Wir öffnen unsere Bündel...

Frauen gehen aufeinander zu
6.-14. Juli 2002

Aus den Bündeln der Botinnen stiegen die Schreie von Frauen; unsere Tag für Tag in verschiedenen Sprachen mit verschiedenen Worten geflüsterte Unterdrückung kam zum Vorschein. Als wir uns gegenseitig unsere Gesichter zuwandten, gab es so viele Worte, die wir wie aus einem Mund sagen konnten...


Wir Frauen werden als Geschlecht seit Jahrtausenden unterdrückt und ausgebeutet. Wir sind die ältesten Sklaven der Geschichte. Unsere Versklavung beginnt in unserem Privatleben. Von Kindheit an träumen wir von der großen Liebe. Mit Leidenschaft sind wir unserer Liebe verbunden, um teilend zu gewinnen, aber in der Liebesbeziehung, in der wir alles opfern, werden wir zunehmend zu Gefangenen. Um in diesem entfremdeten Leben bestehen zu können, verspüren wir das ständige Bedürfnis, zu gefallen und geliebt zu werden, aber auf die entsprechende Entgegnung warten wir umsonst.

Liebesbeziehungen trennen uns Frauen von unseren Geschlechtsgenossinnen und sozialen Beziehungen. Sie marginalisieren uns. Wir können uns in der Liebe und in Freundschaften nicht verwirklichen. Wegen unserer Persönlichkeit, unseren Werten, unseren Gewohnheiten und Abhängigkeiten entfremden wir uns von allen Beziehungen.

Schon als Kinder werden wir zur Ehe verdammt. Darüber hinaus können wir noch nicht einmal die Entscheidung zur Ehe selbst treffen. Wegen konfessionellen oder religiösen Unterschiedlichkeiten können wir nicht den Mann heiraten, den wir wollen. Ganz abgesehen von Traditionen wie Brautgeld oder Ehevereinbarungen zwischen Familien, während die Betroffenen sich noch in der Wiege befinden, werden wir durch gesellschaftlichen, sexuellen, kulturellen, religiösen und moralischen Druck und Traditionen, sowie soziale und wirtschaftliche Unsicherheit und mangelndes Selbstvertrauen zu Ehen gedrängt, die wir nicht wollen. Unsere Gefühle, von denen wir dachten, dass sie uns gehören, werden von den Machtverhältnissen geformt. So werden wir zu Abhängigen unserer selbst. Wir werden zu Frauen, die das Leben unserer Ehemänner regeln: zu Essen kochenden, Kinder aufziehenden, sexuelle Bedürfnisse befriedigenden... Auf emotionale Bedürfnisse wie das Teilen der Schönheiten des Lebens erhalten wir keine Antwort.

Aus Armut werden wir an andere Familien als Sklavinnen verkauft. Wir werden im jungen Alter dazu gezwungen, bei Verwandten zu wohnen und sie zu bedienen. Wir werden als Zweckmittel benutzt für Bestrafungen und Belohnungen zwischen Familien. Um Beleidigungen auszugleichen, werden wir als Bräute zu uns völlig unbekannten Familien geschickt. Wir werden als Blutpreis oder Schuldenausgleich vergeben.

Unsere Sexualität untersteht der Kontrolle unserer Familien, der Gesellschaft und des Staates. Die Ehre der Familie wird mit uns Frauen gleichgesetzt. Vielerorts werden wir Opfer sogenannter Ehrenmorde. Wenn unsere Ehemänner sterben werden wir wegen desselben Ehrenbegriffs zu den Ehefrauen unserer Schwäger gemacht. Selbst wenn wir angegriffen werden, zählen wir als beschmutzt. Es herrscht die Überzeugung, dass mit unserem Tod die Familienehre wieder hergestellt wird. Manchmal vollstrecken Schwestern die Strafe an ihren Schwestern. Wir werden festgebunden und Nahrungsentzug ausgesetzt, wir werden erwürgt, aufgehängt, erschossen. Damit die Männer nicht ins Gefängnis kommen, wird von uns gefordert, Selbstmord zu begehen. Aus unseren kleinen Brüdern, die wir groß gezogen haben, aus unseren Vätern, Männern, Geliebten werden unsere Mörder.

