Aus Kurdistan Report Nr.101

Wenn eine Frau ein klares Ziel hat, wird sie auch Mittel und Wege finden...

Mit der Freien Frauenpartei PJA in die Zukunft

Ein Beitrag von Servin Lolan

Anlässlich der erfolgreichen Beendigung des Kongresses der Freien Frauenpartei PJA (Partiya Jinen Azad) wollen wir in diesem Artikel die Entwicklungsgeschichte der Freien Frauenbewegung Kurdistans sowie die Bedeutung des Frauen-Befreiungskampfes im 21. Jahrhundert darlegen. Auch wenn die besonderen Bedingungen der Kolonialisierung des kurdischen Volkes – und insbesondere der kurdischen Frauen – nicht vernachlässigt werden dürfen, so lassen sich aus diesem Entwicklungsprozess, der nicht unabhängig vom Erbe weltweiter Frauenkämpfe für Frieden und Freiheit zu sehen ist, eine Reihe von Schlussfolgerungen für den Aufbau einer internationalen Frauenbewegungsperspektive ableiten.

Am Beispiel der Freien Frauenpartei PJA, die Heute über Tausende von Militanten unterschiedlicher Nationalität und Klassenherkunft sowie Millionen von Unterstützerinnen verfügt, wird deutlich, das es durch Frauenorganisierung trotz aller durch patriarchale Herrschaftssysteme erzeugter widriger Umstände möglich ist, ein neues Lebensprojekt auf sozialistischer Grundlage zu verwirklichen. Schwierigkeiten und Rückschläge können nur die Suche nach Wegen und eine Intensivierung unsere Anstrengungen verstärken, wenn wir den Anspruch haben, als Frauen frei und selbstbestimmt zu leben. Nur so wird sich eine Alternative zur Neuen Weltordnung der Herrschenden schaffen lassen, die mit ungeheurer ökonomischer Ungleichheit, rassistischer und sexistischer Unterdrückung, Umweltverschmutzung, Nuklear- und Gentechnologie die Lebensbedingungen der Menschheit bedroht. Gegenüber dieser Gefahr ist es unsere Aufgabe, mit internationalen Frauenbündnissen, mit dem Kampf um Frieden, Demokratie und Menschenrechten freie und solidarische Beziehungen zwischen Menschen und Völkern aufzubauen.
Zwischen dem 29. Juli und 31. August 2000 verwirklichte die kurdische Frauenbewegung den 3. Kongress in ihrer jungen Geschichte, zu dem sich 196 Delegiertinnen aus unterschiedlichen Gebieten und Aufgabenbereichen in den Bergen Kurdistans versammelt hatten. Dieser 3. Kongress war als außerordentlicher Kongress zu einem vorgezogenen Zeitpunkt einberufen worden.
Nachdem der Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan im Rahmen seiner Verteidigungsrede im Sommer 1999 einen konkreten Plan für eine friedliche politische Lösung der kurdischen Frage auf der Basis von Demokratie, Menschenrechten und kultureller Anerkennung entworfen hatte, war es der kurdischen Frauenbewegung ein dringendes Anliegen geworden, ihre Aufgaben und Ziele im Zusammenhang mit dieser neuen Phase zu diskutieren. Über die Rolle des Frauenbefreiungskampfes im 21. Jahrhundert wurden die Erfahrungen von Frauenbewegungen unterschiedlicher Länder – ihre Gewinne und Gründe für erlittene Niederlagen – die Situation von Frauen im Realsozialismus ebenso bewertet, wie auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte geführt wurde. Im Anschluss daran wurden Manifest und Programm des Frauenbefreiungskampfes verabschiedet sowie umfangreiche Beschlüsse bezgl. der Aufgaben der Frauenorganisierung für die mit dem Friedensprozess einhergehende gesellschaftliche Neugestaltung gefasst, Kriterien für eine Gesellschaft aufgestellt.

