Aus dem Kurdistan Report Nr.99

Mein ist nur das Land, das ich in meiner Seele trage (Marc Chagall)

Sexuelle Gewalt - Methode staatlicher Kriegsführung und Repression Flucht und Exil - Fortsetzung der Zerstörung ?
von Jutta Hermanns, Assessorin im FrauenRechtsbüro


Sexuelle Gewalt als systematisch angewandte staatliche Methode versuchter Zerstörung eines wie auch immer charakterisierten Gegners ist eine der effektivsten Art der Demütigung, wenn nicht im Bewusstsein dieser Tatsache und in kollektiver, solidarischer Art dagegen auf allen Ebenen gekämpft wird. Sexuelle Gewalt, eingesetzt im Krieg oder während bewaffneter Konflikte, ist dabei immer ein Angriff sowohl auf die geschlechtliche als auch auf die nationale, politische und ethnische Identität der Betroffenen. Folgenden Artikel und einen Aufruf von Jutta Herrmanns für das FrauenRechtsbüro in Istanbul veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung.
Um sexuelle Gewalt als Methode der Bekämpfung eines Gegners in ihrer systematisch eingesetzten Dimension aufdecken und dagegen vorgehen zu können, ist immer einer der entscheidenden Wendepunkte der Mut der betroffenen Frauen, das Erlebte zur Sprache zu bringen. Unabhängig von vielen anderen gesellschaftlichen und familiären Gründen, die die Frauen am Sprechen hindern, ist von entscheidender Bedeutung die Absicht des Staates, um jeden Preis ein Aufdecken der eingesetzten sexuellen Gewalt zu verhindern. Viele der Betroffenen können daher erst dann reden, wenn sie sich einem weiteren möglichen Zugriff des Staates entzogen haben - das heißt in der Konsequenz, dass nicht wenige erst nach einer Flucht ins Ausland beginnen, zu sprechen.
Ausgehend von den Erfahrungen unserer Arbeit im FrauenRechtsbüro gegen sexuelle Folter in Istanbul, welches allen hier Interessierten mittlerweile bekannt sein dürfte, sind wir daher zu dem Ergebnis gelangt, dass es von größter Wichtigkeit ist, in den Exilländern, in die Frauen aus der Türkei und zwar insbesondere Kurdinnen flüchten, eine ähnliche Arbeit zu beginnen. Diese soll nicht nur an einer Unterstützung des Projektes in Istanbul ausgerichtet sein, sondern alle Frauen aus der Türkei und Kurdistan/ Türkei, unabhängig von ihren politischen Überzeugungen (außer faschistischer, was sich von selbst versteht) hier im Exil ansprechen.
Sexuelle Folter an Frauen hinterlässt sowohl bei den individuell betroffenen Menschen als auch in der gesamten Gesellschaft, die durch diese Menschen repräsentiert ist, tiefe Spuren, Risse und Zerstörungen, welche auch in den nachfolgenden Generationen fortwirken. Das haben uns alle Untersuchungen zu den Folgen des Holocaust an der jüdischen Bevölkerung durch das deutsche faschistische Regime gelehrt.
Wenn nach Zeiten langer Kriege und Kämpfe gesellschaftlicher Gruppen oder Völker gegen diktatorische und unterdrückerische Systeme in anschließenden Transformationsprozessen zu einer Art Systemveränderung übergegangen wird oder werden soll, wird diese Realität häufig aus politisch-taktischen Gründen heruntergespielt, kollektivem Vergessen anheim gestellt oder zumindest auf eine Art und Weise "aufgearbeitet", die bei den Betroffenen schwerster Menschenrechtsverletzungen das bittere Gefühl hinterlässt, sie, ihre Schmerzen und Wunden und aber auch ihre bedingungslose "Opferbereitschaft" für ein bestimmtes, von ihnen gut geheißenes Ziel, würden nun zum Spielball der neuen politischen Mächte und Eliten. Wieder ist es die Bevölkerung selber, die verliert und d.h., insbesondere die Frauen.
Niemand fragt nach ihren Forderungen, Vorstellungen und Wünschen, da diese politisch nicht opportun sein könnten.
