Forderungen beenden würden, entgegneten sowohl der stellvertretende Staatsanwalt Güngör als auch der erste Gefängnisdirektor, daß eine Einwilligung zu der Forderung der Gefangenen nach einer gemeinsamen Verlegung nicht in ihrer Befugnis stehe, sondern daß dies das Justizministerium zu entscheiden habe."

Situation der Frauen im Gefängnis von Sivas
Eine Frau erzählte, daß ihre 22jährige Tochter im Gefängnis von Sivas ist. Sie ist seit 5 Jahren im Gefängnis, 3½ Jahre davon in Sivas. Sie werden beim Besuch von einer Aufseherin durchsucht. Ansonsten gibt es nur männliche Wärter. Die Gefangenen werden von den Wärtern geprügelt und gefoltert. Es wird zum Beispiel Zementstaub in die Luft gestreut, was zur Ohnmacht führt. Momentan foltern sie zweimal am Tag. Die Situation hat sich vor einigen Wochen verschärft, seit die Wärter darauf bestehen, daß die Frauen die Tür beim Duschen auflassen, um sie beobachten zu können. Seitdem weigern sich die Frauen zu duschen und haben sich ihre Haare abgeschnitten. Seit dem 02.Mai 1998, nach einen Angriff auf die Frauen durch Gefängnisangestellte und Soldaten, sind sie in Sivas im Hungerstreik. Sie sind Tag und Nacht voll angekleidet, weil die Wärter jederzeit wieder angreifen können. Die Frau erzählt, wenn sie zum Besuch kommt, begrüßen sie die Wärter: "Kommt ihr eure Leiche abholen?" Sie drohen auch hier mit einem Massaker wie in Diyarbakir.
Die Angehörigen versuchen wenigstens durchzusetzen, daß weibliche Wärterinnen eingesetzt werden.

Nach Özgür Politika vom 17.7. 1998 befinden sich im E-Tip Gefängnis von Sivas immer noch 120 gefangene Frauen aus der PKK in einer Hungerstreikette, die am 
02 Mai 1998 begonnen hat. Es ist eine Delegation aus Ankara in Sivas eingetroffen um sich für Verhandlungen einzusetzen. Die Delegation besteht aus Mitgliedern der Gesundheitsgewerkschaft (SES), dem Menschenrechtsverein IHD, dem Gewerkschaftsdachverbandes KESK, der Gefängniskommission des fortschrittlichen Anwaltsverein und der Gefängniskommision der ÖDP( Freiheits und Solidaritätspartei). Der Antrag der Delegation für einen Besuch wurde vom Justizministerium abgelehnt. Die Delegation erklärte hierzu: "Auch wenn das Justizministerium uns nicht die Erlaubnis erteilt, die Situation in den Gefängnissen zu untersuchen, so werden wir auch weiterhin nicht ruhen und am heutigen Tag auch als Delegation nach Sivas reisen, um die Rechtsverletzungen aufzudecken, unsere ablehnende Haltung gegenüber der Unterschlagung der Rechte auszudrücken und deren Einhaltung zu gewährleisten, und um uns dafür einzusetzen den Hungerstreik durch eine Vereinbarung zu beenden."
Die Forderungen der Frauen sind, das der neue Gefängnisdirektor wieder abgesetzt wird. Denn seitdem er eingesetzt ist, werden die Rechte der Gefangenen massiv gebrochen. Sie fordern, das die ärztliche Versorgung der Gefangenen gewährleistet wird. Sie fordern, das keine männlichen Wärter mehr auf den Frauentrakten eingesetzt werden.
Sie fordern, das die Angriffe auf die Gefangenen aufhören und die Rechte der Gefangenen eingehalten werden.

Die Mutter eines Gefangenen erzählt uns, 
daß ihr Sohn im Ümraniye-Gefängnis in Istanbul ist. Letztes Jahr hat er sich aus Protest gegen den Einmarsch der türkischen Armee in Südkurdistan angezündet. Sie durfte ihn einmal im Krankenhaus besuchen, danach nicht mehr. Seitdem wird verstärkt Druck auf die Familie ausgeübt. Sie sagt, ihr Sohn wurde festgenommen, weil er menschenwürdig leben will.

