Aus: So oder So - Die Libertad!-Zeitung - Nr. 5 - Januar 2000 - Seite 7

"Unsere Absicht ist es nicht, nach einer etwaigen Lösung wieder normal zu leben..."

Interview mit Sakine Batman (Mitglied im ZK der PJKK) über das Selbstverständnis als Frau in der PKK, die Rolle der neuen Frauenpartei PJKK und Erwartungen an eine "demokratischen Lösung"

Das in den Guerillaverbänden der PKK Frauen kämpfen ist bekannt. Bekannt ist auch, daß dies alles andere als eine Normalität für die kurdische Gesellschaft und ihre teilweise feudalistischen, in jedem Falle patriarchalischen Normen und Werte darstellt. Frau zu sein in der kurdischen Guerilla bedeutet daher nicht nur militärischer Kampf, sondern in erster Linie auch Ausbruch aus der geschlechtsspezifischen Reproduktion der traditionellen Familie, Subjektwerdung statt reinem Objekt patriarchaler Gewalt und Willkür, Emanzipation und Selbstbestimmung - kein leichter und kein selbstverständlicher Prozeß. Auch nicht für die PKK. Entsprechend werden innerhalb der kurdischen Bewegung zwischen Frauen und Männern immer wieder harte Debatten geführt.

Die Kämpferinnen der Fraueneinheiten kommen nicht nur aus Nordwest-Kurdistan (Türkei), aus Europa, sondern zunehmend auch aus den kurdischen Gebieten des Iran, Iraks und Syrien. Hier gilt erst Recht: In die die Berge zu gehen, sich der PKK anzuschließen, heißt der Hölle des feudalen Stammesdenken zu entkommen, heißt erstmals respektiert und als selbständig denkendes menschliches Wesen wahrgenommen zu werden.

Die PJKK (Partei der werktätigen Frauen Kurdistans) ging auf dem 6. Parteitag der PKK im Sommer 1999 aus der YAJK (Frauenarmee des Freien Frauenverbandes Kurdistans) hervor. Im Konkreten bedeutet es, daß die Frauen der gemischten wie auch autonomen Fraueneinheiten den militärischen Kommandostrukturen der PKK weiter untergeordnet, politisch aber in der PJKK organisiert und durch sie vertreten werden.

Sakine Batman ist Mitglied im Zentralkomitee der PJKK. Sie schloß sich vor 11 Jahren der PKK an und ist seit neun Jahren in der Guerilla. Ihre aktuelle Position beschreibt sie wie folgt: "Ich befasse mich insbesondere mit den Aktivitäten der Frauen wie auch mit der Politik der allgemeinen Partei. Aufgrund der spezifischen Besonderheiten der aktuellen Phase, sind unsere Aktivitäten zur Zeit eher auf Ausbildung und Anleitung gerichtet. Es geht um die Anpassung der Struktur an die neue Phase."

Das Interview wurde in den Bergen Südkurdistans im November 1999 für die "So oder So" geführt, zwei Monate nach Beginn des Rückzugs der Guerilla aus der Türkei.

Frage: Die PJKK besteht erst seit Sommer dieses Jahres. Zuvor gab es die Fraueneinheiten der YAJK. Warum müssen Frauen in der PKK jetzt eine eigene Partei gründen?