Frauen, und zwar hauptsächlich kurdische Frauen, sind es auch in der Türkei, die die Hauptlast des Krieges und die schwersten Verluste und Opfer im Kampf um politische Selbstbestimmung ihres Volkes zu tragen haben. Sie sind es, die durch den Staat zum Mittel der Sprengung und Zerstörung der kurdischen Gesellschaft degradiert wurden, indem ihre weibliche Integrität systematisch angegriffen wurde. Konsequent gesellschaftliche Werte und Traditionen der kurdischen Bevölkerung berechnend und ausnutzend, ging der Staat schon vor langer Zeit dazu über, das im kurdischen Volk durch lange Jahre des Kampfes gereifte Bewusstsein seiner Existenz, seiner Rechte und der daraus resultierenden Entschlossenheit zu brechen zu versuchen, indem systematisch insbesondere die sexuelle Integrität der weiblichen Mitglieder dieser Gesellschaft angegriffen wurden.
Welche Familie wird der politischen Aktivität der Frauen zustimmen, wenn ihnen so schmerzhaft bewusst ist, dass dies Vergewaltigung und sexuelle Folter zur Folge haben kann?
Welche Brüder und Väter werden ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern darin unterstützen, für ihre Rechte aktiv einzutreten, wenn sie damit rechnen müssen, dass sie morgen vor ihren Augen nackt durch die dreckigen Hände des Feindes "entehrt" werden?
(An dieser Stelle möchte ich die Äußerung einer der Frauen, die sich an uns wandten, wiedergeben: "Nach der Folter, ich war blutverschmiert und nackt, schmissen sie mich in eine Zelle im Keller und ich wusste, in der Zelle gegenüber war einer meiner Brüder. Er muss beobachtet haben, wie sie mich herschleiften. Ich schrie und rief seinen Namen, wollte Trost und Mut, und er sagte mir nur: Geh mir aus den Augen. Haben sie dich angefasst? Ich kann deinen Anblick nicht ertragen! ...")
Und welche Frau schafft es, trotz des Wissens um diese unendliche Brutalität, sich über eigene Angst, Scham und das Unverständnis der Familie und der Gesellschaft hinwegzusetzen, sämtliche bisher geltenden Moral- und Wertvorstellungen zu überwinden und in dem Bewusstsein, morgen eventuell verlassen und allein mit den Folgen ihres mutigen Handelns konfrontiert zu sein, das Haus zu verlassen und politisch aktiv zu werden?
Viele kurdische Frauen haben im Kampf sowohl gegen ihre Familien als auch gegen die permanent existierende Drohung des Staates einen Schritt getan. Und dafür bitter bezahlt. Aber sie äußern zugleich die hierin liegende Erfahrung der Unzulänglichkeit geltender Moralvorstellungen:
Niemand kann sie schützen und die Vorstellung ihrer Väter, Brüder und Ehemänner, sie müssten sie vor "Entehrung" beschützen, was eigentlich nichts anderes heißt, als dass sie sich selber vor "Entehrung" schützen wollen, ist in einem System, in dem der jeder Zeit sowieso mögliche Angriff auf die insbesondere sexuelle Integrität der Frauen eine staatlicherseits systematisch angewandte Methode darstellt, keinerlei Geltung hat. Die staatlichen Sicherheitskräfte schlagen zu, wann immer sie wollen, ob zu Hause, im Dorf, den Parteigebäuden der HADEP oder nach Festnahmen. Unabhängig davon, ob du politisch aktiv bist oder nicht. Schutz gibt es nicht und die einzige Möglichkeit, diese Realität zu überwinden, bestand darin, die Konsequenzen bewusst in Kauf zu nehmen und für eine grundlegende Änderung dieser Realität zu kämpfen. Viele der mutigen Frauen, die diesen Schritt getan haben, haben hierin sowohl ein befreiendes Moment gefunden und haben aber auch einen hohen Preis dafür gezahlt. Insbesondere die Frauen aber, die Betroffene staatlicher Angriffe nur ausschließlich deswegen wurden, weil sie Mitglied der (kurdischen) Gesellschaft sind, ohne dass sie zugleich in irgendeiner Form politisch organisiert waren, zahlen hierfür doppelt und dreifach, wenn sie keine Struktur vorfinden, die ihnen einen unterstützenden Rahmen geben kann. Allein auf sich gestellt, führt dies nicht selten zu Selbstmord, wenn nicht die fortbestehende gesellschaftliche Feudalstruktur ihrer Familie zur Folge hat, dass sie selber getötet werden, um "die Familienehre zur retten." Für beides gibt es leider unendliche Beispiele, die auch durch den Staat bewusst und gewollt berechnet sind:
Der Staat will, dass sich die kurdische Gesellschaft selber und gegenseitig vernichtet und im Angriff auf ihre Werte, versucht er dies zu forcieren. Die Frau ist hierbei der wichtigste Faktor seiner Berechnung.
