Gözaltinda Cinsel Taciz
Ve Tecavüze karsi
Hukuki Yardim Projesi
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Sultanahmet / ISTANBUL
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Jahresbericht 2000

Die Türkei ist ein Land des mittleren Ostens, in dem jegliche Art von Gewalt alle Lebensbereiche durchdrungen hat und selbst von den Betroffenen selber auf eine gewisse Art als "legitim" angesehen wird. Der Analyse der Gewalt und des gegen jede Form von Gewalt gerichteten Kampfes muß daher eine Systemstrukturanalyse vorausgehen. Denn das System selber zwingt der Gesellschaft einerseits diese Gewalt auf und verhindert andererseits jeglichen Kampf gegen Gewalt.
Diese Realität erschwert das Aufbegehren der Opfer gegen die erlebte Gewalt ganz außerordentlich. Hinzu kommen feudale Wertenormen, die die Gewalt umgeben und sie normalisieren und durch die ein Aufbegehren der Betroffenen in den meisten Fällen "unmöglich" wird. Wir wollten mit dieser Arbeit ein bißchen auch das "Unmögliche" schaffen. Wir machten uns die Gewalt, sexuelle Mißhandlung und Vergewaltigung, die in der Türkei und Kurdistan den Frauen durch staatliche Kräfte angetan wird, zum Thema. Denn es war uns bewußt, daß Frauen sowohl während der Incommunicadohaft als auch während staatlicher Operationen in den Dörfern, bei Hausdurchsuchungen oder in sonstigen Situationen sexueller Gewalt durch staatliche Kräfte ausgesetzt sind und die von ihnen erlebte Gewalt aus Gründen wie feudalen Werturteilen, Angst, Scham und ähnlichen Gefühlen nicht zur Sprache gebracht wird. Zusätzlich wird durch die Struktur des türkischen Rechtssystems die Anwendung von Gewalt legitimiert. Dies alles waren Gründe für uns, aktiv zu werden.

Seit 3 1/2 Jahren betreiben wir, vier Anwältinnen, das Projekt "Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt wurden".
Zu Beginn unserer Arbeit war eines unserer Hauptziele, bei den von staatlicher, sexueller Folter betroffenen Frauen ein Bewußtsein darüber zu entwickeln, Ihre Rechte zu erkennen und einzufordern.
Seit Beginn der Arbeiten haben sich bis heute 132 Frauen an uns gewandt (siehe Anlage).
Während unserer Arbeiten waren wir mit unterschiedlichsten Problemen konfrontiert.

Unter juristischen Aspekten sind folgende Probleme zu erwähnen:

Im türkischen Rechtssystem ist Gewalt gegen Frauen nicht als eigenständiger Teil konzipiert.
Im Türkischen Strafgesetzbuch sind Gewaltdelikte gegen Frauen im Kapitel "Straftaten gegen die allgemeine Moral und gegen die Familie" angesiedelt. Vergewaltigung ist nicht definiert, wird jedoch nach Urteilen des Kassationsgerichtshofes als "Eindringen des männlichen Geschlechtsorgans in das weibliche Geschlechtsorgan" konkretisiert.
Das hat zur Folge, daß gemäß dem Kassationsgerichtshof eine Vergewaltigung mit Gegenständen, anale und orale Vergewaltigung nicht als Vergewaltigung, sondern als sexuelle Belästigung zu bewerten ist.
Einerseits ist dies eine völlig unzulängliche Betrachtungsweise, andererseits zeigt dieser Art Auslegung, wie sehr die in der Türkei vorherrschende Struktur und Betrachtungsweise von Gewalt gegen Frauen durch eine männliche Herangehensweise durchdrungen ist.

In der Türkei einschließlich der kurdischen Gebiete ist jede Frau, die durch staatliche Kräfte festgenommen wird, mit sexueller Mißhandlung konfrontiert.
Dieser Art sexueller Folter kommt im türkischen Rechtssystem als eigenständige Straftat nicht vor. Aus juristischer Sicht sind wir daher bezüglich derjenigen sexuellen Mißhandlungen, denen die meisten unserer Mandantinnen in Polizeihaft ausgesetzt sind, mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert.