Sakine Batman: Eine weitreichende Frage. Ich werde versuchen darauf zusammenfassend zu antworten. Die Realität, die wir vorfinden, ist sehr umfassend. Im Vergleich mit anderen Gesellschaften ist die kurdische Gesellschaft sicherlich eine der am meisten erniedrigte, zerteilte und von ihrer eigenen Realität entfernte. Ihre Befreiung erfordert die Arbeit von Frauen. Dazu kommt, daß die Frauen in noch viel stärkerem Maße erniedrigt sind als die kurdische Gesellschaft selbst. Wir erfahren eine doppelte Unterdrückung: als Frau generell, aber auch als kurdische Frau im speziellen. Es ist daher nötig, daß die Frau zu sich selbst findet, sich beginnt von der massiven Unterdrückung zu befreien. Für uns ist dies eine der Voraussetzungen der Freiheit einer zukünftigen kurdischen Gesellschaft. Aber es ist nicht nur das, es ist ein allgemeiner Kampf. Wenn beispielsweise gesagt wird, alle kämpfen für den Traum Kurdistan, so schließt dies mit ein, die Frau solle auf diese Weise ihren Kampf führen. Aber mit einer solchen Herangehensweise ist das Problem nicht lösbar. Es würde voraussetzen, daß die Beteiligung der Frau so hoch wie die des Mannes wäre. Sicher, die gesamte Gesellschaft ist unterdrückt, aber die Frauen stehen am Schlußpunkt. Daher konnten sie sich bislang auch nicht im gleichen Maße wie die Männer am Befreiungskampf beteiligen. Um ihre Teilnahme zu ermöglichen, mußte die Frau sich selbst entdecken. Denn es ist zugleich auch so, daß die Frau in dem geschaffenen System auch als Mittel, als Objekt benutzt wird, was wiederum zur Konsequenz hat, daß die Frau in Kurdistan derartig erniedrigt worden ist. Daraus folgt, daß die Zerschlagung dieses Systems nur dadurch möglich ist, wenn dieser Objektstatus gebrochen, der Gesellschaft dieses Mittel entzogen wird. Das herrschende System würde sich auflösen, wenn ihm dieser Status der Frau als funktionierendes Mittel und Objekt entzogen würde. Konsequenz wäre die Befreiung der kurdischen Gesellschaft und der Zerfall des türkischen Systems. Daher sahen wir die Notwendigkeit, uns spezifisch zu organisieren. Es geht weder um um eine technische Gleichberechtigung noch um eine technische Trennung, wie das oft der Fall ist. Die Frau war eine lange Zeit in der Partei. Je mehr sie sich selbst, ihre eigene Subjektivität entdeckte, desto mehr hat sie angefangen, eine Rolle in der Führung, in der Diplomatie, in der Politik, in der Bildungsebene und vielen anderen Bereichen zu spielen. Wir begannen uns zu organisieren. Das fing sich an auch in einer entsprechenden Struktur widerzuspiegeln. Organisatorisch hat sich dies zu Anfang in Form einer Einheit durch die YAJK konstituiert. Als Einheit von Frauen blieb diese Organisation begrenzt in den Aktivitäten der Vermassung und der Entwicklung des politischen Bewußtseins. Daraus resultierte die Notwendigkeit sich als Partei zu organisieren. "Partei zu werden", heißt aber nicht nur Beteiligung am Kampf bzw. ein Leben zu entwickeln. Das spielte eine Rolle, aber es ging um mehr. Als Beispiel möchte ich nur die Geschichte des sowjetischen Realsozialismus erwähnen. Gegen 1930 wurden die spezifischen Aktivitäten der Frauen aufgehoben. Es gab keine Kraft, die den Willen, die Beteiligung und die Organisierung der Frau innerhalb der Revolution repräsentieren konnte. Später wurde die Frau wirkungslos gemacht, sie wurde zerstreut. Ob unsere Unabhängigkeit erreicht wird oder eine Demokratische Republik (innerhalb der Türkei, Anm.): in jedem Fall wird die PJKK als Organisierung des spezifischen und authentischen Willens der Frau und als Garant aller ihrer Anstrengungen in ein solches System eintreten. Wenn die Frau sich also an diesem Prozeß beteiligt, wird sie nicht als isolierte Frau, sondern als eine Macht teilnehmen. Die Organisierung der PJKK ist daher für uns die Sicherung unserer Aktivitäten als Frau in der Revolution und bei der Veränderung des Mannes.

"Weder um eine technische Gleichberechtigung noch um eine technische Trennung geht es. Wir sind nicht Partei für ein Geschlecht, sondern eine soziale Partei."

Unsere Probleme sind nicht nur klassenbezogen oder die nationale Frage. Die Geschlechterfrage umfaßt alles. Sie wird auch heute nicht ihre Antwort finden. Das ist eine Arbeit von Jahrhunderten. Daher wird die PJKK sowohl in der Phase einer Demokratischen Republik wie auch darüber hinaus in der Zukunft ständig und systematisch die Originalität und den Willen der Frau weiter entwickeln. Sie institutionalisiert sich durch ihre Organisierung und die Institutionalisierung des Geschlechtskampfes. Sie ist ein wichtiges Werkzeug, um jede Art von Herrschaft zu brechen, die eine gesellschaftliche Entwicklung verhindert. Für dieses Ziel haben wir die PJKK gegründet. Die PJKK ist nicht nur Partei für ein Geschlecht, sondern sie ist eine soziale Ideologie, sie ist eine soziale Partei. Nicht nur Frauen, sogar auch Männer könnten in ihr sein. Daher ist die Mission der PJKK, wie sie "die Führung" (Abdullah Öcalan, Anm.) beschrieben hat, die Sicherung der Gesellschaft, der Revolution und zugleich die Sicherung unserer Politik einen "neuen Menschen" zu entwickeln.