Dies ist weltweit so, wenn auch in Nuancen verschieden. Und auch in Ländern wie z.B. Deutschland, in denen ein parlamentarisch und damit oberflächlich gesehen "demokratisches" politisches System etabliert ist, führt die gesellschaftliche Blickweise, die Frauen zu sexuellen Objekten degradiert, dazu, dass diese unsere ständige alltägliche Realität von Bedrohung mit Vergewaltigung, schon morgen systematisch auch staatlicherseits gegen uns gerichtet werden kann.
Es ist z.B. hier überhaupt nicht bekannt, dass die Frauen aus der RAF, die in den 70er Jahren festgenommen wurden, nackt einer durch Männer durchgeführten zwangsweisen gynäkologischen Untersuchung unterzogen wurden. Warum: Sie haben es selber nicht besonders wichtig genommen in Anbetracht der brutalen Folter weltweit.
Oder auch folgendes Beispiel: Eine der Frauen, die über unser Projekt hierher kamen, wurde während einer Protestaktion gegen die internationale Politik zur kurdischen Bewegung festgenommen und während ihrer Festnahme durch deutsche Be-amte an "weiblichen Körperstellen angefasst", was bei ihr zu einer totalen, selbst die "deutschen Beamten" erschreckenden Retraumatisierung führte.
Diese Aspekte verdeutlichen die Notwendigkeit von Zusammenschlüssen von Frauen über ihre jeweilige Volkzugehörigkeit und über das jeweilige politische System hinweg, unter dem sie leben, existieren und sich durchsetzen müssen.
Die Erfahrung ist also geprägt von zwei Seiten:
Einerseits bist du Teil eines Ganzen und versuchst rational die Folgen der brutalen Erniedrigung zu verallgemeinern und als politisches und gesellschaftliches Problem zu begreifen, andererseits bist und bleibst du ein Mensch, eine Frau, ein Individuum und als solches hast du die Zerstörung deiner selbst auch allein in dir selber zu verarbeiten.
Es handelt sich hier also um den Kampf sowohl gegen die politische und gesellschaftliche als auch gegen die individuelle Zerstörung als Frau.
Was die Politik der Türkei betrifft, ist durch die PKK mit dem Schritt, einseitig den bewaffneten Kampf für beendet zu erklären, der Weg für eine sogenannte Demokratisierung eröffnet worden. Unabhängig davon, wie stark oder nicht die gesellschaftlichen Kräfte im Land selber sind, um eine "Demokratisierung" des in der Türkei seit so langer Zeit vorherrschenden Systems mit seinen bestimmenden Leitgrundsätzen wie z.B. dem Nationalismus herbeizuführen, sind wir absolut der Ansicht, dass die Verbrechen des Systems an den Menschen und besonders an den Frauen weder vergessen, noch durch Verschweigen vergeben werden können. Im Gegenteil:
Erst die bedingungslose Aufklärung der Dimension dieser Verbrechen und ihrer systematischen, staatlichen Anwendung kann dazu führen, die politische und gesellschaftliche Realität wahrzunehmen und als "Wahrheit", wie sie insbesondere von der betroffenen Zivilbevölkerung erlebt wurde, historisch anzuerkennen. Hierfür bedarf es der Herstellung einer gesellschaftlichen und politischen Atmosphäre, in der eine grundlegende Aufklärung aller Verbrechen möglich ist und niemand mehr Angst haben muss, über das Erlebte Zeugnis abzulegen und Konsequenzen einzufordern. Anerkenntnis von "Wahrheit" ist ein unerläßlicher und vielleicht sogar erster Schritt, um den Riss zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen und aber auch innerhalb der so grausam zersplitterten kurdischen Bevölkerung selber eventuell zu überwinden, ist die Anerkennung und das Eingeständnis des Staates selber, im Rahmen eines insbesondere von den USA transportierten "Aufstandsbekämpfungskonzepts" systematisch politische Verbrechen begangen zu haben.