Neben den Schwierigkeiten einer ungenügenden juristischen Definition der in Frage stehenden Straftaten, ist der Nachweis erlittener sexueller Folter ein weiteres entscheidendes Problem.
Wie wir schon in unseren vorherigen Berichten ausgeführt haben, bedarf es für die Erstellung ärztlicher Gutachten nach Vergewaltigungen aus physischer Sicht einer Untersuchung der betroffenen Frauen innerhalb von durchschnittlich 7 bis 10 Tagen, wenn die Betroffene vor der Tat noch Jungfrau war und innerhalb von durchschnittlich 48 Stunden bei allen anderen Betroffenen.
Dies gelingt schon aufgrund der Struktur und Länge der Incommunicadohaft nie. Des weiteren sind die von sexueller Folter betroffenen Frauen nur selten in der Lage, innere Barrieren zu überwinden und innerhalb derart kurzer Zeit über die von ihnen erlebte sexuelle Folter zu sprechen. Aufgrund dieser Realität sind Gutachten über die psychischen Folgen sexueller Folter als Mittel der Beweisführung so ungeheuer wichtig.

Psychologische Gutachten als Mittel des Beweises sind in der Türkei erst seit der Arbeitsaufnahme unseres Projektes in Diskussion. Auch wenn die Erstellung psychologischer Gutachten in keinster Weise den für eine unabhängige Untersuchung notwendigen Standards entspricht, so werden sie doch während der Ermittlungen nach Anzeigen wegen sexueller Folter nicht mehr grundlegend abgelehnt.

Doch auch auf diesem Gebiet sind wir mit etlichen Schwierigkeiten konfrontiert.

Zunächst ist festzuhalten, daß in der Türkei nur ein einziges medizinisch-psychologisches Zentrum existiert, welches sich auf "Gewalt gegen Frauen" spezialisiert hat und in der Lage ist, entsprechende Gutachten zu erstellen, nämlich das "Psycho-Soziale Trauma Zentrum der medizinischen Fakultät Capa".

In diesem Zentrum wurden manche der Frauen, die sich an unser Projekt wandten, untersucht, erhielten Therapien und psychologische Gutachten über die Folgen der von ihnen erlittenen sexuellen Folter. Da jedoch in der Türkei nur "offizielle Gutachter", das heißt Gutachter/innen der offiziellen staatlichen Einrichtung der Gerichtsmedizin anerkannt sind, werden die oben erwähnten, unabhängigen Gutachten von Staatsanwaltschaften und Gerichten zur "Überprüfung" an die Gerichtsmedizin gesandt.
Im allgemeinen lauten die Schlußfolgerungen dieser Einrichtung jedoch, daß "es nicht mehr nachvollziehbar ist, auf welches Ereignis die Traumatisierung zurückzuführen sei" und die Staatanwaltschaften stellen in den Fällen derartiger Begutachtung, gestützt auf diese Formulierung, die Ermittlungsverfahren ein.

In dem Verfahren unserer Mandantin Sükran Aydin ./. Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird jedoch in dem gegen die Türkei gefällten Urteil ausdrücklich die Bedeutung unabhängiger medizinisch-psychologischer Gutachten von auf diesem Gebiet spezialisierten Ärzt/innen betont.
Auch wenn die Gutachtenspraxis in der Türkei diesen Anforderungen nicht entspricht, muß es doch als ein Erfolg der Arbeit unseres Projekts angesehen werden, daß die zu diesem Thema von uns in Gang gesetzten Diskussionen in der Türkei dazu führten, daß sich die Öffentlichkeit für dieses Thema zu interessieren begann und psychologische Gutachten nicht mehr grundsätzlich als Beweismittel außer Acht bleiben.

