Studie zu Ehe und Familienstruktur in Kurdistan

Wie aus einer Studie des Leiters des Fachbereiches Soziologie an der Dicle-Universität in Diyarbakir, Dr. Rüstem Erkal, über Eheschließungen und Familienstruktur in den kurdischen Gebieten hervorgeht, finden vierzig Prozent der Heiraten zwischen Verwandten statt. Davon sind 24,3% Verwandte ersten Grades, 15,4% Verwandte zweiten Grades. Für die Studie wurden 2170 Haushalte befragt.

Am häufigsten treten Ehen zwischen Verwandten in den Provinzen Urfa (51%) und Mardin (46%) auf. Die häufigste Konstellation dabei ist die Heirat zwischen den Kindern zweier Brüder. Auch bei Eheschließungen zwischen Verwandten zweiten Grades werden die Verwandten des Vaters bevorzugt. In den ländlichen Regionen sind außerdem Heiraten innerhalb des Stammes und des Dorfes weit verbreitet.

Polygynie (Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen) ist laut der Studie eine immer noch verbreitete Tradition. Von den befragten Haushalten sind es 5,6%. Die meisten davon sind Ehen mit zwei Frauen. Auch hier macht im regionalen Vergleich Urfa mit 10,2% den ersten Platz, gefolgt von Diyarbakir (9,4%) und Mardin (6,7%).

Von den an der Studie beteiligten Frauen heirateten 36,9% als Minderjährige unter 15 Jahren, 6,6% im Alter zwischen 16 und 20 Jahren sowie 17,5% im Alter zwischen 21 und 25 Jahren. In den Städten sind lediglich drei Prozent in der Altersgruppe unter 15 Jahren. 64 Prozent heirateten im Alter zwischen 15 und 19 Jahren.

Im Vergleich zwischen dem Heiratsalter der Eltern und dem für die eigenen Töchter vorgesehenen Heiratsalter, zeigt die Studie eine Veränderung und eine Angleichung an das Durchschnittsheiratsalter in der gesamten Türkei. Die meisten der im Alter unter 16 Jahren verheirateten Frauen lehnen eine so frühe Eheschließung ihrer Töchter ab. Von den Vätern sprachen sich 56% für eine Heirat ihrer Töchter im Alter zwischen 20 und 22 Jahren aus.

Ein weiterer Teil der Studie beschäftigt sich mit dem Zustandekommen der Ehe. Demnach sind 58% der Ehen der an der Umfrage Beteiligten auf Beschluss der Eltern oder Verwandtschaft geschlossen worden. 35,4% der Beteiligten heirateten auf eigenen Wunsch und mit dem Einverständnis ihrer Familien. Zwei Prozent der Ehen wurden durch Entführung der Frau durch den Mann oder eine gemeinsame Flucht ohne Einverständnis der Familien geschlossen. 4,4% der Ehen kamen durch einen Brauch zustande, demnach die Frauen zur Beilegung einer Familienfehde der gegnerischen Familie übergeben werden.

Auf die Frage, wer über das Zustandekommen einer Ehe entscheiden soll, gaben 48,6% der Befragten an, die Entscheidung liege bei den Betroffenen selbst. 40,9% befürworteten eine eigene Entscheidung gemeinsam mit der Familie. Demnach gehen knapp 90% davon aus, dass zumindest ein Mitspracherecht der Betroffenen besteht.

Quelle: ANF, 29.10.2005, ISKU