Ehre gleich Frau

Eine Meinungsumfrage im Rahmen eines Projektes zur Verhinderung von sogenannten “Ehrenmorden” des Frauenzentrums KAMER in Diyarbakir hat zu interessanten Ergebnissen geführt. Wie die AI-Pressesprecherin Özlem Dalkiran erklärte, die gleichzeitig KAMER-Mitarbeiterin ist, wurden für die Umfrage die Provinzen Amed, Batman und Mardin ausgewählt, weil hier “Morde im Namen der Ehre” besonders häufig auftreten. Es seien 423 Personen aus allen Altersgruppen, Bildungsniveaus, verschiedenen Geschlechts, verschiedener Religions- und ethnischen Zugehörigkeit in Städten und Dörfern befragt worden.

Wie Dalkiran betonte, könnten “Ehrenmorde” nicht einer Religion oder einer Ethnie zugerechnet werden. Vielmehr handele es sich um ein Problem, das aus der Kultur bestimmter Stämme oder Gemeinschaften resultiere.

”Die Frage der Ehre” werde direkt mit der Frau in Verbindung gesetzt, so Dalkiran. 33% der befragten Männer würden den Begriff “Ehre” mit “meine Frau, meine Schwester, meine Mutter” gleichsetzen. 10,2% sehen Ehre als etwas, das die Religion den Frauen gebiete. 18% setzen Ehre mit der Jungfräulichkeit der Frau gleich. Ehrlosigkeit sei dementsprechend der Verlust der Jungfräulichkeit einer Frau. 10,6% sehen Ehrlosigkeit gleichbedeutend mit Ehebruch. Oftmals sei Ehrlosigkeit auch mit einfachen Dingen wie unverhüllte Haare einer Frau oder “Verhaltensweisen, die Anlass zu Gerüchten geben” definiert worden.

Um “Ehrenmorde” zu verhindern, sei es nicht ausreichend, Gesetze zu ändern, so führte Dalkiran aus. “Um an die Wurzel des Problems zu gelangen, muss man die Logik, die hinter dem Ehrbegriff steht, bzw die Gründe für diese Verbrechen betrachten.” Althergebrachte Regeln, an die sich die Gesellschaft gewöhnt habe, werden als “Tradition” bezeichnet, so Dalkiran. “Männer sehen sich als die Beschützer von Frauen. Es gilt als Tradition, dass die Frau sich allem beugt und dem Mann gehorcht. Wer sich dagegen stellt, wird Opfer eines Verbrechens. Oft wird angenommen, dass “Ehrenmorde” nur aufgrund von außerehelichem Geschlechtsverkehr begangen werden. Dabei kann es eine Frau schon das Leben kosten, wenn sie sich im Radio ein Lied wünscht. Mädchen werden ermordet, weil sie nicht den für sie vorgesehenen Mann heiraten wollen, weil sie außerehelichen Geschlechtsverkehr haben oder einfach nur, weil sie extrovertiert sind. 1,7% der Befragten sprachen sich positiv zu der Ermordung eines Mädchens aus, die eine Eheschließung ablehnt.”

Es gebe so gut wie nichts, was Frauen ohne Einwilligung ihrer Ehemänner tun könnten, so führte Dalkiran weiter aus. “In Diyarbakir kann eine Frau noch nicht einmal den Fernseher einschalten, ohne sich die Erlaubnis von ihrem Mann geholt zu haben.”

Die Täter bei den sogenannten “Ehrenmorden” zögen es vor, zu töten, um sich von dem gesellschaftlichen Druck zu befreien. ”Bei der Umfrage haben viele Männer ihre Sorge genannt, von der Gesellschaft diskrimiert zu werden, wenn sie die als schuldig betrachtete Frau nicht töten. Das heißt, Männer töten Frauen, um sich zu erleichtern.”

Quelle: Özgür Politika, 13.07.2005