Nach wie vor ist es jedoch so, daß die Türkei die Garantien der von ihr selber unterzeichneten internationalen Abkommen nicht in innerstaatliche Rechtsvorschriften umsetzt und in der Praxis auch die notwendigen Veränderungen, die sich durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben, nicht vornimmt.

So wurden z.B. gegen die Ärztinnen beim "Psycho-Sozialen Traumazentrum der medizinischen Fakultät Capa" Ermittlungen wegen "Unterstützung der PKK" eingeleitet, nachdem sie für manche unserer Mandantinnen Gutachten erstellt hatten. Derartige Ermittlungen entbehren jeglicher Grundlage und dienen nur dem Ziel, die Ärztinnen zu verunsichern und von ihrer Arbeit auf diesem Gebiet abzubringen. Die Tatsache, daß derartige Repressionen zum Teil die beabsichtigte Einschüchterung der Ärztinnen bewirken konnten, hat auch in unserer Projektarbeit zu etlichen negativen Auswirkungen geführt.
Es ist zu beobachten,, daß die im o.g. Zentrum tätigen Ärztinnen sich zumindest in gewissen Umfang durch diese Repression verändert haben. Sie sind z.Zt. nicht mehr bereit, die Gutachten, die sie über die von uns vermittelten Frauen ausstellen, direkt an uns auszuhändigen. Sie verlangen nun, daß eine offizielle, staatsanwaltschaftliche Aufforderung erfolgt. Das hat zur Folge, daß unsere Beweisführung erneut sehr erschwert ist und auch die Ermittlungsverfahren sich noch mehr in die Länge ziehen, da uns die benötigten Beweismittel in Form dieser Gutachten nicht mehr direkt ausgehändigt werden.

Ein weiteres Thema ist die zwangsweise vorgenommene sogenannte Jungfräulichkeitsuntersuchung. Wir haben diese Praxis vom Beginn unserer Tätigkeiten an als eine Methode staatlicher Gewalt gegen Frauen definiert. Auch wenn diese Methode nicht mehr so verbreitet ist wie zuvor, so kommt sie doch immer noch zur Anwendung (siehe "Fallgeschichten" aus diesem Jahr).

Dies, obwohl nach dem Bekanntwerden der zwangsweise durchgeführten Jungfräulichkeitskontrolle an unserer Mandantin Eva Juhnke in der Öffentlichkeit im Dezember 1998 durch das Justizministerium eine Anweisung an alle staatlichen Einrichtungen verschickt wurde, wonach derartige Jungfräulichkeitskontrollen von der Zustimmung der betroffenen Frauen und der Entscheidung des Arztes abhängig zu machen seien.
Unter Berücksichtigung der Situation in der Türkei muß selbst diese Anweisung als ein Erfolg unserer Projektarbeit bewertet werden, auch wenn sie in der Praxis nicht immer umgesetzt wird.

Auch im Hinblick auf unsere Intention, ein Bewußtsein bei betroffenen Frauen bezüglich des Einklagens ihrer Rechte zu entwickeln, hat das Projekt wichtige Erfolge erzielt.

Die Zahl derjenigen Frauen in der Türkei und Kurdistan, die die an ihnen begangene sexuelle Folter bekannt machen, hat sich entschieden erhöht. Hinzu kommt, daß sexuelle Folter in der Öffentlichkeit endlich als Realität in breitem Umfang wahrgenommen und diskutiert wird.

So wurde z.B. von einem Zusammenschluß von Frauengruppen auf Grundlage der Informationen und Ergebnisse unserer Projektarbeit und unter Zugrundelegung der durch diese Arbeit entstandenen Situation und Entwicklungen im Juni 2000 in Istanbul eine "Konferenz gegen sexuelle Mißhandlung und Vergewaltigung durch staatliche Sicherheitskräfte" durchgeführt.
Diese Konferenz wurde in der Öffentlichkeit tagelang diskutiert. Auch wenn wir als Projekt etliche Kritikpunkte an der Vorgehensweise hatten, steht die Durchführung einer solchen Konferenz doch in direktem Zusammenhang mit der durch die Arbeiten des Projekts geschaffenen Atmosphäre von Interesse und Diskussion um das Thema sexuelle Folter.

