FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.
Cinsel Iskenceye Karsi Kadin Hukuk Bürosu

Friedelstr. 52
12047 Berlin

tel: 030 - 627 37 941
fax: 030 - 627 37 942

email: info@womensrightsproject.de
internet: www.womensrightsproject.de


Jahresbericht Berlin 2001

"Ihr Ziel ist es, uns zu einem schweigenden Nichts zu machen, voller Angst und Selbsthaß. Sie nutzen es aus, daß wir an unsere Familien und Angehörigen denken. Sie sind überzeugt davon, daß wir es nicht wagen werden, Zeugnis abzulegen über ihre Verbrechen und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Aber das ist der ein-zige Weg, denn wir sterben sowieso jeden Tag aufs Neue. Wenn WIR schweigen, haben SIE ihr Ziel erreicht..."
(eine Betroffene)


Danksagung

Der Verein finanziert sich ausschließlich über Zuwendungen humanitärer Institutionen und Spenden. Wir möchten daher an dieser Stelle insbesondere dem "Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee" in Stein danken, ohne dessen Unterstützung die Durchführung der Tätig-keiten des Vereins nicht möglich gewesen wäre. Wir bedanken uns desweiteren bei der "Stiftung Umverteilen" in Berlin für ihren Beitrag zur Einrichtung unserer Büroräume. Unser herzlicher Dank gilt allen privaten Spenderinnen und Spendern, Vereinen und Institutionen, die uns durch ihre Beiträge immer wieder anspornten, diese Tätigkeiten trotz aller Frustrationen und Wut weiter zu verfolgen.

 

Allgemeiner Tätigkeitsbericht

1. Projektbeschreibung

1.1. Entstehungsgeschichte

Sexuelle Folter gelangt sowohl als Methode des Verhörs als auch als Mittel der Kriegsführung in der ganzen Welt als schärfstes Instrument der Repression gegen Frauen zum Einsatz. Auch in der Türkei und den kurdischen Gebieten setzen staatliche Sicherheitskräfte, d.h. Polizei, Gendarmerie, Militär und Dorf-schützer, sexuelle Folter weit verbreitet und systematisch mit dem Ziel ein, die einzelne Frau zu demütigen und innerlich zu zerstören. Gleichzeitig richtet sich die Gewalt immer wieder gegen die eth-nische Gruppe, der die Frau angehört.

Das FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V. knüpft mit seiner Arbeit an das Istanbuler Projekt "Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt wurden" an. Dieses wurde 1997 von vier Rechts-anwältinnen, darunter der IHD - Vorsitzenden der Sektion Istanbul, Eren Keskin, gegründet und ist bis heute tätig. Ziel war und ist es, den betroffenen Frauen und Mädchen unentgeltlich rechtliche Hilfe anzubieten. Gegen die staatlichen Täter werden bei den Staatsan-waltschaften Straf-anzeigen erstattet; kommt es zur Anklage-erhebung, werden die Interessen der Betroffe-nen vom Projekt vertreten. Bei ergebnisloser Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechts-mittelwegs legen die Anwältinnen des Projekts Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Zugleich wird durch Zusammenarbeit mit medizinisch-psycho-logischen Einrichtungen, von denen es jedoch in der Türkei nur sehr wenige gibt, versucht, Gutach-ten über die insbesondere psychischen Langzeitfolgen zu erhalten, um diese als Beweise zu ver-wer-ten. Es wird auch versucht, den Frauen zu dringend nötigen Therapien zu verhelfen. Es wurde zunehmend deutlich, dass sich die Probleme der betroffenen Frauen auch im Exil fort-setzen bzw. noch verschärfen. Etliche Frauen mussten aus begründeter Furcht vor erneuten Übergriffen ins Ausland fliehen.

Auch im Exil leben unzählige Frauen aus der Türkei und den kurdischen Gebieten, die bis heute nicht über die an ihnen begangenen Verbrechen reden konnten. Die geltenden Glaubwürdigkeitskriterien in Asylverfahren, wie z.B. Detailreichtum in der Darstellung des Erlebten und das Erinnern von Daten, mißachten völlig die Realität, in der sich die Betrof-fenen befinden. Scham und Angst vor möglichen Racheakten sowohl der Familien als auch insbesondere des Staates selber hindern die Frauen häufig am Sprechen.
In der BRD führen so fehlende Kenntnisse der Rechte, Möglichkeiten und Notwendigkeiten im Bereich Asylverfahren, Sprachprobleme, fehlende Vertrauensverhältnisse, eine erneute Retraumatisierung insbesondere durch verständnislose und demütigende Behandlung auf Behörden und Ämtern und eine mangelnde Zukunftsperspektive für die betroffenen Frauen oft zu totaler Isolierung und Selbstaufgabe. Diese Realität machte es notwendig, auch im Exil tätig zu werden und führte zur Gründung des Vereins: "FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V." mit Sitz in Berlin.

1.2. Projektziele

Es ist das Ziel unseres Vereins, gemeinsam mit betroffenen Frauen ein Netz aufzubauen, das alle Lebensbereiche umfassen soll. Hierfür suchen wir die Zusammenarbeit mit Anwältinnen, Ärztinnen, Therapeutinnen aus Behandlungszentren für Folterüberlebende, weiteren Medizi-nerinnen, Sozialarbeiterinnen, Sprachmittlerinnen, Flüchtlingsorganisationen und allen anderen interessierten und engagierten Frauen.
Die Hauptlinien unserer Arbeit können wie folgt zusammengefaßt werden:

a. Durchsetzung der Strafverfolgung staatlicher Täter von Folter generell und sexualisierter Folter an Frauen speziell sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene;
b. Durchsetzung der Anerkennung frauenspezifischer Verfolgungssituationen als politische Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention und des Asylrechts der BRD;
c. Dokumentationen, Archivierung, Übersetzungen und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema.

Was wir tun/ konkretisierte Ziele

· Unterstützung bei der Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter, die auch aus dem Exil heraus innerhalb der Verjährungsfrist von 5 bis 10 Jahren möglich ist, Einleitung von Ver-fahren vor dem Euro-päischen Gerichtshof für Menschenrechte in Zusammenarbeit mit dem Istanbuler Projekt;
· Unterstützung bei allen Fragen im Zusammenhang mit Asylverfahren, Vorbereitung auf die Anhörung, Vermittlung von erfahrenen Rechtsbeiständen, Bereitstellung von Doku-menten und Materialien zur Situation von Frauen in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete, Argumentationshilfen;
· Vermittlung qualifizierter Therapieplätze bei physischen und psychischen Folterfolgen einschließlich der Möglichkeit zum Erhalt ärztlicher Gutachten, Vermittlung vertrauens-würdiger Dolmetscherinnen;
· Vermittlung von Ansprechpartnerinnen und Gruppen in verschiedenen Regionen Deutsch-lands, die mit uns zusammenarbeiten;
· Übersetzung und Archivierung von Hintergrundmaterial; Herausgabe von Informationen über die soziale, kulturelle, politische und ökonomische Situation in den Herkunftsländern der betroffenen Frauen;
· Durchführung von Veranstaltungen, Fortbildungskursen und Seminaren;
· Beratung und Auseinandersetzung in Bezug auf Behörden und Unterkunft, Sprachkurse, Vermittlung von Schul- und Berufsausbildung sowie politische Bildung;
· Organisation von Delegationen in die Türkei zum Zwecke der Prozessbeobachtung;
· Erarbeitung von Beiträgen, Stellungnahmen, Gutachten etc. als Informationsquelle zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der Behörden, der Gerichte und der politischen Ent-scheidungsträger bezüglich der Realität frauenspezifischer Verfolgungssituationen durch staatliche Stellen mit dem Ziel der offiziellen Anerkennung derselben;
· Aufbau von Kontakten zu Frauen und deren Organisationen aus anderen Ländern.

Wir bieten geschützte Räume für Frauen zum Erfahrungsaustausch, der Entwicklung gemein-samer Strategien und der Selbstorganisierung. Die Arbeiten sind grundsätzlich orientiert an den Vorstellungen und Wünschen der Betroffenen. Wir sichern den Frauen, die sich an uns wenden, absolute Diskretion zu.

2. Projektverlauf

Das Berliner Büro begann bereits im Jahr 2000 inoffiziell mit seiner Arbeit. Es wurden Veran-staltungen in verschiedenen Regionen Deutschlands durchgeführt und regelmäßige Treffen mit Frauen aus der Türkei und den kurdischen Gebieten organisiert. Schon in diesem Jahr wandten sich die ersten Frauen hier im Exil an uns. Im Januar 2001 fand sodann die Gründungssitzung des Vereins statt. Am 27.3.2001 wurde der Verein im Vereinsregister eingetragen und am 9.4.2001 wurde dem Verein die Gemeinnützigkeit zuerkannt. Seit dem 1.6.2001 verfügt der Verein über eigene Räume.