Vom Widerstand gegen Tod und Vertreibung zum Aufbau der Frauenorganisierung
Seit den Serhildans, den Volksaufständen Anfang der 90’er Jahre hatten sich motiviert durch den bewaffneten Kampf gegen nationale Unterdrückung zunehmend auch Frauen dem politischen und militärischen Kampf der PKK angeschlossen. Von der Verleugnungs- und Völkermordpolitik des türkischen Staates bedroht, entschlossen sich Tausende von Frauen, die häufig Zeuginnen der Dorfzerstörungen, Folter und Ermordung von Angehörigen gewesen waren, das Unrecht nicht mehr schweigend hinzunehmen. Bei ihrem Anschluss an die Bewegung dachten viele von ihnen weniger an den Kampf für ein freies und unabhängiges Leben als viel mehr an einen würdevollen Tod. Da der Tod angesichts der Massaker an der Zivilbevölkerung unausweichlich schien, wollten sie dem Feind zumindest bis zuletzt Widerstand entgegensetzen und damit den Gedanken an ein unabhängiges Kurdistan, der für sie ein freies Leben symbolisierte, lebendig halten. Jedoch bedeutete allein dieser Schritt schon einen mutigen Bruch mit der engen feudalen Familien- und Stammeswelt, in der das Existenzrecht der Frau vollständig an den Mann gebunden war. Väter, Brüder und Ehemänner bestimmten über Körper und Leben der Frauen und Mädchen bis ins kleinste Detail, viele wurden bereits in jungem Alter zwangsverheiratet, weshalb sie niemals die Chance besaßen eine eigene Meinung, einen eigenen Willen zu entwickeln oder gar eine Schulbildung zu empfangen, während ihre Kultur und Sprache durch den türkischen Staat verboten war. Somit erlebten viele der kurdische Frauen, den Anschluss an die Befreiungsbewegung bereits als persönliche Befreiung, denn zum erste mal waren sie keine gedemütigten Opfer, sondern eigenverantwortlich handelnde Subjekte, fällten selbst eine lebensbestimmende Entscheidung.
Obwohl der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, zu diesem Zeitpunkt bereits die Parallelität von nationaler, ökonomischer und sexistischer Unterdrückung analysiert und ein umfassendes Befreiungsverständnis entwickelt hatte, konnten damals nur wenige Frauen bewusst mit dem Geschlechterwiderspruch umgehen, da die streng feudalistische und religiöse Erziehung in ihren Persönlichkeiten tiefe Spuren hinterlassen und sie niemals die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Politik, Gesellschaft und Wissenschaft gehabt hatte. Jedoch reagierten viele Frauen auf die Bildung der Frauenarmee mit Ablehnung und Unverständnis. Während viele Frauen mangels Erfahrung und Selbstvertrauen es für unvorstellbar hielten, ohne männliche Unterstützung und Leitung zu leben und zu kämpfen, sahen andere in der Bildung der Frauenarmee die Absicht, sie von den bewaffneten Auseinandersetzungen an vorderster Front fernzuhalten. Somit bedeutete die Errichtung von Fraueneinheiten einhergehend mit der Übergabe von Führungsaufgaben an Frauen eine harte Konfrontation mit der eigenen Realität. Eigene Stärken und Schwächen, die bislang durch den Schatten des Mannes verborgen geblieben waren, traten nun deutlich hervor. Frauen lernten sich selbst kennen, überwanden ihre Selbstentfremdung. Viele Kämpferinnen konnten zunächst Kommandantinnen nicht akzeptieren, da sie infolge ihrer feudal-patriarchalen Familienerziehung Frauen derartige Kompetenzen absprachen.
Nach dem Tod der Freundin Beritan, die 1992 durch ihren heldenhaften Widerstand bekannt wurde und den außergewöhnlichen Kampfgeist kurdischer Frauen symbolisierte, die sich gegen Unterdrückung auflehnten, begann der Vorsitzende der PKK 1993 den Aufbau der Frauenarmee zu initiieren. Hiermit wurde der Aufbau eines neuen Gesellschaftsprojektes in Angriff genommen. Waren Armeen bislang mit patriarchal-militaristischem Charakter durch herrschende Klassen errichtet worden, um sowohl das eigene Volk mit Kadavergehorsam gefügig zu machen als auch andere Völker zu unterwerfen, organisierten hiergegen unterdrückte Klassen und Völker ihre eigenen Militärverbände und Guerillagruppen mit dem Ziel, die Gewalt der Herrschenden zurückzudrängen und sich aus der Unterdrückung zu befreien. Teilweise beteiligten sich auch Frauen am bewaffneten Widerstand. Jedoch hatten sie innerhalb der militärischen Organisation niemals ihre eigene Interessenvertretung. Als unterdrücktester Teil aller Gesellschaften hatten Frauen unter der kriegerischen Zerstörung und männlichem Militarismus besonders zu leiden, und immer wieder waren sie es, die sich auf den Leichen- und Trümmerfeldern für einen neuen Gesellschaftsaufbau aufopferte, ohne jemals ihre eigene Bedürfnisse artikulieren und eine neue soziale Ordnung gestalten zu können.