Was ist die Realität der PJKK innerhalb der PKK?

Ich sagte es bereits, die PJKK ist der organisierte Ausdruck der Frauenideologie der PKK. Die PKK hat eine ideologische Haltung zur sogenannten "Frauenfrage". Die Antwort ist die PJKK. Insofern ist unsere Organisierung etwas sehr wesentliches. Wenn wir nur innerhalb der PKK uns an allgemeinen Aktivitäten beteiligen, jede Entscheidung mit dem Mann treffen, jede Arbeit mit dem Mann zusammen erledigen, werden wir uns als Frauen nicht verwirklichen können. Die Erfahrungen haben es gezeigt: Es funktioniert nicht, wir können uns zusammen mit dem Mann nicht wirklich vollständig entdecken und finden. Aber hierbei geht es jetzt nicht um die Frage von Macht oder Machtlosigkeit. Du mußt wissen, seit Jahren gibt es eine Institutionalisierung, d.h. der Mann ist PKK'ler, die Frau ist es ebenfalls. Aber so einfach ist es nicht. Denn er ist ein Mann und ich bin eine Frau. Ich betrachte die Natur, die Gesellschaft anders, meine Meinung zur Literatur, zur Kunst ist eine andere, meine Einstellung zum Kampf als Geschlecht ist nicht die gleiche. Überhaupt sind die Ansichten und Einstellungen der Frau zu vielem anders, als die eines Mannes. Diese Unterschiede führen nicht dazu, zu sagen: "Er ist kein PKK'ler", oder: "Ich bin nicht PKK'lerin". Nein, dies sind unsere spezifisch eigenen Reichtümer. Aber wenn ich nur allgemein an den Aktivitäten teilnehme, zusammen mit dem Mann, wird es dazu kommen, daß ich mich in seiner Art, wie er ist, daran beteiligen muß, weil der Mann durch sein historisches Erbe stärker ist als die Frau. Also es wird so aussehen, daß meine Einstellung zur Geschichte, zur Gesellschaft und zum Kampf seine Einstellung widerspiegeln wird. Seine Produktionsweise und seine Art, Entscheidungen zu fällen, werde ich übernehmen, etwas mir zugehöriges werde ich nicht finden, nicht entdecken können. Im Endeffekt werde ich, weil ich keine andere Alternative habe, so sein wie der Mann: Ich kenne nichts, und weil ich nichts kenne, weiß ich nichts. Das ist die geschichtliche Realität, die wir als Frauen haben. Damit das, was mich ausmacht, überhaupt entfaltet werden kann, hat sich die PKK erweitert. Die Emanzipation, die Entfaltung der Frau ist eine Bereicherung der PKK.

Wie beurteilt ihr als Frauen die Transformation hin zu einer politischen Bewegung, die Option einer "Demokratischen Republik Türkei"?

Wir werden auch künftig den Kampf fortsetzen. Wir werden sicherstellen, daß die Frau wirklich sich selbst findet, Selbstvertrauen und einen eigenen Willen ausbildet. Damit zielen wir in dieser allgemeinen Form auch auf die Auflösung des herrschenden Systems. Dafür muß die Frau arbeiten. Unter diesem Blickwinkel ist ein Demokratisierungsprozeß für uns ein Vorteil, sogar ein sehr großer Vorteil. Aber das ist nicht nur ein Problem der kurdischen oder türkischen Frau. Wir begreifen diese Frage universeller. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist unser Ziel, daß alle Frauenbewegungen zusammenkommen und sich in einer Front vereinigen. Unsere Absicht ist nicht, nach einer etwaigen Lösung der Probleme in Kurdistan normal, gesellschaftlich, sozialistisch oder legal zu zu arbeiten und zu leben. Natürlich wird dies ein Teil von uns tun, das ist eine andere Sache. Dagegen haben wir überhaupt nichts. Aber diejenigen von uns, die in der Lage waren den Befreiungskampf aktiv zu führen, können ihn auch weiterführen. Wir denken nicht daran, etwa nach dieser Phase einer demokratischen Lösung, unsere Aktivitäten als Frauen abzuschließen. Wenn wir das machen, kommen wir in eine Situation, wie sie die Frauenbewegung in Nicaragua, El Salvador, Kuba oder auch in anderen Ländern erfahren mußten. Auch nach einem Systemwechsel ist eine Organisierung erforderlich, um die Interessen der Frauen zu vertreten, damit sie die notwendigen Institutionen und Organisationen bilden können. Insofern haben wir nicht nur unmittelbare Vorstellungen, sondern auch das 21. Jahrhundert betreffende...