Am 23.8.2001 haben wir eine Eröffnungsfeier des Büros durchgeführt, an der ca. 150 Frauen aus verschiedenen Regionen Deutschlands teilgenommen haben. Aus der Türkei haben die Rechtsanwältin und Mitbegründerin des dortigen Projekts, Eren Keskin, und das Vorstands-mitglied des Kurdischen Frauenkulturvereins Dicle, Mürüvet Yilmaz, als Rednerinnen teil-genommen. Frauen unterschiedlicher Herkunft und aus den verschiedensten Berufszweigen sowie Vertreterinnen vieler Institutionen und Vereine kamen zusammen und bekräftigten die unbedingte Notwendigkeit einer solchen Arbeit.
Im Laufe der Zeit haben sich in verschiedenen Regionen Deutschlands Gruppen zur Unter-stützung des Istanbuler Projekts sowie zur Organisierung der Tätigkeiten im Exil gegründet, mit denen der Verein eng zusammenarbeitet. So z.B.

- Solidaritätsforum, Köln - Bochum
- Stuttgarter FrauenFluchtNetz - Türkei/ Kurdistan
- Tübinger FrauenFluchtNetz
- Netzwerk "Flüchtlingsfrauen und Gewalterfahrung", Ruhrgebiet
- Einzelne Ansprechpartner/innen in Freiburg, Frankfurt, Mannheim, Düsseldorf , Hamburg, Bremen

2.1. Ereignisse und Aktivitäten

Zur Zeit begleitet unser Büro konkret 30 Frauen im Exil (siehe anliegende Statistik).
Ein Teil der Frauen meldet sich selbst und wir arrangieren die ersten Treffen, indem wir ent-weder die Frauen zu uns einladen oder, falls dies gewünscht wird, indem eine unserer Mit-arbeiterinnen zum Aufenthaltsort der jeweiligen Frau fährt. Da wir bundesweit arbeiten, handelt es sich z.T. um weite Wege. Die Wegekosten werden durch den Verein beglichen. Dies gilt auch für Folgetreffen oder Einladungen zu Veranstaltungen oder sonstigen gemeinsamen Aktivitäten.
Zum Teil kommt ein erster Kontakt zustande, indem sich Anwält/innen oder andere Menschen aus dem Bereich der Flüchtlings- und/oder Frauenarbeit bei uns melden.

Die Art der Unterstützung ist unterschiedlich. Manche der Frauen haben sich schon vor der Flucht aus der Türkei an das dortige Istanbuler Projekt gewandt. Sie wurden daher schon bei Asylantragstellung durch uns vertreten und waren auf das, was auf sie zukommt, innerlich vorbereitet. Je nach psychischer Verfassung, in der sich die betroffenen Frauen befanden, wurden ihre Aussagen zur erlebten Folter in langen und für beide Seiten sehr belastenden Gesprächen mit einer Vertrauensperson (ohne zwischengeschaltete Dolmetscherin) aufgenommen und beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in schriftlicher Form eingereicht. Es wurde bei der mündlichen Anhörung sodann jeweils auf die erneute Befragung zu diesem Themenkomplex verzichtet, um die Gefahr einer sogenannten "Flashback" - Situation auszuschließen.

An dieser Stelle ist auf das Urteil des VG Gelsenkirchen vom 20.11.2001 (14a K 3424/98.A) hinzuweisen, in dem ebenfalls Ausführungen enthalten sind, warum auf eine erneute Befragung zu den traumatisierenden und fluchtauslösenden Ereignissen in der mündlichen Ver-handlung verzichtet und auf schriftliche Ausführungen in der ärztlich-therapeutischen Stellungnahme zurückgegriffen wurde.
Manche Außenstellen des Bundesamtes nehmen auch durchaus auf ärztlich-therapeutische Ausführungen Rücksicht, wonach die betroffene Frau noch nicht genügend stabilisiert und daher nicht anhörungsfähig ist und verschieben die Anhörung auf spätere Zeitpunkte.


Die oben genannten Frauen befanden sich zugleich im Besitz von Unterlagen des Istanbuler Projekts. Sie wurden alle schon durch das Bundesamt bestandskräftig entweder gem. Art. 16 GG oder gem. § 51 I AuslG anerkannt. Die weitere Unterstützung bezieht sich insbesondere auf die Folgeprobleme wie Therapie und Umgang mit den deutschen Behörden, Über-setzungen, Zukunftsplanung sowie um die Weiterverfolgung der in der Türkei erstatteten Anzeigen gegen die staatlichen Täter der Folter.

Antragssituation

Schon vor Flucht an Istanbuler Projekt gewandt, hier weiterhin begleitet 3
Nach Flucht, vor Eröffnung Berliner Büro, an Istanbuler Projekt gewandt, hier weiterhin begleitet 1
Nach Flucht an Berliner Büro gewandt 26

Die meisten Frauen sind schon seit Jahren in Deutschland. Sie befinden sich im laufenden Asylverfahren vor den Verwaltungsgerichten, nachdem ihre Asylanträge durch das Bundesamt abgelehnt bzw. ihnen lediglich Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG gewährt worden war. Viele haben in der Anhörung nicht von den eigentlich fluchtauslösenden Ereignissen, ins-besondere der sexualisierten Folter, gesprochen oder diese nur vage angedeutet, ohne daß dies verstanden worden wäre. In allen Anhörungsprotokollen, die uns vorliegen, lassen sich Hin-weise auf unkonkrete oder sogar falsche Übersetzungen finden.
Aber selbst Frauen, die den Mut aufbrachten, über die an ihnen begangene sexualisierte Folter schon vor dem Bundesamt zu sprechen, wurden entweder abgelehnt, da sie konkrete Daten nicht erinnern konnten, da ihnen schlicht nicht geglaubt wurde oder weil ihnen, bei unter-stellter Richtigkeit ihrer Angaben, eine Rückkehrgefährdung abgesprochen wurde, da nicht mit einer "Wiederholung" derartiger Verfolgung zu rechnen sei und/oder eine inländische Fluchtalternative bestehe. Eine weitere "Begründung" von Ablehnung sieht derart aus, daß zwar die erlittene, auch sexuelle Mißhandlung durch staatliche Kräfte angenommen wurde, diese aber "nicht im Zusammenhang mit eigenen politischen Überzeugungen und/oder Akti-vitäten stattgefunden habe", sondern sich im Ergebnis auf Familienangehörige bezogen habe.

Nicht wenige Frauen reden im Vertrauen auf unsere Arbeitsweise hier bei uns zum ersten Mal. In diesen Situationen sieht die Unterstützung derart aus, daß Therapieplätze und, falls benötigt, Vertrauensanwält/innen und/oder Vertrauensdolmetscherinnen vermittelt werden sowie Informationsmaterial zur Einführung in die anhängigen Verfahren zur Verfügung gestellt wird. Soziale Begleitung und Unterstützung beim zermürbenden Umgang mit den Behörden sowie regelmäßige Kontakte mit den Betroffenen, insbesondere zum Aufbau von Kraft und Selbst-vertrauen, gehören ebenfalls zu unseren Tätigkeiten. Wir bieten den Frauen an, sich durch Beiträge selbst gewählter Art an unseren Arbeiten zu beteiligen und/oder für sie in Zusam-menarbeit mit dem Istanbuler Projekt Anzeigen im Herkunftsland gegen die staatlichen Täter der sexualisierten Folter zu erstatten.

Zeitpunkt der Kontaktaufnahme

Vor Anhörung beim Bundesamt 5
Nach Anhörung, aber vor Entscheidung durch das Bundesamt 3
Im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren 15
Nach bestandskräftiger Entscheidung 7

Manche der Frauen, welche in der Statistik nicht auftauchen, wandten sich nur an uns, um zu sprechen und ihre fürchterlichen Erlebnisse mit uns zu teilen. Mit diesen Frauen befinden wir uns in schriftlichem und/oder telefonischem Kontakt.

Auffällig ist, daß diejenigen Frauen, die bereits ein Vertrauensverhältnis eingegangen und auf die Situation während der Anhörung vorbereitet sowie über ihre Rechte aufgeklärt waren, überwiegend schon im Verwaltungsverfahren durch das Bundesamt entweder gem. Art. 16 GG oder gem. § 51 I AuslG als politische Flüchtlinge anerkannt worden sind. Es konnten aber auch durch die Einführung von Dokumentationsmaterial bezüglich der Situation in der Türkei im Hinblick auf die systematische Anwendung u.a. sexualisierter Folter und erneuter Repres-sion insbesondere nach Anzeigenerstattung gegen die staatlichen Täter in manchen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten eine Anerkennung erzielt werden.