Vor diesem Hintergrund muss die Organisierung der Frauenarmee innerhalb der kurdischen Revolution nicht nur als ein militärisches sondern vorrangig als eine ideologisches, kulturelles, politisches und soziales Ereignis betrachtet werden. Mit der eigenständigen Organisierung von Frauen, der Entwicklung ihres Bewusstseins, ihrer Kraft und ihren Fähigkeiten wurde die Voraussetzung für die gesellschaftliche Befreiung und den Aufbau neuer Beziehung geschaffen. Diese Dimension wurde bis zu Verwirklichung des 1. Frauenkongresses 1995 und der Gründung des Freien Frauenverbandes YAJK nur von wenigen Militanten wirklich begriffen, da sie bereits den Anschluss an die Bewegung im Gegensatz zu der gesellschaftlichen Realität, aus der sie gekommen waren, als Befreiung empfunden hatten. Das weder die Frauen die von ihr verinnerlichte Unterdrückung noch der Mann das ihm anerzogene Herrschaftsgehabe allein mit dem physischen Abstand zur alten Gesellschaft überwinden konnten, konnte erst im Zuge der Auseinandersetzung begriffen werden. Einhergehend mit der Entwicklung dieses Bewusstseins wuchs der Glaube an die eigene Kraft und Organisierung. Erstmalig wurde ein Frauenhauptquartier (YAJK-Karargah) aufgebaut, dem die Koordination der militärischen und politischen Frauenarbeit, die Organisierung und Ausbildung der weiblichen Militanten unterstand. Obwohl die Gründung der YAJK ein strategischer Schritt zur Entwicklung einer freien, kollektiven Frauenorganisierung gewesen war und ihr durch den Parteivorsitzenden große Eigeninitiative und Unterstützung verliehen wurde, gelang es auch in dieser Phase noch nicht der umfassenden Führungsrolle in allen Bereichen gerecht zu werden. Da auch in der Geschichte von Befreiungskämpfen bislang Beispiele für die Entwicklung eines durch Frauen geprägten sozialistischen Führungsstils fehlten, kam es so zeitweise zur Nachahmung der Herangehensweise der männlichen Genossen, was eine vorrangig auf den militärischen Aspekt bezogene Kampfauffassung entstehen lies und die Herausbildung eine eigenen Identität als Frauen in Befreiungskampf verhinderte.
Durch die Aktion der Freundin Zilan (Zeynep Kinaci) in Dersim am 30. Juni 1996 wurden jedoch Tausende Frauen – und auch Männer – neu aufgerüttelt. Das politische und militärische Bewusstsein, mit dem die junge Genossen ihre Aktion eigenständig geplant und durchgeführt hatte, ihre vor der Aktion verfassten Briefe an die Genossinnen, den Parteivorsitzenden und das kurdische Volk waren eine deutlicher Beweis für die Energie und Entschlossenheit einer Frau im Kampf für ein freies Leben. Nun begannen Frauen zum ersten Mal sich selbst ernst zu nehmen, sich Ziele zu setzen und einander Vertrauen entgegen zu bringen, denn Zilan hatte ihnen gezeigt, dass es mit politischer und ideologischer Auseinandersetzung, mit gedanklicher und moralischer Stärke möglich war, ein Ziel zu erreichen. Ihre Überzeugung von einem großen Leben und einer großen Aktion, ihre Verbundenheit, die sich in ihren als Manifest für ein neues Leben bezeichneten Briefen zum Ausdruck brachte, zeigen, das diese Aktion kein einfacher “Selbstmordanschlag” war, wie es auch in der Berichterstattung der deutschen Presse hieß. Es handelt sich in ihre Wirkung vielmehr um eine unnachahmbare Tat, die nun von neuem Verbundenheit zum Leben und Mut erzeugte. Damit begann für die YAJK ein neues Kapitel in der Geschichte der Frauenorganisierung, das von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte des Matriarchats, der Situation der Frauen in Mesopotamien und den weltweiten Befreiungskämpfen begleitet wurde und ein wachsendes Interesse und Bewusstsein bezüglich der Notwendigkeit der Frauenorganisierung hervorbrachte.