Bislang spielten Forderungen von Frauen in etwaigen Friedensverhandlungen kaum eine Rolle. Sicher, manchmal wurden ihre Rechte politisch betont, aber in der Realität wurde über andere Punkte gestritten: Demokratische Reformen, ökonomische Umverteilung, Menschenrechtsverletzungen, Amnestie, kultureller Rechte etc. pp. Wie siehst Du die Gefahr, daß die "eigene Seite" diesen Komplex vernachlässigen könnte, auch wenn zusammen gekämpft wurde? Dazu kommt vielleicht auch, nachdem was ich hier beobachtete, daß die Frauen der PJKK im Allgemeinen wesentlich jünger als die Männer sind...

...Richtig, es stimmt, normalerweise ist es so, daß die Frauen jünger sind. Aber die PJKK ist gleichzeitig auch eine Kaderpartei. Unsere grundsätzliche Politik ist zur Zeit eine Freiheitsperspektive der Frauen zu entwickeln, die Perspektive auf ein freies Leben. Das verlangt die Entwicklung von Kadern, damit sich ein Kern, eine erste personelle Grundlage dafür entwickeln kann. Einen solchen Kern von Kadern gibt es bereits, aber wir wollen ihn innerhalb der Partei noch verbreitern.

Die Rolle der Frau in der Transformation zu einer demokratischen Gesellschaft ist ebenfalls ein Thema, das wir zu diskutieren haben. Das was ich bisher erläutert habe, ist nur das eine. Wir haben darüber noch nicht entschieden und werden das in nächster Zukunft detailliert diskutieren. Denn wir wissen folgendes: Wenn sich ein demokratisches System (innerhalb der Türkei, Anm.) konstituiert und wir als Frauen sagen: "ok, wir werden vertreten", wird es wieder eine Politik auf Männerbasis, aus Männersicht gestaltet, unter Männerregie sein. Daher erfüllt das nicht unsere Forderungen. Wir haben darüber zur Zeit eine Programmdiskussion. Denn es betrifft die strategische Herangehensweise unseres Programms an die allgemeine Frauenfrage. Wie ist sie aus dem Blickwinkel der Männer, wie aus dem der Frauen? Wir werden auf dem nächsten Parteikongreß im Frühjahr 2000 darüber Entscheidungen treffen. Was den Krieg betrifft, so hast du recht, wenn du sagst, daß wir gemeinsam gekämpft haben. Aber wir haben auch eigene Entscheidungen getroffen. Vielleicht nicht allzuviele, es hat immer viele Hindernisse durch die Männer gegeben, und es gibt sie weiterhin, aber wir sehen das als etwas, wogegen der Kampf permanent geführt werden muß. Den Kampf zwischen Mann und Frau hat es gegeben, gibt es und er wird nicht enden. Darüber haben wir keine Illusionen. Wir glauben auch nicht an eine Lösung, sobald ein demokratischer Prozeß beginnt. Wir als PJKK haben zu etwaigen Gesprächen für einen Frieden eine spezielle Position. Unsere Vorbereitungen, die wir aktuell treffen, können folgendermaßen umrissen werden: Wenn wir auf der PJKK beharren, werden wir zurückfallen, wirkungslos werden und nicht viel erreichen. Vielleicht wird eine Vertreterin daran beteiligt sein, aber sie wird nicht viel ausrichten können. Wenn wir auch als PJKK im PKK-Präsidialrat oder irgend einem anderen Gremium vertreten sind, so sind wir es im Land noch lange nicht. Ich spreche hier von der Stellvertreterebene. Was wir eigentlich wollen, ist die PJKK auf der Kaderebene zu institutionalisieren und weiterzuentwickeln, und das auf den Ebenen Ausbildung, Kultur, Politik bis hin zur Ökonomie, um diesen Prozeß geht es uns in erster Linie. Sowieso sollte nicht vergessen werden, daß sich in der PKK vieles durch innere Revolutionen entwickelte. Die Frauenperspektive