Entscheidungsstand in den Asylverfahren:

Bundesamt für die Anerkennung für ausländische Flüchtlinge

Anerkennung gem. Art. 16 GG 2
Anerkennung gem. § 51 I AuslG (Konventionsflüchtlinge) 5
Feststellung von Abschiebungshindernissen gem. § 53 VI AuslG 1
Ablehnung 19
Noch nicht entschieden 3

nach Ablehnung bzw. der Gewährung lediglich von § 53 VI AuslG durch das Bundesamt, Entscheidung durch Verwaltungsgerichte:

Anerkennung gem. Art. 16 GG 1
Anerkennung gem. § 51 I AuslG 2
Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG 1
Ablehnung bestätigt 8
Noch nicht entschieden 7
Antrag auf Zulassung der Berufung vor OVG anhängig 1

Eine nicht unerhebliche Bedeutung kommt dem Wiederaufgreifen des Verfahrens entweder in Form eines Asylfolgeantrags (a) und/oder als Antrag auf Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG (b) zu.

a. Diese Situation ist bedeutsam, wenn die Betroffene nach bestandskräftiger Ablehnung zum ersten Mal über ihre eigentlichen Fluchtgründe spricht. Hier ist von Bedeutung, daß dargelegt werden kann, warum ihr das (zumeist aufgrund von Extremtraumatisierung) nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich war und die neuen Umstände innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach Entstehen geltend gemacht werden (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Dies ist in der Praxis lediglich durch entsprechende ärztliche Gutachten möglich, hat aber durchaus schon zu Erfolgen geführt. Auch die Dokumentationen des Projekts liefern inso-weit neue "Erkenntnisquellen", so z.B. im Hinblick auf bestehende Gefährdung nach Anzeigenerstattung.
b. Anträge lediglich auf Abschiebungsschutz gem. § 53 VI AuslG (zuständig ist das Bundes-amt) gewinnen Bedeutung, wenn zuvor schon (detailliert) über die erlittene sexualisierte Folter berichtet worden war und auch sonst keine neuen Erkenntnisse vorliegen, die zur nachträglichen Gewährung von Asyl führen können, so daß hierauf kein Folgeantrag gestützt werden kann. Liegt aber eine behandlungsbedürftige Traumatisierung aufgrund der erlittenen Verfolgung vor, die ohne Weiterbehandlung persönlichkeitszerstörende Ausmaße annehmen würde, und befindet sich die Betroffene real in regelmäßiger Behandlung, so liegt hier ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor, wenn eine derartige Behandlung im Herkunftsland nicht gewährleistet werden kann. Dies ist in der Türkei der Fall. Die diesbezüglich anderslautende Passage im letzten Lagebericht Türkei des Auswärtigen Amtes vom 24.7.2001 wurde durch die "Klarstellung" des AA vom 18.9.2001, welche nach etlichen Gegendarstellungen unterschiedlicher humanitärer Einrichtungen zu diesem Komplex notwendig wurde, insoweit abgemindert. Auch in diesen "Fällen" sind ärztliche Gutachten spezialisierter Stellen unerläßlich.

Wiederaufgreifen des Verfahrens nach bestandskräftiger Ablehnung:

Asylfolgeantrag Antrag § 53 VI AuslG
Durch Bundesamt stattgegeben 1 3
Durch VG stattgegeben 2
Bestandskräftig abgelehnt 1
Noch nicht entschieden 3
Antrag auf Berufungszulassung 1


a. Exkurs: Therapiesituation in der BRD

Fast alle Frauen, die sich an uns wandten, berichten über eine tiefgehende innere Zerstörung, was durch Aussagen wie: "Wären meine Kinder nicht, würde ich schon lange nicht mehr leben. Ich lebe nur noch für meine Kinder" oder "Ich selbst bin sowieso schon lange tot. Ich bewege mich nur noch und erwarte nichts mehr für mich selbst" deutlich wird. Der Bedarf nach einer wirklich aufbauenden Therapie und die Sehnsucht, das Leben auch wieder für sich selbst zu wollen und zu planen, ist sehr groß. Aber auch die Tatsache, daß in den Asyl-verfahren den Aussagen der Frauen, sobald sie die innere Stärke finden, zu sprechen, fast nur dann geglaubt wird, wenn diese Aussagen durch entsprechende ärztliche Gutachten bestätigt werden, führen dazu, daß dem Bereich der Therapie und der ärztlichen Gutachten eine immer größere Rolle zufällt. Die Anzahl der spezifisch auf Folterfolgen und deren Therapie geschulten Behandlungszentren und Therapeut/innen in Deutschland und hier wiederum die Anzahl der weiblichen Therapeutinnen, die auch im Umgang mit den Folgen systematisch durch staatliche Organe praktizierter, sexualisierter Folter spezialisiert sind, wird dem tatsächlichen Bedarf in keinster Weise gerecht. Bei den meisten Behandlungszentren existieren lange Wartelisten und insbesondere in den neuen Bundesländern sind fast überhaupt keine Behandlungsmöglichkeiten vorhanden. Diese Situation führt zu einer permanenten Vertiefung der insbesondere psychischen Folgen sexualisierter Gewalt, die durch die extrem lange, hoffnungslose, demütigende und zermürbende Situation während der Dauer der Asylverfahren noch verstärkt wird (Heimunterbringung, Residenzpflicht, mangelnde Kontakte, bis auf das absolute Existenzminimum reduzierte soziale, medizinische und finanzielle Absicherung).

In Anbetracht dessen, daß viele der Frauen vor einer zerstörerischen Situation flüchten mußten, die durch die politisch-diplomatischen, militärischen und sonstigen Beziehungen der BRD zur Türkei erst mitgeschaffen wurde, bzw. durch eine durchaus inkonsequente Haltung gegenüber der Realität extremer, systematisch praktizierter Menschenrechtsverletzungen sowie der ignoranten Haltung gegenüber den berechtigten Forderungen der kurdischen Bevölkerung zumindest aber über Jahre aufrecht erhalten werden konnte (Stichworte sind: Waffenlieferungen, Ausfuhrgenehmigungen für Material, welches zu Folterzwecken einsetzbar ist [siehe auch die Kampagne von amnesty international gegen den Export von Folterinstrumenten weltweit], Polizeiausbildungshilfen, sonstige Zusatzhilfen und zuletzt die Akzeptanz der Entsendung speziell ausgebildeter türkischer "Terrorbekämpfungstruppen" nach Afghanistan, d.h. derjenigen Teams, die vorrangig für die systematischen Menschen-rechtsverbrechen insbesondere an der kurdischen Zivilbevölkerung verantwortlich sind), vertreten wir die Ansicht, daß bei weitem mehr Mittel zur Einrichtung adäquater Therapie-zentren und Beratungsstellen durch die Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden müssen, um der oben beschriebenen Situation abzuhelfen.
Eine Aufgabe des Vereins ist es, bei Anfragen dieser Art in der jeweiligen Region, der die betroffene Frau für die Dauer des Asylverfahrens zugewiesen ist, Therapiemöglichkeiten und Vertrauensdolmetscherinnen sowie deren Finanzierung zu vermitteln und zu ermöglichen. Abgesehen vom oben dargelegten Mangel an derartigen Stellen führen auch die gesetzlich geregelten Begleitumstände des Asylverfahrens selbst meist zu kontraproduktiven Effekten in der Therapie. Die Absicht, die Betroffenen so zu zermürben, daß sie möglichst von selbst dieses Land wieder verlassen, ist weder mit Art. 1 GG noch mit den Prinzipien des Flüchtlingsvölkerrechts vereinbar.

b. Exkurs: Art der an Frauen begangenen Menschenrechtsverbrechen

Der Begriff der "Folter" und der "unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung" wird von uns in Übereinstimmung mit dem internationalen Sprachgebrauch verwandt.
Die UN-Folterkonvention von 1984 bezieht auch psychische Folter ausdrücklich in den Begriff ein (Art 1):

"Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck `Folter´ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächliche oder mutmaßliche von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen, in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden."

Das Urteil des BGH (3 StR 372/00) vom 21.2.2001, in dessen Leitsätzen es heißt:

"Der Begriff der Folter des Art. 147 der IV. Genfer Konvention erfaßt jedes zweckbezogene Zufügen schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, das durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung begangen wird. Die Folter ist gegenüber der `unmenschlichen Behandlung´, die keine auf das Quälen eines Menschen gerichtete Absicht voraussetzt, der engere Begriff"

weist allerdings auch einen zukünftigen Weg auf, wenn es heißt:

"Bei der Abgrenzung der Folter von der unmenschlichen Behandlung ist aber zu beachten, daß die zunehmend höheren Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und die Grundfreiheiten es erforderlich machen, die herkömmliche Definition der UN-Antifolterkonvention im Lichte der heutigen Verhältnisse auszulegen."

Dies ist unsere Aufgabe insbesondere in Bezug auf die spezifischen Umstände frauenspezifischer Folter und Mißhandlung durch staatliche Kräfte.

