Wir werden ein auf Frauen ausgerichtetes Leben schaffen

Ein Interview mit Sozdar Avesta, Mitglied des Präsidialrates der PKK und der Leitung der PJA

Aus Özgür Politika, 18. September 2000

Die PJKK führte in der Zeit vom 29. Juli bis 21. August ihren 3. außerordentlichen Kongress durch. Auf diesem Kongress beschloss sie eine Namensänderung und bekräftigte, dass sie die neue Strategie des Vorsitzenden der PKK, (Abdullah Öcalan), vollkommen unterstützt. Sozdar Avesta, Mitglied des Präsidialrates der PKK sowie der PJA-Verantwortliche beantwortete einige unserer Fragen in Bezug auf den Kongress.

Aus welchem Grund wurde dieser Kongress in dieser Phase abgehalten? Was stand auf der Tagesordnung ihres Kongresses?

Vorab wurde der Strategiewandel und die Beschlüsse, die auf dem 7. außerordentlichen Kongress der PKK gefasst wurden und die Auseinandersetzung darüber innerhalb der PJKK diskutiert. Auf der Tagesordnung stand außerdem die Bewertung des neuen Jahrhunderts und des Systems, in dem wir leben. Das Hauptthema jedoch war die von unserer Parteiführung neu entwickelte Linie, die in Form eines politischen Berichtes vorlag. In diesem Zusammenhang wurden die Probleme unserer Partei, der Region, der Welt sowie die Probleme der Frauen ausführlich diskutiert.
Wurden Diskussionen über die Entwicklung der Frauenbewegung innerhalb der PKK geführt?
Von der Gründung der PKK bis zum heutigen Tage wurde keine kontinuierliche Organisierung in der Frauenbewegung erreicht. In dieser 20-jährigen Entwicklungsphase haben sich die Frauen zu Beginn vollkommen unorganisiert, dann auf der Ebene der Einheit in der Freien Frauenbewegung Kurdistans, dann als Union Freier Frauen Kurdistans und zuletzt nach dem Komplott als Partei der werktätigen Frauen Kurdistans beteiligt. Die Bewertung dieser Entwicklung der Frauenorganisation wurde dem Kongress anhand eines Berichtes vorgelegt.

Wie ist unsere Haltung gegenüber der Freien Frauenbewegung? Welche Bedeutung hat diese Freiheitsbewegung und die Partei? Warum war diese Absonderung und die Trennung notwendig?

Die Befreiungsideologie der Frau und die Besonderheit der Frauenbewegung wurden sowohl politisch, militärisch und organisatorisch innerhalb dieses Themenspektrums behandelt. Die Diskussion um die Persönlichkeitsfrage wurde intensiv geführt und so gab es die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeitsentwicklung erneut zu untersuchen und zu überdenken. Daher kann unser Kongress als der Kongress der Kritik und Selbstkritik sowie der Öffnung nach außen bezeichnet werden.

Du hast vorhin von einigen wichtigen Beschlüssen gesprochen, die auf eurem Kongress getroffen wurden. Welche Beschlüsse sind am bedeutendsten? Warum wurde der Name PJKK in PJA geändert?

Zweifellos haben wir neue und wichtige Beschlüsse gefasst. Einige der wichtigen sind z.B. diejenigen, die im Zusammenhang mit der Demokratischen Republik und der Rolle der Frauen in der Demokratischen Republik getroffen wurden. Hierfür wurde ein Programm ausgearbeitet.
Ein anderes Beispiel ist das Projekt des freien Lebens. Auf dem Kongress wurde ein Programm, ein Projekt entwickelt, das beginnend mit der kurdischen Gesellschaft und dem Mittleren Osten für alle Probleme der Welt eine frauenorientierte Lösung finden soll. Des weiteren hat sich unsere Bewegung erneut für eine Partei entschieden und mit einem neuen Programm und einer neuen Satzung das Manifest hierfür festgelegt. Die Delegierten waren sich darin einig, dass die PJA vielmehr der neuen Strategie entspricht und dass eine Partei mit dem Namen eines Landes oder einer bestimmten Klasse nicht alle Frauen ansprechen und erreichen kann. Der Name PJA (Partei Freier Frauen), welcher noch zeitgemäßer und internationaler ist, wurde dem Namen PJKK (Partei der werktätigen Frauen Kurdistans) vorgezogen.
Für eine Partei, die die Frauen aus jeder Schicht, jeder Klasse und jeder Nation ansprechen und einbeziehen will, eine Partei in der jede Frau ihre Befreiung erkennen soll, eine Partei die eine konkrete, lebensnahe Ideologie und ein solches Programm hat, wurde dieser Name als geeigneter empfunden und daher angenommen; auch vor dem Hintergrund, dass wir den Anspruch haben, uns zur Vorkämpferin für alle Frauen der Welt zu entwickeln.