ist ein gutes Beispiel dafür. Stufe für Stufe wurde die Befreiung der Frau, besser gesagt: die Grundlage dafür, ermöglicht. Denn frei ist die Frau heute noch nicht. Nur durch einen Demokratisierungsprozeß ist unser Problem längst nicht gelöst, aber ein demokratischer Prozeß hat einen Vorteil: Wenn ein richtiges Verständnis von Demokratie sich durchsetzt, und zudem durch die Beteiligung der Frauen die Geschlechter- und Klassenfrage, kulturelle Rechte, die Anerkennung von Minderheiten, von Mehrheiten etc. berücksichtigt werden, dann können die Menschen im Rahmen ihres Willens eine eigene Vertretung finden. Das ist unser Ziel. Andernfalls, unter Voraussetzungen einer normalen, einer formalen Demokratisierung, beispielsweise sind die USA auch ein demokratischer Staat, Deutschland ist demokratisch, Frankreich und England ebenfalls, vielleicht sind sie die am weitesten entwickelten bürgerlichen Staaten in der Geschichte der Demokratie... - aber das ist ein anderes Thema, wir reden jetzt von Frauen und dem Verhältnis, in dem sie als Frauen an der gesellschaftlichen Organisierung beteiligt sind, und das ist auch in den erwähnten Fällen sehr begrenzt. In der Demokratie, die hier entwickelt werden wird, wird sich mit Sicherheit auch solch ein Verhältnis finden. Die Beteiligung von Frauen wird begrenzt bleiben. Aber wir werden nicht auf dieser Organisierung beharren. Natürlich, ein Teil wird sich beteiligen, das ist nicht das Problem. In aller erster Linie sind es sowieso die Frauen, die den Friedensprozeß unterstützen. Durch ihre Anstrengungen sind sie hier die Avantgarde. Frieden hat wirklich mit der Natur der Frauen zu tun. Aber wir haben auch den Krieg geführt, um zu uns selbst zu kommen, um uns zu finden. Frauen sind auch hier die Avantgarde. Ich sagte es bereits, auch wenn sich mit dem Friedensprozeß ein Demokratisierungsprozeß entwickelt, wird es keiner sein, an dem Frauen in jeder Hinsicht vertreten sein werden, jedenfalls nicht ausreichend. Wir denken daher, wir können nur erfolgreich werden, wenn wir unseren Kern aus Kadern weiterentwickeln, organisieren, und verbreitern. Die Organisation der PJKK verbreitern heißt beispielsweise, uns mit den Frauen in Europa, sagen wir Deutschland, zusammenzutun, stärker werden und so eine Veränderung, eine Transformation des Systems anstreben, sei es in Form einer gemeinsamen Front oder einer Organisation. Es gibt so viele, die sich engagieren, feministische Bewegungen, die Umwelt- bzw. Anti-Atom-Bewegung, es gibt auf vielen Ebenen Frauenbewegungen, die sich gegen die Herrschenden richten. Auch mit ihnen wollen wir zusammenkommen, eine Kraft werden und in einem Demokratisierungsprozeß den Kampf führen. Wenn es in unserer Revolution unsere starke Organisierung nicht gäbe, wir könnten nicht viel erreichen. Von uns muß es unterschiedliche Methoden geben, wie wir in diesem System auf eine eigene Strategie gestützt, den Kampf führen können...

Falls es in nächster Zukunft überhaupt zu einem beidseitigen Friedensprozeß kommt und Zugeständnisse des türkischen Staates denkbar werden, z.B. die Anerkennung einer kurdischen Identität, freie politische Betätigung usw., diskutiert ihr für einen solche Phase spezifische Forderungen? Die Lage der kurdischen Frau ist ja noch immer so, daß sie beispielsweise in manchen Gebieten Kurdistans ohne größere Folgen getötet werden kann, wenn sie eine Liebesbeziehung vor der Ehe hat....