Am stärksten werden wir auf sexuellem Gebiet benutzt. Im Schlafzimmer erleben wir alle Formen der Macht am intensivsten. Der Zwang, in dem wir uns befinden, wird als dermaßen natürlich aufgefasst, dass es sogar heißt: „Das Privatleben kann nicht hinterfragt werden.“ Und dabei sind wir gerade im Privatleben ausgeliefert. Mit der Tradition der Hochzeitsnacht, bei der das Blut der Entjungferung auf dem Laken vorgewiesen werden muss, werden wir vom ersten Tag an eingeschüchtert und einverleibt. Vor unserer ersten sexuellen Beziehung werden Katzen vor unseren Augen zerfetzt, wir werden geschlagen und in gefesseltem Zustand vergewaltigt. Die erste Nacht unserer Versklavung, in der unser neuer Partner seine Männlichkeit beweist, findet ihr Ende mit der Ausstellung des blutigen Lakens. Die ganze Gesellschaft erfährt auf diese Weise, dass wir in diesem Zimmer „genommen“ worden und zum Weib eines Mannes geworden sind. Aber wenn bei der schmerzhaften Erfahrung bei uns kein Blut fließt, werden wir als „ehrlos“ abgestempelt. Das gleiche gilt, wenn das sogenannte „Jungfernhäutchen“, wie bei vielen von uns gar nicht vorhanden oder elastisch ist. Wichtig ist nur, dass wir den Beweis für unsere Jungfräulichkeit vorlegen, also belegen, dass wir noch nicht benutzt worden sind. Wenn unsere Ehemänner diesen Beweis von uns nicht bekommen und der Gesellschaft nicht vorlegen können, werden wir als fehlerhafte Ware vor die Tür gesetzt oder noch unmenschlicheren Behandlungsweisen ausgesetzt.

Mit der Änderung unseres Nachnamens geraten wir unter die Kontrolle eines anderen Mannes. Aus dem Druck des Vaters wird der Druck des Ehemannes. Die Männer, die von uns ständiges Interesse erwarten, glauben, dass sie damit im Recht sind. Sowohl vor der Heirat als auch hinterher, ständig sind wir dazu gezwungen, Männer zu bedienen. Wenn wir heiraten und somit unserer eigenen Familie entkommen, geraten wir unter die Kontrolle einer anderen Familie und damit unter den Druck nicht nur unseres Mannes, sondern gleich seiner ganzen Familie und Verwandtschaft. Als Braut, Schwiegermutter, Schwägerin werden wir zu gegenseitigen Konkurrentinnen gemacht.

In unseren ehelichen Beziehungen herrschen Unglück, Lieblosigkeit, Respektlosigkeit, Desinteresse, Eifersucht, Doppelzüngigkeit, Unsicherheit, Monotonie, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Gewalt vor.

Innerhalb der Familie sind wir jeder Art von physischer, sexueller und psychologischer Gewalt ausgesetzt. Jegliche Selbstachtung wird damit verhindert. Wir werden in Armut gehalten, mit anderen Frauen verglichen, erniedrigt, beleidigt, ausgeschlossen, passiv gehalten, ausgebeutet, eingeschlossen, eingeschüchtert, geschlagen, zum Schweigen gebracht, ermordet. Es kommt vor, dass wir nicht nur von unseren Ehemännern, sondern auch von unseren Schwiegervätern und Schwägern, sogar von unseren Söhnen geschlagen werden.

Wenn wir von unseren Ehemännern vergewaltigt werden, gibt es keine Möglichkeit, zu unserem Recht zu kommen. Vergewaltigung wird immer als etwas dargestellt, das irgendwelche Männer draußen tun, aber sexueller Gewalt sind wir vor allem durch Männer in unserer unmittelbaren Umgebung ausgesetzt. Wir werden von Ehemännern, Vätern, Brüdern verkauft und können nicht einmal die Stimme dagegen erheben. Wir erleben Inzest in der Kindheit oder werden Zeuginnen dessen. Aber wir können es nicht zur Sprache bringen, wir müssen uns den Tätern beugen. Alles wird unsichtbar in der Heiligkeit der Familie.