Die Diskussionen, die durch unsere Arbeiten im Projekt hervorgerufen wurden, reichten bis in die Große Nationalversammlung der Türkei (Parlament). In diesem Jahr gab es vier Anfragen an das Parlament, die in direktem Zusammenhang mit den Arbeiten unseres Projekts und den von uns betreuten Frauen standen.

Am 23.2.2000 reichte der Abgeordnete der "Tugendpartei", Prof.Dr. Mehmet Bekaroglu, eine Anfrage an das Parlament ein, die sich auf unsere Mandantin Kaze Özlü, welche von Polizisten in Adana vergewaltigt worden war, bezog und verlangte deren Beantwortung durch den Innenminister.

Der gleiche Abgeordnete reichte am 3.5.2000 eine Anfrage im Zusammenhang mit der Situation unserer Mandantin Sevgi Ince ein, mit der er Beantwortung der Fragen hinsichtlich der von unserer Mandantin erlittenen Folter und der nach ihrer Inhaftierung vorenthaltenen, dringend notwendigen medizinischen Behandlung verlangte.

Am 10.5.2000 reichte der Abgeordnete der "Tugendpartei", Zeki Ünal, eine Anfrage an das Parlament ein, die die statistischen Veröffentlichungen unseres Projektes zur Grundlage hatte, und mit der er allgemein erfragte, ob das Parlament Kenntnis von dieser Art Vorfälle habe und was es sowohl zur Strafverfolgung der Folterer als auch zur Verhinderung weiterer sexueller Folter unternehme.

Am 14.6.2000 reichte erneut der Abgeordnete Mehmet Bekaroglu eine Anfrage zur Situation unserer Mandantin Lale Acik ein.

Derartige parlamentarische Anfragen sind unserer Meinung nach von nicht unbedeutender Wichtigkeit. Denn diese Anfragen, so unbefriedigend die Antworten sein mögen, werden als schriftliche Dokumente für immer in die offizielle Geschichtsschreibung der Türkei eingehen.
Das heißt, auf diese Weise wird die Realität von an Frauen begangener staatlicher sexueller Folter in der offiziellen Geschichtsschreibung seinen Platz einnehmen.

Wir haben in den 3 1/2 Jahren unserer Projektarbeit etliche Publikationen herausgegeben. In diesem Jahr wurden die Erlebnisse der Frauen, die sich an uns wandten, in Form von "Fallgeschichten" auch in Englischer Sprache publiziert.
Die Ergebnisse der im Vorjahr begonnen Umfrage unter 200 Frauen, wie sie staatlich verübte sexuelle Gewalt für sich definieren, wurden im Jahr 2000 veröffentlicht.

Darüber hinaus wurde eine juristische Auswertung aller einzelnen "Fälle" vorgenommen, aus der sehr klar hervorgeht, daß staatliche sexuelle Folter nicht vereinzelt vorkommt, sondern systematisch zur Anwendung gelangt und die Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit vorgestellt.

Unser Projekt ist durch die zurückliegende Arbeit zentrale Anlaufstelle für alle "Fälle" von an Frauen begangener sexueller Folter geworden.

Zwei Studentinnen haben sich für ihre Diplomarbeiten an der Universität das Thema "Sexuelle Gewalt gegen Frauen" ausgewählt und werden die Dokumentationen und Veröffentlichungen unseres Projekts zur Grundlage dieser Arbeit machen.

Auch im Jahr 2000 haben wir im Namen des Projekts sowohl im Inland als auch im Ausland an etlichen Veranstaltungen zum Thema unserer Projektarbeit teilgenommen.

