Aus Ronahi die Zeitung der kurdischen StudentInnen Nr.13/14/15

KURDISCHE FRAUEN UND MESOPOTAMIEN

Fadime (YXK-Bochum)

1. EINLEITUNG

Diese Arbeit behandelt die Situation kurdischer Frauen vor und nach der Kolonialisierung und Fremdherrschaft durch andere Mächte, insbesondere durch die Türkei.

Es soll gezeigt werden, daß die Unterdrückung der kurdischen Frauen eng mit der Kolonialgeschichte Kurdistans und dem Patriarchat verknüpft ist. Die Männer haben sich einige, Frauen diskriminierende Elemente des Islams zu Nutze gemacht, um ihre Macht über die kurdischen Frauen zu erweitern. Diese Untersuchung soll zeigen, daß die Unterdrückung der kurdischen Frau nicht einseitig religiös begründet werden kann, sondern vorrangig mit dem Patriarchat und der Herrschaft des Mannes über die Frau verbunden ist.

Im ersten Kapitel dieser Arbeit werden anhand der Theorien von Maria Mies und Ismail Besikci die Prozesse der Kolonialisierung theoretisch erarbeitet und diskutiert. In einem Exkurs wird weiter führend die Kolonialisierung Kurdistans bezogen auf das osmanische Reich - insbesondere auf den türkischen Staat - angesprochen.

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den sozialen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen des Geschlechterverhältnisses in den kurdischen Gebieten. Auf der Grundlage der Theorie von Maria Mies zum Sprung des Patriarchats wird die Stellung der Frau in Mesopotamien dargestellt. Aspekte wie Figurinnen aus Mesopotamien, die Begegnung mit drei verschiedenen Religionen und die Bedeutung der Kolonialisierung für die kurdischen Frauen, sollen die Rolle der kurdischen Frauen in Kurdistan vor und nach der Kolonialisierung deutlich machen.

Im letzten Kapitel wird die Organisierung der kurdischen Frauen innerhalb und außerhalb der politischen Parteien beschrieben werden.

2. PROZESSE DER KOLONIALISIERUNG

2.1. Die Hierarchisierung egalitärer Geschlechterverhältnisse durch Kolonialisierung:
der theoretische Ansatz von Maria Mies Kolonialisierung ist für Maria Mies1 ein Prozeß der Kontrolle seitens der Fremdherrschaft über die weibliche Gebärfähigkeit und Arbeitskraft. Auf die Veränderung der Geschlechterrolle durch die Kolonialisierung weist Mies durch ein Beispiel aus dem Buch ,,A People at School" von Fielding Hall (politischer Beamter der Kolonialverwaltung in Burma 1887-91) hin. Dieses betrachtet die Gleichheit der Geschlechter wie sie bei den Sklavinnen üblich war als ,,rückständig". Wichtig sei es, den Männern die ,,Werte" von Männlichkeit und Militarismus näher zu bringen und den Frauen die Unabhängigkeit zu nehmen. Nach Mies2 sind Aufzeichnungen dieser Art Belege dafür daß durch die Kolonialisierung die ehemals hohe Stellung der Frauen und ihre Unabhängigkeit in diesen Gebieten zerstört wurde und ihre Unterdrückung zur Folge hatte. Nach Mies3 begann die Kolonialisierung zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert mit der Entdeckung neuer Seewegen. Aufgrund der Kolonialisierung raubten sich die, wie Mies schreibt, ,,Handelskapitalisten" ihr Kapital zusammen. Der Feudalismus in Europa wurde dadurch geschwächt. Die erste Phase der ursprünglichen Akkumulation für die Entstehung des Kapitalismus in Europa war so Mies, das Kapital dieser Kolonialisten. Die Art der Ausbeutung der Kolonien durch die Handelskapitalisten läßt annehmen, daß einheimische Männer als auch Frauen Opfer der Methoden wurden.4 Diesen Prozeß erläutert sie am Beispiel der Sklavinnen in Afrika, der Kolonialisierung Indiens und der heutigen Entwicklungshilfe für die Dritte-Welt-Länder im Allgemeinen

2.1.1 Sklavinnen in Afrika
Anhand der Arbeit von Rhoda Reddock ,zeigt Maria Mies5 die gegen-sätzlichen Ansichten der Kolonialisten Afrikas in Bezug auf den Frauen in den Kolonien und denen die in den eigenen Ländern. Da es den Kapitalisten zu teuer war, Sklavenkinder zu ernähren, verboten sie ihren Sklavinnen Kinder zu gebären. Die Mißachtung dieses Befehls wurde hart bestraft. Statt dessen kauften sie billig neue Sklaven für die Plantagen ein. Ihre eigenen Frauen aber mußten enthaltsam sein, durften nur im Haus arbeiten, hatten keinen eigenen Besitz und waren für das Gebären der Stammhalter verantwortlich. Vor ihren Landsleuten rechtfertigten sie ihre Handlungen als ,,Zivilisationsmission". Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es den Kolonialisten nicht mehr möglich, das Gebärverbot für Sklavinnen aufrecht zu erhalten, weil die Zahl der einheimischen Bevölkerung extrem gesunken war und sie keine Arbeitskräfte mehr hatten, versuchten sie deswegen die "lokale Zucht" von Sklavinnen einzuführen. Das heißt die Kolonialisten zwangen ihre Sklavinnen und Sklaven zu sexuellen Beziehungen, um neue Kinder als Arbeitskraft zu gewinnen. Die Sklavinnen streikten dagegen, indem sie abtrieben oder ihre Kinder sterben ließen, da diese nicht als Sklavinnen leben sollten. Der Gebärstreik führte zur Einführung von ,,Zuchtfarmen"', das waren Orte, an denen die Kolonialisten den sexuellen Verkehr unter den Sklaven besser kontrollieren konnten.6 Nachdem die Kapitalisten ihre eigenen Frauen in die Rolle der Ehefrau und Mutter hinein gezwungen hatten, versuchten sie nun die monogame Ehe auch bei ihren Sklavinnen einzuführen. Hauptgrund dafür war die bessere Durchführung der Sklavinnenzucht. Da dies für die Sklavinnen keine Vorteile mit sich brachte, denn diese lebten bisher in ,,wilden Ehen", lehnten diese ab.7 Die Ablehnung der monogamen Ehe durch Sklavinnen benutzten dies Missionare und Kapitalisten als Begründung dafür, daß es einen Unterschied zwischen einer ,,Negerrasse" und der ,,weißen Rasse" gäbe.8

2.1.2 ,,Entwicklungshilfe"
Im einem weiteren Kapitel von ,,Frauen, die letzte Kolonie" wird von Maria Mies dargestellt, wie die Unterdrückung von Frauen und Land unter dem Namen ,,Entwicklungshilfe" weiterhin betrieben wird.9 Sie kritisiert, daß durch die EntwickIungspolitik ,,fortschrittliche Produktionsverhältnisse" geschaffen werden sollen, aber infolgedessen ,,neue Formen der Arbeitsverhältnisse" die Menschen in eine noch stärkere Abhängigkeit zu Banken und internationalen Organisationen bringen. Mies führt als Beispiel die Bauern an, die Kredite von Banken bekommen und sich dadurch verschulden. Ihre Hauptarbeit besteht darin, ihre Schulden abzubezahlen. Die Frauen werden, so Mies, auf die Rolle der Hausfrauen festgelegt. Da in diesem System die Arbeit der Hausfrauen, ihre Handarbeit und Versorgungsarbeit als wertlos betrachtet wird, verliert ihre Arbeit und somit auch sie selbst als Frau in der Gesellschaft an Bedeutung. Insgesamt führt die Entwicklungspolitik in den Dritte- Weltländern dazu, daß jegliche Arbeit die eine Frau tätigt, so gering wie möglich oder gar nicht entlohnt wird und ihr Einkommen im Vergleich zu dem des Mannes zu einem ,,Zusatzverdienst" herabgewürdigt wird.10

2.1.3. Die sozialen Verhältnisse in Indien
Maria Mies11 geht nun im Kapitel ,,Wer das Land besitzt, besitzt die Frauen des Landes", auf die Unterdrückung der Armen, insbesondere der Frauen durch die Reichen in Indien ein. Sie zeigt Beispiele aus verschiedenen Jahren, mit denen sie versucht zu belegen, wie der Staat den Terror der Reichen gegen die Armen zunächst unterstützt und dann noch durch die eigene Polizei aktiv daran beteiligt ist. Sie versucht darzustellen, wie paradox die herrschende Klasse Begrifflichkeiten definiert. Dazu zitiert sie den Ministerpräsidenten von Bihar, Jagannath Mishra, der forderte, ,,Kriminalität mit allen möglichen Methoden auszurotten" und die Wahl gewonnen hatte, weil er ,,Ruhe und Ordnung" versprochen hatte.12

Kriminalität bedeutete aber für ihm nicht nur Bandenkriminalität, sondern auch die Versuche der Armen, sich gegen die Reichen zu wehren. Mies macht auch aufmerksam auf die immer stärker werdenden und teilweise auch von staatlichen Kräften durchgeführten Sexualverbrechen gegen Frauen. Sie schreibt von Gruppenvergewaltigung, Entführungen, Verbrennungen und Mißhandlungen. In den letzten Jahren kamen solche Verbrechen immer mehr an die Öffentlichkeit, da sich in einigen Städten von den großen Parteien unabhängige Frauenbewegungen bildeten.13

2.2. Kurdistan als Kolonie: Definition von Ismail Besikci
Für Besikci gibt es, Kolonien und Halbkolonien. Der Unterschied besteht darin, daß die Gesellschaft in einer Kolonie eine Staatsgründung noch nicht erreicht hat und die Gesellschaft in der Halbkolonie, diese bereits vollzogen hat. Die Kolonien werden von kapitalistischen Staaten, die bereits in die Phase des Imperialismus eingetre-ten sind, ausgebeutet, indem sie die Wirtschaft des kolonialisierten Landes unter ihre Herrschaft bringen.14 Sie versuchten die Herrschaft durch die Errichtung einer politischen Organisation aufrechtzuerhalten. Besikci15 benennt, diese Organisation als ,,...ein vollkommenes Produkt des imperialistischen Staates,...". Die Organisation besteht aus verschiedenen Organen: Verwaltung, Militär, Kultur und Wirtschaft. Jedes einzelne Organ hat verschiedene Führungspersonen, zum Beispiel die Militär- oder Generalgouverneure. Um die Interessen der Kolonialstaaten zu wahren, wurden eigene und einheimische Kader für die Kolonialverwaltung ausgebildet. Die einheimischen Kader bezeichnet Besikci als Kollaborateure16. Die feudalen Strukturen vieler Kolonien wurden von den Kolonialisten aufrechterhalten, um die Bevölkerung besser zu kontrollieren. Die feudalen Führungsschichten werden zu Stadthaltern der Kolonialisten. Die Regierung der Halbkolonien haben sich dagegen aufgrund des wachsenden Drucks der imperialistischen Staaten ab Mitte des 19. Jahrhundert entschlossen, eigene Kader auszubilden, um ihr System neu zu ordnen. Für Besikci sind in Kurdistan ,,klassische kolonialistische" Elemente vorhanden, wie die Ausbeutung der Rohstoffe oder die Nutzung des Marktes für den Warenexport. Er nennt aber zwei grundlegende Punkte für seine These, daß der Status Kurdistans unter dem einer Kolonie liegt.17 Der eine Punkt besteht darin, daß sowohl Kolonien als auch Halbkolonien ihre Landes -, bzw. Staatsgrenzen haben. Kurdistan hatte jedoch in der Geschichte nie die Möglichkeit eigene Grenzen festzulegen. Der andere Punkt, der noch zentraler für Besikcis These ist, betrifft die kurdische Identität. Im Vergleich zu anderen kolonialisierten Ländern schreibt Besikci, daß die Identität der dort lebenden Völker von den Kolonialisten nicht verleugnet wurde. Die Kolonialisten versuchten auch nicht, die dort lebenden Völker durch Zwang zu assimilieren. Die Zwangsassimilierung der Kurden besteht darin, daß Sprache, Kultur und das Recht auf Selbstbestimmung nicht anerkannt werden. Die Existenz der Kurden soll sogar aus der Liste der Weltvölker gestrichen werden. Die Kurden aber akzeptieren diese Staatslosigkeit und Auslöschung ihrer Identität durch die türkische Regierung und ihre politischen Partnern (zum Beispiel USA, England, Frankreich, Deutschland) nicht. Sie haben sich diesem in ihrer Geschichte immer wieder durch Aufstände und bewaffnete Befreiungskämpfe widersetzt. Neben der militärischen Bekämpfung ist die Gewinnung von kurdischen Kollaborateuren eine Strategie, mit der die Türkei gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden kämpft. Durch die finanziellen und politischen Zugeständnisse versucht die Türkei, Großgrundbesitzer, Sippenchefs und heute Vorsteher an sich zu binden, um die Assimilationspolitik besser durchführen zu können. Hierbei handelt es sich meist um die Kurden, die ihre Identität verleugnen und sich daraus finanziellen Gewinn und höhere Positionen in der türkischen Gesellschaft erhoffen. Besikci bezeichnet sie als die Agenten des türkischen Staates innerhalb der kurdischen Bevölkerung.18