Eine Frau aus dem HADEP-Vorstand erzählte, 
daß ihr Mann seit 2½ Jahren im Gefängnis ist. Er hatte 22 Jahre als Lehrer gearbeitet. Ihr Mann war erst im Gefängnis von Diyarbakir und ist schwer gefoltert worden. Jetzt haben sie ihn an die Schwarzmeerküste verlegt. Er ist in einer Großraumzelle mit 53 anderen Gefangenen. Der Weg zum Besuch dauert jetzt 18 Stunden. Die Familien werden auch unter Druck gesetzt, Essensgeld für ihre Angehörigen im Gefängnis zu zahlen. (Dies ist normalerweise in der Türkei nicht üblich und wird hauptsächlich gegen kurdische Angehörige von Gefangenen als zusätzliche Schikane angewandt.)

Eine Frau, deren Mann beim Massaker im Gefängnis von Diyarbakir umgebracht wurde (sie haben 9 Kinder), erzählt: 
Ihr Mann war zu dem Zeitpunkt 2½ Monate in Untersuchungshaft. Sie ist an dem Tag zum Besuch gegangen, aber man hat sie nicht hineingelassen. Sie sagten, es sei schon eine Gruppe drin, und sie sollten abhauen. Sie blieben dort mit der Hoffnung, noch eingelassen zu werden, und dem unguten Gefühl, daß etwas nicht stimmt. Am Abend hörten sie dann von dem Massaker. Neun waren sofort tot, einer starb auf dem Weg nach Antep.

Sie sagen, sie wissen, daß die Gerichte hier kein Recht sprechen werden, und sie jetzt den Prozeß bewußt hinauszögern, weil der Staat weiß, daß sie dann beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Klage einreichen werden.

Samstag, den 06.Juni 1998
Interview und Gespräch mit Sükran Aydin, 
deren Mann Vedat Aydin, Bezirksvorsteher der HEP, 1991 entführt und später ermordet aufgefunden wurde. Sükran Aydin ist Vorstandsmitglied der HADEP in Diyarbakir.

Seit wann sind Sie politisch aktiv, Frau Aydin?
Mein Mann war schon vor unserer Heirat politisch tätig. Er war ständig im Gefängnis. Ich war nicht aktiv, aber mit dem Volk zusammen. Später, als die Kinder größer waren, habe ich mir gesagt: Jetzt habe ich Zeit, jetzt kann ich auch aktiver politisch arbeiten.
Aber ich kann nicht einschätzen, wie erfolgreich ich bin. Ich werde bis heute überwacht und verfolgt. Ich bin viel bedroht worden, weil ich die Männer erkannt habe, die meinen Mann entführt haben. Sie haben von mir gefordert, daß ich meine Aussage zurücknehme. Nach Susurluk haben dann die staatlichen Stellen behauptet, daß diese Banden meinen Mann umgebracht hätten. Aber ich hatte ja die Männer erkannt, die meinen Mann verschwundengelassen hatten, und das waren Polizeibeamte. (In der Nähe der Stadt Susurluk war Ende 1996 ein Autounfall, der gerichtliche und parlamentarische Untersuchungen erzwang. Dabei wurde offengelegt, daß eine Zusammenarbeit zwischen Staat, Mafia und Contraguerilla besteht.)
Ich habe drei Kinder, die jetzt 12, 16 und 18 Jahre alt sind. Die beiden älteren haben begriffen, was mit ihrem Vater passiert ist, der jüngere fragt jetzt viel nach seinem Vater. Es ist schwer für sie. Unser Dorf in der Nähe von Bismil ist vor 4 Jahren vom Staat entvölkert worden. Alle Sachen von uns sind beschlagnahmt worden. Früher, in den ersten Jahren nach der Ermordung meines Mannes bin ich zweimal pro Woche angerufen und bedroht worden. Bis vor anderthalb Jahren konnte ich nicht alleine vor die Tür gehen.
Sind ihre Kinder auch Bedrohungen ausgesetzt? 
Noch werden sie in Ruhe gelassen, aber der Große ist jetzt 18 Jahre und bekommt bald seinen Einberufungsbefehl. Er wird den Militärdienst nicht überleben - sie werden ihn dort umbringen.
Wie sind die Bedingungen für Frauen politisch aktiv zu sein?
Es ist natürlich sehr schwer für Frauen. Ihre traditionelle Rolle ist in der Familie. Dieses Bild von der Frau besteht noch immer. Die Frau soll die Kinder versorgen, sie soll sich nicht weiterbilden, bleibt aber auch nicht von der Repression verschont. Wenn der Mann festgenommen und verprügelt wird, läßt er es nachher an seiner Frau aus. Die Frauen hier haben alle einen Angehörigen verloren, aber wenn sie den Kampf aufnehmen, sind sie oft zäher und besser, obwohl sie noch die Kinder zu versorgen haben.

