Özgür Politika, 09.09.2002

Wer sich gegenüber Frauen verschliesst, kann niemals demokratisch werden

Anstatt dass die Parlamentsabgeordnetinnen Frauenbewusstsein ins Parlament tragen, werden vielmehr Frauen in Mechanismen aufgenommen, die einen patriarchalen Charakter tragen und eine dementsprechende Politik betreiben.

Wir sprachen mit Frau Fatma Kurtalan, der Vorsitzenden der Frauenkomission der HADEP, die sich im Rahmen eines demokratischen Blockes unter dem Namen DEHAP an den Wahlen beteiligen wird. In unserem Gespräch kamen die Zusammenhänge zur Sprache, die zwischen der Nichtbeteiligung von Frauen an der Macht und der Kälte, den Schmerzen, der Ungerechtigkeit und den Kriegen der herrschenden Systeme in der Türkei und weltweit bestehen.

· In der Türkei ist der Anteil von Frauen, die in der Politik ihren Platz einnehmen, sehr gering. Zudem vertreten diejenigen, die in der Politik bislang existent waren, nicht das Wesen der Frau. Womit steht dies im Zusammenhang?

Fatma Kurtalan: Wir denken, dass dies die eigentliche Quelle der Probleme der Türkei ist. Das heisst, dass die Türkei derzeit so intensive Schmerzen bei der Demokratisierung erlebt, anti-demokratische Methoden und einen Geist der harten Unterdrückung trägt, weil sie ihr Parlament und ihre Strukturen den Frauen verschlossen hat. Die Türkei hat sowieso ein hartes System; das politische Spektrum dreht sich um eine schmutzige Politik und Kriegsprofite. Eine solche Logik ist Frauen gegenüber natürlich verschlossen; Tatsachen, die nicht im Einklang mit der geistigen Einstellung und dem Wesen der Frau stehen, beabsichtigen auch nicht, Frauen in diese Kreise aufzunehmen. Wie sehr es auch so aussieht, als würde es einige wenige Frauenvertreterinnen im türkischen Parlament geben, so kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass diese Frauen dort den Willen von Frauen zum Ausdruck bringen. Anstatt dass die Parlamentsabgeordnetinnen Frauenbewusstsein ins Parlament tragen, werden vielmehr Frauen in Mechanismen aufgenommen, die einen patriarchalen Charakter tragen und eine dementsprechende Politik betreiben. Wie das Beispiel von Tansu Ciller zeigt. Natürlich gibt es auch einige Ausnahmen. Aber wenn wir uns den Kern der Wahlpropaganda und der Frauenpolitik der politischen Parteien ansehen, so finden wir nichts, was Frauen wirklich betreffen würde. Die Gründe hierfür sind, dass Frauen diesbezüglich keine starke Organisierung anstreben sowie die Hindernisse, die durch die Charakteristika der Männerherrschaft, d.h. durch den harten, unterdrückerischen Geist geschaffen wurden.

· Warum hat das herrschende System, Ihrer Meinung nach, Ciller als eine Frau so sehr in den Fordergrund gerückt? Kann davon gesprochen werden, dass hier die Identität der Frau missbraucht wurde?

Fatma Kurtalan: Als Ciller ihren Höhepunkt erreichte, war die Phase, in der sich die Türkei befand eine andere: Es war die Phase der schmutzigen Politik, als die Rechtsverletzungen sich extrem zuspitzten und sich grosse menschliche Dramen abspielten. Deshalb sollte, während diese schmutzige Politik ausgeführt wurde, sowohl der Weltöffentlichkeit als auch der Öffentlichkeit im Inneren das "weiche Image" einer Frau gegeben werden. In der Person Cillers wurde die Identität von Frauen als ein Ausstellungsobjekt benutzt. Leider hat Ciller darauf bis heute nicht verzichtet. Vor kurzem machte sie einen Ausspruch, der in der ganzen Öffentlichkeit bekannt wurde: "Ich bin eine Mutter, ich muss an unsere Kinder denken. Bei einem Krieg gegen den Irak möchte ich Ministerpräsidentin sein." Das Umfeld, das seine Hoffnung auf Kriege und Gefechte setzt, gruppiert sich weiterhin um Ciller.