Ein weiterer Punkt der Aufstandsbekämpfungspolitik ist das Ausnutzen der islamischen Religion gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden. Um die Anerkennung der Befreiungsbewegung innerhalb der kurdischen Bevölkerung zu brechen, werden auch wieder mit Hilfe von Scheichs und Großgrundbesitzern Befreiungskämpfer als ,,Ungläubige" und ,,Marionetten der christlichen Armenier" abgestempelt, die es auf Frauen und Töchter der kurdischen Bevölkerung abgesehen Der ,,laizistische" Staat ruft sogar zum ,,heiligen Krieg" (Dschihad) gegen Ungläubige auf.1"

EXKURS: DER ZUNEHMENDE EINFLUß VON FREMDHERRSCHAFT IN KURDISTAN

a) Das osmanische Reich
Der armenische Historiker Sasuni geht davon aus, daß die Jahre zwischen 1515 und 1638 die Zeit der größten Unabhängigkeit für die Kurden waren. Ein kurdisch-türkischer Vertrag vom 9.8.1515 sicherte den kurdischen Fürstentümern die innere Unabhängigkeit zu. Dafür mußten die Kurden sich an den Kriegen der Osmanen beteiligen. Auch Ismail Besikci sieht 1514/15 einen Wendepunkt in der kurdischen Geschichte. Diese Freiheiten und Rechte, wurden den Kurden wieder genommen1 als 1639 ein Abkommen zwischen den Persern und den Osmanen geschlossen wurde. Sie legten ihre Grenzen fest. Teile Kurdistans fielen an die Perser. Die anderen Teile Kurdistans standen unter osmanischer Herrschaft. Die Kurden waren als gleichberechtigte Partner der Osmanen ,,solange interessant, solange sie als Puffer gegen die Perser in Frage kamen".20 Die Zweiteilung Kurdistans bedeutete den Beginn des Niedergangs. Die türkische und persische Feudalmacht begannen, sich auf Kurdistan auszudehnen. Viele Kurden kämpften gegen die Osmanen und Perser. Zahlreiche Aufstände wurden begonnen, aber keiner davon hatte Erfolg. Sasuni nennt zwei Gründe für das Scheitern der Aufstände: Die kurdische Bewegung war gespalten und es herrschte ein mangelndes Bewußtsein von der nationalen Solidarität.21 Von 1800 bis 1860 herrschten die Osmanen auch formell in Kurdistan. Die osmanische Macht zeigte sich in Kurdistan durch das Militär als Eroberer und die Bürokratie als Steuereintreiber. Die Osmanen ernannten die kurdischen Fürsten auch zu Militäroberhäupte, um sie als Kollaborateure zu nutzen. Den kurdischen Führern gab der Sultan Posten in der osmanischen Armee und Verwaltung: ,,Die kurdischen Aghas, die wir als Offiziere beauftragen, werden auf ihre neue Position stolz sein. Dadurch werden sie sich mehr Mühe geben, um unter unseren Mantel zu kommen."22 Um 1890 gründete Sultan Abdul Hamid II. die kurdischen ,,Hamidiye Regimenter". Auch kleine Stammesführer bekamen nun militärische Ränge. Diese Reiterabteilungen dienten zur Spaltung der Kurden. Indem der Sultan den Reitern teure Pferde, Waffen, Steuerfreiheit und Geld gab, kaufte er sie als kurdische Unterstützer der Osmanen. Die Hamidiye- Reiter können als Vorläufer der heutigen Dorfwächter gesehen werden.23 Unter der osmanischen Herrschaft durften die Kurden ihre Kultur und Sprache behalten Eine Assimilierung unter Zwang fand durch die Osmanen nicht statt. Das osmanische Reich begann ab dem 19. Jahrhundert zu zerfallen. Die Großmächte England, Frankreich, Rußland und später auch Deutschland gewannen an Einfluß und nutzten die innere Schwäche der Osmanen für sich aus. Sie verwandelten das Osmanische Reich selbst in ein abhängiges Land.

b) Der türkische Staat: Die Jungtürken und der ,,Kemalismus"
1908 kamen im Osmanischen Reich die ,,Jungtürken" an die Macht. Sie waren eine reformorientierte Gruppe von Offizieren, die oft in Preußen ausgebildet wurden. An der Seite Deutschlands kämpften die Türken im ersten Weltkrieg. Nach ihrer Niederlage versuchten die anderen Großmächte, das Reich unter sich aufzuteilen. Im Dezember 1919 fand die Konferenz von Sevres statt. Gegen die Pläne der Siegermächte zur Aufteilung des Osmanischen Reiches begann ein Befreiungskrieg unter Führung von Mustafa Kemal. Türken und Kurden kämpften gemeinsam gegen die Aufteilung des Landes unter den Armeniern und Griechen und gegen die Wiedererrichtung der Herrschaft des Sultans. Mustafa Kemal versprach den Kurden damals eine moderne Türkei, die beiden Völkern, den Kurden und Türken gleiche Rechte und Respekt geben würde. Als Präsident der Großen Türkischen Nationalversammlung, die 1920 in Ankara einberufen wurde, spricht Mustafa Kemal von den zwei Staatsvölkern der Türkei, den Türken und den Kurden.24 Am 24. Juli 1924 wurde nach dem Sieg der türkischen Befreiungsbewegung der Vertrag von Lausanne unterzeichnet. Dort wurde die Vierteilung Kurdistans vereinbart. Kurdistan wurde zwischen Irak, Persien, Syrien und der Türkei aufgeteilt. Das wichtigste an dem Lausanner Vertrag, so Besikci, ist, ,,daß er ein imperialistischer Teilungsvertrag ist. Die auf das kurdische Volk und auf Kurdistan in der Praxis angewandte Teile- und- Herrsche- Politik wurde mit diesem Vertrag legalisiert. Sie wurde unter internationalen Garantien vorgenommen."2~ Nun brauchten die Jungtürken die Kurden nicht mehr als Unterstützter. Mustafa Kemal ,,Atatürk" rief die Türkische Republik aus. Damit begann die Zwangsassimilierung der nicht- türkischen Völker in der Türkei. Da das türkische Bürgertum schwach war benötigte es einen starken Nationalismus um den Staat zusammen- zuhalten. Dieser neue Nationalismus ist unter dem Begriff Kemalismus bekannt. Es wird geleugnet, daß in der Türkischen Republik andere Völker als die Türken leben. Die Kurden werden nun als ,,Bergtürken" bezeichnet. Ihre Sprache und Kultur wird verboten. Kurdistan ist schwach industrialisiert und es dominiert die Subsistenzwirtschaft. Die Ländereien gehören kurdischen Großgrundbesitzern. Nach Besikci hält der türkische Staat Kurdistan bewußt unterentwickelt, da es für ihn leichter ist, die reichhaltigen Bodenschätze auszubeuten und sie anschließend in den Westen zu transportieren. Eine weiterer These von ihm ist, daß die türkischen Kapitalisten nicht wollen, daß Kurdistan, eine Konkurrenz für sie darstellt, sondern seine eigene Wirtschaft stärkt. Der Kolonialstaat Türkei hat den Großgrundbesitzern und Scheichs solange sie die Staatsideologie vertreten und damit ihre eigene Identität als Kurde verleugnen, so viele Rechte eingeräumt, bis hin zur Entscheidung über Leben und Tod. Besikci weist aber darauf hin, daß die Lage Kurdistans schlechter ist, als die einer Kolonie. Denn das Land wird nicht nur aus-gebeutet, sondern auch zwangsassimiliert und die eigene Kultur verfolgt. Der Widerstand gegen die Zwangsassimilation wird durch das türkische Militär unterdrückt. 1937 ermorden türkische Soldaten beim Volksaufstand in Dersim Tausende von Menschen. Bis heute wird die Zwangsassimilation und der Völkermord fortgesetzt. Hierin liegt der große Unterschied zur kolonialen Unterdrückung im Osmanischen Reich. Dort mußten die Kurden Steuern zahlen und sich dem Sultan unterwerfen. Aber sie durften Kurden bleiben und ihre Sprache sprechen.26

2.3. Die Diskussion der Ansätze von Maria Mies und Ismail Besikci
Ismail Besikci, beschreibt in seiner Theorie, wie es zu der Kolonialisierung Kurdistans kam und wie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts von den imperialistischen Großmächten die ,,Teile- und Herrsche- Politik". Gegen das kurdische Volk durchgesetzt wurde.27 Besikci geht in seiner Kolonialtheorie, weniger auf die Rolle der Frauen ein, vielmehr versucht er den Genozid an dem kurdischen Volk durch die Kolonialisten darzustellen. Besikci stellt die These auf, daß Kurdistan nicht als eine Kolonie bezeichnet werden kann, sondern der politische Status unter dem einer Kolonie liegt. Dies begründet er damit, daß die Kolonialisten in Kurdistan nicht nur die Rohstoffe ausplündern oder ihre Marktinteressen durchsetzen, sondern bis heute versuchen sie die kurdische Identität zu liquidieren. Eine wesentliche Ursache für die Herrschaft über Kurdistan zu haben, sieht er in der Kollaboration seitens der kurdischen Großgrundbesitzer (Aghas). Damit versucht er zu erklären, warum es dem kurdischen Volk bisher nicht gelungen ist, sein Selbstbestimmungsrecht zu erkämpfen.28 In den Analysen von Maria Mies29 dagegen, werden die Kolonien und die Unterdrückung der Frauen und die Ausbeutung der Natur auf eine Stufe gestellt , die der Kapitalismus für seine Existenz und Ausbreitung braucht. Frauen und Land werden aus der männlich dominierten Gesellschaft zurückgedrängt und werden wie notwendige Produktionsbedingungen oder ,,Naturressourcen", wie Wasser Luft und Erde behandelt. Für Kolonialisten sind Frauen und Land notwendige ,,Güter", die für ihre kapitalistische Produktion erforderlich sind. Deswegen wird versucht, Kontrolle über beide zu erhalten. D.h. sie kontrollieren sowohl die Produktion der Landwirtschaft, als auch die Produktion (Gebärfähigkeit und die Arbeit) der Frauen.30 Damit wird die Position der Frau in der Gesellschaft herabgesetzt und die Frau an sich herabgewürdigt. Damit verändert sich die gesellschaftliche Struktur der Kolonialländer insbesondere im Bereich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Beide Theoretiker werden für diese Arbeit verwendet, da es nicht möglich war Literatur über die Verbindung zwischen der Kolonialisierung und der kurdischen Frauen zu finden. Besikcis Theorien sind wichtig für diese Arbeit, weil er die Kolonialisierung Kurdistans und die damit verbundene politische Situation der Kurden an sich darstellt. Bei Maria Mies dagegen stellt die Situation der Frauen der ausgebeuteten und unterdrückten Völker deutlicher dar. Beide Theorien werden in Verbindung gebracht, um die These, daß Frauen und ihre Arbeit nicht von Anfang an geringgeschätzt wurden, sondern vielmehr ihre untergeordnete Position durch die Kolonialpolitik geschaffen wurde.