Wie habt ihr euren Kongress vor dem Hintergrund des Jahrhundertwechsels, dem Beginn des 21. Jahrhunderts eingeordnet?

Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert sein, in dem die Widersprüche zwischen den Geschlechtern noch gravierender werden. Daher kommen schwerwiegende Probleme auf die Gesellschaft im neuen Jahrhundert zu, die sowohl im täglichen Leben als auch auf der ökonomischen Ebene eine große Rolle spielen.
Aus diesem Grund kann man sagen, dass diejenigen, die sich diesen Problemen zuwenden, sie analysieren und nach einer Lösung suchen, dieses Jahrhundert am erfolgreichsten gestalten werden. Es ist keineswegs so, dass sich nur unsere Partei oder unsere Parteiführung mit diesen Problemen befasst, überall auf der Welt gibt es die unterschiedlichsten Ansätze, sich diesen Problemen zu nähern.
Bis heute sind es die Frauen, die es sowohl in den europäischen Staaten, als auch allgemein unter der Herrschaft der imperialistischen Mächte, vor allem in dem System, welches unter der Führung der USA entwickelt wurde, am schwersten haben und die am stärksten zerrieben werden. Weil die Frauen all diese Jahre sich selbst entfremdet und vom System aufgesogen wurden, ist auch in diesem Jahrhundert die Frage der Familie von enormer Bedeutung. Natürlich versucht jede Schicht, eine Antwort auf ihre Art und Weise zu finden. Wichtig ist hierbei, auf welche Weise das Problem behandelt wird. Wenn wir uns die Frage stellen, wie eine Antwort auf diese Probleme entwickelt werden kann, sehen wir, dass der Vorsitzende Apo innerhalb der PKK, eine hohe Anforderung an diese Thematik stellt. Die Befreiungsideologie der Frauenbewegung, welche mit der eigenen Kraft der Frau ohne fremden Einfluss eine Lösung entwickelt, ist etwas neues und anderes. Es ist ein neuer Ausdruck, der Kern der PKK. Es ist die Besonderheit der PKK-Führung. Die PJA will ihre Rolle in diesem Jahrhundert mit diesem Anspruch und besonderer Anstrengung erfüllen.

Wie habt ihr die Neue Weltordnung aus der Perspektive der Frauen bewertet?

Natürlich sind unsere Bewertungen auf der Basis der Realität der Frauen entstanden. Das System wird von Männereigenschaften beherrscht und steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Frau und ihrer Realität. Wenn man die bisherigen Systeme betrachtet, sieht man, dass sie immer auf der Ausbeutung der Frau beruhen. Der herrschende Charakter ist der des Mannes und des Imperialismus. Wir sehen, dass der Imperialismus sich basierend auf dem Charakter des Mannes institutionalisiert hat und dies seit Tausenden von Jahren. In der Geschichte gibt es den Willen der Frau nicht. Auch in der geplanten neuen Weltordnung ist der Wille und die Farbe der Frau in keine Weise vorgesehen und die Arbeitskraft der Frau wird auf eine viel modernere Art und Weise ausgebeutet. Als wir versuchten, eine Antwort auf die Frage, wie sich die Frau von all dem befreien wird, versuchten zu finden, war das Ergebnis der Diskussion, dass das 21. Jahrhundert für die Frau, die sogar ihren Körper verloren hat, das Jahrhundert sein wird, in dem sie ihren Kern wiederfindet und entwickeln kann. Im 21. Jahrhundert ist ein auf Frauen ausgerichtetes Leben der einzige Ausweg.