Der Parteivorsitzende regte die Genossinnen von YAJK zu neuer Forschung und Diskussion an und verlieh diesem Prozess ein neues Niveau, indem er die Prinzipien der Frauenbefreiungsideologie und die Befreiung der Frau als radikale Loslösung von männlichen Macht und Abhängigkeit formulierte. Hiermit zeigte er eine Alternative zu allen bisherigen, auf patriarchaler Herrschaft beruhenden Gesellschaftssystemen auf.

Frauenbefreiungsideologie als Grundstein für ein neues Gesellschaftsprojekt
Die Herrschaft des Menschen über den Menschen, die Klassifizierung von Menschen anhand verschiedener Unterdrükkungsformen begann mit der gewalttätigen Durchsetzung patriarchaler Herrschaft im Zuge derer in Zehntausenden von Jahren durch Frauen geschaffenes Wissen, am allgemeinen Bedürfnis orientierte Produktionsweisen, gleichheitliches Recht und Gesellschaftsbeziehungen vernichtet wurden. Während einerseits gewalttätige, herrschende Männerpersönlichkeiten hervortraten, wurden Identität und Persönlichkeit der Frauen systematisch gebrochen. Die Frau wurde zum Objekt degradiert.
Alle Systeme, seinen sie feudaler oder bürgerlich- kapitalistischer Prägung, trugen fortan patriarchalen Charakter, d.h. sie lehnten auf individueller, institutioneller, kultureller, ökonomische und politische Ebene an Männerherrschaft und deren Logik an. Auf Grund dessen sah sich der Mann niemals gezwungen, seine Persönlichkeit und Beziehungsformen zu hinterfragen. Männer sahen sich niemals veranlasst, sich mit Gedanken auseinanderzusetzen, die ihre Herrschaft gefährden oder sie zum Gegenstand von Kritik hätten machen können.
Wegen dieser durch seiner Sozialisation verinnerlichten Einstellung ist es für einen Mann um ein vielfaches schwerer, eine sozialistische Persönlichkeit zu erreichen. Frauen hingegen, die mit ihrer Sozialisation und natürlichen Fähigkeit zu gebären, d.h. Leben zu erschaffen, trugen stets Verantwortung für die Gemeinschaft, setzten ihr Denken und Handeln in Bezug zur Gesellschaft. Unabhängig davon, ob eine Frau nun selbst Mutter war, begriff sie andere Lebewesen als Teil ihrer eigenen Existenz, worauf sich dies frühsozialistische, gleichheitliche Wesen der matriarchalen Urgesellschaft zurückführen lässt. Diese historische Realität verdeutlicht, dass mit der Überwindung des patriarchalen Herrschaftssystems und der aktiven, auf freiem Denken, Fühlen und Handeln beruhenden Teilnahme von Frauen in allen Bereichen ein sozialistischer Neugestaltungsprozess realisierbar ist. Damit ist Frauenbefreiungsideologie nicht nur eine auf die Frau bezogene Ideologie, sondern beinhaltet eine internationale, soziale Perspektive für die Verwirklichung von Demokratie, Frieden und Freiheit.
Als ein Grund für das Scheitern des Realsozialismus, der nicht über ein staatskapitalistisches Modell hinausragen konnte, kann in diesem Zusammenhang seine taktische Herangehensweise an die Frage der Frauenbefreiung genannt werden. In dieser Erfahrung zeigte sich, dass der älteste Widerspruch der Menschheitsgeschichte allein mit Gesetzesnormen und der Beteiligung von Frauen am Produktionsprozess nicht überwindbar ist. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus und die Weiterentwicklung des Sozialismusgedankens erfordert einen klaren Standpunkt zu Frauenbefreiung, wie auch der Vorsitzende der PKK analysiert. Kerngedanke der Frauenbefreiungsideologie ist, auf der Grundlage von freiem Denken und freiem Willen ein kollektives Leben durch organisierten Befreiungskampf auf den Prinzipien der Liebe zur Menschheit und zum Land aufzubauen, das Leben mit Kunst, Kultur und Ästhetik zu gestalten.