3. SOZIALE, KULTURELLE UND WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNGEN DES GESCHLECHTERVERHÄLTNISSES

3.1. Ursprung des Patriarchats nach Maria Mies
Maria Mies31 betrachtet die Gebärfähigkeit von Frauen als Produktionsmittel. Tätigkeiten wie Kinder gebären, sie zu erziehen und zu versorgen stellt sie als gesellschaftlich relevante Arbeit dar. Sie charakterisiert die Verbindung der Frau mit der Natur folgendermaßen: Durch lange Beobachtung haben sich Frauen viel Wissen über ihren eigenen Körper ihre Sexualität, die Menstruation, Schwangerschaft und Geburt angeeignet. Das brachte die Frauen zu der Erkenntnis, daß zwischen ihrer eigenen Produktivität und derjenigen der ,,Mutter Erde" ein enger Zusammenhang besteht. Diese Feststellung veranlaßte die Frauen auch, in der Natur Pflanzen, Tiere, Wasser Luft und Erde zu beobachten, was dazu führte, daß Frauen den Ackerbau entdeckten. Sie eigneten sich damit die Natur an, ohne sie beherrschen zu wollen. Mies schreibt, daß Frauen als ,,Produzentinnen von neuem Leben und Nahrung" eine dominante Stellung in der Gesellschaft innehatten. Sie waren als ,,Produzentinnen" von Nachwuchs und Nahrung als ,,Ernährerin" für den Familienverband in erster Linie verantwortlich.32 Auch Alexandra Kollontai-1872-1952-, die eine russische Frauenrechtlerin und Sozialistin in den zwanziger Jahren war ist der Überzeugung, daß die Frauen den Ackerbau entdeckt haben. Sie beschreibt den Vorgang in ihren Buch33 über die Situation der Frau in gesellschaftlichen Entwicklung Kollontal schreibt, daß die Frauen während der Schwangerschaft den Männern nicht auf die Jagd folgten, deswegen waren sie gezwungen an einem Ort zu warten. Da sie keine Vorratshaltung kannten, mußten sie Nahrung für sich und die Kinder besorgen. Sie suchten nach Gräsern mit eßbaren Samenkörnern. Die Samenkörner fielen auf die Erde, keimten und entwickelten neue Pflanzen. Durch die aufmerksame Beobachtung und Kultivierung entwickelte sich der erste Ackerbau. Das Ziel war größtmöglicher Ertrag bei geringstem Arbeitseinsatz. Das hatte zur Folge, daß mit Hilfe von Ästen und Hacken Felder angelegt wurden, auf denen gesät und geerntet wurde. Diese Art der Gewinnung von Nahrung war einfacher als das Sammeln von Früchten in den Wäldern. Es war ungefährlicher und einfacher. Auf diese Weise haben sich die Frauen eine starke gesellschaftliche Position geschaffen.

Weiterhin führt Maria Mies aus, daß die Frau durch die Gebärfähigkeit und den Ackerbau bewußt eine sowohl menschliche als auch gesellschaftliche Produktion leistete. Sie beruft sich hier auf Leukert, die sogar behauptet, daß die weibliche Produktion nicht nur Beginn der Geschichte sei, sondern auch die Voraussetzung der weiteren geschichtlichen Entwicklung wäre.34 Abschließend erklärt Mies noch den Zusammenhang von Naturbeherrschung und Unterdrückung der Frauen in der neuzeitlichen Gesellschaft. Mies hat zwar ihre Theorie nicht für die Situation der kurdischen Frauen entwickelt, aber in der Empirie soll in dieser Arbeit gezeigt werden, daß sie für bestimmte Epochen in der kurdischen Gesellschaft auch auf die kurdische Frau anzuwenden ist.

3.2. Geschichtliche Entwicklung der Stellung der Frau in Mesopotamien
Im folgenden Teil soll die Situation der Frau (5500-4500 v.u.Z. auch Jungsteinzeit und Kupfersteinzeit) genannt ,erläutert werden, da diese Zeit für die spätere Entwicklung der kurdischen Frau sehr bedeutend ist. Weiterhin wird anhand einiger Figurinnen gezeigt, daß die Frau in der damaligen Gesellschaft eine sehr hohe Position einnahm.

3.2.1 Die Stellung der Frau in mesopotamischen Gesellschaft
In der Jungsteinzeit und Kupferzeit basierte die Produktionsart in erster Linie auf Ackerbau, Tierhaltung, Teppichknüpferei und Töpferei. Die Frauen hatten hier die führende Rolle in der Gesellschaft übernommen, weil sie vor den Männern mit dem Ackerbau begonnen haben.35 Ihre Position war einmal durch ihre Fruchtbarkeit bestimmt und zum anderen dadurch, daß sie mit der Erde gleich gestellt wurde. Sowohl die Frau als auch die Erde bringen Leben hervor. Beide gebären und versinnbildlichen Reichtum und Überfluß.36 Bis heute hat sich das kurdische
Wort ,,Jin" d.h. Leben für die Frau erhalten. Die Frauen verrichteten sämtliche Arbeiten, die für den täglichen Bedarf notwendig waren. Sie betrieben Ackerbau und Tierhaltung, webten und töpferten. Damit gewannen sie in der Gesellschaft Respekt, den sie nicht mit der Waffe erstreiten mußten.37 Die damals hohe Position der Frau in der Gesellschaft drückt sich auch sehr stark in der Mythologie aus. Mesopotamien wird Ort der ,,Göttinnen" genannt. In weiblichen Wesen wurden Gottheiten verehrt, sie wurden mit Göttinnen gleichgesetzt wurden. In Mesopotamien hat die Verehrung von Göttinnen Jahrhunderte überdauert.38 Diese Göttinnen bildeten den Mittelpunkt der Gesellschaft. So wird die Göttin Ischtar als Astralgöttin verehrt, als Göttin des Abends- und Morgensterns, Göttin des Himmels und der Unterwelt, Mutter und Liebesgöttin, Göttin der Fruchtbarkeit und der Wollust. Sie wurde hauptsächlich in den Uruk und Nineve (im heutigen Kurdistan am Tigris) verehrt. In Babylonien wurde ihr zu Ehren das Ischtartor errichtet, das sich jetzt im Pergamon Museum in Berlin befindet.

Die Göttin Jschtar symbolisiert die Erde, die Menschen ernährt. Die Aufgabe der männlichen Götter wie des Tammuz ist es, die Erde Ischtar zu befruchten. Ischtar steht als Göttin sehr frei und wird so auch als Symbol für den Frühling gesehen. Im Frühling werden zu ihre Ehren Feiern veranstaltet, in denen die Wiedergeburt gefeiert wird.39

Quelle: Bellinger, Lexikon der Mythologie, 1969, 220

Wie wir in der Abbildung sehen, wird Ischtar auch als Kriegsgöttin mit Hörner -Mütze Köcher, Pfeil und Bogen in den Händen dargestellt. Zusätzliches Erkennungszeichen ist ein Stern und die ihr zugeordnete heilige Zahl 15.40 In hethitischen Beschreibungsritualen werden die Zwillingsgöttinen Ninatta und Kulitta als Dienerinnen der Ischtar dargestellt, die sowohl heilbringende als auch unheilbringende Aspekte verkörpern.

Aus der bayblonischen Schöpfungsgeschichte geht hervor, daß eine Göttin Nammu, das bedeutet Meer Himmel und Erde geboren hat. Die Himmelsgöttin heißt An und die Göttin der Erde heißt Kl. In der babylonischen Mythologie wird behauptet, daß Göttinen und Götter durch das Zusammenkommen des süßen Wassers aus dem Ozean Apsu mit dem salzigen Ozean Tiamatin erschaffen worden sind. Anschließend erzeugen Göttinnen Menschen als ihre Diener. Desweiteren erklärt die Göttin Tiamal den Göttern den Krieg in Gestalt des Drahen. Der Gott Marduk kämpft gegen Tiamal und verletzt sie. Aus ihrem verletzten Körper geht die Welt hervor. Aus ihrem Kopf werden Berge, aus ihren Augen die Flüsse Dide und Firat und aus ihren Brüsten werden Höhenlagen erschaffen. Aus ihrem hinteren Körperteil wurden die Himmels-gewölbe und aus ihrem Schwanz hat der Gott Marduk Himmel und Erde miteinander verbunden.41

3.3.1. Figurinen aus Mesopotamien
In diesem Kapitel werden Figurinen aus Catal Hüyük beschrieben. Catal Hüyük ist eine Stadt aus der Zeit 6500-5700 v.u.Z, der in der Nähe von Konya ausgegraben worden ist. Diese Stadt war nach Funden offenbar in Zwölf Schichten übereinander bewohnt.42 In diesem Ort hat man unzählige Figurinen gefunden.

Ich nehme diese Ausgrabung als Grundlage für meine Arbeit, weil Catal Hüyük, viele Jahrhunderte lang zu Mesopotamien gehörte. Das Gebiet Mesopotamien erstreckte sich zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Deswegen wird es auch Land zwischen den Strömen ge-nannt. Im Alten Orient umfaßte es die historischen Länder Assyrien und Babylonien Viele Völker siedelten sich in Mesopotamien an, um dort auf fruchtbarem Boden Ackerbau zu betreiben. Geschichtliche Belege beweisen, daß sich die dort angesiedelten Völker, der Sumerer, Baylonier, Assyrer, Hethiter und Meder (Vorfahren der Kurden) kulturell über Jahrhunderte hinweg verschmolzen haben. Jedes der Völker wollte aber Herrschaft über Mesopotamien erlangen. Das Volk der Meder Beispielsweise hatte im Jahr 539. V.u.z. die politische Macht. Erst im 18. Jahrhundert n.u.Z erhielten die Türken die Oberhand über das Land43

Eine wichtige Funktion erfüllten in allen o.g. Kulturen Mesopotamiens über viele Jahrhunderte hinweg die Frauen, weil sie die Produktion in der Landwirtschaft betrieben. Ein Beleg für die hohe Position der Frau in diesen Gesellschaften sind die Figurinen aus Catal Hüyük.

Abb.1, Quelle: Meixner, ,95, S.83

Die erste Figurine stellt ein Frauenpaar aus der Zeit um 5800 v.u.Z. in Catal Hüyük dar. Die Figurine zeigt ein Frauenpaar, mit gleich großen Köpfen, das von zwei Armen umschlungen ist. Die Hand der rechten Frau, berührt vom Betrachter aus gesehen berührt die Brust der linken Frau. Beide Frauen verschmelzen zu einem gemeinsamen Unterleib, der mit einem Gürtel verziert ist. Laut Gabriele Meixner könnte diese Zwillingsfigur auf eine nicht hierarchische Gesellschaft hinweisen.44

Abb. 2, Quelle: Meixner, 1994: 83

Die zweite Abbildung zeigt zwei Frauenfiguren als Relief an einer Wand eines Heiligtums. Beide Frauen sind fast gleich groß. Beine und Arme sind weit geöffnet und deuten nach oben. Nach Meinung von Gabriele Meixner deuten diese Figuren auf die Gebärfähigkeit hin.45

Abb.3,Quelle: Xemgin, 1996, S.68

Die dritte Figurine entstammt einer Ausgrabung in der Nähe der Stadt Susa, ca 4000 v.u.Z, die im heutigen südwestlichen Iran liegt. Auch dieser Teil gehört zum heutigen Kurdistan. Die Zeit der Hochkultur erstreckte sich von 4000 v.u.Z bis ca. 7.n.u.Z. Im Gegensatz zu den Doppelfigurinen wird hier eine einzelne Figurine dargestellt. Sie ist wahrscheinlich mit einem weiten Gewand bekleidet, - es wird aber nicht deutlich - und sie trägt reichen Kopf- Hals und Armschmuck sowie Bauchketten. Nach Angaben von Ethem Xemgin ist die Figurine 13,8 cm groß. Sie nimmt die Haltung ein, als würde sie ihre Brüste dem Betrachter anbieten, was auf die Fruchtbarkeit der Frau zurückzuführen ist.30 Oberleib und Unterleib sind mit großen Rundungen versehen, die so Meixner als ,,weibliche Dualität für Oberwelt und Unterwelt" gelten können. Die Art der Figurine ist ein Symbol für die Wiedergeburt, den zyklischen Wechsel von Leben und Sterben beziehungsweise von Ernte und Saatruhe.46

Abb. 4, Quelle: Meixner, `95, S. 94

Die letzte Figurine stammt aus Kültepe (Zentalanatolien). Die Figur ist ein 20 cm hohes ,,Scheiben Idol". Im Zentrum des Körpers befindet sich ein kleines ,,Doppelidol". Das kleine ,,Doppelidol" erinnert an das Leben, das sich aus dem Schoßdreieck (dem Symbol für Weiblichkeit) entwickelt. Diese Figur könnte nach Ansicht von Meixner auf einen weiblichen Stammbaum hinweisen. Sie stammt aus dem Jahre 2000 v.u.Z.4'