Wir gehen davon aus, daß es tausende betroffener Frauen gibt, die die an ihnen begangene sexuelle Folter noch nicht zur Sprache gebracht haben. Ein nicht geringer Teil dieser Frauen ist in den Haftanstalten der Türkei inhaftiert.

Aufgrund einer neuen parlamentarischen Anweisung betreffend Anwaltsbesuchen in den Haftanstalten waren wir im letzten Jahr bis auf wenige, dringende Ausnahmen gehindert, in den Haftanstalten unsere Mandantinnen zu besuchen. Aufgrund dieser Anweisung ist das Gefängnispersonal berechtigt, die Anwältinnen aufs genauste körperlich und generell zu durchsuchen. Hieraufhin haben insbesondere die Anwält/innen, die in politischen Verfahren verteidigen, gemeinsam beschlossen, daß sie aus Protest gegen diese Behandlung solange nicht in der Haftanstalten gehen werden, bis die entsprechende Anweisung zurückgenommen wird. Aus diesem Grunde kam es im Jahr 2000 nur in seltenen Ausnahmefällen zu Besuchen in den Haftanstalten. Diese Situation hat sich sicherlich auch auf die Zahl der Frauen ausgewirkt, die sich neu an das Projekt wandten.

Im Jahr 2000 haben sich 19 neue Frauen an das Projekt gewandt. Ihre einzelnen "Fallgeschichten" befinden sich im Anhang.

Wie schon in den letzten Jahren, lassen sich auch aus den Verfolgungserlebnissen derjenigen Frauen, die sich 2000 neu an das Projekt wandten, folgende Muster der sexueller Folter zugrundeliegenden Absichten ausmachen:

  • 1. Folter, einschließlich sexueller Folter, um "Geständnisse" über die vermeintlichen eigenen politischen Aktivitäten der betroffenen Frauen zu erpressen;
  • 2. Folter und Mißhandlung, einschließlich sexueller Folter, um die betroffenen Frauen einzuschüchtern und von eigenen, wie auch immer gearteten Aktivitäten abzubringen;
  • 3. Folter und Mißhandlung, einschließlich sexueller Folter, als "Bestrafung" für die Aktivitäten anderer Familienmitglieder oder um hierdurch andere, insbesondere männliche Familienmitglieder zum "Sprechen" zu bringen (siehe "Fallgeschichten" 115, 119, 121, 124, 127);
  • 4. Folter und Mißhandlung bis hin zu Vergewaltigung in alleiniger Anknüpfung an die ethnische, d.h. meist kurdische, und die weibliche Identität der Betroffenen.

Zugleich wurden die Verfahren und "Fälle" aus den vorangegangenen Jahren fortgeführt.
Der Stand der Verfahren und allgemeine Angaben sind der im Anhang befindlichen Statistik zu entnehmen.
Leider war es auch im Jahr 2000 immer wieder nötig, andere Organisationen um Intervention zu bitten.
Amnesty international hat daher folgende urgent actions für unsere Mandantinnen herausgegeben (zu beziehen über die Webseite von amnesty international: www.amnesty.de):

Zu K.Ö., die nach Anzeigenerstattung der von Polizisten an ihr als Bestrafung für den Anschluß ihrer Tochter an die PKK Guerilla begangenen Vergewaltigung und Folter immer wieder bedroht wurde, um sie dazu zu bewegen, ihre Anzeige zurückzuziehen, am 29.6.00 zum Zeichen UA - 186/2000 und am 22.11.2000 zum Zeichen UA 186/00 - 1.

Zu 5 Aktivistinnen der "Friedensmütter" (siehe "Fallgeschichten 1128 bis 132) am 19.10.2000 zum Zeichen UA 319/2000 und am 1.11.2000 zum Zeichen UA 319/00-1.

Im Folgenden wollen wir auf einige, exemplarische Erlebnisse derjenigen Frauen, die sich neu an das Projekt wandten, eingehen.

Eine dieser Frauen ist L.A.