Sexualisierte Folter reicht von völligem Entkleiden ab dem Zeitpunkt der Festnahme über erniedrigende Beleidigungen und Beschimpfungen sexuellen Inhalts, Mißhandlungen an den Geschlechtsorganen z.B. mit Elektroschocks, Drohung mit Vergewaltigung bis hin zu Vergewaltigung, vaginal, anal oder oral, körperlich oder mit Gegenständen, wobei die Augen der Betroffenen meistens verbunden sind.

Obwohl sexualisierte Folter Frauen, Kinder wie Männer trifft, weist sie in ihren zerstörerischen Folgen für die weiblichen Mitglieder einer Gesellschaft aufgrund der ihnen traditionell zugeschriebenen Rolle und Stellung innerhalb der Gemeinschaft eine besondere Dimension auf. Die potentiell immer bestehende Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist für Frauen und Mädchen allgegenwärtig und konkretisiert sich im Angriff auf ihre sexuelle Integrität in dem Moment, in dem sexuelle Gewalt als Methode der Zerstörung durch staatliche Kräfte systematisch eingesetzt wird, in ihrer brutalsten Form.


Von den 30 Frauen, die durch das Berliner Büro begleitet werden, wurden 21 Frauen, also mehr als 2/3 der Betroffenen, auf unterschiedliche Weise gequält, gefoltert und während dieser Folter vergewaltigt (siehe anliegende Statistik). Hierbei ist die Anzahl derjenigen Frauen, die den Weg zu uns gefunden haben, in keinster Weise repräsentativ, sie stellt unseren weiteren Erkenntnissen nach noch nicht einmal die Spitze des Eisberges dar. Die meisten Betroffenen scheuen sich nach wie vor, sich zu melden. Das prozentuale Verhältnis zwischen der Zahl derjenigen Frauen, die sich gemeldet haben und denjenigen von ihnen, die unter Folter vergewaltigt wurden, belegt jedoch zweifelsohne die Systematik, mit der das Mittel der extremsten Form sexualisierter Folter, Vergewaltigung, an Frauen in der Türkei und den kurdischen Gebieten zum Einsatz gelangt ist und noch immer gelangt. Ein Großteil der Frauen wurde aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Aktivitäten zumeist männlicher Angehöriger diesem Verbrechen und der damit einhergehenden inneren Zerstörung ausgesetzt. Dies ist eine frauenspezifische Form staatlicher Repression und fällt daher nicht unter die "klassischen" frauenspezifischen Fluchtgründe, da staatliche Machtzentren die Urheber sind. Allerdings wird diese Art der Verbrechen an Frauen nicht selten geleugnet, so zum Beispiel im letzten Lagebericht Türkei des AA, was dazu führt, daß den betroffenen Frauen ihre Verfolgungsgeschichte nicht geglaubt oder diese auch "bagatellisiert" wird.

Zum Punkt "Hintergrund" in der anliegenden Statistik:
Die unter der Kategorie "politischer Art oder kriegsbedingt" spezifizierten Umstände beinhalten immer auch eine Vermischung mit den jeweils anderen Kategorien. So ist "kriegsbedingt" immer auch politisch motiviert oder die frauenspezifischen Komponenten "um Informationen über männliche Angehörige zu erhalten..." oder "als Bestrafung für politisch aktive Angehörige" immer auch kriegsbedingt oder politisch motiviert. Wir haben die "Fälle" der Betroffenen dahingehend gewichtet, welche Komponente im Vordergrund stand, in wenigen Fällen waren zwei Komponenten gleich intensiv, so daß wir jeweils beide erfaßt haben, wodurch die Gesamtzahl über derjenigen der Antragstellerinnen liegt. Zu den einzelnen Kategorien:


a. Als "kriegsbedingt" wurden die Situationen eingestuft, in denen Frauen durch bewaffnete Kräfte wie z.B. Dorfschützer oder Militär in Anlehnung an die durch den Staat vermittelte absolute Machtposition insbesondere in den kurdischen Gebieten nur und ausschließlich zur Demütigung, d.h. ohne weiteren Vorwurf und ohne Festnahme, sexuell mißhandelt und gefoltert wurden. Dieser Art Repression wird häufig bei Dorfrazzien und bei Hausdurchsuchungen eingesetzt und zielt sowohl auf die Zerstörung der Würde und der Integrität der betroffenen Frau selbst als auch auf die Zerstörung der ethnischen Volkszugehörigkeit, deren Repräsentantin sie darstellt. In dieser Hinsicht ist das systematisch zum Einsatz gelangte Mittel der sexualisierten Gewalt gegen kurdische Frauen völkerrechtlich als Kriegsverbrechen in nicht internationalen bewaffneten Konflikten zu definieren.

b. Unter dem Punkt "um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen oder Informationen über (meist) männliche Familienangehörige zu erhalten" sind diejenigen Situationen zu verstehen, in denen die betroffene Frau, ohne daß ihr selbst ein Vorwurf gemacht würde, zum Mittel einer Absicht degradiert wird: durch die Androhung oder auch Realisierung sexueller Gewalt an ihnen meist vor den Augen männlicher Angehöriger oder Freunde sollen diese dazu gebracht werden, selbstbelastende oder fremdbelastende Aussagen der von ihnen verlangten Art zu machen. In einer solchen Situation wird auf das Verantwortungsbewußtsein und die Gefühle derjenigen Personen abgezielt, die zum Sprechen gebracht werden sollen, während die betroffene Frau selbst in totaler Mißachtung ihrer Würde und Integrität lediglich "Mittel zum Zweck" ist.

Jeder Mensch, der sich selbst einmal in einer solchen Situation befunden hat, weiß, welcher Art brutal zerstörerischer Kräfte in einer solchen Situation zum Einsatz gelangen. Die andere Situation be-steht darin, daß sich männliche Angehörige nicht in den Händen der staatlichen Sicherheitskräfte befinden und durch die Androhung oder Realisierung sexueller Gewalt die betroffene Frau dazu gebracht werden soll, von ihnen verlangte tatsächliche oder vorgefertigte Auskünfte über männliche An-gehörige oder Freunde zu geben, welche Aufenthaltsort, Kontakte und Beziehungen, Aktivi-täten etc. betreffen können. Diese Situationen kommen sowohl nach Festnahmen als auch rein kriegsbedingt ins-besondere in den kurdischen Gebieten bei Hausdurchsuchungen oder Gebietsrazzien vor.

c. "Bestrafung für tatsächlich oder vermeintlich politisch aktive Angehörige" ist ebenfalls eine frauenspezifische Dimension politischer Verfolgung: Die betroffene Frau wird mißhandelt und gequält, da sie dafür "büßen" soll, daß Familienangehörige in Opposition gegen den Staat vermeintlich oder tatsächlich aktiv sind oder waren. Auch in diesen Situationen wird die betroffene Frau zu einem "Mittel" degradiert, nämlich demjenigen der Rache. Diese Situationen sind häufig kriegsbedingt und ihnen geht oft keine Festnahme voraus, d.h. diese Art Folter findet in Häusern oder auf offenem Gelände statt.

Für derartige, sehr häufig Frauen treffende Formen von Repression, wird auch der Begriff der "Sippenhaft" verwendet, worunter nach allgemeiner Definition die "Einbeziehung Angehöriger in die Verfolgung eines Dritten" oder das "Durchschlagen des gegen eine Person gerichteten Verfolgungsgrundes auf Angehörige" verstanden wird.
Es ist dringend notwendig, daß diese Realität endlich zur Kenntnis genommen und die Leugnung derselben sowohl in den diplomatischen Beziehungen als auch in der Praxis der Asylverfahren ein Ende findet. Jede Verleugnung der realen Erfahrungen staatlich organisierter, sexualisierter Gewalt an Frauen ist ein erneuter Schlag nicht nur ins Gesicht sondern mitten ins Zentrum des Herzens, der Selbstachtung und der Würde der Betroffenen.

c. Exkurs: Anzeigen / Strafverfolgung staatlicher Täter

"Das Einzige, was ich will, ist Gerechtigkeit. Wiedergutmachung kann es sowieso nie geben. Ein in tausend Scherben zerbrochenes Glas kann ohne bleibende Spuren nicht geflickt werden. Aber sie sollen öffentlich gestehen, was sie uns angetan haben und daß sie es getan haben. Aber hätte ich Dir zuvor davon erzählt, hätten sie immer zwischen uns gestanden, wären sie immer anwesend gewesen. Ich will, daß die Geschichtsschreibung auch unsere Wahrheit enthält..."
(eine Betroffene)

Unserer Ansicht nach ist es nach wie vor wichtig, daß Frauen berichten und anzeigen, was sie erlebt haben. Nationale und internationale Strafverfolgung der staatlichen Täter und Verantwortlichen ist unerläßlich, um ein klares Zeichen zu setzen, daß staatlich organisierte Gewalt als Methode zur Durchsetzung wie auch immer gearteter politischer Machtinteressen international im Namen der Betroffenen zu ächten ist. Auf diese Weise wäre es auch möglich, die Systematik und die Dimension der staatlichen Verbrechen an Frauen aufzudecken. Eine wirkliche "Wiedergutmachung" ist sowieso nie möglich. Aber viele Frauen äußern, daß sie zumindest das Anerkenntnis der ihnen zugefügten Verbrechen, die Übernahme der Verantwortung hierfür und ein offizielles, staatliches "um Verzeihung bitten" erwarten.
Da kein Staat der Welt von sich aus ein derartiges Verhalten an den Tag legen wird, muß dies unsere nie endende Forderung bleiben, für deren Realisierung wir uns gemeinsam einsetzen wollen. Erst die Furcht, eines Tages zur Rechenschaft gezogen zu werden, nimmt den staatlichen Tätern eventuell eines Tages die überhebliche Überzeugung, sich zeit-, grenzen- und folgenlos in der Sicherheit ihrer Anonymität bewegen zu können.