Literaturhinweis

1 Vgl. Mies, 1989, S.115
2 Vgl. Mies, 1989, S.117
3 Vgl. Ebenda, S. 110
4 Vgl. Ebenda, S. 110
5 Vgl. Ebenda, S. 112
6 Vgl. Ebenda, S.115
7 Vgl. Mies, 1989, S.115
8 Vgl. Ebenda, S. 115
9 Vgl. Mies, 1988, S.13 f.
10 Vgl. Ebenda, S. 13ff.
11 Vgl. Ebenda, S.21
12 Vgl. Mies, 1988, S.21
13 Vgl. Ebenda, S.21
14 Anhand von Lenins Imperialismustheorie wird der Übergang vom Kapitalismus zum Imperialismus erklärt. Lenin bezeichnet den Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus. In der ersten Phase des Kapitalismus herrschte die freie Konkurrenz der Einzelkapitalien auf dem freien Markt. Im Laufe der Zeit bildeten sich daraus marktbeherrschende Monopole (Kartelle, Syndikate, Trusts). Das Industriekapital verschmolz mit dem Bankenkapital zum Finanzkapital. Wirtschaftliche Krisen bewirken ein Absterben der kleineren Betriebe und somit eine Verstärkung der Monopolisten, die sich die kleineren Betriebe einverleibt haben. Die Akkumulation des Kapitals erreicht so große Dimensionen, daß die Kapitalisten gezwungen sind, durch Expansionen ihres Kapitals in Dritte- Welt- Länder ihre Profite noch zu steigern. Im Imperialismus ist der Kapitalexport wichtiger, wie der Warenexport. So, wie laut Lenin in den Nationalstaaten der Markt von den Monopolen beherrscht wird, ist die ganze Welt unter einer kleinen Gruppe imperialistischer ,,Räuberstaaten" aufgeteilt. (W.L. Lenin, 1970, 5. 131ff.)
15 Vgl. Besikci, 1991, S.12
16 Vgl. Besikci, 1991, S.12-13
17 Vgl. Ebenda, S.12.13
18 Vgl. Besikci, 1991, 5. 111-112
19 Vgl. Besikci, S.110
20 Vgl. Ebenso, 1991, S.21
21 Vgl. Ferat, 1992, S.39
22 Vgl. Aziz, 1992, S.135
23 Vgl. Ebenda, 5.135
24 Vgl. Azis, 1992, S.152
25 Vgl. Besikci, 1987, 5.12
26 Vgl. Besikci, 1991, S.16-17
27 Vgl. Besikci, 1987, S.12
28 Vgl. Besikci, 1991, S.112 f.
29 Vgl. Mies, 1989, S.8
30 Vgl. Mies, 1989, S.113ff.
31 Vgl. Mies, 1988, S.170
32 Vgl. Ebenda, S.175
33 Vgl. Kollontai, 1973, S.18-19
34 Vgl. Mies, 1988, S.172
35 Vgl. Jina Serbilind, 1998, S.34
36 Vgl. Ebenda, 1998, S.34
37 Vgl. Özgürlesen Yurtsever Genclik, 1995, S.36
38 Vgl. Jina Serbilind, 1998, S.35
39 Vgl. Jina Serbilind, 1998, S.36
40 Vgl. Bellinger 1997, S.20
41 Vgl. Jina Serbilind, 1998, S. 36 und Xemgin, 1996, S.40
42 Vgl. Meixner 1995, S.83
43 Vgl. Arikan, 1994, S.7-9
44 Vgl. Meixner; 1994, S.83
45 Vgl. Meixner 1994, S.83
30 Vgl. Xemgin, 1996, 5.68
46 Vgl. Meixner 1994, S.77
47 Vgl. Ebenda, S.94


3.4.Die Einwanderung der Kurdinnen in Mesopotamien

Die letzte Figurine aus dem Jahre 2000 v.u.Z. ist wichtig für die hier vertretene These, daß die matriarchale Phase in der Jungsteinzeit lange angehalten hat und dies die Vorfahren der kurdischen Frauen beeinflußt haben könnte. Das kurdische Volk ist zwischen dem 3. und 2. Jahrtausend v.u.Z. von Thrazien

(südlicher Balkan) nach Mesopotamien eingewandert, siedelte am südlichen Ufer des Ararats und vermischte sich mit den dort ansässigen Völkern, wie den Sumerern und den Babyloniern. Das kurdische Volk ist indogermanischer Herkunft.1 Über die Frühphase der Kurden und den Zeitpunkt ihrer Einwanderung nach Mesopotamien gibt es verschiedene Theorien.)

Die Frühbronzezeit 3000-2000 v.u.Z .wird normaler Weise als Umbruchsphase bezeichnet, in der sich das Matriarchat zum Patriarchat umwandelte.

Anhand dieser letzten Figurine ist zu erkennen, daß sich das Patriarchat in Anatolien nicht überall durchgesetzt hat. In kleineren Provinzen Altanatoliens regierten nach Auslegung von Hamit Kosay Fürstinnen. Das heißt, daß das Patriarchat lange gebraucht hat, sich überall in Mesopotamien durchzusetzen. In Anatolien hat die Verehrung der Göttinnen Jahrhunderte überdauert. Göttinnen bildeten den Mittelpunkt der Gesellschaft2

3.5. Die Begegnung mit drei verschiedenen Religionen

Die Kurden gehören verschiedene Religionen an. Ihre Ursprungsreligion ist der Zarathustrische Glaube. Später verbreiteten sich die Weltregionen, d.h. das Christentum und der Islam. Der Islam beeinflußt , seit Beginn seiner Ausbreitung im 7. Jahrhundert, das Leben vieler Kurdinnen und Kurden und ersetzte dadurch die alten heidnischen Gebräuche.3

3.5.1 Der Zarathustra

Die Ursprungsreligion der Kurden ist der zarathustrische Glaube. Seine Anhänger werden Yeziden genannt. In dieser Religion wird eine Verbindung zwischen Gott und "Melek Tawus" dargestellt. Für Yezidin ist "Melek Tawus" ein Engel, der von Gott in Ungnade gefallen und wegen seiner Reue wieder vor Gott in die göttliche Gemeinschaft aufgenommen worden ist. Im Gegensatz zu anderen Religionen gibt es im zarathustrischen Glauben keine Personifizierung des Bösen. Es gibt in dieser Religion weder Teufel noch Hölle. Sie glauben an eine Seelenwanderung, die die Wiedergeburt möglich macht.4 Für Yeziden ist Gott passiv, vermittelt seine Lehren und überträgt seine Befehle über den "Melek Tawus". Dadurch bilden "Melek Tawus" und Gott für sie eine Einheit. Das Christentum und der Islam ordnen den gefallenen Engel dem Teufel zu. Damit wurde in diesen Religionen die Sünde eingeführt. Die Sünden des Menschen im Diesseits werden im Jenseits, in der Hölle, bestraft. Das Christentum und der Islam verfolgen die Gläubigen des Zarathustra als "Teufelsanbeter". Heute leben 90 Prozent der Yezidi in Europa, Armenien und Georgien. Aus diesem Grund gibt es keine sicheren Daten über die Anzahl der Yezidi. Schätzungsweise wird von 100000 bis 500000 geredet.5

Die Stellung der yezidischen Frauen war eine gesellschaftlich anerkannte. Diese Aussage kann beispielhaft am Schicksal von "Hurrem Binti Quade" belegt werden. Diese Frau lebte im 5. Jahrhundert n.u.Z. und war die Frau eines yezidischen religiösen Gelehrten mit Namen "Hurrem Mazdek". Er war unter der kurdischen Bevölkerung ein angesehener Mann, der die Gleichberechtigung und Freiheit vertrat. Insbesondere hat er die arme Bevölkerung gegen die Sassaniden und das römische Reich organisiert. Er wurde vom Herrscher der Sassaniden ermordet. Nach der Ermordung ihres Mannes, hat Hurrem Binti Quade die religiöse Vorstellung ihres Mannes weitergeführt. Das führte später dazu, daß sich diese Religion sich vor der Islamisierung sehr stark verbreitete und eine einflußreiche Religion wurde.6

3.5.2. Das Christentum

Nach der Entstehung des Christentums verbreitete sich dieser Glaube auch in Kurdistan und beeinflußte dort einige Gruppen. Heute existieren aus diesem historischen Prozeß folgende Minderheiten in der Region: die syrisch orthodoxen Christen (Jakobiten), christliche Assyrer (Nestorianer) und die Chaldäer. Da das Christentum aber eine sehr geringe Rolle in der kurdischen Gesellschaft spielt, weswegen hierzu keine Literatur zu finden ist, soll hier nicht weiter darauf eingegangen werde.7

3.5. 3. Der Islam

Der Islam hatte seinen Höhepunkt im Jahre 637 n.u.Z., nach dem Tode des persischen Königs Chourau. Innerhalb weniger Jahre hatten die Araber die ganze nordafrikanische Küste erobert und kurz darauf fiel ihnen auch ein großer Teil Spaniens und weite Gebiete von Kleinasien in die Hände. Die Eroberungen dieser großen Gebiete waren nicht von Dauer, aber die Religion überlebte dort. Das wichtigste Buch des Islams ist der Koran. Dessen Inhalt wurde vom Engel Gabriel an Muhammed überbracht. Dieser lernte die Suren auswendig und vermittelt den Inhalt an seine Anhänger weiter. Darauf lernten diese die Suren wiederum auswendig und überlieferten sie mündlich weiter.8 So wurde der Inhalt des Koran von Generation zu Generation weitergegeben. Im Laufe der Jahre kam es zu Uneinigkeiten über die Worte im Koran. Deswegen faßte Khalif Uthmann (644-656) zwanzig Jahre nach dem Tod des Propheten Muhammed alle erhaltenen Schriftstücke, die von ihm und seinen Schreibern selbst angelegt worden waren zu einem einzelnen Schriftwerk, dem Koran, zusammen.9 Irenell Ruf bezieht sich in ihrem Buch "Yaa Sayyidda, Du Großzügige, Du Kluge, Du Schöne" auf Mernisse und schreibt, daß es in Muhammeds Zeiten, also bevor der Koran zu einem Schriftwerk zusammengefaßt worden war, eine vierte Sure und zwar die "Frauensure" gegeben habe. Diese entstand aus dem Widerstand der Frauen, die kritisierten, das immer nur Männer in den Suren erwähnt wurden. So schafften es Frauen, daß im Koran Frauen so wie Männer angesprochen wurden. Eine der wichtigsten Frauen war Ayse.