Wir sind der Ansicht, dass kein System, und weltweit gibt es mittlerweile etliche Bestätigungen hierfür, von sich aus die Systematik staatlicher Verbrechen, noch dazu an Frauen, eingesteht. Dies gilt ebenfalls für die hiervon profitierenden gesellschaftlichen Schichten des entsprechenden Landes und dies gilt auch für diejenigen Länder, die sich selber als "demokratisch" bezeichnen und die wir imperialistisch nennen und die von der brutalen Unterdrückung und Ausbeutung der Betroffenen ebenfalls profitieren. D.h., auch die Nutznießer der eigenen Gesellschaft sowie die internationalen Profiteure müssen, um historische Realität schreiben zu können, aufgedeckt und zur Rechenschaft gezogen werden. Wie diese Rechenschaft aussieht, ist eine andere Frage: letztendlich haben allein diejenigen, die "Opfer" einer derartigen Politik wurden, das Recht, hierüber zu bestimmen.
Was heißt das in unserem Kontext?
Nach einer vom Innenminister der Türkei, Sadettin Tantan, am 11.2. 2000 veröffentlichten Statistik wurden im Land seid 1995 lediglich 10 Polizeibeamte wegen Folter und 84 Beamte wegen sonstiger "Misshandlung" zu Strafen verurteilt. In Anbetracht der Realität, dass Folter und unmenschliche Behandlung nach Festnahmen in der Türkei die übliche und systematisch eingesetzte Methode zur "Informationsbeschaffung", zur Erlangung von "Geständnissen" und zur Zerstörung von individueller und gesellschaftlicher Identität ist, überkommt einen beim Lesen dieser Zahlen das zwiespältige Gefühl, schallend lachen und zugleich aus tiefstem Inneren weinen zu wollen.
Unserer Ansicht nach ist es nach wie vor wichtig, dass Frauen berichten und anzeigen, was sie erlebt haben. Nationale und internationale Strafverfolgung der staatlichen Täter und Verantwortlichen ist unerläßlich, um ein klares Zeichen zu setzen, dass staatlich organisierte Gewalt als Methode zur Durchsetzung wie auch immer gearteter politischer Machtinteressen, international im Namen der Betroffenen zu ächten ist. Auf diese Weise wäre es auch möglich, die Systematik und die Dimension der staatlichen Verbrechen an Frauen aufzudecken. Eine wirkliche "Wiedergutmachung" ist sowieso nie möglich. Aber viele Frauen äußern, dass sie zumindest das Anerkenntnis der ihnen zugefügten Verbrechen, die Übernahme der Verantwortung hierfür und ein offizielles, staatliches "um Verzeihung bitten" erwarten. Da kein Staat der Welt von sich aus ein derartiges Verhalten an den Tag legen wird, muss dies unsere nie endende Forderung bleiben, für deren Realisierung wir uns gemeinsam einsetzen wollen.
Viele der betroffenen Frauen waren gezwungen in das Exil zu gehen. Die Gründe hierfür haben wir schon oft dargelegt. Schon während unserer Arbeit in der Türkei und Kurdistan/ Türkei wurde deutlich, dass wir die tatsächliche Dimension der verübten staatlichen, sexuellen Angriffe auf Frauen lediglich erahnen können und dass diejenigen Frauen, die den Mut aufbrachten, die staatlichen Täter anzuzeigen oder öffentlich Zeugnis über die an ihnen begangenen Verbrechen abzulegen, noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs sichtbar werden lassen. Viele Frauen flüchteten, nachdem sie diese Erlebnisse in eine Ecke ihres Herzens verbannten und ohne sich jemals einer Vetrauensperson mitgeteilt zu haben.