Die Entwicklungen bezüglich internationaler Verfolgung staatlicher Täter von Menschenrechtsverbrechen, die Diskussionen und Festlegungen bei der Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs zur weltweiten Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die völkerrechtlichen Diskussionen um die Zuständigkeit auch nationaler Gerichte außerhalb des "Tatortes" bei Verletzung beidseitig ratifizierter internationaler Abkommen (wie z.B. der Genfer Konventionen, der Abkommen zur Verhütung von Folter und anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung etc.) sind uns Verpflichtung, auch die an türkischen und kurdischen Frauen begangenen Verbrechen, aber auch die Verflechtung der Exilländer in diesen Prozeß dokumentarisch und rechtsfortbildend einzubringen.

Alle Frauen, die mit uns in Kontakt sind, ob sie Anzeige erstattet haben oder nicht, äußern das gleiche Verlangen, daß die an ihnen begangenen Verbrechen zugestanden, die Täter und Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und so zu einem Ende dieser abgrundtiefen Zerstörung beigetragen wird, die nicht nur sie als Individuen, sondern "uns alle immer wieder trifft, egal wo auf der Welt".

Auch die Europäische Union fordert in ihrem Maßnahmenkatalog zur Aufnahme der Türkei als Vollmitglied, daß als eine der kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen die Verurteilung folternder Beamter und eine Beendigung dieser Folter zu realisieren sei. Die Türkei legte sogar Gesetzesentwürfe zur härteren Bestrafung von Folter vor. Aber die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist nicht überwunden, denn es handelt sich um eine systemimmanente Realität, die nicht durch Willensbekundungen zu beenden ist.

Eine wichtige Tätigkeit unseres Vereins besteht daher in der Anzeigenerstattung in der Türkei in Zusammenarbeit mit dem Istanbuler Projekt und die Inanspruchnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Form der Individualbeschwerde bei ergebnisloser Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtsmittelweges in der Türkei.
Unser Verein bietet den Frauen, die gezwungen waren, ins Exil zu gehen, an, Anzeigen gegen die staatlichen Täter der an ihnen begangenen Verbrechen in der Türkei zu erstatten. Die Verjährungsfrist in der Türkei beträgt 10 Jahre für das Verbrechen der Vergewaltigung (Art. 102 i.V.m. Art. 416 türkisches StGB) und 5 Jahre für sonstige Formen der Folter, grausamer, unmenschlicher oder ehrverletzender Behandlung, da eine Mindeststrafe nicht festgelegt ist (Art. 102 i.V.m. Art. 243 türkisches Strafgesetzbuch).
Es bleibt jedoch zu prüfen, ob die jeweiligen Verbrechen den Verboten internationaler Abkommen (wie z.B. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) unterliegen, für welche eine Verjährung ausgeschlossen ist. Die Anzeigenerstattung in der Türkei erfolgt daher immer wegen Folter i.V.m. Vergewaltigung bzw. "sexueller Belästigung" (eine Strafvorschrift, welche die Situationen zwischen diesen beiden Realitäten sanktionieren würde, existiert im türkischen Strafgesetzbuch nicht).

Wir gehen mit derjenigen Frau, welche sich zur Anzeigenerstattung entschlossen hat, die für eine Anzeige notwendigen Einzelheiten durch, was eine erneute tiefgehende Belastung einschließlich der Gefahr der Retraumatisierung beinhaltet und daher fast übermenschlich großen Mut und feste Entschlossenheit erfordert. Für eine Anzeigenerstattung ist es desweiteren notwendig, relativ genau die Daten der Tat zu erinnern, da nur so die an diesen Tagen Dienst habenden Beamten ermittelt werden können.
Sodann wird eine notariell beglaubigte Vollmacht für die Anwältinnen des Istanbuler Projekts ausgestellt, die in der Türkei die notwendigen Schritte einleiten. Die Aufnahme der Aussagen der betroffenen Frauen als (meist) einzigen Zeuginnen sind an sich im Wege der Rechtshilfe durch die türkischen Ermittlungsbehörden durch deutsche Gerichte zu veranlassen. Bis heute hat dieser Schritt auf die von hier aus eingeleiteten Ermittlungsverfahren jedoch noch nicht stattgefunden. In einem Ermittlungsverfahren wurde einer unserer Projektanwältinnen in Istanbul durch die ermittelnde Staatsanwaltschaft gesagt, dies stelle einen äußerst kostspieligen Weg dar, weswegen sie sich noch nicht sicher sei, ob dieser Weg eingeschlagen werde. Die Prinzipien einer unabhängigen Ermittlung machen diesen Schritt jedoch zu einem zwingendem "Muß". Es bleibt abzuwarten, wie die zuständigen Behörden der Türkei mit der Anzeigenerstattung aus dem Ausland gegen ihre Beamten umgehen werden. Allerdings macht es diese unsichere Situation auch dringend notwendig, Wege zu überlegen, wie betroffene Frauen ohne den Umweg über die Türkei zu Gerechtigkeit gelangen können. Hier wäre es denkbar, die Zuständigkeit deutscher Gerichte aufgrund der Verletzung beidseitig bindender Abkommen (z.B. Genfer Konventionen, Europäisches Übereinkommen gegen Folter etc.) zu forcieren.

Bei den Arbeiten hier im Verein konnten wir beobachten, daß Frauen im Exil noch stärker davor zurückschrecken, aus dem Exil heraus Anzeigen gegen die staatlichen Täter der an ihnen begangenen Verbrechen zu erstatten. Die Gründe können folgendermaßen zusammengefaßt werden:

a. Angst, daß bei Anzeigenerstattung zurückgebliebene Verwandte durch türkische Sicherheitskräfte statt ihrer selbst mit Racheakten überzogen werden könnten;
b. Angst, daß bei Anzeigenerstattung dritte Personen, insbesondere männliche Familienangehörige, von der zugefügten sexualisierten staatlichen Gewalt erfahren könnten;
c. Angst vor staatlichen Racheakten für den Fall eines negativen Ausgangs der anhängigen Asylverfahren und damit einhergehend einer erzwungenen Rückkehr in das Herkunftsland (das betrifft insbesondere die Frauen, die nach wie vor einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben);

Anzeigen

Anzeigenerstattung vor Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 3
Anzeigenerstattung nach Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 1
Anzeigenerstattung durch das Berliner Büro an das Istanbuler Projekt weitergeleitet 3
Anzeigenerstattung über das Berliner Büro in Vorbereitung 2

Soll das politische Verlangen nach Strafverfolgung staatlicher Täter von Menschenrechtsverbrechen jedoch nicht lediglich Lippenbekenntnis bleiben, so ist die allererste Voraussetzung für eine ernstzunehmende Praxis die Anerkennung der erlebten Erfahrungen der betroffenen Frauen, ihre Unterstützung sowie insbesondere ihr bedingungsloser Schutz, damit sie zumindest von den äußeren Bedingungen her in die Lage versetzt werden, Zeugnis abzulegen. Hierzu gehört zweifelsohne ein sicherer Aufenthaltsstatus einschließlich aller der menschlichen Würde entsprechenden sozialen und sonstigen Rechte.