Die "Frauensure" gab hauptsächlich den Frauen das Erbrecht. Des weiteren gab sie den Frauen das Recht, den Umgang mit ihrem Körper und ihrer Sexualität selbst zu bestimmen. Weibliche Körperlichkeit war noch nicht an männliche Kontrolle gebunden. Die "Frauensure" veranlaßte die Männer dazu, auf die Barrikaden zu gehen. Ruf vertritt deshalb die These, daß in dieser Zeit die frauenfeindlichen Suren entstanden sind.10

Sie schreibt, daß im Koran sowohl Frauenfeindlichkeit, als auch die Gleichstellung der Geschlechter begründet werden, was bis heute zu Widersprüchlichkeiten in der Interpretation führt. Ruf wirft die Frage auf, ob die Gleichstellung der Geschlechter, nicht ein Zugeständnis an das präislamische Geschlechterverständnis sei. Durch den männlichen Aufstand entstanden frauenfeindlichen Suren, wie zum Beispiel die Koran Sure 4 Vers 38: "Die Männer sind den Weibern überlegen wegen dessen, was Allah den einen vor den anderen gegeben hat, und weil sie von ihrem Geld (für die Weiber) auslegen. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und sorgsam in der Abwesenheit (des Gatten), wie Allah für sie sorgte. Diejenigen aber, für den Widerspenstigkeit ihr fürchtet - warnet sie, verbannt sie in die Schlafgemächer und schlaget sie. Und so sie euch gehorchen, so suchet keinen Weg wieder, sie, siehe Allah ist hoch und groß."11

Hier handelt es sich um eine Beschreibung des Patriarchats zu Muhammeds Zeiten. Die Sure wird daher auch von islamischen Feministinnen nicht als gültiges Gesetz, sondern als Schilderung der damaligen Gesellschaft interpretiert. Strenggläubige Moslems übertragen sie allerdings auf die heutige Gesellschaft. Eine weitere frauenfeindliche Sure ist die Sure 2 Vers 282 : "...und nehmet von euren Leuten zwei zu Zeugen. Sie sind nicht zwei Mannspersonen da, so sei es ein Mann und zwei Frauen, die euch zu Zeugen passend erscheinen, daß, wenn die eine vom beiden irrt, die andere sich erinnern kann..."12

Ruf behauptet, daß sich die patriarchale Entwicklung in der Interpretationsgeschichte des Korans spiegelt. Die schriftliche Koraninterpretation entstand zwei bis drei Jahrhunderte nach Muhammeds Tod, im Interesse der abassischen Herrschaft. "Mit der Etabilierung des Absolutismus wurde die frauenfeindliche Koraninterpretation endlich zur Herrschenden."13

Weiterhin behauptet sie, daß nicht von einem allgemeingültigen Islam als Verhaltenskonzept gesprochen werden kann, weil dieser in verschiedenen Ländern und Kulturen unterschiedlich ausgelegt wird. So gibt es verschiedenen Glaubensrichtungen wie die Sunniten, die Schiiten und die Aleviten, die gemäß ihres Interpretationsansatzes den Koran unterschiedlich ausleben. Dies gilt auch für das Geschlechterverhältnis. Der Islam ist auch durch die verschiedenen Nationalitäten und der damit verbundenen Kolonialgeschichte so wie die ethnisch- präislamischen Besonderheiten geprägt worden.14

3.6. Die Frau in der Öffentlichkeit

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sollen matriarchale Spuren bis ins Nomadentum im 19. Jahrhundert, also bis zum Zerfall des osmanischen Reichs in der kurdischen Gesellschaft dargestellt werden, die trotz des Patriarchats und der Zwangsislamisierung fortbestanden.

3.6.1. Spuren des Matriarchats am Beispiel der Asti und Kara Fatma

1301 gründete Osman das osmanische Reich und es wuchs kontinuierlich. Anfang des 15. Jahrhunderts reichte es bereits von Persien im Osten, über Syrien im Süden, bis weit hinaus nordöstlich zum Schwarzen Meer. Das osmanische Reich brachte den gesamten Balkan unter seine Herrschaft. Kurdistan fiel auch unter die Herrschaft des osmanischen Reiches.

Damals lebten die Kurden in Fürstentümern, die eigenständige militärische Truppen besaßen. Da die kurdischen Truppen bis 1514 an der Seite des osmanischen Sultans "Selim, des Grausamen" gegen die Perser gekämpft hatten, hat dieser ihnen als Dank dafür die Selbstständigkeit der Fürstentümmer als "eigenständige Staaten" zugesichert. Sie wurden zwar zum Osmanischen Reich dazugezählt, aber sie genossen bestimmte Freiheiten und Rechte.15

Da die Kurden bestimmte Freiheiten und Rechte besaßen, konnten sie ihre ursprüngliche Kultur ausleben. Dies spiegelt sich während des Osmanischen Reiches im Leben des Nomadentums, insbesondere dem der Frauen wieder. Das Nomadentum war nach Fadil Ahmad16 kaum mit islamischen oder anderen patriarchalen Gesellschaften in Berührung gekommen, wesgen die Frauen eine hohe Stellung in ihren Stämmen hatten. Dies kann an einem Zitat von einer Kurdin deutlich gemacht werden: "Es hat keine Sklavenhaltergesellschaft in Kurdistan gegeben, und auch feudalistische Züge drangen erst sehr spät in die Gesellschaft ein. Familien wurden oft nach dem Namen der Frau benannt, daß Frauen auch ganze Stämme anführten. Wenn zum Beispiel der Ehemann starb oder längere Zeit abwesend war, übernahm die Frau der Familie, die den Stamm führte, das Kommando."17 Die Stellung der Frauen änderte sich erst um die Jahrhundertwende, und zwar nachdem sich die Nomaden seßhaft gemachten hatten und dadurch Kontakte zu patriarchalen Gesellschaften bekamen.18

Erzählungen aus dem Nomadentum zeigen uns den matriachalen Charakter der Nomadengesellschaft. In der Sage "Ferkh und Asti" handelt es sich um ein Mädchen namens Asti, die unter all ihren Brüdern und Schwestern von ihrem Vater als nachfolgende Herrscherinn ausgewählt wird, obwohl man sie mit einem jungen Mann in ihrem Bett erwischt hat. Ihre sexuelle Beziehung erweckte nie den Zorn der Männer in ihrer Familie. Am Ende heiratet Asti einen Hirten, sie verläßt aber ihren Geliebten nicht. Beide versuchen den Konkurrenten auf unterschiedlichste Weise auszuspielen. Asti aber ist nicht bereit, nur mit einem Mann zusammenzuleben und den anderen zu verlassen. Sie lehnt die monogame Ehe ab.19

Dieses Beispiel soll hier die Autorität und Stärke der kurdischen Frauen im Nomadentum darstellen. Anhand dieser Erzählung kann der Gegensatz zu anderen Sagen, die den Untergang des Matriarchats darstellen, deutlich gemacht werden.

Infolge Fadil Ahmad lebten die kurdischen Nomadenfrauen sehr frei und durch ihre Beweglichkeit begrenzte sich ihre Arbeit nicht nur auf die Hausarbeit, die zu dem in Kooperation mit Männern gemacht worden ist Nur so konnte, das Nomadentum funktionieren.

Fadil zitiert den Rechtsgelehrten Mulla Mahmud Bayazidie im Jahre 1858: "Die kurdischen Frauen sind klüger, vollständiger und menschlicher als ihre Männer. Sie sind sehr nett und verständig. Dort dürfen sie für die Einnahmen und Ausgaben Verantwortung tragen, ohne ihre Männer".20

Die kurdischen Nomadenfrauen hatten nicht nur aufgrund ihrer Gebärfähigkeit und Versorgungsarbeit eine wichtige Rolle, sondern auch wegen ihrer Führungsstärke im militärischen Bereich.

Ein Beispiel für die Stärke der kurdischen Frau ist eine Stammführerin aus dem 18. Jahrhundert. Diese Stammesführerin Kara Fatma stammte aus dem kurdischen Gebiet Maras und hatte 300 Soldaten unter ihrem Befehl. Yazgan schreibt, daß nach Angaben von Illustrated London News aus dem Jahre 1854 Kara Fatma mit ihren Soldaten nach Istanbul zum Sultan reiste, um ihren Mann dort aus der Gefangenschaft zu retten. Dies gelang ihr nach langen Verhandlungen. Weitere Heldentaten dieser Frau waren beispielsweise, ihre Teilnahme am osmanisch- russichen Kampf, im 1878 und ihr gemeinsamer Kampf mit den Männern in der Stadt Erzurum. Viele von ihren Kämpfern fielen während der Schlacht, dennoch kämpfte sie weiter, übergab die Stadt nicht den Russen und wurde so zu einer Legende.

Nach Angaben von Ilhami Yazgan war sie schon als junge Frau eine Führungspersönlichkeit. Sie brachte junge Frauen zusammen und nahm deren Führung in die Hand.

Überall, da wo sie mit ihrem Pferd durchreiste, wurde sie von den Menschen, besonders von Frauen bewundert.21

3.7.Die Bedeutung der Kolonialisierung für kurdische Frauen

Die Kolonialisierung bedeutete für die Kurdin Unterdrückung, die durch die Vernichtung ihrer Kultur und ihrer kurdischen Identität entstand. Der türkische Kolonialstaat wollte, oder will immer noch, die Kurden und ihre Kultur von der Erdoberfläche ausradieren, was er mit mehrfach ausgeübten Massakern versucht. Sein Ziel ist eine Zwangsassimilierung der Kurden zu Türken.

Aus der selbstbewußten kurdischen Frau, die es auch noch unter Osmanischer Herrschaft gab, hat der türkische Staat mit Hilfe von kurdischen Großgrundbesitzern und Scheichs eine unterdrückte Frau geschaffen. Damit gehören Frauen wie Asti und Kara Fatma der Vergangenheit an.

Die Türkei schaffte es - in Zusammenarbeit mit kurdischen religiösen Führern - diskriminierende Elemente aus der islamischen Glaubensrichtung gegen die der kurdische Frau einzusetzen, um sie aus der männlichen Öffentlichkeit verbannen zu können.

Maria Mies hat gezeigt, wie es den Kolonialisten in Afrika gelang, die ursprüngliche Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu zerstören.22

Diese Beschreibung gilt auch für die Situation der kolonialisierten kurdischen Frau. So schaffen es der türkische Staat und seine Kollaborateure, die Frauen als "minderwertig" darzustellen und so wurden ihre Fähigkeiten, zu gebären und zu Ernähren, die vor der Kolonialisierung in der kurdischen Gesellschaft hochgeschätzt waren, wertlos. Der Mann als Erzeuger und Ernährer rückt statt dessen in den Vordergrund.

3.8. Die heutige Situation der kurdischen Bäuerinnen

3.8.1.Die Arbeitssituation der Bäuerinnen

Die harte Arbeit lastet trotz allem auf der Schulter der Frau, weil sie weiterhin auf dem Feld arbeitet und für die Versorgung des Haushalts und die Kinderverpflegung zuständig ist. Dagegen sind Männer neben der Feldarbeit für die Einkäufe in der Stadt und bei der Herstellung der Kontakte zur Außenwelt verantwortlich.23

Der Arbeitstag für die Frauen beginnt um 5 Uhr und endet um 24 Uhr, dazwischen liegt ein anstrengender Tag für sie.

Die anstrengendste Zeit für sie ist die Erntezeit, wo sie morgens um fünf Uhr aufs Feld gehen müssen. Meist nahmen sie auch ihre kleinen Kinder mit sich in der Wiege, damit sie sie während der Arbeitszeit stillen können. In der Hitze schneiden sie mit Sicheln den hochgewachsenen Weizen ab. Viele Frauen sind gezwungen bis neun Uhr abends auf dem Feld zu arbeiten, weil ihr Dorf weit entfernt ist und sie nicht die Möglichkeit haben für ein paar Stunden das Feld zu verlassen. Die Frauen weiden im Sommer auch die Tiere in den Bergen, wobei aber die Söhne mithelfen. Wenn sie zurück ins Dorf kommen, beginnt für sie die Hausarbeit. Die Tiere müssen versorgt und gemolken werden und die Milch verarbeiten sie zu Käse und Butter für den Winter. Anschließend muß Brot gebacken, gekocht und die Wäsche gewaschen werden.24

Die Arbeit der kurdischen Frau wird durch den Lebensstandard erschwert, weil es weder Elektrizität noch fließendes Wasser gibt. Sie muß das Wasser aus einem Brunnen holen, der öfters weit von ihrem Wohnsitz entfernt ist.

Im Winter, weben die Frauen neben der Hausarbeit Teppiche.

Die meiste Arbeit in der Dorfgemeinschaft wird von den Frauen verrichtet, aber von den Männern wird diese nicht Arbeit betrachtet, weil sie scheinbar finanziell nichts einbringt.25

3.8.2.Die Heirat und Kinder (Familiensituation)

Neben diesen Arbeiten muß sie die Großfamilie versorgen. Die kurdischen Familien sind in der Regel Großfamilien. Sie bestehen meistens aus einem Ehemann mit einer oder mehreren Frauen. In überwiegend islamischen Gebieten wie Cizre oder Botan haben die Männer häufig nach islamischen Recht mehrere Frauen. In yezidischen oder alevitischen Landesteilen überwiegt dagegen die Monogamie . Die Frauen müssen jeweils bis zu 10 Kinder gebären. Zur Großfamilie zählen die Eltern des Ehemannes sowie Frauen und Kinder ihrer verheirateten Söhne. Viele Kinder, insbesondere Söhne, zu gebären ist sehr wichtig für eine Großfamilie, weil im patriarchalen Denken nur so die Linie der Familie fortgeführt wird. Frauen und Kinder sind wichtige Arbeitskräfte, die sowohl in der Landwirtschaft als auch für die Heimproduktion benötigt werden. Kinder sind für ihre Eltern die einzige Altersversorgung, weil sie im späteren Alter nicht allein überleben können. Deswegen muß die Frau viele Kinder gebären. Wenn sie dieses aus medizinischen Gründen nicht kann, wird sie als "wertlos" betrachtet und muß damit rechnen, daß ihr Mann eine andere Frau heiratet und diese zusammen in ihrem Haushalt lebt. Diese Zweitfrau wird "Kuma" genannt.