Natürlich, es gibt Diskussionen unter den Frauen über die neue Phase in Bezug auf das gesellschaftliche System. Auch wenn wir in eine Phase der Demokratisierung gehen, haben wir eine bestimmte Herangehensweise an alle die Fragen von der Willensbildung der Frau bis hin zum Gesellschaftssystem. Die Dinge, die du angesprochen hat, sind noch nicht entschieden. Dafür braucht es umfassende Versammlungen. Zur Zeit gibt es verschiedene Diskussionen unter uns. Was ist der Platz der Frauen im gesellschaftlichen System? Ich sagte bereits, die Frau unterliegt einer sehr rückständigen Gesellschaft, sie hat kein Bewußtsein, keine Identität, keine eigene Kultur. Natürlich geht es um die Vertretung der Frau auf jeder Ebene, insbesondere der politischen. Aber ebenso wie die Frage der Stellvertretung in Gremien innerhalb der Bewegung, ist das Problem nicht am Verhandlungstisch zu lösen. Wir müssen eine Politik entwickeln, die in ihrer Praxis und innerhalb der Gesellschaft auf einige grundsätzliche Änderungen abzielt. Diese Aufgabe liegt vor uns.

Wir behaupten heute, daß wir den Willen aller Frauen vertreten. Wir sind für ihre Befreiung, für ihre Entwicklung verantwortlich. Welchen Platz sollen die Frauen in einer zukünftigen demokratischen Gesellschaft einnehmen? Was für eine Ausbildung muß auch uns ermöglicht werden? Wir werden das festlegen und natürlich darum kämpfen, daß unsere Forderungen erfüllt werden. Wir sagen nicht, daß wir die Forderungen nur zur Sprache bringen und die Kader werden es dann vertreten. Wir werden dies im Kampf entwickeln müssen. Und einfach wird das nicht.

Immer wieder fragen in Deutschland Frauen aus der Linken, aber auch Männer, warum auf kurdischen Frauendemonstrationen in der ersten Reihe Portraits eines Mannes, von Abdullah Öcalan, getragen werden, und nicht von Frauen, etwa Märtyrerinnen der YAJK. Ist das nicht ein Widerspruch zu einem Selbstverständnis als Frauenpartei?

(lacht) Diese Frage wird uns oft gestellt. Aber wir erklären es natürlich gerne. Viele Frauen können sich keinen Reim auf unsere Herangehensweise in diesem Punkt machen. Das ist verständlich und normal. Viele Frauenbewegungen kritisieren uns hier: "Ist Abdullah Öcalan etwa kein Mann? Er ist doch auch ein Mann in diesem System, warum seht ihr ihn als einen Vorkämpfer der Frauen? Warum stellt ihr ihn immer in den Vordergrund?" fragen sie. Aus ihrer Perspektive können sie das fragen. Aber wir als kurdische Frauen, als diejenigen Frauen, die über keinerlei Bildung verfügten, die auf der untersten gesellschaftlichen Stufe nicht leben konnten, sondern nur vegetierten, wir wissen eines ganz genau: Er, Abdullah Öcalan, ist eine Führung, die uns überhaupt erst aufrichtete, die uns wirklich mit uns selbst zusammen gebracht hat. Es ist wahr, wir brauchten eine Befreiung, aber uns in diesem Sinne zu organisieren, dieses Bedürfnis zu äußern, einen eigenen Willen zu entwickeln, dafür hatten wir nicht die Kraft. Auf die Führung, die das voraussah, die bei unserem Aufbruch, unserer Organisierung wirklich die grundlegende Rolle gespielt hat, sehen wir nicht wie auf einen Mann. Wie alle Frauen in der PJKK sehe ich die Führung nicht als einen Mann. Ich halte ihn für einen Menschen. Der Begriff "Mensch" besagt, daß jemand nicht nur Mann ist und nicht nur Frau, sondern Männer und Frauen in gleichem Maße vertritt, oder nicht? Für uns ist die Führung ein Mensch, jemand, der die am meisten erniedrigten Bereiche der Gesellschaft als Basis nimmt für die gesellschaftlichen Transformation. Er war unsere Brücke, um überhaupt zu uns selbst, zu einer Ahnung von Freiheit zu kommen. Die Führung griff nicht nach den Stärksten, sondern nach den Schwächsten. Das waren wir. Gegen das Patriarchat hat er die Frauen organisiert.

Eine abschließende Frage: Wenn es Streit zwischen Männern und Frauen gibt, wenn vielleicht sogar Gefühle mit ins Spiel kommen...was dann?

Genosse, man muß das so sehen: Wie rückständig der Mann in der PKK auch sein mag, er ist ein Mann, der die Ebene der Diskussion erreicht hat. Im übrigen sind diejenigen, die solche Entscheidungen fällen, nicht nur die Männer...