Um die herrschende Ungerechtigkeit zu beseitigen und natürliche, gleichberechtigte Beziehungen schaffen zu können, müssen sich die Unterdrückten Individuen zunächst aus den alten Beziehungsmustern und Abhängigkeiten herauslösen, um einen freien Willen und die eigene Identität wiederzugewinnen.
Der Bruch mit dem herrschenden System, d.h. auch mit der verinnerlichten Unterdrückung, muss sowohl in physischer als auch in psychologischer, geistiger und emotionaler Hinsicht vollzogen werden. In diesem Abtrennungsprozess, der mit dem Aufbau der Frauenorganisierung begonnen hat und bis zum Moment der Befreiung andauern wird, lernen die Einzelnen sich selbst und ihre eigene Geschichte von neuem kennen, wird schrittweise eine neue Gesellschaft aufgebaut. Hierbei treten Stärken und Schwächen der an diesem Prozess Beteiligten deutlich hervor. Sie haben die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und zu stärken, um so die alten Abhängigkeiten zu überwinden. Denn für das Fortdauern der Unterdrückung können wir nicht die Herrschenden verantwortlich machen.
Ungerechtigkeit moralisch zu beklagen reicht nicht, sondern muss mit einem langatmigen organisierten Kampf und einer lebendigen Alternative beseitigt werden.
Im Rahmen der Analyse des Herrschaftssystems und der Diskussion über die Verwirklichung der Frauenbefreiungsideologie entstand der Gedanke zur Gründung einer Frauenpartei. Damit wurde dem in den Jahren des Befreiungskampfes erworbenen neuen Niveau des Geschlechter-Bewusstseins und der Organisierung in politischer, sozialer und militärischer Hinsicht ein konkreter Ausdruck verliehen. Diesbezüglich äußerte der Parteivorsitzende Abdullah Öcalan:
„Eine revolutionäre Frauenpartei, revolutionäre Frauenpartei Kurdistans, das kann ein ernst zunehmender Fortschritt sein. Ein großer Widerspruch lässt sich nur mit einer großen Partei überwinden. Deshalb müsst ihr darüber nachzudenken, wie ihr den erlebten großen Widerspruch mit einer großen Praxis überwinden könnt. Ihr habt große Schwierigkeiten. Werdet zur Partei! Ihr müsst Euch organisieren. Obwohl ich mit meiner Einstellung sehr auf der Seite der Frauen stehe, meine ich, dass die Seite des unterdrückerischen Mannes auch bei mir durchschlagen kann. Kontrolliere ich mich nicht und kommt es zum Streit, entstehen Unterdrückung und Probleme. Von diesem Blickwinkel aus müsst ihr eure eigene Befreiung selbst vorantreiben.“
Diese Worte richtete der Vorsitzender im September 1998 an die Militanten der YAJK, bevor er aufgrund der Kriegsdrohung gegen Syrien, die die türkische Regierung mit seinem dortigen Aufenthalt begründete, den Mittleren Osten wenige Tage später verließ.