Sie wurde 1979 in Tokat geboren und ist ein sozialistisch orientiertes junges Mädchen. Am 1.1.1999 erfährt sie, daß ihre Mutter schwer erkrankt ist und fährt in ihre Heimatstadt. Dort berichtet ihr ihre Familie, daß sie von der Polizei gesucht würde.
Gemeinsam mit ihrer Familie überlegt sie, was sie tun kann und entscheidet sich, zur Polizei zu gehen, um eine Aussage zu machen. Aber noch bevor sie diesen Entschluß in die Tat umsetzen kann, wird sie zusammen mit ihrem großen Bruder am 7.3.1999 von Polizeieinheiten bei sich zu Hause festgenommen. Sie wird zunächst in ein Krankenhaus transportiert, wo einer der Ärzte eine "Jungfräulichkeitskontrolle" an ihr vornehmen soll. Sie widersetzt sich. Die Polizei verdächtigt sie, für einen Anschlag einer "illegalen" Organisation auf die Stadtverwaltung von Tokat verantwortlich zu sein.
Auf der Polizeiwache werden ihr die Augen verbunden. Sie wird geschlagen und von einer Wand zur anderen geschleudert. Zwischendurch wird sie in eine Zelle geführt, jedoch daran gehindert, zu schlafen. Die Beamten verlangen, daß sie sich auszieht. Als sie sich weigert, ziehen sie sie mit Gewalt aus. Sie packen sie an den Haaren und werfen sie auf den Boden.
Sie hat große Angst. Einer der Beamten stemmt sich auf ihren Bauch, ein anderer reißt ihre Beine in die Höhe und beginnt, sie zu vergewaltigen.
In diesem Moment ist sie bereit, alles auszusagen, was von ihr verlangt wird. Sie wird in einen anderen Raum geführt, wo einer der dortigen Beamten lachend zu ihr sagt: "Und, haben die Ungeheuer gut auf dich achtgegeben?"
Später wird Haftbefehl gegen sie erlassen.
Erst im Juni 2000 fühlt sie sich soweit, daß sie über die erlebte sexuelle Folter sprechen kann und berichtet uns hiervon. Wir erstatteten Anzeige und versuchen, ihr zu einer Therapie zu verhelfen, die sie unbedingt möchte.

Ein weiteres Beispiel ist A. T.

A. wurde 1975 in Iskenderun geboren. Sie vertritt linke Ansichten und ist eine türkische junge Frau.
1996 wird sie vom Staatssicherheitsgericht wegen Unterstützung einer linken Organisation gem. Art. 169 Türkisches Strafgesetzbuch zu 3 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt.
Während ihrer Haftzeit im Gefängnis von Burdur führen Sicherheitskräfte am 5.7.2000 eine gegen die Gefangenen gerichtete Operation in der Haftanstalt durch.
Während dieser Operation dringen die staatlichen Sicherheitskräfte in alle Großzellen ein und zerstören diese total. Sie reißen A. an Armen und Beinen in die Höhe und schleifen sie so in den zweiten Stock..
Die an der Operation teilnehmenden Gendarma und Polizisten drohen ihr zunächst damit, sie vom zweiten Stock in die Tiefe zu werfen. Dann lassen sie von diesem Vorhaben ab und werfen sie die Treppen herunter. In der Zwischenzeit waren die Knöpfe ihrer Hose abgerissen und ihre Unterwäsche war zu sehen. Die Gendarma machten sich ununterbrochen durch anzügliche Witze und Beleidigungen über sie lustig. In diesem Augenblick versucht einer der Wärter mit Gewalt eine Neonröhre in ihre Vagina zu stoßen. Da ihre Unterhose noch nicht vollständig zerrissen war, gelang ihm dies nicht vollständig. Drohungen und sexuelle Anzüglichkeiten der umstehenden Sicherheitsbeamten dauerten jedoch an.
Nun versuchen sie, einen der Schlagstöcke in ihren After zu stoßen.
Die Betroffene wird zu einem späteren Zeitpunkt in das Staatskrankenhaus von Burdur gebracht. Der sie behandelnde Arzt behandelt sie herablassend und demütigend. Er besteht darauf, eine Jungfräulichkeitskontrolle durchzuführen, was sie erneut ablehnt. Nach einigen Tagen kommt eine Inspekteurin des Justizministeriums in die Haftanstalt, um die Vorfälle aufzuklären.
Als A. dieser Inspekteurin von den Vergewaltigungen berichtet, glaubt diese ihr nicht und fragt sie "Wieviel cm ist er denn eingedrungen ?".
Diese Frage zeigt, daß auch ihre Sichtweise von Vergewaltigung der männerdominierten Sichtweise des Staates und des Systems entspricht.
Nach dieser Erfahrung wendet sich die Betroffene an unser Projekt und gegen die Verantwortlichen wird Anzeige erstattet. Aber die dringend notwendige Therapie, die sie zu erhalten wünscht, konnte immer noch nicht durchgesetzt werden.

