Erklärung der PJA zum internationalen Menschenrechtstag 2002

Keine ernsthaften Veränderungen in der türkischen Menschenrechtspolitik

Am 10. Dezember 1948 wurde von der UNO die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet, in der Menschenrechte wie z.B. das Recht auf Leben und Freiheit der Person, Verbot der Folter, Gleichheit vor dem Gesetz, Recht auf Meinungsfreiheit, Gewissens- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und ein allgemeines, gleiches Wahlrecht als das höchste zu erreichende Ziel der Menschheit beschrieben wird. Seitdem gilt der 10. Dezember als „Tag der Menschenrechte“.
Der Frieden der UNO entspricht jedoch nicht dem Frieden der Völker. Denn die führenden Staaten der UNO mischen überall dort mit, wo Menschenrechte in großem Stil verletzt werden. Ein besonderer „Bedarf“ an Menschenrechtsverletzungen besteht dort, wo sich der Widerstand gegen das bestehende herrschende System organisiert, wie zum Beispiel in Kurdistan.

Wir kämpfen nur für unsere Menschenrechte
Der 20jährige kurdische Freiheitskampf war und ist ein Kampf für die Menschenrechte unseres Volkes.
Als Partei der Freien Frau glauben wir, dass das Problem der Menschenrechtsverletzungen durch grundlegende Veränderungen der existierenden Staats- und Gesellschaftsstrukturen abgeschafft werden kann. In einer Welt, in der profitorientierte Politik zunehmend zu einem unantastbaren Wert wird, wird Gewalt als fundamentales Instrument zur Verletzung der Menschenrechte eingesetzt werden. Dies haben wir 20 Jahre lang von der Türkei erfahren. Für die EU-Staaten und der USA, als wichtige Verbündete der Türkei hatten wirtschaftliche und militärstrategische Interessen Vorrang. Debatten über Menschenrechte blieben oft reine Lippenbekenntnisse. Dies war auch der Grund, warum gegen die massiven türkischen Rechtsverletzungen keine ernsthaften diplomatischen, politischen und rechtlichen Schritte unternommen worden sind.
Seit drei Jahren bemüht sich unser Volk nach der Ausrufung der Friedensstrategie durch den KADEK (Kurdistan Kongress für Freiheit und Demokratie) für eine politische Lösung und eine Demokratisierung der Türkei. Entgegen unseren Friedensbemühungen beharrt die Türkei auf ihrer klassischen Logik: Negierung und Leugnung der kurdischen Existenz. Die einzige Erneuerung besteht in der Anwendung neuer Methoden. So wurde zum Beispiel letzte Woche nach 16 Jahren der Ausnahmezustand aufgehoben. Kurz darauf war eine erneute Aktivierung der berüchtigten Todesschwadronen zu verzeichnen. Wieder verschwinden in Kurdistan Menschen spurlos.

Offensive Rechtsverletzungen gegen Öcalan - Todesstrafe auf Raten
Im August diesen Jahres wurde die Todesstrafe in der Türkei außer im Krieg und in kriegsnahen Zuständen abgeschafft. Auch die Todesstrafe gegen Abdullah Öcalan, der Vorsitzender des KADEK (Kurdistan Kongress für Freiheit und Demokratie) ist und dem in der kurdischen Bevölkerung große Liebe und Achtung entgegengebracht wird, wurde in eine lebenslange schwere Haftstrafe umgewandelt. Zeichnet sich eine Wandlung in der Gesinnung der verzweifelt an der Macht Festhaltenden in der Türkei ab?
Nein. Gewandelt haben sich lediglich die Methoden. In Rücksichtnahme auf die lästige Argumentation in punkto Menschenrechtslage, die von der EU immer wieder hervorgebracht wird, wenn es darum geht, die Mitgliedschaft der Türkei hinauszuschieben, wurden einige gesetzliche Reformen vollzogen. Vernichtet werden soll Abdullah Öcalan und mit ihm die demokratische kurdische Bewegung nach wie vor. Aber die Türkei hat von der europäischen Heuchelei gelernt. Statt dem Galgen, dem ein mittelalterliches Image anhaftet, wird die Isolation angewendet, eine im Westen als „weiße Folter“ bekannte Methode, mit der Geist und Körper langsam und ohne Blutvergießen vernichtet werden. Um die Lebens- und Haftbedingungen unseres Vorsitzenden umgehend und bleibend zu verbessern, wird zwischen dem 10. Dezember 2002 und dem 15. Februar 2003 überall auf der Welt, wo wir organisiert sind, eine Kampagne für seine Freiheit stattfinden.

Femizid: Zwangssterilisierungen kurdischer Frauen
Eine weitere schwere Menschenrechtsverletzung, die kürzlich erneut in Kurdistan an die Öffentlichkeit geriet, betrifft die Bevölkerungsregulierung à la Hitler. Um ein Anwachsen des kurdischen Bevölkerungsanteiles zu verhindern, werden im Rahmen einer breit angelegten und geheim betriebenen Maßnahme kurdische Frauen sterilisiert. Dabei werden die Frauen gezielt falsch informiert und ihre Unkenntnis der türkischen Sprache sowie von Methoden der Familienplanung ausgenutzt. Nicht der freie Wille der Frau ist demnach entscheidend für die Geburt eines Kindes, sondern ihre Volkszugehörigkeit.

Folter
Aber auch die „alten“ Methoden der Menschenrechtsverletzungen sind nach wie vor aktuell in der Türkei. So berichten Menschenrechtsgruppen von neun Folterfällen, die allein im November 2002 bekannt geworden sind. In den Gefängnissen dauert die inhumane Behandlung vor allem politischer Häftlinge weiter an. Frauen in Gefängnissen werden nach wie vor sexuell misshandelt.

Lösungswege
Die strategische Lösung für das Problemfeld Menschenrechtsverletzungen sehen wir in einer demokratisch organisierten, bewussten Zivilgesellschaft. Als Partei der Freien Frau sind wir davon überzeugt, dass das seit 5000 Jahren bestehende patriarchale System abgeschafft werden muss, damit die Menschheit in Freiheit und Würde leben kann. Unter Patriarchat verstehen wir dabei nicht nur ein System, in dem Frauen unterdrückt werden. Vielmehr handelt es sich bei der Versklavung der Frau beim Übergang zum patriarchalen Gesellschaftssystem um den ältesten Widerspruch, mit dem alle anderen existierenden Unterdrückungsformen eingeleitet worden sind. Wir betrachten auch nicht die Männer als unsere Feinde, sondern das System, das uns alle seit Jahrtausenden prägt. Sowohl wir Frauen als auch Männer müssen dieses System hinterfragen und dagegen ankämpfen. Als PJA beschäftigen wir uns seit Jahren mit der Frage, wie die Welt beschaffen sein soll, in der wir leben wollen und in der Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen Gültigkeit haben. Um unseren Diskussionsstand mit den Frauen der Welt teilen und erweitern zu können, haben wir ein Konzept für einen neuen Gesellschaftsvertrag entworfen, den wir in Kürze veröffentlichen werden.

Partei der Freien Frau (PJA)

10. Dezember 2002