In Kurdistan sind Ehen selten von beiden Partnern gewünschte Ehen, sondern sie sind eine Notwendigkeit für das Existieren einer ökonomischen Gemeinschaft.

Aus diesen Gründen sind Zwangshochzeiten in den Dörfern, aber auch in den Städten, sehr verbreitet. In vielen Fällen wird ein Mädchen im frühen Kindesalter manchmal schon in der Wiege - Besik kertme genannt - einem Sohn aus einer wirtschaftlich gut angesehenen Familie oder einen Sohn aus dem Verwandtschaftkreis versprochen.

Bei der Brautwahl achtet die Familie des Sohnes wiederum auf die Ehre, die Leistungsfähigkeit des Mädchens, ihre Gesundheit und ihre Fähigkeit, hart zu arbeiten, Geschicklichkeit, Gutmütigkeit und ihre Unterwürfigkeit. Wenn ein Mädchen viele dieser Anforderung erfüllt, wird der Brautpreis - Baslik parasi genannt - festgelegt und die Hochzeit vorbereitet.

Die Ehre, also die Jungfräulichkeit eines Mädchens, spielt in der kurdischen Gesellschaft eine wichtige Rolle und muß in der Hochzeitsnacht durch ein blutiges Laken gezeigt werden. Wenn diese nicht bewiesen werden kann, wird die Braut von den Männern der eigenen Familie umgebracht, denn sie hat damit die Ehre der Familie verletzt.26

Die Heirat bedeutet in der Regel für die kurdische Frau das Verlassen der eigenen Familie und der Freundinnen und den Eintritt in eine andere, fremde Familie, wo ihr die unterste Position in der Rangordnung zugewiesen wird.

Hier muß sie sich ihrem Mann, ihren Schwiegereltern, ihren Schwägern und Schwägerinnen unterwerfen.

1 Vgl. Arikan, 1994, S. 7
2 Vgl. Meixner, 1994, S. 89
3 Vgl. Azis, 1992, 78
4 Vgl. Ebenda, 70
5 Vgl. Ebenda, 80
6 Vgl. Özgürlesen Yurtsever Genlik, 1997, S. 73
7 Vgl. Azis, 1992, S. 81
8 Vgl. Temel Britanika, 1986, 103
9 Vgl. Forkl, 1987, S. 159
10 Vgl. Ruf, 1992, S. 59
11 Vgl. Hennigs, 1977, S. 93

4. Die Stärken der kurdischen Frau

4. 1. Die "Landreform "

Der Großgrundbesitzer beutet die Bauern, nach Aziz ein "klassisches feudales Ausbeutungsverhältnis", aus.1 Die Länder, die der Großgrundbesitzer als sein Eigentum ansieht, werden von den Bauern bestellt. Diese wiederum müssen für das Recht, diese Länder bearbeiten zu können, Steuern an sie zahlen. Die Abgabe der Steuern variiert in den unterschiedlichen Landesteilen. Es ist aber in vielen Gegenden üblich, daß die Bauern ein Zehntel ihrer Ernte aus der Hand geben müssen. Als weitere Möglichkeit gibt Aziz an, daß der Großgrundbesitzer sein Tribut in unbezahlter Fronarbeit fordern kann.

Die türkische Regierung gibt den Großgrundbesitzern militärische Unterstützung, um die Bauern ausbeuten zu können und somit politische, militärische und wirtschaftliche Autorität in den kurdischen Gebieten zu erlangen.2

Um sich als "gerechter türkischer Staat" zu zeigen, der sich um die Belange seiner Bauern kümmert, wollte die türkische Regierung in den kurdischen Provinzen eine "Landreform" gegen Armut einführen. Interessengruppen verschiedener Art, insbesondere der Großgrundbesitzer, erreichen es jedoch, daß die Reform nicht durchgeführt wurde. Wegen des großen Widerstandes verschiedener Großgrundbesitzer konnte diese Landreform erst 1973 verabschiedet werden. Eine wesentliche Voraussetzung für die Landvergabe war die Kenntnis der türkischen Sprache in Wort und Schrift. Da aber nur 20% der kurdischen Bevölkerung diese Voraussetzungen erfüllten, wurde damit die Mehrheit der Kurden ausgegrenzt, denn unter den 20% befanden sich vor allem die Großgrundbesitzer mit ihren Familien. Der Rest des Landes wurde verstaatlicht.

Dieses Gesetz war für die Mehrheit der Kurden also eine Augenwischerei. Um überleben zu können, besetzten die kurdischen Bauern die Ländereien der Großgrundbesitzer - Aghas - was zu einer großen und gewalttätigen Auseinandersetzung mit der türkischen Regierung führte. Hier spielten besonders die kurdischen Frauen als traditionelle landverbundene Ernährerinnen eine führende Rolle. Sie vertraten gegenüber den Aghas nicht nur ihre Forderungen als Kurdinnen sondern vor allem auch als Frauen. Einige der älteren Frauen hatten noch Erinnerungen an die kurdischen Aufstände der Vergangenheit und dessen Niederwerfen wie in Dersim 1937. Viele dieser Frauen wurden von den türkischen Soldaten und Polizisten vergewaltigt, ins Gefängnis geworfen oder ermordet. Obwohl viele Kurdinnen und Kurden bei diesem Widerstand getötet wurden, war dieser erfolgreich und viele konnten auf den besetzten Ländereien bleiben, wodurch der Status Großgrundbesitzer geschwächt wurde.3

4.2 "Feminisierung der Landwirtschaft"

Der Begriff "Feminisierung der Landwirdschaft" ist von Özbay entwickelt worden und bedeutet Rückzug der Männer, aus der Landwirtschaftlichen Subsistenzproduktion. Ein wichtiger Grund dafür ist die Migration der Männer in die Großstädte, die nach ihrer Rückkehr in die Dorfgemeinschaft, die landwirtschaftliche Produktion ablehnen. Die Ablehnung der Subsistenzproduktion führt dazu, daß Frauen die gesamte Landwirtschaft und Versorgungsarbeit wie die Versorgung der Kinder und älteren Menschen sowie den Haushalt übernehmen. Die Frauen müssen auch für die finanzielle Existenzsicherung der Familie sorgen, weil ihre Männer das verdiente Geld aus dem Subsistenzbereich abziehen. Somit sind die Frauen allein verantwortlich für das Überleben der Familie auf dem Dorf.4

Im folgenden wird die "Feminisierung der Landwirtschaft" in Kurdistan dargestellt.

Mit der wachsenden Industrialisierung in den großen türkischen Metropolen zogen die Männer in den 60er und 70er Jahren in die Städte, insbesondere nach Istanbul. Die Frauen, Kinder und älteren Männer blieben auf dem Land. Die Ehemänner besuchten ihre Frauen nur im Urlaub. Diese Situation hat die Rolle der kurdischen Frauen in der Dorfgemeinschaft stark verändert, weil sie ab jetzt für die landwirtschaftliche Produktion allein verantwortlich waren. Man kann deswegen auch den Begriff "Feminisierung der Landwirtschaft" für die Situation in Kurdistan verwenden. Die kurdischen Frauen haben sich darüber hinaus eine "Frauenwelt" geschaffen, in der sie sich freier und offener bewegen konnten als in der vorher männerdominierten Dorfgemeinschaft. Da fast nur Frauen und Kinder in den Dörfern blieben, waren sie nicht der männlichen Kontrolle ausgesetzt. Sie konnten sowohl in der Familie als auch in der landwirtschaftlichen Produktion selbständig Entscheidungen treffen, was zu einer positiven Veränderung ihres Selbstwertgefühles führte. Die Frau war überall präsent und stark. Die Arbeiten im Haushalt und auf dem Land sowie die Kindererziehung wurden untereinander aufgeteilt. Das soziale Verhalten zueinander war durch Offenheit, gegenseitigem Verständnis und Anteilnahme geprägt. Untereinander wurde sehr offen mit Sexualität umgegangen. Zum Beispiel wusch man sich gemeinsam, zeigte sich die intimsten Stellen und machte sogar Witze darüber5 .

Kamen die Männer zu Besuch, halfen sie den Frauen selten bei der Arbeit, sondern verbrachten ihre Zeit in den Cafés. Die Beziehung der Frau zum Mann bestand häufig nur auf sexueller Ebene. Die Verantwortung des Mannes gegenüber der Familie bestand nur in finanzieller Hinsicht. Der Status der Männer in der Dorfgemeinschaft war nicht mehr so anerkannt, wie früher, da sie nichts produzierten.

Die beschriebene Offenheit der kurdischen Frau zeigte sich jedoch nicht im Zusammentreffen mit der türkischen Gesellschaft. Dort, wo Türken wohnten verschleierten sich die kurdischen Frauen zu ihrem Schutz. Denn für die Türken gilt die kurdische Frau immer noch als "wilde Türkin", die zivilisiert werden sollte.6

4.3 Die Frau als Hüterin der kurdischen Kultur

Aufgrund ihrer Lebenssituation ist die kurdische Frau, im Gegensatz zum kurdischen Mann gegenüber der türkischen Assimilierungspolitik eher immun. Der Grund dafür ist, die Verbannung der Frau aus der Öffentlichkeit. Bereits unter der osmanischen Herrschaft wurden die Frauen durch die diskriminierenden Elemente des Islams in den häuslichen Bereich gedrängt. Der Kontakt zu den türkischen Behörden war die Aufgabe der Männer. Sie lernten die türkische Sprache und hatten die Möglichkeit, die türkische Kultur der Städte kennenzulernen. Unter dem Einfluß der kolonialistischen Kultur veränderten die Männer ihre Sitten und Gebräuche. Sie begannen, die Arbeiten der Frauen zu verachten. Unter der kemalistischen Zwangassimilierung wurden die kurdischen Männer noch stärker ihrer Kultur entfremdet und paßten sich den Kolonialisten an.

Die Frauen dagegen kamen fast nie aus den Dörfern heraus und besuchten auch keine Schulen. Sie unterhielten sich weiter auf kurdisch und gaben die Muttersprache an ihre Töchter weiter, während die Söhne in den Schulen türkisch lernten. Frauen zeigten ihren Töchtern, wie Butter zubereitet und Brot gebacken wurde, wie man Teppiche knüpft und andere Arbeiten im Haushalt erledigt. Als in den 60er und 70er Jahren immer mehr Männer in die türkischen Großstädte gingen, um dort als Lohnarbeiter, Arbeit zu finden, blieben die Frauen in den Dörfern. Die fehlenden Türkischkenntnisse der Frauen machten sie von ihren Männern abhängig, wenn sie zum Arzt zu oder den türkischen Behörden gehen mußten. Sie sind so einer zusätzlichen Erniedrigung ausgesetzt.

In der heutigen Zeit, in der die kurdische Nationalbewegung stärker wird, stellen die Frauen "ein wichtiges Bollwerk gegen die türkische Assimilierungspolitik" dar. Sie werden zu Trägerinnen des kurdischen Nationalbewußtseins.7

4.4. Die kurdische Frau im Mittelpunkt der Angriffe des türkischen Staates

Seit Beginn des bewaffneten kurdischen Widerstandkampfes im Jahr 1984 ist die kurdische Frau verstärkt Opfer der Angriffe des türkischen Kolonialismus geworden. Der Grund dafür liegt in der Rolle, die die kurdische Frau in der Gesellschaft spielt sowie im Umgang mit dem traditionellen "Ehrbegriff". Die Ehre eines Mannes und sein Rang in der kurdischen Gesellschaft definiert sich seit dem Eindringen des Islams im 7. Jahrhundert über die Reinheit und Unberührbarkeit der weiblichen Familienmitglieder. Der Mann gilt als Beschützer der Ehre seiner Frauen. Ein Angriff auf die Frauen einer Familie gilt als Angriff auf die gesamte Familie oder sogar den Stamm. Wenn eine Frau "entehrt" wird, ist auch der Mann ehrlos. Um seine Ehre und sein Ansehen wieder herzustellen, muß er die Entehrung rächen. Das Gesetz der Blutrache schreibt das Töten des schuldigen Mannes vor, der die Ehre einer Frau verletzt hat. In den meisten Fällen wird jedoch die "entehrte" Ehefrau oder die Schwester Opfer dieser Blutrache.8 Der türkische Kolonialstaat nutzt diesen traditionellen Ehrbegriff der kurdischen Gesellschaft für seine Kriegführung gegen den Befreiungskampf aus. Indem er seine Angriffe speziell auf die Frauen richtet, will er die Männer und das ganze Volk treffen. Als noch nicht viele Frauen aktiv am Kampf teilnahmen, reichte es aus, mit einem politisch aktiven Kurden verwandt zu sein, um als Ehefrau, Mutter oder Schwester verhaftet oder sogar ermordet zu werden. So sollten die kurdischen Politiker in ihrer Ehre verletzt und erpreßt werden. Die Polizei drohte den politisch aktiven Kurden damit, die Frau oder Schwester zu vergewaltigen. Bei den Überfällen der türkischen Armee auf die kurdischen Dörfer werden die Frauen des Dorfes deshalb oft zusammengetrieben und müssen sich vor allen Dorfbewohnern nackt ausziehen. Oft werden sie von den Soldaten vor den Augen ihrer Männer mitßhandelt oder vergewaltigt.