Denn die Furcht um zurückgebliebene Angehörige und die Angst, bei erzwungener Rückkehr selber erneut mir Repressionen überzogen zu werden, ist nur zu berechtigt. Die Untersuchung der erneuten Repressionen, denen Frauen ausgesetzt sind, wenn sie den Mut finden, Zeugnis über die von ihnen erlebten Demütigungen und Mißhandlungen abzulegen und die Bestrafung der staatlichen Täter zu fordern, haben uns dazu veranlaßt, drei Kategorien zu bilden. In diesen ist die Kategorie der Flucht ins Ausland nicht enthalten. Die folgenden Angabe betreffen diejenigen Frauen, die sich nach wie vor in der Türkei befinden. Die statistischen Angaben zu diesem Themenkomplex sind unserer Veröffentlichung zu den Statistiken des Istanbuler Projekts vom 19.11.2001 zu entnehmen. Diejenigen Frauen, die durch unser Büro begleitet werden, haben meist ähnliche Erfahrungen hinter sich und sodann den Weg ins Exil gewählt.


a. Umsiedlung innerhalb der Türkei bedeutet, daß der Repressionsdruck auf die Betroffene insbesondere nach Anzeigenerstattung in ihrem Siedlungsgebiet so groß wurde, daß keine Lebenssicherheit mehr bestand. Dies betrifft fast ausschließlich Frauen aus den kurdischen Gebieten. Diese Situation hat nicht zur Folge, daß die Betroffenen im Westen Ruhe finden, im Gegenteil. Meist sind sie auch hier erneuter Repression ausgesetzt, zumindest aber sind die sozialen und existenziellen Umstände derart katastrophal, daß sie kaum "überleben" können. Es handelt sich um betroffene Frauen, denen die Flucht ins Ausland nicht gelingt oder die aus anderen Gründen die Flucht ins Ausland scheuen. Sie können nur mit direkter seelischer und materieller Unterstützung von außen überleben.

b. Einschüchterung etc. kommt alternativ oder kumulativ vor. Die erneuten Repressionsmaßnahmen reichen von Drohungen über Schläge, erneute Folter bis hin zu erneuter Vergewaltigung, mit oder ohne Festnahme. Die brutalste Situation, mit der wir konfrontiert waren, ist diejenige eines jungen Mädchens, welches nach Anzeigenerstattung auf dem Weg vom Therapiezentrum "TOHAV" nach Hause erneut durch zivile Beamte überwältigt und vergewaltigt wurde. Während dieser zweiten Vergewaltigung wurde ihr "gesagt": "Du wirst schon sehen, was es heißt, türkische Polizei wegen Vergewaltigung anzuschwärzen". Diese Situation wirft u.a. ein entscheidendes Licht auf die vom Auswärtigen Amt im letzten Lagebericht Türkei behauptete "Therapiemöglichkeit" innerhalb der Türkei. Andere Frauen wurden nach Anzeigenerstattung wegen Folter und Vergewaltigung mehrmals zu Hause aufgesucht, z.T. erneut festgenommen, geschlagen, bedroht und erneut systematisch mißhandelt. amnesty international hat die Situation dieser Frauen des öfteren zum Anlaß für urgent actions genommen, so z.B.:

- UA 186/2000, EUR 44/032/2000 vom 29.6.2000 (K.Ö., mehrmals)
- UA 19/01, EUR 44/005/2001 vom 25.1.2001 (S.Ö., mehrmals)

c. Strafverfahren wegen Anzeigenerstattung meist in Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit sind wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe" oder "Verleumdung" sowohl gegen Anwältinnen des Projekts als auch gegen betroffene Frauen eingeleitet worden. In der Statistik zum Istanbuler Projekt beziehen wir uns nur auf die Anzahl der Strafverfahren, die gegen Betroffene eingeleitet wurden (weitere Einzelheiten siehe unter "Delegationen").

2.2. Entwicklungen innerhalb des Projekts

Zur Zeit haben wir feste Öffnungszeiten an 2 Tagen in der Woche (dienstags von 10 bis 14 Uhr, freitags von 14 bis 18 Uhr) sowie Termine nach Vereinbarung. Jeden ersten Samstag im Monat wird ein offenes Frauenplenum durchgeführt.
Jeden Sonntag findet ein Mitarbeiterinnentreffen zum Austausch und zur weiteren Planung statt. Etliche Tätigkeitsbereiche werden durch Untergruppen innerhalb des Vereins bearbeitet.
Zur Zeit engagieren sich durchschnittlich 10 bis 12 Frauen kurdischer, türkischer und deutscher Herkunft mit unterschiedlichem Engagement und Zeitaufwand ehrenamtlich im Verein. Wir alle arbeiten zugleich in unseren eigentlichen Berufen.

· Projekttätigkeiten - Arbeitsgruppen

Der Arbeitsalltag ist geprägt durch die Beantwortung von Anfragen, den Kontakt mit betroffenen Frauen, die Erstellung von Berichten und Dokumentationen, die Versendung von Informationsmaterial, die Auseinandersetzung mit Behörden, Übersetzungen, Archivierung und die Planung sowie Durchführung konkreter Aktionen und Veranstaltungen.
Im Jahr 2001 bestand eine wichtige Tätigkeit darin, Listen spezialisierter Rechtsanwält/innen, vertrauenswürdiger Dolmetscherinnen und Therapieeinrichtungen bzw. Therapeutinnen in der gesamten BRD zu erstellen, die mit uns zusammen arbeiten wollen und bei Anfragen aus den entsprechenden Regionen vermittelt werden können. Hier spielen insbesondere die Tätigkeiten der sich bildenden Regionalgruppen und deren eigenen Aktivitäten eine große Rolle. Auch die Kontaktaufnahme mit sonstigen Einrichtungen und Privatpersonen insbesondere aus dem Bereich der Flüchtlingsarbeit gehörte dazu.
Der regelmäßige Austausch über Entwicklungen insbesondere in der Anhörungspraxis der verschiedenen Außenstellen des Bundesamtes und der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist unsere erklärte Absicht und soll auch eine Hilfestellung bei Vorbereitung und Durchführung der Asylverfahren betroffener Frauen darstellen.
Auf Wunsch übersenden wir die archivierte Sammlung uns bekannter relevanter Gerichtsentscheidungen, die unseren Arbeitsbereich betreffen (z.B. zur Problematik sog. gesteigerten Vortrags/ Aussageverhalten bei Traumatisierung - frauenspezifische Fluchtgründe; nicht bestehende inländische Fluchtalternative für betroffene Frauen mit und ohne Anzeigenerstattung; Vergewaltigung als Asylgrund wegen ethnischer oder politischer Verfolgung; Therapien infolge von Traumatisierung als Leistungsanspruch gem. AsylVfG etc.)
Regelmäßige Kontakte mit und Besuche bei betroffenen Frauen, die gegenseitige Unterstützung und Stärkung sowohl geistiger wie emotionaler Art stellen die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen dar. Die gemeinsame Entwicklung von Strategien im Hinblick sowohl auf politische Öffentlichkeitsarbeit zur Situation im Herkunftsland und die Verflechtung der Exilländer als auch auf die untragbare reale wie rechtliche Asylsituation ist Bestandteil der Arbeiten. Die Vermittlung von Deutsch-Kursen, weiterführenden Kontakten, Unterkunft etc. begreifen wir als konkretes Eingreifen in Verhältnisse, die nicht immer so bleiben werden wie sie sind.

a. Stellungnahmen / Berichte

Der Verein hat folgende Stellungnahmen, Dokumentationen und Berichte erarbeitet, z.T. übersetzt und veröffentlicht:

1. "Mein ist nur das Land, das ich in meiner Seele trage", Teil 1 und 2, Konzept und Diskussionspapier, 15.2.2000
2. Info-Mappe mit: Projektbeschreibung, Vereinssatzung, Materialliste, Jahresbericht 2000 - Istanbul, Ergebnisse einer Umfrage unter 200 Frauen in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete;
3. "FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter" in: Aller Menschen Würde, Ein Lesebuch, gewidmet amnesty international, Hg. Reiner Engelmann und Urs M. Fichtner, 2001;
4. "Reden über sexuelle Folter kann strafbar sein - Gerichtsverfahren in der Türkei", Mai 2001, in Zusammenarbeit mit der Prozeßbeobachtungsgruppe Freiburg - c/o Feministisches Archiv Freiburg;
5. Fatal für Frauen - Kommentar zum Lagebericht Türkei, Oktober 2001;
6. Statistik Juni 2001 des Istanbuler Projekts, mit Anmerkungen, 19.11.2001.

b. Delegationen

In Istanbul werden seit letztem Jahr u.a. drei große Verfahren verhandelt, die sich gegen Frauen richten, die sexualisierte Folter durch staatliche Sicherheitskräfte als Betroffene, Anwältinnen oder Unterstützerinnen in der Öffentlichkeit thematisiert haben. Alle drei Prozesse werden von uns durch Aufrufe und die Entsendung von Delegationen zur Prozeßbeobachtung begleitet. Die Übersetzung und Veröffentlichung der Anklageschriften und weiterer Informationen gehört ebenfalls zu unseren Tätigkeiten.
Dies hat mit dazu beigetragen, eine breite Öffentlichkeit auch im Ausland bezüglich der Prozesse herzustellen (so z.B. auch in Frankreich, England, Schweiz und den USA).