Ihr habt sicherlich von den Erfahrungen der Frauenbewegungen auf der Welt profitiert?

Die Frauenbefreiungsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts müssen untersucht werden. Es sind 200 Jahre aus Sicht der Organisierung der Frauen. Dennoch ist die Frau ohne Geschichte, sie ist verloren. Unser Vorsitzender umschrieb diese Situation mit diesen Worten treffend: “Mensch kann nicht von der Frau sprechen, sondern vom Schatten der Frau. Im Mittleren Osten und besonders in Kurdistan ist es nicht einmal möglich, vom Schatten der Frau zu sprechen.” Selbstverständlich gab es auch in der Vergangenheit sehr wichtige Beiträge und Kämpfe vieler Frauenbewegungen. Aber es ist auffällig, dass im allgemeinen keine spezifische Ideologie der Frauenbefreiungsbewegung vorhanden war. Vielmehr waren allgemeine Ideologien gültig. Eine der Hauptdimensionen aller revolutionären Bewegungen ist die Frage der Führung. Als wir dieses Thema diskutiert haben, haben wir festgestellt, wie stark die PKK-Führung in der Annäherung an die Frauenfrage für uns von Bedeutung war. Seine Annäherung an die Frauen unterscheidet sich sogar in seiner Kindheit von anderen. Der Grund, warum wir keine so tiefe Niederlage wie andere Frauenbewegungen erlitten haben, hängt mit dieser unterstützenden Haltung unseres Vorsitzenden zusammen. Dass eine Führung wie der Vorsitzende Apo in einer Gesellschaft, die dermaßen erniedrigt und rückständig war, vorhanden ist und die Revolution anführt, ist für uns eine Chance. Wir verleugnen natürlich trotz all dem nicht das Erbe, das wir übernommen haben. Es ist ein sehr reiches Erbe. Unser Ziel ist, unseren Kampf mit dem Kern aller fortschrittlichen, evolutionären Bewegungen zu vereinen und zu entwickeln.

Welche Rolle misst ihr der PJA im Kampf für Demokratie und Frieden bei?

Wie bereits anfänglich erklärt, war unser Kongress ein Kongress für den Frieden und die Demokratie. Unser Kongress hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich nicht nur für die Lösung der Probleme der Türkei im Rahmen der Demokratischen Republik einzusetzen, sondern er hat sich auch die Lösung der Demokratisierungsprobleme und der Fragen des Friedens für alle vier Teile (Kurdistans) vorgenommen. In allen demokratischen Bewegungen ist die Rolle der Frauenbewegungen bei der Aufnahme der gesellschaftlichen Fragen ins Programm, bei der Lösung dieser Fragen wichtig und groß. Aus diesem Grunde haben wir den Beschluss gefasst, die Partei Freier Frauen in allen vier Teilen (Kurdistans) zu organisieren. Im weiteren wurde beschlossen, dass in allen Teilen jeweils eine Akademie Freier Frauen gegründet werden soll. Die Frauen werden sich in diesen Akademien weiterbilden und schulen. Hierfür wurden spezifische Projekte entwickelt. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist die Rolle, die die PJA bei der Entwicklung der nationalen Einheit zur Überwindung der innerkurdischen Konflikte einnehmen wird. Dabei lehnt sie natürlich rückständige, primitiv nationalistische und feudale Haltungen ab. Diese Rolle kann sie vor allem in Südkurdistan (Nordirak) spielen, denn der Wille der Frau wird in diesem Teil am stärksten versucht zu vernichten.

Was war der Grund, dass die PJA das Bedürfnis stärker verspürt, sich nach außen zu öffnen?