Gerade heute werden Kurdinnen oft willkürlich verhaftet, gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Da viele Frauen aktiv am Befreiungskampf teilnehmen, sollen sie so besonders eingeschüchtert werden. Viele von ihnen kennen noch die Erzählungen ihrer Mütter und Großmütter über die brutalen Mißhandlungen kurdischer Frauen bei der Niederschlagung des Aufstandes in Dersim 1937. Damals stürzten sich Tausende von Frauen von Felsen, um nicht vergewaltigt zu werden.

In der Öffentlichkeit versucht der türkische Staat, politisch aktive Kurdinnen und Guerilleras als "ehrlos" und als "Huren" darzustellen. Die Leichen ermordeter Kämpferinnen werden von türkischen Soldaten geschändet und dann einem Jungfräulichkeitstest unterzogen. Im türkischen Fernsehen werden die nackten Leichen der ermordeten Frauen gezeigt. So soll das Vertrauen der Familien und in den Befreiungskampf und in ihre Töchter, die sich der Guerilla angeschlossen haben, zerstört werden. Frauen, deren Männer der Guerilla angehören, werden regelmäßig zu Schwangerschaftstests gezwungen, um zu kontrollieren, ob sie mit ihrem Mann sexualen Kontakt hatten.9

5. Die Organisierung und der Widerstand der kurdischen Frauen

Die doppelte Unterdrückung als Frau und als Kurdin hat dazu geführt, daß sich inzwischen viele Frauen der kurdischen Guerilla angeschlossen haben. Die Kurdinnen sehen eine Parallele zwischen ihrer Situation als unterdrückte Frau und der Situation Kurdistans als unterdrücktes Land.

Yildiz Burmus, Vorsitzende des Kurdischen Frauenverbandes in Istanbul erklärt die Politisierung der kurdischen Frau wie folgt: "Ob sich die Frau in der politischen Arena zeigt und am Kampf teilnimmt, hat auch mit der Öffnung der Gesellschaft nach außen zu tun. Wenn sich eine Gesellschaft rasant verändert, verändern sich selbst die rückständigsten Teile, wie die Frauen, mit ihr. Mit der Zurückdrängung feudalistischer Verhältnisse zogen revolutionäre Ideologien nach Kurdistan ein, die die Frauen als gleichberechtigte Menschen sahen und sie mitorganisierten. Die ersten Frauen nahmen am Kampf teil, doch der große Sprung kam dann nach 1984. Immer mehr Frauen brachen auf. Sie waren nicht mehr von verschiedenen Gesellschaften isoliert, wurden als Menschen bewertet. Sie übernahmen eine neue Rolle und entwickelten sich auch zu Sprecherinnen und Führerinnen."10

5.1. Die Organisierung der kurdischen Frauen in politischen Parteien

5.1.1.YAJK (Verband Freier Frauen Kurdistans)

Bereits 1938 in Dersim spielten Frauen eine Führungsrolle bei der Organisierung des Aufstandes. Dort kämpften sie gemeinsam mit den Männern.11 Auch bei Beginn des bewaffneten Kampfes durch die Arbeiterpartei Kurdistans PKK im Jahr 1984 waren einige Frauen aktiv. Dies erschütterte das traditionelle Rollenverständnis vieler Männer und Frauen tief. Frauen begannen, nicht mehr nur Opfer zu sein, sondern versucht, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Die PKK legt einen besonderen Wert auf die Organisierung der Frau. Denn das Patriarchat wird ebenso als Kollaborateur des Kolonialismus gesehen, wie die Großgrundbesitzer oder die Dorfwächter. Solange der kurdische Mann mehr um die Ehre seiner Frau besorgt ist und bereit ist, dafür seinen Nachbarn zu treten, als daß er sich um sein besetztes Land sorgt, wird er nicht gegen die Besatzungstruppen kämpfen. Wenn kurdische Männer die eigene koloniale Unterdrückung dadurch auszugleichen versuchen, daß sie zu Hause ihre Frauen erniedrigen und schlagen, werden sie nicht bereit sein, gegen den Kolonialismus zu kämpfen. Weil der traditionelle Ehrbegriff die kurdischen Männer leicht erpressbar macht, wird der Befreiungskampf durch die Angriffe des türkischen Staates auf die Kurdinnen geschwächt. Eine Abgeordnete im Kurdischen Exilparlaments vom Verband Freier Frauen Kurdistans (YAJK) erklärte am 8. März 1994: "Die feudalen Familienstrukturen, die sich unter den kolonialen Verhältnissen und dem Islam verfestigt haben, und die stärkere Bindung des Mannes an das kolonialistische System, die damit verbundene Kommunikation und Beeinflussung, haben dazu geführt, daß der Mann in der Familie seine Unterdrückungsmechanismen über die Frau erreichten konnte. Dies hatte zur Folge, daß ein Frauencharakter entstanden ist, der von den eigenen Kräften weit entfernt, ohne Selbstvertrauen, unfrei, immer alles akzeptierend, initiativlos, ohne Mitbestimmungsrecht in der Gesellschaft gelebt hat. Der Mann bedeutete für die Frau Halt. Und sie orientierte sich an ihm."12

Ausgehend von einer solchen Analyse wurde neben der PKK - die der PKK nahestehende Patriotische Frauenunion Kurdistans (YJWK) und 1993 der Verband Freier Frauen Kurdistans (YAJK) gegründet. YAJK will die Kurdinnen für den nationalen Befreiungskampf gewinnen und organisieren. Die Beteiligung von Frauen an diesem Kampf trägt, so YAJK, auch zur Befreiung der Kurdinnen als Frauen von den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen bei. YAJK hat den Ehrbegriff neu definiert: Es ehrt die Frau ebenso wie auch den kurdischen Mann, wenn sie gegen die Unterdrückung und Entwürdigung Widerstand leisten.13 Als Organisierungsziele strebt YAJK an, daß emanzipierte, aber nicht vermännlichte Frauen durch ihre Beteiligung auf allen Ebenen der Gesellschaft die Lebensgestaltung und die Wünsche von Frauen durchsetzen. Dazu sollen die Frauen eine eigene, neue Weiblichkeit entwickeln und sich nicht der vom Patriarchat vorgegebenen Definition von Weiblichkeit anpassen. Die Rolle als "Nur-Hausfrau" und Mutter allein lehnt YAJK ab. YAJK erklärt, nicht "gegen die Männer" zu kämpfen, sondern zu versuchen, deren "Überlegenheitskomplex" zu überwinden. Die Frauenfrage ist für die in YAJK organisierten Frauen zugleich auch eine Männerfrage, da mit einem neuen Bewußtsein zusammen eine neue Weltordnung geschaffen werden soll.14 Bisher waren die patriarchalen kurdischen Familien ein Ort der Unterdrückung nach innen. Nach außen unterwarfen sich diese Familien den Kolonialisten und ihren Behörden. YAJK möchte diese Familien von einem Ort der Unterdrückung in eine Organisation des Widerstandes verwandeln. Wenn die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in den Familien auf neuer, gleichberechtigter Grundlage entstehen, können die Familien zu revolutionären Zellen für den Befreiungskampf werden.

In fast allen Revolutionen der Welt spielten Frauen eine wichtige Rolle. Fast immer machten sie die Erfahrung, daß sie nach einem Sieg der Revolution von ihren Männern wieder entmachtet wurden. Auch wenn sie im Krieg eine wichtige Rolle gespielt hatten, wurden sie trotzdem danach wieder nach Hause an den Herd geschickt. YAJK hat aus diesen Erfahrungen gelernt, daß Frauen eine Organisation brauchen, die ihnen in der Revolution und auch danach Macht gibt, ihre Ziele auch gegen die Männer durchzusetzen. Heute sind 30% der kurdischen Guerilla Frauen.

Über 2000 von ihnen sind in einer eigenen Frauenarmee mit Frauen als Kommandantinnen organisiert. So können sich die Frauen nicht nur aktiv an der Befreiung des Landes beteiligen. Sie können sich auch selber zu Anführerinnen ausbilden, die auch von den Männern akzeptiert werden müssen. Die PKK propagiert die Befreiung der Frau als eine "Revolution in der Revolution". Eine Parole von YAJK lautet daher auch: "Keine Befreiung Kurdistans ohne die Befreiung der Frau - Keine Befreiung der Frau ohne die Befreiung des Landes."15

Selbst der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, äußert sich immer wieder zur Frauenfrage und hat seine Überlegungen in seiner Schrift "Die Männlichkeit töten" niedergeschrieben. Öcalan erklärte in einem Interview zur Frauenfrage: "Die Rechte der Frauen sind eine Hauptsache in unserem politischen Programm. Keine Nebensache wie in den realsozialistischen Ländern. Viele Frauen kommen zu uns nicht wegen unserer Berufung auf Marx, sondern weil sich herumgesprochen hat, daß die PKK ernst macht mit der Befreiung der Frau, daß innerhalb der PKK klar ist, daß Frauen gleichberechtigt sind. ... Weil wir der Meinung sind, daß eine künftige Gesellschaft sehr viel von dem haben muß, was die Frauen in sich tragen. Wir müssen zu einer Gesellschaft kommen, die nicht mehr vom Geist des Mannes, sondern von dem der Frau bestimmt wird."16

5.1.2 Die HADEP-Frauenkommission

Die HADEP - Demokratiepartei des Volkes - ist eine prokurdische Oppositionspartei in Kurdistan und in der Türkei. Sie ist die Nachfolgepartei der 1994 verbotenen DEP, die als einzige Partei versucht, das kurdische Problem auf der parlamentarischen Ebene zu lösen. Da die Partei sich für eine friedliche Lösung der Kurdenproblematik einsetzt, erhielt sie bei den Wahlen am 24.12.1995 in den kurdischen Gebieten die meisten Stimmen.17

Diese Partei ist einer massiven Unterdrückung seitens der türkischen Regierung ausgesetzt. Ihre Abgeordneten und deren Familien werden polizeilich verfolgt und in den Medien als Terroristen und Vaterlandsverräter beschimpft und schikaniert. Viele Abgeordnete und Mitglieder der Partei werden inhaftiert und anschließend seitens des türkischen Staates bei deren Angehörigen als Vermißte gemeldet.