Das dritte Beispiel ist dasjenige der Frauen, die als "Friedensmütter" bekannt geworden sind.

Eine Gruppe kurdischer Frauen mittleren Alters und darüber (zwischen 39 und 65 Jahren alt).
Es handelt sich um ihre Erlebnisse sexueller Mißhandlung auf der Gendarmeriewache von Silopi.
Datum des Vorfalls ist der 4.10.2000, wodurch noch einmal deutlich wird, daß sexuelle Mißhandlung und Vergewaltigung festgenommener Frauen nach wie vor eine Methode ist, die durch staatliche Sicherheitskräfte zur Anwendung gebracht wird.

Die betroffenen Frauen waren zwecks Vermittlung von Friedensgesprächen zwischen verschiedenen kurdischen Kräften nach Südkurdistan (Nordirak) gereist. Bei ihrer Rückkehr in die Türkei wurden sie festgenommen und zur Gendarmeriewache Silopi gebracht.
Hier werden sie unter Anwendung von Gewalt völlig entkleidet und auf äußerst entwürdigende Art und Weise durchsucht.
Während der Verhöre sind ihre Augen verbunden. Sie sind heftigsten verbalen Angriffen ausgesetzt und werden als "Huren und Nutten" beschimpft. In der zweiten Nacht werden sie gezwungen, bis zum Morgen auf den Beinen zu bleiben und zu stehen. Trotz ihres hohen Alters hindert man sie daran, sich zu setzten, zu legen oder zu schlafen. Die jüngste Frau in der Gruppe ist 39 Jahre alt.
Die schwerste Form sexueller Mißhandlung erlebt sie. Ihr Oberkörper ist während der gesamten Verhöre immer splitternackt. Ihr Brüste werden gequetscht und ihr wird damit gedroht, sie so zu photographieren und ihre Photos dann in der Presse zu veröffentlichen. An den Haaren wird sie über den Boden geschleift.

Nach ihrer Freilassung wenden sich die Frauen an das Projekt. Das, was sie erlebt haben und die an ihnen praktizierten Methoden unmenschlicher Behandlung gleichen einander sehr. Auch dies ist ein Anzeichen dafür, daß diese Form sexueller Foltermethoden systematisch zur Anwendung kommt.

Auch wenn das Projekt bei seinen Arbeiten mit Schwierigkeiten juristischer, praktischer und von feudalen Werturteilen herrührenden Schwierigkeiten jeder Art konfrontiert ist, läßt sich doch sagen, daß die Ziele der Projektarbeit in mancher Hinsicht verwirklicht werden konnten.

Denn sexuelle Folter ist endlich kein Tabuthema mehr, sondern ist in der Türkei zu einem viel diskutierten Thema geworden.


Dezember 2000

Im Namen des Projekts:

Eren Keskin, Rechtsanwältin
Jutta Hermanns, Juristin.

Statistische Angaben/ Stand: 8.12.2000