Auch wenn die Bewegung der PJKK einen internationalen Charakter hatte, hat sie sich nicht sehr geöffnet. Eine Einheit mit den Frauenbewegungen sowohl im Mittleren Osten, als auch in den anderen Regionen konnte sie nicht verwirklichen. Es gab Mängel in der Umsetzung unserer Ideologie und des Programms. Einer der Hauptgründe dafür sind die Bedingungen unserer Entstehung. YAJK sowie PJKK sind Bewegungen, die sich nach den Gesetzen des Krieges organisiert haben. Unsere erste Organisierung, die Errichtung der Frauenarmee, erfolgte unter den Bedingungen des Krieges. Auch wenn in anderen Bereichen gearbeitet wurde, so war 90% der Arbeit nach innen gerichtet. Anfänglich war es auch notwendig, damit zunächst intern Klarheit erlangt werden konnte. Ohne die innere Organisierung entwickelt zu haben, hätte eine erfolgreiche Öffnung nach außen keinen Erfolg gehabt. Nach 1998 haben wir begonnen, uns im Rahmen unserer Befreiungsideologie der Frau nach außen zu öffnen. Obwohl diese Tatsache einer der Gründe für unseren Kongress im Jahre 1998 war, hat die Gefangenschaft unseres Vorsitzenden uns sehr betroffen und sich negativ auf uns ausgewirkt. Bis dahin waren wir eine Bewegung, die vor allem durch die direkte Unterstützung unseres Vorsitzenden entwickelt wurde. Nach der Verschleppung hatten wir Schwierigkeiten, uns zu sammeln und uns gemäß der neuen Phase zu organisieren. Aber auf unserem 3. außerordentlichen Kongress haben wir den Beschluss gefasst, uns auf die internationale Arena zu bewegen.

Welche Methoden und Wege wollt ihr anwenden, um die Befreiungsideologie der Frau zu verbreiten?

Die Mittel und Wege für die Verbreitung dieser universellen Ideologie sind eine demokratische Praxis und eine wissenschaftliche Haltung. Die Befreiungsideologie der Frau hat aufgrund ihres universellen Charakters an Bedeutung gewonnen. Ein weiteres Charakteristikum ist die Organisierung unserer eigenen Kraft und der Aufbau unserer Partei in diesem Jahrhundert. Wir haben diskutiert, wie wir mit demokratischen Organisationen, angefangen bei humanistischen Organisationen bis hin zu Umweltschutzorganisationen, Bündnisse bilden können. Wir werden uns in dieser Phase einbringen und dabei die Verbundenheit mit den Prinzipien der Freiheit zur Grundlage nehmen und unsere politische Perspektive nicht einengen.

Du hast von einem Projekt des freien Lebens gesprochen. Kannst du mehr zu diesem Projekt sagen?

Mit dem Projekt des freien Lebens versuchen wir, eine neue Art zu leben zu entwickeln. In der gegenwärtigen Ordnung gibt es kaum noch etwas, was wir als Leben bezeichnen könnten. Vor allem im Mittleren Osten und in Kurdistan sind diese Widersprüche sehr stark. Der Vorsitzende Apo hat gegen diese Art von Leben einen 30-jährigen Kampf geführt; für die Entwicklung eines neuen Lebens. Wir fühlen uns verbunden mit diesem Kern des neuen Lebens. Die Frage ist momentan, wie wir diese Lebensweise in der gesamten Gesellschaft verankern können. Das Projekt eines neuen, freien Lebens haben wir auf dieser Grundlage entwickelt. Welche Haltung gegenüber der Familie, der Frau, dem Mann und dem Kind muss entwickelt werden, damit dieses Projekt umgesetzt werden kann? Was für eine Beziehung zwischen den Geschlechtern, welche Art von Teilen, welches Verständnis von Liebe ist notwendig? Unser Projekt bietet in dieser Weise zu fast allen Punkten eine alternative Art zu leben. Es ist ein Projekt, das beide Geschlechter umfasst. Auf dem Kongress haben wir die Haltung der Frau, sich auf das Haus zu beschränken, sich nicht weiterzubilden und sich auf diese Weise zurückzuziehen, sowie des Mannes, sich ausschließlich um den Lebensunterhalt der Familie zu kümmern und seine Herrschaft über die Frau zu festigen und weitere derartige Haltungen, die die Entwicklung der Gesellschaft hemmen, intensiv diskutiert und verurteilt.

(Veröffentlicht im Kurdistan Report 101)