Zum einen stehen vor dem Istanbuler Strafgericht in Beyoglu 18 Frauen und ein Mann, Vater einer inhaftierten Betroffenen, vor Gericht, da sie einen Kongress zum Thema sexualisierte Folter im Juni 2000 in Istanbul organisiert bzw. dort als Betroffene, Anwältinnen oder Unterstützerinnen gesprochen haben sollen. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten mit ihren Aussagen den Staat und seine Sicherheitsorgane verunglimpft (Art. 159 I Türkisches Strafgesetzbuch).

Aufrufe vom 19.2.2001, 5.6.2001 und Anfang Oktober 2001:

1. Delegation zum Prozeßtermin am 21.03.2001
2. Delegation zum Prozeßtermin am 21.06.2001
3. Delegation zum Prozeßtermin am 18.10.2001

Die Rechtsanwältinnen erwarten zumindest zur Zeit aufgrund des großen Interesses im Ausland keine Verurteilung, insofern war die Prozessbeobachtung wichtig und soll 2002 weitergeführt werden.

Ein anderer Prozeß findet vor dem Staatssicherheitsgericht (DGM) Istanbul statt und richtet sich gegen fünf Frauen. Einige von ihnen sind gleichzeitig auch in dem oben erwähnten Prozeß angeklagt. Vor dem Staatssicherheitsgericht wird ihnen wegen angeblicher Äußerungen auf dem Kongreß im Juni 2000 "separatistische Propaganda" und "Aufstachelung zu Hass und Feindschaft durch das Aufzeigen ethnischer, klassenbedingter und regionaler Verschiedenheiten" nach Art. 8 Abs. 1 des Anti-Terrorgesetzes i.V.m. dem türkischen Strafgesetzbuch vorgeworfen. Auch in diesem Verfahren ist eine der Angeklagten eine von sexualisierter Folter betroffene Frau, die über das Istanbuler Projekt Anzeige gegen die staatlichen Täter erstattet hat. Eine andere Angeklagte ist die Anwältin Fatma Karakas vom Istanbuler Projekt.

Der dritte Prozess richtet sich gegen die Rechtsanwältin Eren Keskin vom Istanbuler Projekt und den verantwortlichen Chefredakteur einer pro-kurdischen Tageszeitung. Hintergrund ist die Veröffentlichung eines Berichts über die Gespräche der Rechtsanwältin mit einer Gruppe inhaftierter kurdischer Frauen, die Opfer sexualisierter Folter wurden und sich zwecks Anzeigenerstattung an das Istanbuler Projekt gewandt hatten..

An den Delegationen nahmen jeweils Frauen aus mehreren Städten der BRD und der Schweiz teil. Darunter Frauen vom Stuttgarter und Tübinger FrauenFluchtNetz und "Kein Mensch ist illegal", amnesty international, Vertreterinnen des FrauenRechtsBüros sowie einzelne Ärztinnen, Rechtsanwältinnen und Psychologinnen. Das FrauenRechtsBüro hatte jeweils mit verschiedenen Organisationen aus dem Menschenrechtsbereich, Berufsorganisationen insbesondere von Anwält/innen und Ärzt/innen sowie politischen Parteien und Organisationen Gesprächstermine vor Ort vereinbart. Die Ergebnisse wurden gemeinsam dokumentiert.

Anlässlich insbesondere der letzten Delegationsreise zur Prozessbeobachtung wurde von den Delegationsteilnehmerinnen hinsichtlich mancher Aussagen und Behauptungen des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes zur Türkei (7/2001) recherchiert.
In den Gesprächen mit verschiedenen Institutionen vor Ort wurden vor allem Informationen über die Behandlungsmöglichkeiten von Folteropfern in der Türkei im Hinblick auf die Behauptungen des Lageberichts gesammelt, welche in der ausführlichen Pressemitteilung der FrauenFluchtNetze Stuttgart und Tübingen vom 30.10.2001 dokumentiert sind (zu beziehen über: s.hess@em.uni-frankfurt.de)

c. Aufrufe zur Unterstützung

Aufrufe zur sowohl finanziellen als auch insbesondere eingreifenden Unterstützung einzelner betroffener Frauen insbesondere bei erneuter Repression aufgrund von Anzeigenerstattung gegen staatliche Täter in der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete sowie die Veröffentlichung diesbezüglicher Hintergrundinformationen gehören ebenfalls zu unseren Aufgaben. Zu nennen sind:

- Aufruf vom Juli 1999 zu drei Betroffenen
- Aufruf vom 3.3.2000 zu K.Ö. (Adana)
- Aufrufe vom 29.10.2001 und 22.11.2001 zu S.Ö. (Izmir)

Diese Aufrufe haben zu großer Resonanz selbst in Regierungskreisen geführt. Auch wenn staatliche Racheakte durch eine breite Öffentlichkeit insbesondere im Ausland nicht vollständig gestoppt werden können, so führt dies doch zumindest dazu, daß nach Aussagen der Anwält/innen noch "Schlimmeres" verhindert werden konnte. Das Entscheidende ist jedoch, daß die Betroffenen selbst Solidarität erfahren, der Einsamkeit ihres Kampfes um Gerechtigkeit entrissen und hierdurch in ihrem Durchhaltevermögen und Mut gestärkt werden.

· Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen

Unsere wichtigsten Kontakte bestehen bundesweit insbesondere zu folgenden Einrichtungen, mit denen wir auf unterschiedliche Art zusammen arbeiten:

- sämtliche Regionalgruppen (siehe oben);
- die Behandlungszentren für Folterüberlebende;
- Flüchtlingsräte;
- amnesty international, medica mondiale, terre des femmes, IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung), Referat Menschenrechte der Diakonie, Pro Asyl, Frauenflüchtlingshaus Halle;
- Institutionen, die zur Türkei und Kurdistan arbeiten, wie: Kurdisches Frauenbüro für Frieden (Düsseldorf); Fraueninitiative "Freiheit für Leyla Zana", Dest-Dan (Berlin), HINBUN (Berlin), AZADI (Köln), ISKU (Hamburg);
- regional arbeitende Frauen- und Menschenrechtsinitiativen;
- Menschenrechtsorganisationen in der Türkei wie z.B.: die Behandlungszentren TIHV und TOHAV, Menschenrechtsverein der Türkei IHD; Frauenorganisationen wie: pro-kurdischer Frauenkulturverein Dicle, KAMER (Diyarbakir) und Mavi Kalem (Istanbul);
- einzelne Parlamentsmitglieder (MdB, MdL); Bezirksämter (Frauen- und Ausländerbeauftragte).

Es bestehen ebenfalls Kontakte zu vielen Einzelpersonen, insbesondere Rechtsanwält/innen, Therapeut/innen, Menschenrechtsaktivist/innen und Dolmetscher/innen sowie Journalist/innen.

· Öffentlichkeitsarbeit/ Veranstaltungen

Nach Eröffnung des Büros in Berlin haben wir einen Informationsflyer auf Deutsch und Türkisch herausgegeben und bundesweit verschickt. Die von uns geplante Web-Seite konnte zwar noch nicht, wie eigentlich für Dezember 2001 geplant, aktiviert werden, dies soll nun jedoch im Januar 2002 geschehen.

Die Arbeiten sowohl des Istanbuler als auch des Berliner Büros waren Gegenstand zahlreicher Artikel und Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Zeitschriften und Broschüren im In- und Ausland. Auch Radiosendungen, Interviews und Fernsehsendungen trugen zur Information über die Tätigkeiten bei. Hier seien insbesondere auch die Veröffentlichungen in den kurdisch- und türkischsprachigen Medien (z.B. Özgür Politika und Medya-TV) erwähnt, welche von entscheidender Bedeutung bei der Vermittlung der vom Büro gewährten Unterstützung im Kreis der betroffenen Frauen sind.

Die Teilnahme an zahlreichen Veranstaltungen bundesweit auch schon im Jahr 2000, zu denen Mitarbeiterinnen des Projekts als Referentinnen eingeladen wurden, ermöglichten es, die Arbeitsweise des Projekts, aber auch die Hintergründe dieser Arbeit einem breiten Interessent/innenkreis zugänglich zu machen.