Unsere Männer rächen sich an uns für alle Schwierigkeiten, die sie draußen erleben. Ihre Kraft reicht lediglich gegen uns aus. Als ob es nicht ausreichen würde, dass wir zuhause ständig das von ihnen gewünschte Fernsehprogramm anschauen, kriegen wir auch noch Schläge oder werden erniedrigt, wenn die von ihnen favorisierte Fußballmannschaft verliert. In dem Ausmaß, in dem Armut und Arbeitslosigkeit zunehmen, steigt auch die Gewaltbereitschaft, die wir zuhause erleben müssen. Wir werden noch mehr geschlagen, noch mehr unterdrückt, noch mehr eingeschlossen, erleben noch mehr Druck. Wenn unsere Ehemänner in der Welt draußen keinen Erfolg haben, rächen sie sich an uns, weil sie ihre Männlichkeit an uns bestätigen können. Armut macht auch uns hilflos. Wir müssen ums Überleben kämpfen. Es wird uns dadurch noch unmöglicher, das Haus zu verlassen, Geld für den Bus auszugeben, uns zu entwickeln. Armut macht uns Frauen noch hilfloser.

Gewalt innerhalb der Familie ist unsichtbar. Selbst Männer, die im Parlament, in der Partei, Gewerkschaft oder im Verein von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit sprechen, können zuhause gegen Frauen Gewalt anwenden und verlieren dabei nichts von ihrem Ansehen.

Wir nehmen unser Leben einfach so hin, denn wir können uns nicht von dem zum Gefängnis gewordenen Haus und der Familie befreien. Wir werden in Tüchern gefangen gehalten. Wir haben keine Reisefreiheit. Unser Vater oder Mann gibt uns nicht die Erlaubnis, das Haus zu verlassen. Selbst wenn es erlaubt wird, wird es von der Gesellschaft als anstößig betrachtet. Und selbst wenn das nicht passiert, trauen wir uns nicht. Es heißt, “Der Platz der Frau ist im Haus” und “zeige keine Haut, das ist Sünde”; wenn wir etwas dagegen sagen, wird unser religiöser Glaube als Beweis benutzt.

Es wird von uns Frauen immer Verständnis erwartet. Zumeist sind wir gezwungen, die Sauferei unserer Ehemänner, ihr Glücksspiel, ihre Beziehungen mit anderen Frauen zu ertragen. Wir vergleichen uns mit der anderen Frau und vergessen, dass wir von dem gleichen Mann ausgebeutet werden.

Wenn unsere Ehemänner aus wirtschaftlichen Gründen ins Ausland zum Arbeiten gehen, werden wir dazu verdammt, jahrelang auf sie zu warten. Selbst wenn sie im Ausland erneut heiraten, werden wir unter der Kontrolle ihrer Familie weiter unterdrückt. Im Verlauf dieser getrennten Jahre werden unsere Körper und unser Besitztum anfällig für die Ausbeutung anderer Männer.

Wenn wir keine Kinder oder einfach nur keine Söhne bekommen, werden wir beschuldigt. Medizinische Untersuchungen werden vor allem an unseren Körpern durchgeführt.