Hier im Exil beginnt eine neue Phase, die sowohl die Möglichkeit weiterer Zerstörung auf einer anderen Ebene mit sich bringen kann, als auch die Möglichkeit eröffnet, sich miteinander und mit Frauen aus anderen Ländern zusammenzuschließen.
Es ist jedoch unerträglich zu erleben, wie es der Apparat der deutschen Bürokratie, angefangen von den menschenverachtenden Bedingungen während des Asylverfahrens bis hin zu den bürokratischen Spitzfindigkeiten und Demütigungen nach Abschluß des Asylverfahrens schafft, was die offene und brutale Gewalt eines Systems wie dem der Türkei nicht schaffen konnte: Menschen langsam und gezielt zu zemalmen und in ihrem Kern von Würde zu zerstören. Frauen, die es schafften, der zerstörerischen Folter im Bewusstsein ihres Mensch-Seins zu widerstehen und wahnsinnig stark waren, brechen nun hier durch die täglichen Demütigungen, Bevormundungen und das absolute Unverständnis satter Bürokraten zusammen. Hinzu kommt ein ausgefeiltes System von Repressionen.
Insbesondere in der letzten Zeit haben Durchsuchungen, Festnahmen, fadenscheinige Ermittlungsverfahren und Ausweisungen zugenommen. Der deutsche Staat scheint es sich zum Ziel gemacht zu haben, die kurdischen Strukturen gerade jetzt, nach einer Neukonzeption der PKK, völlig zu zerschlagen. Diese Strukturen stellen jedoch die nicht endende Hoffnung des so schwer verletzten kurdischen Volkes dar, eines Tages doch in den Besitz seiner legitimen Rechte zu gelangen. Der Versuch, politische Organisierung völlig zu zerschlagen, bestätigt ein weiteres mal, dass das kurdische Volk mit seinem Anliegen weltweit isoliert werden soll und sich nur auf seine eigene Kraft verlassen kann. Der deutsche Staat zwingt durch diese Repression die hiesigen kurdischen Strukturen dazu, sich permanent mit den Folgen dieser Repression auseinanderzusetzen. Hierdurch werden Kräfte gebunden, die so dringend für die politische Arbeit gebraucht werden, was ohne Zweifel auch die Absicht ist: Der deutsche Staat sieht sich in seinen diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zur Türkei durch eine politisch aktive, für ihre Rechte eintretende und bewusste kurdische Immigrationsgemeinschaft bedroht. Er will aus ihr einen "Milch schleckenden Tiger ohne Zähne" machen.
Auch dies wirkt sich zusätzlich auf die Situation der hierher flüchten müssenden Frauen aus. Eingeständnis der jahrzehntelangen Existenz einer verbrecherischen Staatsstruktur, "Wiedergutmachung" und eine politische Transformation in der Türkei, durch welche zukünftig die an ihnen begangenen staatlichen Verbrechen verunmöglicht werden, scheinen in noch weitere Ferne zu rücken.
Es ist unabweisbar, dass es einen Bedarf für solch ein Projekt auch hier im Exil gibt.
Als Beispiel möchten wir nur anführen, dass wir allein in einem Büro in einer kleinen deutschen Stadt, in dem die dort tätigen Anwältinnen sich u.a. mit Asylrecht beschäftigen, von den Asylverfahren von sechs kurdischen Frauen erfahren haben, die vor ihrer Flucht unter Folter vergewaltigt wurden und erst jetzt darüber berichteten, nachdem ihnen in den bereits verloren geglaubten Asylverfahren keine andere Chance mehr zu bleiben schien. Nach wie vor ist dies jedoch ihr Geheimnis, welches ihre Herzen zerfrisst und nun zusätzlich von ihren Anwält/innen geteilt wird. Denn ihre Familien und die Öffentlichkeit wissen nach wie vor nichts hiervon. Wenn schon in einem einzigen Büro so viele betroffene Frauen anzutreffen sind, kann sich leicht ausgemalt werden, wie viele von sexueller Folter betroffene Frauen sich tatsächlich hier im Exil aufhalten.