Das türkische Staatssicherheitsgericht verfaßte eine 32-seitige Anklageschrift gegen 22 kurdische Abgeordnete in Ankara, in der es die Hinrichtung dieser Abgeordneten forderte. Grundlage dieser Anklage ist der Paragraph 125: "Wer das gesamte Hoheitsgebiet des Staates oder einen Teil dessen unter die Hoheit eines anderen Staates bringen möchte...die Einheit des Staates zerstören möchte oder einen im Hoheitsgebiet des Staates befindlichen Teil der Verwaltung des Staates abtrennen möchte, wird mit der Todesstrafe bestraft."18

Leyla Zana ist eine dieser Abgeordneten, bei der die Immunität 1994 aufgehoben wurde, um sie verhaften zu können. Sie wurde im selben Jahr am 8. Dezember nach Artikel 8 des Antiterrorgesetzes verhaftet und 1995 zu 13 Jahren Haft verurteilt.19

Sie ist die erste kurdische Frau, die mit sieben weiteren türkischen Frauen unter 450 männlichen Abgeordneten 1993 ins türkische Parlament gewählt wurde. Mit den folgenden Sätzen wurde sie zur Zielscheibe der Mehrheit der türkischen Parlamentarier und des Geheimdienstes gemacht: "Zunächst habe ich die Eides Formel, die mein Mandat formal in Kraft setzte, ganz ruhig vorgelesen. Und dann habe ich in türkisch und in kurdisch den folgenden Satz angefügt: Ich kämpfe für das brüderliche Zusammenleben des kurdischen und türkischen Volkes unter demokratischen Bedingungen."20

Sie war aber dem türkischen Geheimdienst und den Sicherheitskräfte schon lange wegen ihres jahrelangen Kampfes für die legitimen, sozialen, politischen und kulturellen Rechte des kurdischen Volkes bekannt. Nach Ablegen des Eides auf die türkische Verfassung in zwei Sprachen wurde sie Opfer von zwei Attentaten. Unter anderem benutzten Polizei und Spezialeinheiten Leyla Zanas Foto bei Schießübungen als Zielscheibe.21

Breite Solidarität erhielt Leyla Zana von kurdischen Frauen, die Kampagnen durchgeführt, bei denen viele von ihnen verhaftet wurden. Nicht nur kurdische Frauen solidarisierten sich mit Leyla Zana, sondern auch europäische Frauen. Die feministische Autorin Florence Herve veranstaltete 1996 im August eine Kampagne zur Freilassung von Leyla Zana. Sie verfaßte einen Aufruf mit der Überschrift: "Ein Tag für Leyla Zana". Sie appellierte an die Frauen, sich bereit zu erklären, für Leyla Zana einen Tag Haft zu übernehmen, um ihre Haftdauer von 4754 Tagen zu kürzen zu können.

Diese Kampagne fand großes Interesse seitens der Frauen aus elf europäischen Ländern. 2000 Frauen aus Politik, Kultur, Wissenschaft, und Kunst haben diese Kampagne unterstützt. Darunter waren Frauen wie die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, Danielle Mitterand, sowie Abgeordnete der SPD, der Grünen und der PDS.

Leyla Zana erhielt auch zahlreiche Friedenspreise, zum Beispiel in Dänemark den Rosa Preis, in Norwegen den Preis der Rafto-Stiftung und in der BRD den Aachener Friedenspreis.22

Leyla Zana ist ein Beispiel für viele kurdische Frauen, die sich in der DEP oder in der Nachfolgepartei HADEP als Kurdinnen organisieren und engagieren. In der HADEP gründeten die Frauen eine HADEP-Frauenkommission, in der sie legal arbeiten und durch bestimmte Kampagnen wie zum Beispiel Hungerstreiks die sofortige Beendigung des Krieges in Kurdistan und in der Türkei fordern und appellieren in der Öffentlichkeit für die Brüderlichkeit von Türken und Kurden. Diese Frauen werden seitens des türkischen Geheimdienstes mit dem Tode bedroht. Ihre eigene Situation beschreibt eine Funktionärin folgendermaßen : "Wir leben jeden Tag mit der Angst vor dem Tod, der Angst ermordet oder gefoltert zu werden."23 Trotzt der Verfolgung, der schon 105 Menschen aus den Reihen der HADEP zum Opfer fielen, führen die Kurdinnen ihre Arbeit fort und betreuen kurdische Frauen und Kinder in den Gefängnissen und versorgen deren Familien. Die Vorsitzende der HADEP-Frauenkommision beschreibt ihre Ziele folgendermaßen: "Wir kämpfen für einen besseren Lebensstandard und die Bewußtwerdung der kurdischen Frauen. Wir müssen gegen die geschichtliche und traditionelle Unterdrückung kämpfen, die unserer nationalen und gesellschaftlichen Befreiung im Wege steht."24

5. 2. Frauenorganisierung außerhalb der Parteien

5. 2. 1. Kamer

Die Organisierung von Frauen außerhalb der Parteien ist in Kurdistan kaum anzutreffen. Ein Beispiel einer Frauenorganisation außerhalb der Parteien ist die Frauengruppe Kamer in Diyarbakir. Diese Gruppe wurde 1996 von zwei Psychologinnen und zehn weiteren kurdischen Frauen gegründet. Die Aktivistinnen waren vorher bereits in anderen linken kurdischen oder türkischen Parteien organisiert. In den Parteien sind sie zu der Überzeugung gekommen, daß dort, wo Männer in der Mehrzahl dominieren, die Interessen der Frauen nicht ernst genommen werden. Deswegen haben sie eine unabhängige Frauengruppe gegründet, die sich derzeit aus 60-70 Frauen zusammensetzt.

Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind: Gewalt in den Familien und juristische und psychologische Unterstützung der Frauen. Sie helfen den Frauen Schreiben und Lesen zu erlernen, damit sich diese in der Öffentlichkeit zurechtfinden können. Ihr zentrales Ziel ist es, in Zukunft einen Zufluchtsort für Frauen zu errichten. Für ihr Vorhaben fehlen ihnen jedoch die finanziellen Mittel.

Die Frauen in Kamer wollen andere Frauen dazu befähigen, sich selbst für die eigenen Rechte einzusetzen und aktiv zu werden, ohne die Hilfe von Männern in Anspruch zu nehmen. Sie betrachten die Befreiung der Frau als ein frauenspezifisches Problem. Sie vermitteln den Kurdinnen hauptsächlich Türkisch als Sprache, weil sie der Ansicht sind, daß Sprachen lediglich zur Kommunikation dienen und betrachten dies auch nicht als Assimilationspolitik von Seiten der türkischen Regierung. In ihrer Arbeit distanzieren sie sich von der nationalen Bewegung der Kurden.25

5. 2. 2. Samstagsmütter

Eine weitere wichtige Aktion, die von sehr gemischt organisierten bzw. nicht organisierten Frauen veranstaltet wird, ist die sogenannte Sitzprotestaktion für die politisch Vermißten. Das sind vor allem Oppositionelle, Revolutionärinnen und Revolutionäre und Demokratinnen und Demokraten. Diese Aktion fand zum erstenmal am Samstag, den 27.4.1995, vor dem Galatasaray Gymnasium in Istanbul statt. Seit dem versammeln sich Frauen jeden Samstag vor diesem Gymnasium. Hauptsächlich sind es Mütter, Frauen und Schwestern von türkischen und kurdischen Vermißten. Ein Zitat einer kurdischen Mutter, deren Sohn seit zwei Jahren als vermißt gemeldet hat, lauten: "Sie haben meinen Sohn nachts aus der Wohnung geholt, aber die Polizei sagt, er sei nicht im Gefängnis. Ich will vom Staat meinen Sohn zurück, falls er tot ist, will ich seine Leiche."26

Die Frauen, die an dieser Aktion teilnehmen, werden öfters von der Polizei angegriffen und festgenommen.

Trotzdem bleiben die Frauen hartnäckig und schreien: "Ihr habt sie lebendig genommen, wir wollen sie lebendig zurück!"27

Nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD wurden allein in den Jahren 1995 und 1996 414 Menschen in Kurdistan und in der Türkei verschleppt. Die Zahl hört aber nicht bei 414 auf, weil viele Angehörige die Vermißten nicht melden, da sie Angst haben, den gleichen Repressionen ausgesetzt zu werden.28

Bezogen auf die Theorie von Maria Mies kann hier festgestellt werden, daß besonders die älteren Frauen durch ihre Rolle als Erzeugerin und Ernährerin politisiert werden, weil zum einen nicht nur ihr Land besetzt wird, sondern auch ihre Kinder vom türkischen Kolonialstaat weggenommen werden.

6. Zusammenfassung

Ich habe in meiner Facharbeit die These belegen können, daß die Unterdrückung der kurdischen Frauen eng mit der Kolonialgeschichte Kurdistans und dem damit verbundenen Patriarchat ist.

Anhand der Figurinen aus Mesopotamien konnte in dieser Arbeit bewiesen werden, daß die Frau aufgrund ihrer Gebärfähigkeit und ihrer Rolle als Ernährerin in der damaligen Gesellschaft eine hohe Position einnahm. Sie wurde mit der Mutter Erde gleich gesetzt und als Göttin verehrt.

Nach der Kolonialisierung der kurdischen Gebiete, durch den türkischen Staat wurde ihre gesellschaftliche und familiäre Position herabgewürdigt. Es wurde Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit und ihre landwirtschaftliche Produktion ausgeübt. Dies beweist daß die Theorie von Maria Mies über die Situation der Frauen in den kolonisierten Ländern, auch auf die Situation der Frauen in Kurdistan bezogen werden kann. Anhand der Theorie von Ismail Besikci, der den Status Kurdistans unter dem einer Kolonie einordnet, da das kurdische Volk zu Türken zwangsassimiliert werden soll, kann deutlich gemacht werden, wie die Kolonialisten, d.h. der türkische Staat, Kurdistan mit Hilfe der Kollaborateure (kurdische Großgrundbesitzer) besetzt, um das Volk und insbesondere die Frauen zu unterdrücken. Hier wird die enge Verknüpfung von Kolonialmacht und Patriarchat sehr deutlich. Der Islam wird von den Patriarchen als Mittel zum Zweck gesehen, um die eigenen Unterdrückungsmechanismen, insbesondere gegenüber der Frau zu legitimieren. Die produktive Arbeit der Frau wird, obwohl sie die Existenz der Familie auf dem Dorf sichert als gesellschaftlich wertlos betrachtet. Auch wird dies von den eigenen Ehemännern, die in den Großstädten als Lohnarbeiter tätig sind, gering geschätzt. Tatsächlich aber trägt die Frau die volle Verantwortung in der landwirtschaftlichen Produktion (Feminisierung der Landwirtschaft) und in der Versorgung der Familie im Dorf. Hinzu kommt, daß der türkische Staat die Frau als politische Zielscheibe sieht, die man "entehrt", um das ganze kurdische Volk zu erpressen. Dadurch soll der Befreiungskampf der Kurden geschwächt werden, insbesondere der Status der Männer.

Um sich selbst zu helfen und gegen die Unterdrückung des türkischen Staates Widerstand zu leisten, organisiert sich die kurdische Frau, die mit ihrem Land und mit ihren Kindern viel enger verbunden ist als der Mann und als Trägerin der kurdischen Kultur gilt, innerhalb und außerhalb der Parteien in Frauenorganisationen. Dies geschieht zum einen deshalb, weil viele Kurdinnen denken, daß ihre Befreiung als Frau in dem unterdrückten System dann möglich wird, wenn Kurdistan einen eigenständigen politischen Status erhält. Zum anderen ist ihnen aber bewußt, daß der Befreiungskampf aus den patriarchalen Strukturen der Familie noch lange nicht ausgeflochten ist. Denn die kurdischen Männer haben die patriarchalen Strukturen so in sich verinnerlicht, daß sich eine Veränderung im Denken und Handeln gegenüber Frauen sehr langsam vielleicht erst über mehrere Generation hinweg vollziehen kann.

7. LITERATURVERZEICHNIS

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1 Vgl. Azis, 1992, S.44
2 Vgl. Ebenda, 42-49
3 Vgl. Garrer; 1978, S. 217-224
4 Vgl. Lüpsen, 1988,S. 93
5 Vgl. Garrer; 1978, S.163
6 Vgl. Ebenda, S.163
7 Vgl. Leukefeld, 1996, S.213
8 Vgl. Leukefeld, 1996, S. 210
9 Vgl. Frauen aus Kurdistan, 1996, 9f.
10 Vgl. Schumann, 1992, S. 113
11 Vgl. Schumann, 1992, S. 110
12 Vgl. Leukefeld, 1996, S.222
13 Vgl. Ebenda, S. 224
14 Vgl. Frauen aus Kurdistan, 1996, 5.5
15 Vgl. Leukefeld, 1996, S. 25
16 Vgl. Schumann, 1992, S. 132
17 Vgl. Leukefeld, 1996, S. 303
18 Vgl Schumann, 1992, S. 134
19 Vgl. Morres, 1997, S. 41-42
20 Vgl. Ebenda, S.41- 42
21 Vgl. Ebenda, S.41- 42
22 Vgl. Morres, 1997, S.41-42
23 Vgl. Uberleben und Widerstand, 1997, S.3
24 Vgl. Ebenda, S.3
25 Vgl. Hevi, Publikationen, 1988
26 Vgl. Überleben und Widerstand 1996, S.3
27 Vgl. Kurdistan Report, 1997, S.57
28 Vgl. Ebenda, S.58