Wir werden als Gebärmaschinen betrachtet. Wir haben Probleme damit, Informationen über Geburtkontrolle zu bekommen und diese umzusetzen. Methoden der Geburtenkontrolle werden immer am Körper der Frau angewandt. Manchmal wird im Rahmen der staatlichen Bevölkerungspolitik die Geburtenkontrolle zur Assimilation unserer Kultur angewendet. Selbst wenn Abtreibung legalisiert wird, haben wir Probleme wegen der gesellschaftlichen Anerkennung. Als ob es eine Zwangsläufigkeit unserer Natur wäre, wird uns die Aufgabe aufgeladen, Kinder zu gebären, zu ernähren und uns um ihre physischen, psychischen und sozialen Probleme und ihre Ausbildung zu kümmern. Aufgrund der Schwere der Verantwortung werden wir zu Existenzen, die nicht für sich selbst, sondern für ihre Kinder leben. Wir verinnerlichen die Mutterrolle, die uns von Geburt an beigebracht wird, so dass wir zu Gefangenen in den Muttergefühlen und hilflos werden. Deshalb fühlen wir uns schuldig, wenn wir uns nicht ausreichend um unsere Kinder kümmern können. Selbst wenn unsere Männer arbeitslos sind, wird uns die Verantwortung für die Kinder überlassen. Die Existenz von Kindern verstärkt unsere soziale Isolation und stößt uns aus gesellschaftlichen Beziehungen. Jede gegen unsere Kinder gerichtete wirtschaftliche, politische, kulturelle Gewalt betrifft auch uns in direkter Weise. Trotzdem sind es vor allem wir, die mit den Kindern aneinander geraten.

Wir sind dazu gezwungen, unsere Kinder entsprechend der vom patriarchalen System geforderten Wertmaßstäbe zu erziehen. Sogar wir selbst machen bei jedem Thema zwischen unseren Töchtern und Söhnen einen Unterschied. Es wird von uns erwartet, dass wir einen Sohn gebären, und wir übernehmen diese Erwartung. Wir tun alles für unsere Söhne. Das beste und meiste Essen kriegt der Junge, unser Geld geben wir für seine Bedürfnisse aus. Unsere Töchter, die wir mit uns selbst vergleichen, werden zu Dienerinnen ihrer Brüder. Genau wie wir auch bemerken unsere Töchter von Anfang an, das sie nicht gewollt waren. Bis wir sie verheiraten, lassen wir sie nicht allein. Im Namen unserer Männer bewachen wir unsere Töchter. Während Jungen bereits im frühen Alter die Gelegenheit bekommen, in die Gesellschaft zu gehen, werden Mädchen zum Träumen verdammt. Aus Märchen lernen sie etwas über Prinzessinnen, Feen, Hexen und Mütter; sie lernen die Rollen von Frauen, die entführt und gerettet werden, auf Rettung warten oder Böses tun. Die Schulbücher sind durchweg sexistisch. Was aus wem wird, wenn er oder sie groß ist, das wird in diesen Büchern noch einmal hervorgehoben.
Schließlich werden unsere Töchter genauso abhängig wie wir.

Unsere Arbeit, die wir im Haushalt und in der Kindererziehung leisten, wird unsichtbar gemacht. Sie ist unbezahlt, zeitlich unbegrenzt, grenzenlos, ohne das Recht auf Urlaub, Sonderzulagen und Rente, und wird als unsere natürliche Aufgabe betrachtet. Dass es sich in Wirklichkeit um Sklaverei handelt, bleibt unbemerkt. Wir werden ausgebeutet. Und nicht einmal für die Gewerkschaften ist diese Art der Ausbeutung ein Thema.

Wir werden mit der Hausarbeit, mit der Pflege der Kinder, Alten und Kranken allein gelassen. Unsere Arbeit stößt auf keine Gegenleistung. Wir verfügen über keine ökonomischen Sicherheiten. Wenn wir von unseren Männern Geld verlangen, entstehen Probleme. Auch wenn wir außer Haus arbeiten und sogar, wenn wir die Hausarbeit gegen Geld anderen Frauen überlassen, liegt die ganze Verantwortung bei uns. Der männliche Beitrag zur Hausarbeit geschieht höchstens in Form von Hilfe.

Außer Haus zu arbeiten und Geld zu verdienen, ändert nichts an unserer Position im Haus. Wenn wir abends nach Hause kommen, fahren wir damit fort, zu bedienen, uns um die Kinder zu kümmern und die Ehefrau für unseren Mann zu spielen.

Sogar um unsere Verwandten und Freundinnen zu sehen, brauchen wir die Erlaubnis unserer Ehemänner. Unser Recht auf Ausbildung und Arbeit wird behindert. Wenn wir nicht darin behindert werden, dann wählen wir unseren Beruf meistens entsprechend des Wunsches des Mannes und in einer Form, die uns die innerhäuslichen Mutter- und Ehefrauenpflichten nicht vernachlässigen lässt.