Wir gehen davon aus, dass alle Anwältinnen und Anwälte, die sich hier mit Asylrecht beschäftigen, ähnliche Erfahrungen haben. Das gleiche gilt für die Behandlungszentren für Folterüberlebende und die humanistischen Organisationen wie z.B. Pro Asyl oder amnesty international. Sie alle kennen Frauen, die Betroffene von sexueller Folter sind und versuchen auf ihren jeweiligen Arbeitsgebieten, Unterstützung zu gewähren.
Eine Flucht ins Exil ist NIE freiwillig, sie hinterlässt tiefe Gefühle von Verrat an denjenigen, die zurückbleiben (mussten) und weiterhin täglich mit der Gefahr derartiger Gewalt konfrontiert sind, sowie Zustände tiefer Einsamkeit in einer Umgebung und Gesellschaft, die auch nicht ansatzweise erahnen kann, welche Dimensionen die politische Repression im Herkunftsland der betroffenen Frauen haben und wie viel Mut und Selbstlosigkeit es erfordert, hiergegen zu kämpfen.
Exil - bedeutet für die meisten Frauen von ihrem Wunsch her, sich an einen Ort zu begeben, an dem sie sich sammeln können, um zumindest von den äußeren Umständen her ohne die permanente Furcht, erneut derartiger Gewalt ausgesetzt zu werden, die Ruhe zu finden, sich wieder aufzubauen.
Hierzu gehört auch, Bedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, sich als Teil eines gemeinsamen, sich fortsetzenden Kampfes gegen die Verhältnisse zu begreifen, wegen derer sie gezwungen waren, zu fliehen.
Dies kann niemals ein individueller Vorgang sein, in dem es lediglich darum geht, das eigene Seelenheil zu retten. Die Betroffenen wissen dies meist ganz genau - jedoch sind sie im Exilland mit Bedingungen und Verhältnissen konfrontiert, die sie erneut zu passiven, kranken Opfern zu machen versuchen, denen - im besten Fall - geholfen werden muss.
Das betrifft sowohl die institutionalisierte, strukturelle Gewalt, die auf deutschen Gerichten, Behörden und Ämtern vorherrscht, als auch die meist gut gemeinten, im Ansatz aber völlig zum Scheitern verurteilten "Hilfsbemühungen" verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen, solange diese nicht in einen Rahmen politischer Bekämpfung der Ursachen eingebettet werden.
Exil - ist Teil des Traumas und je erniedrigender die Bedingungen des Exils, desto tiefer die Retraumatisierung und Passivisierung.
Exil - kann aber auch genutzt werden, um zusammenzukommen und gemeinsam Strategien zu entwickeln; kann die Chance sein, in Gegenseitigkeit voneinander zu lernen, wenn in diesem Bewusstsein die notwendigen Bedingungen hierfür geschaffen werden.
Ziel des hier geplanten Projekts ist es, unter den aktiven Frauen aus den bestehenden Arbeitsbereichen und gemeinsam mit und für die betroffenen Frauen aus der Türkei und Kurdistan sowie ihren eigenen hiesigen Organisationsstrukturen, ohne Unterscheidung nach Herkunft und Ansichten, ein Netz aufzubauen, welches alle Lebensbereiche umfasst. Vom grundlegenden Verständnis her soll sich bei der gemeinsamen Arbeit im Projekt an den Bedürfnissen, Wünschen und Forderungen der betroffenen Frauen orientiert werden.
Das Projekt wird mit unserem Projekt in Istanbul direkt zusammenarbeiten und somit eine Zweigstelle desselben darstellen. Das bedeutet auch die Möglichkeit, noch hier im Exil Anzeige gegen die staatlichen Täter zu erstatten, denn dafür ist es nie zu spät.Die Arbeit soll zugleich eine Unterstützung und Stärkung der Tätigkeiten des originären Büros in Istanbul beinhalten. Wir werden ab jetzt über die weiteren Entwicklungen regelmäßig berichten.

04.03.2000
Für das FrauenRechtsbüro gegen sexuelle Folter - Assessorin Jutta Hermanns