Özgür Politika, 27.10.2002

“Jungfräulichkeitstests” an Gefangenen ist Thema eines Prozesses

“Du lässt dich kontrollieren oder...”

Die 16jährige D.F wurde am 30.Juni 2001 in Gevas/Van von Soldaten der Gendarmeriewache Yoldöndü mit der Begründung, PKK-Mitglied zu sein, festgenommen und nach Ihrer Verhaftung zur Jungfräulichkeitskontrolle gezwungen. Sie hat beim Strafgericht Van Beschwerde gegen den Leitenden Gendarm wegen "Verletzung der Dienstpflicht" eingereicht. Mit dieser Klage ist die in der Region häufig stattfindende "Jungfräulichkeitskontrolle" erneut an die Tagesordnung gekommen.

Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde der von der Beschuldigung freigesprochenen D.F. untersucht und gegen einen Soldaten beim Strafgericht Van wegen "Verletzung der Dienstpflicht" nach § 228/1 des türkischen Strafgesetzes ein Verfahren eingeleitet.
Die Anwältin von D.F., Reyhan Yalçindag erklärte, dass die Verfahrenseröffnung nur gegen einen Soldaten nicht akzeptiert werden kann, sondern dass auch gegen die Verantwortlichen bei der Gendarmerie und die bei ihrer Mandantin die Jungfräulichkeitskontrolle durchführenden Ärzte ein Verfahren eingeleitet werden muss. Ein Verfahren gegen die Ärzte sei vom Leitungsinstitut Van nicht erlaubt worden. Sie ergänzte, dass auch die Ärzte wie die Verantwortlichen der Gendarmerie eine Straftat begangen haben, und dass die Ärzte die vom Innenministerium erlassene Verordnung zu Jungfräulichkeitskontrollen verletzt haben.

Die Frauen kennen ihre Rechte nicht
Yalçindag erklärte, dass die im Oktober 1998 vom Justizministerium verkündete Verordnung 27/123 in Bezug auf "Fotoaufnahmen während einer Autopsie, vaginale und anale Untersuchungen" in der Realität nicht umgesetzt wird und unterstreicht, dass eine zwangsweise Durchführung der Jungfräulichkeitskontrolle bei den Frauen eine Rechtsverletzung darstellt. worüber aber die Frauen keine hinreichende Kenntnis besitzen. Yalçindag erwähnt, dass Jungfräulichkeitskontrollen sogar bei verstorbenen Frauen durchgeführt werden. Sie sagt: "Für die Frauen, die festgenommen und ins Untersuchungszimmer geführt werden, stellt dies eine psychologische Folter dar und sie versuchen oftmals, diesen Zustand zu verschweigen. Denn sie glauben, dass sie von der Gesellschaft gedemütigt oder ausgestoßen werden." Yalçindag wies auf das häufige Stattfinden der Jungfräulichkeitskontrollen in der Region hin: "Aufgrund unserer Untersuchungen in den Gefängnissen wissen wir, dass bei nahezu allen Frauen die Jungfräulichkeitskontrolle durchgeführt worden ist. In den letzten Tagen hatten sich zwei Frauen im Gefängnis in Mus an uns gewandt, die dies erleben mussten. Vor allem in Mardin ist dies allgegenwärtig."

Mehr als 90 %
Die Vorsitzende der Frauenkommission der Anwaltskammer Diyarbakir, Rechtsanwältin Meral Danis betont, dass die nach Anträgen weiblicher Gefangenen durchgeführten Untersuchungen gezeigt haben, dass diese in den letzten Jahren vor allem in den kurdischen Gebieten menschenunwürdigen Vorgehensweisen ausgesetzt sind. Die meisten solcher Verletzungen finden während der Festnahme statt. Danis: "Jungfräulichkeitstest sind abhängig vom Einverständnis der Frauen. Ansonsten stellt es eine Rechtsverletzung dar. Leider trifft dies in der Türkei bei mehr als 90 % zu. Dies ist weder moralisch noch gesetzlich zu vertreten." Sie haben auf Wunsch der Frauen in den E-Typ Gefängnissen von Mus, Midyat, Batman und Diyarbakir Untersuchungen zu diesem Thema begonnen. Wenn die betroffenen Frauen den Antrag stellen, legen sie Beschwerden für sie ein, sagte Danis. Sie wies aber darauf hin, dass viele Beschwerdeanträge ergebnislos eingestellt werden. Sie sagt: "Im letzten Jahr haben wir bei einem Antrag wegen der Ausschöpfung des hiesigen Rechtsweges den Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgetragen."
Rechtsanwältin Danis unterstreicht, dass gegen die Frauen mit der Aussage "...entweder lässt du dich kontrollieren oder du hast keinerlei rechtliche Möglichkeiten bei einer Freilassung..." Druck ausgeübt wird und ergänzt weiter, dass noch nicht einmal minimale Standards der Vereinigten Nationen und der Europäischen Union von der Türkei erfüllt werden.

Türkisches Strafgesetz wird verletzt

Rechtsanwältin Ayla Akad sagte, dass mit der Zwangsweisen Durchführung der Jungfräulichkeitskontrollen bei den Frauen die §§ 243 und 245 des türkischen Strafgesetzes verletzt werden. Akad, die auf eine Durchführung der Kontrolle trotz fehlenden Einverständnisses der Opfer sogar bei den Verheirateten hinweist, sagt: "Es gibt keinen rechtlichen Zwang hierzu. Es dient vollkommen der Erniedrigung, Einschüchterung und Demütigung." Akad fordert, dass geschlechtspezifische Gewalt ins türkische Strafgesetz aufgenommen werden muss und dass dies bei Anschuldigungen gegen Personen miteinbezogen werden muss.