Frankfurter Rundschau, 14.12.2002

"Harmloser Eingriff" machte Kurdinnen unfruchtbar

Menschenrechtsorganisation wirft Ankara faschistische Methoden bei Bevölkerungspolitik vor

Von Andreas Schwarzkopf (Frankfurt a. M.)

Was die türkische Regierung in der Provinz Diyarbakir als "Familienplanung" anpries, ist nach Erkenntnissen von Menschenrechtlern eine "faschistische Methode der Bevölkerungsregulierung". Auch sei die "Zwangssterilisierung" kurdischer Frauen ein Beleg mehr dafür, dass die Türkei bei Menschenrechten die europäischen Standards noch nicht erfülle - ein Kriterium für die EU-Beitrittsverhandlungen.

Das dreiköpfige Team fuhr an einem Tag im Februar in das Dorf Kirmasirt. Sie seien Hebammen, sagten die Bediensteten der Gesundheitsbehörde den kurdischen Frauen. Sie seien aus der Provinzhauptstadt Diyarbakir gekommen, um im Auftrag der Regierung Müttern von fünf und mehr Kindern zu helfen, Schwangerschaften zu verhüten. Dazu müssten die Frauen lediglich für kurze Zeit mitkommen. In der Klinik, so erklärten die Besucher weiter, könnten mit einem kleinen und harmlosen Eingriff die Eileiter der Frauen verschlossen werden. Falls die Frauen später einmal trotzdem Kinder bekommen wollten, könnten die Eileiter mit einem weiteren Eingriff wieder geöffnet werden. Die Kosten für die Behandlung und für den Transport vom Dorf in die Klinik und zurück übernehme der Staat, so dass den Frauen keine Nachteile entstünden. Sieben Frauen willigten ein und klagten danach über Schmerzen. Eine Nachbehandlung gab es aber nicht.

All dies geht aus dem "Untersuchungsbericht über Sterilisationsmaßnahmen im Jahr 2002 in Diyarbakir und Umgebung" hervor. Darin kritisieren der Menschenrechtsverein IHD und die Gesundheitswerkstatt aus Diyarbakir die Regierung für deren Vorgehen bei der "Familienplanung" in der Provinz Diyarbakir. Die Gesundheitsbehörden informierte demnach die kurdischen Frauen kaum über andere, schonendere Möglichkeiten der Empfängnisverhütung. Die angewandte Methode der Tubenligatur ist zudem entgegen den Informationen der Behörde irreversibel. Die betroffenen Fra uen können keine Kinder mehr bekommen.

Darüber hinaus hielten sich die Behörden nicht an juristische Vorgaben, wie die Organisationen weiter berichten. Der Gesetzgeber schreibt etwa vor, dass bei der chirurgischen Sterilisation der Ehepartner dem Eingriff schriftlich zustimmen muss. Dies sei bei den geschilderten Fällen nicht geschehen.

Wie viele kurdische Frauen von dem Programm betroffen sind, fanden die Menschenrechtler nicht heraus. Berichten der regionalen Zeitungen Adiyaman Milad, Diyarbakir Olay und Diyarbakir Söz zufolge, die sich auf offizielle Angaben stützten, haben seit Anfang des Jahres zwischen 270 und 477 Frauen einen Antrag auf Sterilisation gestellt. Die Menschenrechtsorganisationen in Diyarbakir halten Familienplanung zwar für grundsätzlich nötig. Die Methoden müssten aber rechtlich und ethisch korrekt eingesetzt und die Frauen umfassend informiert werden, fordern sie.

Das kurdische Frauenbüro für Frieden in Düsseldorf geht weiter und wirft der türkischen Regierung vor, in Diyarbakir "faschistische Methoden der Bevölkerungsregulierung" anzuwenden. Ankara habe bereits in den 90er Jahren kurdische Frauen zwangsweise sterilisieren lassen, nachdem der Nationale Sicherheitsrat erklärt habe, dass der Bevölkerungszuwachs der Kurden eine Gefahr für die Türkei sei, teilt das Frauenbüro mit.

Für Amnesty International belegen die Vorfälle, dass das Land bei den Menschenrechten bei weitem noch nicht die Standards der EU erfüllt. Die aber seien wichtige Kriterien für einen EU-Beitritt.