· Sehen Sie einen globalen Zusammenhang zwischen antidemokratischen Massnahmen, den bis zum heutigen Tag andauernden Kiegen und dem Nichtteilhaben von Frauen an der Macht?

Fatma Kurtalan: Wenn wir uns die Systeme in der Welt ansehen, so sehen wir, dass sie unzureichend in Machtpositionen vertreten sind und die Welt von Männern regiert wird; und zugleich sehen wir auf welche Weise sie regieren. Wir haben Zeiten der Ungerechtigkeit und des Krieges erlebt, und es ist immer noch so. Deshalb sehen wir, dass der herrschende patriarchale Charakter die Welt nicht gerecht regiert, im Gegenteil erleben wir ein Klima, in dem sich die Rechtlosigkeit tagtäglich verschärft. Es ist möglich dies in einen direkten Zusammenhang mit dem Ausschluss von Frauen zu setzen. In der Türkei ist das der Fall. Die Logik und der Geist sind einer Veränderung gegenüber wirklich total verschlossen. Sie nehmen keine Frauen auf; die Frau hat hier keinen eigenen Willen. Wir können zu keiner Einrichtung, die sich dem Willen von Frauen gegenüber verschliesst, sagen, dass sie "demokratisch" sei. In diesem Sinne ist einer der eigentlichen Gründe für die langen, traurigen Jahre, die die Türkei erlebte, die Verschlossenheit gegenüber dem Wesen und dem Geiste der Frau.


Wir haben die grösste Quote

· Ihre Partei vertritt die Einstellung den Willen von Frauen in die Politik und an die Macht zu tragen. Wie ist bislang das Interesse von Frauen für die Kandidatur zu den Parlamentswahlen?

Fatma Kurtalan: Es gab sehr viele Anträge. Aber erst als wir die Frauen dazu ermutigt haben, zuvor haben sie sich etwas davor gescheut auf eigene Initiative hin ihre Anträge einzureichen. Um die 200 Frauen haben sich für die Kandidatur zu den Abgeordnetenwahlen beworben. Wir werden sicherlich eine Frauenquote von 35% verwirklichen.

· Haben die anderen politischen Parteien Quoten bezüglich eines Frauenanteils?

Fatma Kurtalan: Bislang haben Parteien, die wir als links demokratisch bezeichnen können, in einem gewissen Masse Frauenquoten eingeführt. Bei diesen Parteien liegt der höchste Prozentsatz bei 33%. Somit ist unsere Frauenquote von 35% die höchste in der Türkei. Bei den rechten Parteien hingegen gibt es überhaupt keine. In der Partei von Ciller, die von sich behauptet "Ich bin eine Frau" liegt die Frauenquote bei 10%. Bei der MHP, der AKP und der ANAP existiert keine Frauenquote.

Wir sehen uns Frauen als eine Alternative zu der undemokratischen Regierung. Es ist unser Ziel, im höchsten Gremium der Türkei unsere Kraft für die schrittweise Demokratisierung unseres Landes aktiv einzusetzen. Wenn sich das nur grob als die Entsendung einer gewissen Anzahl von Frauen vorgestellt wird, so ist das ein Irrtum. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mit dem unbedingten Einzug von Frauen ins Parlament eine demokratische Regierung und ein demokratisches Leben zu verwirklichen. Im Rahmen dieser wichtigen Bedeutung werden wir uns neu positionieren. Diese Wahlen tragen für uns Frauen eine lebenswichtige Bedeutung und beinhalten zugleich wichtige Chancen.

(Das Interview führte die Journalistin Meral Akyol )