Wir erklärten dann, daß wir wissen, daß Frauen oft in der Polizeihaft oder von Dorfschützern vergewaltigt werden, und daß sich z.B in Istanbul mehrere Frauenprojekte gegründet hätten, um zu diesem Tabuthema Öffentlichkeit zu schaffen und die betroffenen Frauen zu unterstützen. 

Arbeiten Sie auch zu diesem Thema?
Natürlich arbeiten wir auch dazu. Sehr viele werden in Polizeihaft vergewaltigt, aber nur sehr wenige trauen sich, es an die Öffentlichkeit zu bringen. Wir unterstützen sie natürlich, sie müssen unterstützt werden. Wir tun noch nicht genug dafür, es ist auch nicht einfach, es werden uns viele Steine in den Weg gelegt. Das Thema Vergewaltigung betrifft das ganze kurdische Volk. Auch die Männer werden vergewaltigt, und die können noch weniger darüber reden. Als 1996 der Friedenszug von türkischen und kurdischen Frauen war, bin ich mit 12 weiteren Frauen festgenommen worden. Wir wurden bis zum nächsten Morgen gefoltert, und man hat mir gedroht, mich zu vergewaltigen. Sie sagten, sie würden mich wie meinen Mann umbringen. Wenn ich sage, wir haben nicht genug getan, dann meine ich folgendes: Als mein Mann geholt wurde, klingelte es an der Tür. Mein Mann stand auf und ging mit ihnen. Ich stand da und konnte nichts tun, obwohl ich wußte, sie würden ihn töten. Das darf nicht nochmal passieren! Was wir wollen, ist endlich Frieden. Es sollen keine Soldaten, Guerillas oder Zivilisten mehr sterben."

Als ihr Mann tot aufgefunden wurde, gab es eine Anhörung. Als sie dort aussagte, es seien Polizeibeamte gewesen, die ihren Mann geholt hatten, haben sie ihr gedroht, sie würden sie umbringen. Sie solle sagen, daß ihr Mann von der PKK oder von anderen entführt worden sei. Das war vor 7 Jahren. Sechs Jahre lang konnte sie nicht alleine aus dem Haus, und auch jetzt fährt sie nur mit dem Taxi von Tür zu Tür und geht nur ein Stück auf belebten Straßen am Tage alleine zu Fuß. *
 

Vedat Aydin wurde 1954 als Sohn einer Bauernfamilie im Dorf Kürthaci, Kreis Bismil, geboren. Er begann schon während seiner Schulzeit mit politischen Aktivitäten für die Sache der KurdInnen. Er war seit 1975 in der KIP (kurdische Arbeiterpartei )aktiv und fand sich 1977 unter den Mitgründern der DDKD (Demokratische Kulturvereine des Ostens). Von 1978-1980 gehörte er dem Vorstand der Lehrergewerkschaft TÖB-DER an (die, wie alle Organisationen und engagierten Gewerkschaften, nach dem Putsch 1980 verboten wurde.) Aufgrund seiner politischen Tätigkeiten wurde Vedat Aydin mehrfach festgenommen und gefoltert. 1980 wurde er verhaftet und in verschiedenen Verfahren gegen die DDKP, KIP, und Töp-DER zu acht Jahren verurteilt. Vier Jahre verbrachte er in der " Hölle von Diyarbakir" dem berüchtigten Militärgefängnis. Nach seiner Freilassung führte er seine Aktivitäten ungebrochen fort. 1988 hat er den Menschenrechtsverein IHD in Diyarbakir mitgeführt, zu dessen Vorstand er gehörte. 1989 wurde Vedat Aydin wegen prokurdischer Aktivitäten aus der sozialdemokratischen Partei (SHP), der er kurzfristig angehört hatte, ausgeschlossen und gründete daraufhin gemeinsam mit anderen ausgeschlossenen SHPlern die HEP (Halk Emek Partisi- Partei der Arbeit des Volkes). Im Mai 1991 wurde er zum Vorsitzenden der HEP für die Provinz Diyarbakir gewählt. Vedat Aydin verkörperte in seiner Person die Einheit der kurdischen Oppositionsbewegung. Am 05.07.1991 wurde er von zivilen Polizisten aus der Wohnung geholt. 30 Stunden später wurde sein Leichnam, schwer gefoltert und von Kugeln durchsiebt, 60 km außerhalb von Diyarbakir aufgefunden.