2.Bericht der Frauendelegation zum 8.März in die kurdische Stadt Van / Türkei 12.03.2003

Anläßlich der heutigen Urteilsverkündung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bezüglich der Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen Abdullah Öcalan sowie aus Protest gegen seine nunmehr 15 Wochen andauernde Totalisolation wollten an die 40 Frauen eine Presseerklärung im Rahmen einer schweigenden Sitzblockade abgeben. Jedoch wurde diese Aktion von Polizeikräften verhindert. Die Frauen hatten sich in dem Verein zur Unterstützung der Angehörigen von Gefangenen "Tuyad-der" getroffen. Die Polizei drohte mit der Festnahme aller Kundgebungsteilnehmerinnen, sollten die Frauen von dort aus auf die Strasse gehen und ihre Aktion durchführen Auch die Durchführung einer Pressekonferenz in den Räumen des Vereins wurde mit der Androhung der sofortigen Schließung verhindert. Dieses Vorgehen illustriert, mit welchen Maßnahmen die türkische Polizei demokratische Methoden der Meinungsäußerung zu unterbinden versucht. Die Frauen berichteten, dass sie seit mehreren Wochen Aktionen und Proteste gegen die Isolation von Abdullah Öcalan und anderer politischer Gefangener durchführen. Dabei wurden sie von der Polizei verprügelt und ihre Fahnen weggenommen und verbrannt. Seit dem 27.11.2002 hat die Repression stark zugenommen. In den letzten vier Wochen wurden allein in Van 40 Personen, allesamt aktive bzw. leitende Hadep/Dehap-Mitglieder festgenommen. Zeynep Boga, die am 8.März nach der Veranstaltung anläßlich des Internationalen Frauenkampftages verhaftet wurde, befindet sich ebenfalls noch in Untersuchungshaft. Da in wenigen Tagen die richterliche Entscheidung über eine mögliche Freilassung zu erwarten ist, möchten wir an dieser Stelle noch einmal auf die aktuelle Faxkampagne zu ihrer Freilassung hinweisen.

Die Situation in den kurdischen Gebieten der Türkei ist weiterhin von großen Menschenrechtsverletzungen und einer Politik der Isolation gekennzeichnet. Wir wollen nur einige Beispiele nennen:

Menschen befinden sich bis zu 12 Jahren in Untersuchungshaft, bis es zu einem Verfahren kommt. Werden sie dann freigesprochen, haben sie keinen Anspruch auf Entschädigung.

Unter den derzeitigen Haftbedingungen werden beispielsweise 20 Personen in einem Zimmer mit einer gemeinsamen Waschmöglichkeit untergebracht, wobei den 20 Inhaftierten pro Woche insgesamt nur eine halbe Stunde lang warmes Wasser zur Verfügung gestellt wird. Seit dem Verbot,Gefangenen bei Besuchen Lebensmittel mitzubringen, haben sich die Gesundheitsbedingungen noch verschlechtert, insbesondere Augenerkrankungen haben zugenommen. Nach der Freilassung haben 90% der ehemaligen Gefangenen schwerwiegende Krankheiten der Lungen, der Nieren und des Hormonsystemes. Tuberkulose ist in den Gefängnissen ebenfalls verbreitet. Seit 1999 hat eine Form der Vernichtungspolitik in den Gefängnissen begonnen: die in Kommunen organisierten Gefangenen wurden systematisch auseinandergerissen und isoliert. Schwererkrankte werden nicht freigelassen, ihre weitere Inhaftierung kommt einem Todesurteil gleich. Aber auch nach der Entlassung wird die Politik der Isolation fortgesetzt: Ehemalige Inhaftierte bekommen weder Papiere zum Ausreisen, noch eine Erlaubnis für den Führerschein oder für die Durchführung eines Berufes. Politische Aktivität, die aktive Teilnahme in einem Verein ist ihnen verboten, die Arbeitssuche erschwert. Diese Methoden der weiterreichenden Einschränkung betreffen auch die Familienangehörigen. Kinder von Gefangenen können verhaftet werden, lediglich weil sie in eine Ausweiskontrolle geraten sind. In der Schule werden sie nicht versetzt, bei der Armee haben sie keinen Waffenzugang -( es gibt keine Wehrdienstverweigerung in der Türkei). Es wurden schon Söhne von Gefangenen während ihrer Wehrpflicht umgebracht.

Eine weitere Verschärfung der Haftbedingungen stellen die Gefängnisse des F-Types dar, die die vollständige Einzelisolation von Gefangenen bedeuten. Auch in Van wird im Schnelltempo an einem F- Typgefängnis gebaut, welches kurz vor der Fertigstellung steht und in das sämtliche politischen Gefangenen der Region verlegt werden sollen. Die neueste und unmenschlichste Variante des Vernichtungsfeldzuges der türkischen Regierung gegen die organisierten politischen Gefangenen ist der Bau von Hochsicherheitsgefängnissen in Diyarbakir und Denizli, welche vollständig unterirdisch sind und die ebenfalls kurz vor der Fertigstellung stehen. Isolation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit - protestieren wir gemeinsam dagegen !!

(Faxkampagne zu Zeynep Boga www.nadir.org/isku)