Beispielhaft für das Jahr 2000 seien genannt:

- "Sexuelle Folter in der Türkei und Kurdistan - Situation von Frauen nach der Flucht"
15.10.2000 / Hamburg, veranstaltet von: Verein Freier Frauen aus Mesopotamien

- "Sexuelle Folter gegen Frauen in der Türkei"
27.10.2000 / Stuttgart, veranstaltet von: Feministisches Frauengesundheitszentrum und
Kampagne "Kein Mensch ist illegal"

- "Kein Ort nirgends. Sexuelle Folter gegen Frauen in der Türkei."
28.10.2000 / Tübingen, veranstaltet von: "Kein Mensch ist illegal" - Gruppe Tübingen

- "Sexuelle Gewalt und Folter in türkischen Gefängnissen"
29.10.2000 / Freiburg, veranstaltet von: Freiburger Solidaritätskomitee mit den
Samstagsmüttern in Istanbul

Im Jahr 2001 haben Mitarbeiterinnen des Projekts unter anderem auf folgenden Veranstaltungen referiert:

- "Frauen in der Türkei - ewig stumm und angepasst ?"
3.03.2001 / Mainz, veranstaltet von: amnesty international, Mainz
4.03.2001 / Hanau, veranstaltet von: amnesty international, Hanau

- "Frauen gegen sexuelle Folter"
5.03.2001 / Frankfurt-Main, veranstaltet von: club voltaire

- "Flucht und Folter - Hilfe und Aufarbeitung im `sicheren´ Asyl ?"
28.04.2001 / Braunschweig, veranstaltet von: amnesty international, Braunschweig und VHS

- "Flüchtlingsfrauen und Gewalt" - Fachtagung zur länderübergreifenden interdisziplinären
Qualifizierung von Frauen; Beispiel Türkei - Deutschland (mitorganisiert)
12.05.2001 / Essen, veranstaltet von: Umbruch, Bildungswerk für Friedenspolitik und
gewaltfreie Veränderung, FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.

- "Sexuelle Gewalt, Krieg und Vertreibung"
13.05.2001 / Frankfurt, veranstaltet von: Verband der StudentInnen aus Kurdistan - YXK,
Kurdisches Frauenbildungszentrum

- "Geschundene Körper - Zerrissene Seelen. Gewalt an Frauen."
8.06.2001 / Bad Kreuznach, veranstaltet von: amnesty international

- "Anklage vor dem Europäischen Gerichtshof - wichtiger Schritt zur Rehabilitation von Überlebenden politisch motivierter sexueller Gewalt?"
22.06.2001 / Villingen, veranstaltet von: Refugio, Kontaktstelle für traumatisierte
Flüchtlinge e.V.

- "Ich will nicht, daß es Nacht wird....- Veranstaltung über sexuelle Folter an Frauen in der Türkei und den Umgang deutscher Asylbehörden mit geschlechtsspezifischer Verfolgung von Frauen."
24.09.2001 / Berlin, veranstaltet von: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst NGBK

- "Leben heißt frei sein - 20 Jahre terre des femmes. Internationaler Kongress für Frauen- und
Menschenrechte in Berlin"
12. - 13.10.2001 / Berlin, veranstaltet von: terres des femmes, Menschenrechte für die Frau

- "Frauenfeindliches Asylrecht - zur Nichtanerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe"
am 17.10.2001 in Berlin, veranstaltet von: Frauenzentrum Paula Panke e.V.

- "Prozess gegen 19 Angeklagte in Istanbul wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Institutionen"
18.10.2001 in Bremen, veranstaltet von: autonome Frauengruppe Bremen

- "Repressionen gegen kurdische Frauen in der Türkei und Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Exil" im Rahmen einer Veranstaltungswoche: Kurdische Kultur im Schatten der Geschichte
22.10.2001 / Bremen, veranstaltet von: Arbeitnehmerkammer Bremen, DAB, Senator für Inneres, Kultur und Sport, Senator für Arbeit

- "Sexuelle Folter in der Türkei und in Kurdistan - Frauen nach der Flucht"
8.11.2001 / Bonn, veranstaltet von: autonomes FrauenLesbenreferat des ASTA der Uni Bonn, Azadi-Rechtshilfefonds, Fraueninitiative Freiheit für Leyla Zana e.V. u.a.

- "Türkei: Gewalt gegen Frauen durch staatliche Sicherheitskräfte"
25.11.2001 / Düsseldorf, veranstaltet von: Flüchtlingsrat Düsseldorf e.V., amnesty international, Umbruch Bildungswerk

Veranstaltungsreihe: "Human Rights Lectures 2001 Folter - danach ist das Leben ein anderes": "...doch das Innerste meines Herzens ist unantastbar! Sexuelle Folter an Frauen am Beispiel Türkei-Deutschland"
5.12.2001 / Berlin, veranstaltet von: amnesty international-Hochschulgruppe der Humboldt-Universität

Das Interesse war jeweils sehr groß und es konnten etliche neue Kontakte geknüpft werden.

3. Perspektiven und geplante Aktivitäten für die weitere Arbeit

"Gehe Wege, die noch keine ging, damit Du Spuren hinterläßt in der Welt..."
(Eintrag in das Gästebuch der Ausstellung: "Die Würde des Menschen ist (un)antastbar"
von amnesty international Ulm)

Manche Aktivitäten, die wir uns für das Jahr 2001 vorgenommen hatten, haben wir aufgrund der Dichte der Tätigkeiten und in Anbetracht des letztlich ehrenamtlich nur möglichen Einsatzes nicht geschafft. Diese sollen jedoch nicht ungeschehen bleiben, sondern gehören zu den Zielen für 2002. Hierzu gehören:

- Herausgabe eines mindestens zweisprachigen Buches mit Artikeln betroffener Frauen selbst über ihre Hoffnungen, Gefühle, Erwartungen und Erlebnisse nach der erzwungenen Flucht ins Exil;
- Herausgabe eines Readers zu den rechtlichen Entwicklungen im Hinblick auf die Strafverfolgung staatlicher Täter und den Entwicklungen in Praxis und Rechtsprechung der Asylverfahren betroffener Frauen;
- Inbetriebnahme und regelmäßige Aktualisierung der Web-Seite;
- gemeinsame Fahrten zu historischen Orten.

Wir werden unsere regulären Tätigkeiten auch im Jahr 2002 fortsetzen.

Darüberhinaus beinhalten unsere Pläne folgende Punkte:

- Erweiterung der Kontakte und Vervollständigung der Listen der Anwältinnen, Ärztinnen, Therapeutinnen, Dolmetscherinnen und anderer Personen und Einrichtungen, die in den verschiedenen Regionen Deutschlands mit uns zusammen arbeiten wollen;
- Intensivierung regelmäßiger Kontakte zu den Regionalgruppen; Aufbau von Kontakten zu Frauen, deren Institutionen und Organisationen aus anderen Ländern;
- Start einer Bleiberechts- und Schutzkampagne insbesondere für (potentielle) Zeuginnen in Verfahren wegen Menschenrechtsverbrechen;
- Erarbeitung weiterer Möglichkeiten internationaler Strafverfolgung staatlicher Täter von und Verantwortlicher für an Frauen begangenen Menschenrechtsverbrechen;
- Verbindung der Delegationsreisen zu Prozessen mit der Recherche zu bestimmten Themenkomplexen.

Berlin, den 07.01.2002


FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e.V.
i.A. Jutta Hermanns, Vorsitzende


Anlage: Statistik Dezember 2001, Berliner Büro

Anlage:

FrauenRechtsBüro Berlin, Statistik vom 31.12.2001


Gesamtzahl der Anträge 30
· Anzahl der Anträge an Istanbuler Projekt vor Eröffnung des Berliner Büros,
durch Berliner Büro nach Flucht weiter begleitet 4
· Anzahl der Anträge direkt an das Berliner Büro 26


Art der staatlichen Menschenrechtsverletzung:
· Vergewaltigung / Folter 21
· Sonstige sexuelle Folter 9

Von obigen Fällen
o Durch die Foltertat erlittene Fehlgeburten 5
o Gemeinsam mit oder vor den Augen von Kindern im Alter
zwischen 3 ½ -10 Jahren gefoltert 1


Alter1:
· Jüngste 15 Jahre
· Älteste 38 Jahre
· Anzahl der minderjährigen Betroffenen unter 18 Jahren 7
· Anzahl der Betroffenen im Alter von 18 bis 25 Jahren 10


Täterkategorien :
· Polizei (uniformiert und/oder zivil ) 27
· Gendarmerie / Militär 6
· Spezialeinheiten (Özel Tim) 1
· Dorfschützer -
· Vollzugsbeamte -


Herkunft der Frauen:
· Kurdisch 27
· Türkisch 3


Hintergründe:

Politischer Art oder kriegsbedingt
o Kriegsbedingt 3
o Selbst politisch 12
o Um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen
oder Informationen über (meist) männliche
Familienangehörige zu erhalten 17
o Als Bestrafung für politisch aktive Angehörige 4


Anzeigen
· Anzeigenerstattung vor Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 3
· Anzeigenerstattung nach Flucht direkt an das Istanbuler Projekt 1
· Anzeigenerstattung durch Berliner Büro an das Istanbuler Projekt weitergeleitet 3
· Anzeigenerstattung über das Berliner Büro in Vorbereitung 2

Rechtlicher Stand der Anzeigenerstattung gegen die Täter der Folter:
· Vor dem EGMR anhängig 2
· Bei den Staatsanwaltschaften in der Türkei anhängig 4
· Anzeige nach Istanbul weitergeleitet jedoch aufgrund
schlechter "Beweislage" nicht erstattet 1