Mit dem Angriff auf den Parteivorsitzenden steht zugleich die freie Frauenbeziehung im Fadenkreuz
Die ungewöhnliche Bedeutung des Parteivorsitzenden für die Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung Kurdistans, die insbesondere für europäischen Leserinnen nicht leicht verständlich sein mag, ist in der Darstellung der Gründung der Frauenarmee und der YAJK erwähnt worden. An dieser Stelle wollen wir nochmals darauf eingehen, da diese Tatsache die kurdische Revolution und Frauenbewegung in anderen Teilen der Welt unterscheidet. Die Grundlage für die Entwicklung der Frauenbefreiungsideologie ist bereits auf die Erfahrungen des Vorsitzenden in seiner Kindheit und die Analyse der feudalen Strukturen seiner eigenen Familie zurückzuführen. Er empfand die Zwangsverheiratung seiner Schwester und Spielkameradinnen als Unrecht und lehnte sich gegen die ungleiche Behandlung von Mädchen auf. Obwohl seine Mutter innerhalb der Familie eine autoritäre Rolle besaß, war sie letztendlich doch von der Entscheidungsgewalt männlicher Verwandten und der Unterwerfung unter gesellschaftliche Normen abhängig. Beziehungen, die Unterdrückung und Unfreiwilligkeit beinhalteten, ließen sich nicht mit der Suche nach Freiheit und wirklicher Liebe in Einklang bringen, weshalb der Kampf gegen Männerherrschaft zu einem wichtigen Leitprinzip des Parteivorsitzenden wurde. Er erkannte, dass der nationale Befreiungskampf mit der sozialen Revolution, mit einer grundsätzlichen Demokratisierung der Verhältnisse einhergehen musste, wenn er zu einer wirklichen Befreiungsperspektive werden sollte. Der Parteivorsitzende führte den Kampf gegen die Männerherrschaft sowohl auf politisch- gesellschaftlicher Ebene als auch in seiner eigenen Persönlichkeit, was er mit den Worten: “den Mann in sich töten” ausdrückte. Mit dem Aufbau der kurdischen Befreiungsbewegung und seinen fortwährenden Anstrengungen für die Selbstorganisierung der Frauen in der Bewegung sowie mit seiner eigenen Beziehungs- und Lebensart, die es den Genossinnen ermöglichte, alte Unselbstständigkeiten zu überwinden, sich selbst als denkende und handelnde Subjekte zu erleben und zugleich eine genossenschaftliche, ihren Willen respektierende Freundschaft aufzubauen, schuf der Parteivorsitzender eine neue Lebensphilosophie. Damit brachte er nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus eine neue lebendige Perspektive für einen wirklichen, demokratischen Sozialismus hervor. Genau darin sahen die imperialistischen Staaten, die mit dem Mauerfall von Berlin bereits “das Ende der Geschichte” beschworen hatten und sich als Sieger feierten, eine große Bedrohung.
Nachdem Diffamierungskampagnen und NATO-Pläne zur militärischen Zerschlagung der PKK-Bewegung immer wieder – nicht zuletzt durch die Voraussicht und Analysekraft des Parteivorsitzenden – ins Leere gelaufen waren, begann im Oktober 1998 im Zusammenwirken der Geheimdienste und Regierungen der USA, europäischer Staaten, Russlands und Israels eine Verfolgungsjagd auf den Vorsitzenden der PKK. Hierbei wurden jegliche internationale Rechtsnormen überschritten. Deshalb wird dieses Ereignis, das am 15 Februar 1999 mit der Auslieferung des Parteivorsitzenden von der griechischen Botschaft in Kenia an türkische Sicherheitsbeamte seinen vorläufigen Höhepunkt fand, heute als internationales Komplott bezeichnet. Zugleich bedeutete dies einen Angriff auf die Freiheitssehnsucht des kurdischen Volkes und auf das eng mit dem Leben und Wirken des Parteivorsitzenden verbundenen durch die Frauenorganisierung geschaffen Lebensprojektes. Deshalb kam es allen Orts zu gewaltigen Volksaufständen, Selbstverbrennungen und Guerillaaktionen, obwohl der Parteivorsitzende am ersten September 1998 erneut einen einseitigen Waffenstillstand verkündet und damit seinen, seit 1993 mehrfach wiederholten, Dialogaufruf zur politischen Lösung der kurdischen Frage erneuert hatte. Der tiefe Schock, den die Gefangennahme des Parteivorsitzenden auslöste, hätte eine unaufhaltbare Eskalation der Gewalt mit bleibenden Schäden für die Verständigung zwischen dem kurdischen und türkischen Volk bedeuteten und die gesamte Region in einen Jahrelangen Krieg mit unzähligen Opfern verwickeln können. Um einer solchen menschlichen Katastrophe vorzubeugen, die allein den Profit der Waffenlieferanten und Kriegstreiber zu Gute gekommen wäre, entwickelte der Parteivorsitzende einen Friedensplan im Rahmen einer grundlegenden Demokratisierung der Türkei unter kultureller Anerkennung des kurdischen Volkes und veranlasste die Einstellung der Kampfhandlungen und den Rückzug der Guerillakräfte aus dem türkischen Staatsgebiet. Den Verfechtern der neuen Weltordnung (NWO), die über das Anheizen von religiösen und ethnischen Widersprüchen meinten, ihre Rechnungen über die Köpfe der Völker des Mittleren Ostens hinweg aufstellen zu können, setzt er den Gedanken einer demokratischen Föderation des Mittleren Ostens als Interessenvertretung der Völker der Region entgegen.
Welche Auswirkungen zeigten die Ereignisse um den 15 Februar 1999 nun auf die kurdische Frauenbewegung? Schon mit Beginn des internationalen Komplotts brachten allen Orts Frauen ihre Verbundenheit mit den Parteivorsitzenden zum Ausdruck, wofür die Aktion der arabische Freundin Rojbin auf eine Militärkaserne in Yuksekova ein Beispiel ist. Jedoch war es wichtig, nicht nur den militärischen Widerstand gegen das Komplott zu organisieren, sondern das Befreiungsprojekt langfristig weiterzuführen. Deshalb hielt die Frauenbewegung wie geplant im März 1999 ihren zweiten Kongress ab. Auf diesem Kongress verfasste sie ihre eigenes Programm und Statut und organisierte sich als Partei unter dem Namen PJKK, Arbeiterinnenpartei Kurdistans. Damit erteilten die Delegiertinnen den Angriffen gegen den Parteivorsitzenden und den Versuchen, die Bewegung in einen kurzfristigen emotionalen Aufstand zu ziehen und zu zerschlagen, eine deutliche Antwort. Sie manifestierten mit dem Schritt ihre Entschlossenheit, sich auf die eigene Kraft verlassend die Frauenbefreiung fortzusetzen. Entgegen einige Verlautbarungen, denen zu Folge es nun “nicht der richtige Zeitpunkt” sei, sich mit dem Geschlechterkampf auseinander zu setzen, sahen die Frauen der PJKK ihre Aufgabe darin, ihre Organisierung auszuweiten und die Kontinuität ihrer Arbeiten zu gewährleisten. Damit setzten sie ein deutliches Zeichen, dass sie sich nicht wieder in die Rolle einer abhängigen und unmündigen Frau, in den patriarchalen Alltag der Gesellschaft zurückdrängen lassen wurden, was so häufig das Schicksal von Frauen anderer Befreiungsbewegungen gewesen war. Dennoch bedeutete die Gefangenschaft des Parteivorsitzenden eine enorme Erschwerung der Bedingungen, da die Frauen nun konkret erfuhren, wie sehr ihnen durch die Unterstützung und Perspektiven des Parteivorsitzenden bislang der Rücken gestärkt worden war. An diesem Punkt brach die Selbsttäuschung, die Frauenbewegung durch eigene Kraft und Arbeit aufgebaut zu haben, in sich zusammen. Außerdem verhinderten individualistische Auffassungen des Freiheitsbegriffes, ein auf die Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau reduziertes Verständnis des Geschlechterkampfes und eine unzureichende Bewertung des auf die Vernichtung der Bewegung abzielenden Komplotts, das die PJKK in dieser Phase die ihr zugedachte Führungsrolle im sozialen und politischen Bereich ausreichend spielen konnte. So bewerteten die Delegirtinnen des 3.Frauenkongresses rückblickend ihre Praxis der vergangenen anderthalb Jahre selbstkritisch. Diese gründliche Aufarbeitung der ersten Erfahrungen der Organisierung der Frauenpartei legten den Grundstein dafür, sich den großen Herausforderungen zukünftiger Arbeiten stellen zu können. Hiermit wurde eine wichtige Voraussetzung geschaffen, denn im 21. Jahrhundert wird dem Geschlechterkampf, dem fortwährenden Ringen um befreite Beziehungen eine grundlegende Bedeutung zu kommen.
Geschlechterwiderspruch im 21. Jahrhundert – Frauenbündnisse als Alternative zum Globalismus der Herrschenden
Die und auf dem Widerspruch patriarchaler Unterdrückung aufgebauten Gesellschaftssysteme haben die Menschheit – wie eingangs erwähnt – global mit der Existenzfrage konfrontiert. War das 20. Jahrhundert von Kämpfen um Klassenbefreiung und nationale Unabhängigkeit geprägt worden, die zwar stellenweise Erfolge hatten, jedoch die Utopie von der Befreiung der Menschheit nicht verwirklichen konnten, steht am Anfang eines neuen Jahrtausends der älteste Widerspruch der Menschheitsgeschichte wieder mit größter Aktualität auf der Tagesordnung. Unzählige Tagungen der Vereinten Nationen (UN), von Regierungen und NGO’s zeugen von dem Vorhaben, Frauen auf die eine oder andere Weise in Institutionen zu integrieren, das in ihnen verborgene Potential zu nutzen. Dieser Umstand wurde eine Zeit durch Kämpfe von Frauen um politische und gesellschaftliche Rechte hervorgerufen, andererseits ist dies der Versuch der Herrschenden, Frauen in ihrem Sinne in ihr System einzubinden. Nichtsdestotrotz müssen wir von den sich daraus ergebenen Möglichkeiten profitieren.
Trotz der Parolen “individuelle Freiheit”, “Demokratie”, und “Menschenrechte”, die die Propagandisten der NWO benutzen, um ihre Konzepte akzeptanzfähig zu machen, werden Frauen mehr denn je als Billiglohnarbeitskräfte ausgebeutet und als Befriedigungsobjekte für den Mann vermarktet. Im Bereich des sich ausweitenden Frauenhandels und Sextourismus’ wurde jegliche Grenze überschritten. Auch wenn teilweise auf höchster Ebene Frauen wie Tansu Çiller, oder Madelein Albright von konservativen Kräften symbolisch eingesetzt werden, so darf dies nicht als Ausdruck für die Emanzipation von Frauen bewertet werden. Vielmehr liegt darin die Absicht, diese Frauen zu benutzen, und Politik über Frauen zu machen, die Selbstentfremdung von Frauen durch die Identifikation mit ihrem Unterdrücker voranzutreiben.
Während der technische Fortschritt die Beziehungs- und Konfliktformen zwischen den Menschen verändert hat, ist die kulturelle und gedankliche Vielfalt durch die mediale Verbreitung des US-amerikanischen Lebensstils bedroht. Mit der extremen Vereinzelung der Menschen, die sich in einem unablässigen Konkurrenzkampf zueinander befinden, ist ein mechanischer, gefühlloser Menschentyp geschaffen worden. Dass diese Entfremdung von der Natürlichkeit des Menschseins insbesondere für Frauen unerträgliche Realität darstellt, zeigen die steigenden Patientinnenzahlen psychologischer Kliniken, der immense Medikamentenkonsum oder die erhöhte Selbstmordrate von Frauen nur allzu deutlich. Nur in einem selbstbestimmten und freien Leben werden Frauen die gesellschaftliche Krise in Folge geistiger und sozialer Lehre überwinden.
Gegenüber dieser vernichtenden Realität, die durch die Teilnehmerinnen des 3. Außerordentlichen Frauenkongresses der kurdischen Bewegung ausführlich bewertet wurde, stellt die Freie Frauenpartei (PJA) mit ihrem Projekt für ein neues Leben auf internationaler Ebene eine Alternative dar. Frauen unterschiedlichen kultureller, nationaler und religiöse Herkunft aus dem Mittleren Osten und Europa schufen mit den von ihnen erstellten Programm zu Frauenbefreiung die Grundlage für eine internationale Frauenorganisierung auf dem Prinzipien von Kollektivität und der Entwicklung eines freien Willens. In einem Zeitalter, in dem klassische Kriege aufgrund des menschheitsbedrohenden Ausmaßes der Massenvernichtungswaffen ihre alte Bedeutung verloren haben und Konflikte zunehmend auf politischer und wirtschaftlicher Ebene ausgetragen werden, kommt dem weltweiten aktiven Einsatz von Frauen für Frieden und Demokratie eine entscheidende Rolle zu. Kommunikationstechnischer Fortschritt und die Überwindung der Nationalstaatenorganisierung haben eine geeignete Voraussetzung dafür geschaffen, Frauenbündnisse und -solidarität international auszuweiten, worin die PJA eine ihrer wichtigsten Aufgaben sieht.
Auch wenn wir heute bereits mit dem Aufbau des Neuen beginnen, müssen wir den selbstbestimmten Kampf um ein menschenwürdiges Leben als einen langjährigen Prozess verstehen, der eine eigenständige Organisierung, Entschlossenheit und ein klares Bewusstsein verlangt. Nur so kann verhindert werden, dass wir die Erfahrung von Millionen von Frauen wiederholen, die sich aufopferungsvoll an Befreiungskämpfen beteiligten, aber niemals die Freiheit kennenlernen durften.

September 2000