Unsere sozialen und politischen Beziehungen werden eingeschränkt. Erfolge im Beruf gewinnen in dem Maße an Wert, in dem wir auch Erfolge als Ehefrau und Mutter aufweisen können. Alle Verantwortung innerhalb der Familie liegt bei uns. Unsere Last wiegt dabei so schwer, als ob wir die ganze Welt auf unseren Schultern tragen würden. Trotzdem werden alle Entscheidungen in unserem Leben von Männern getroffen.

Innerhalb der Familie verfügen wir über keine materiellen Werte. Vielerorts wird auch das uns rechtlich zustehende Erbe zwischen der männlichen Verwandtschaft aufgeteilt. Wenn wir unseren Anteil am Erbe erhalten, wird es von unseren Ehemännern beschlagnahmt. Noch unsere Armreifen werden als Kapital der Männer betrachtet. Auch wenn wir außer Haus arbeiten, können wir meistens nicht über unser Gehalt verfügen. Normalerweise entscheiden die Männer darüber, wie das Geld ausgegeben wird. Und wenn sie die Entscheidung darüber uns überlassen, dann müssen wir trotzdem alles für den Haushalt ausgeben, weil wir die Verantwortung für das Haus tragen.

Manchmal können wir uns wegen unserer Kinder oder aufgrund wirtschaftlicher Bedingungen, gesellschaftlichem Druck und Unsicherheit nicht scheiden lassen. Unsere Ehemänner, die uns während der Ehe nicht erlauben zu arbeiten, können jederzeit die Kinder nehmen und uns verlassen. Wenn sie uns mit den Kindern auf die Straße werfen, gibt es keinen Ort, an den wir gehen können. Es gibt zu wenig Frauenschutzhäuser, und wir wissen nicht, wie wir sie erreichen können.

Wenn wir nicht offiziell verheiratet sind, haben wir überhaupt keine rechtlichen Ansprüche. Auch wenn wir offiziell verheiratet sind, gibt es keine Gleichberechtigung in der Gesetzgebung zur materiellen Existenz zwischen Männern und Frauen. Auch das neue Zivilrecht ändert nichts in unserem Leben, weil nur neue Eheschließungen unter dieses Recht fallen, und auch dabei wissen die jungen Frauen nicht, wie sie dieses Recht nutzen sollen. Denn die vorgestellten Alternativen bringen uns nur durcheinander. Außerdem sind die Gesetze im Haus viel stärker als das geschriebene Gesetz.

Wenn wir außer Haus arbeiten, übernehmen wir die ökonomischen Rollen, die unseren gesellschaftlichen Rollen entsprechen. Deshalb werden wir als arbeitende Frauen noch mehr unterdrückt und ausgebeutet. Wir sind damit nicht nur in der Familie, sondern aufgrund wirtschaftlicher Interessengruppen auch in einer weitaus stärker institutionalisierten Männlichkeit nichts als das Weib.

Wenn wir die Möglichkeit finden, zur Universität zu gehen, werden wir mit einer Umgebung konfrontiert, in der Widersprüche sehr intensiv hervortreten. Es gelingt uns nicht, diese Widersprüche zu begreifen und zu hinterfragen. Denn eine Organisierung wird durch viele Gründe behindert. Widerstand gegen die repressive Politik des YÖK (Hochschulrat) wird zum Grund dafür, dass uns die Möglichkeit, zu studieren und damit unsere Zukunft genommen wird. Meistens beugen wir uns und flüchten uns in vielerlei Vorwände dafür, dass wir einflusslos werden. Wir lassen uns in Mädchenwohnheime sperren, dafür kollaborieren unsere Familien mit dem Staat. In Internaten erleben wir eine noch schlimmere Unterdrückung als in der Familie. Wir werden wie potentielle Prostituierte behandelt und mit Gewalt erzogen. Ständig werden wir mit Drohungen und Strafen niedergedrückt. Wir werden geschlagen, ausgegrenzt und abgestempelt. Unsere Beziehungen nach draußen werden unterbrochen. Unser Alltagsleben wird ständig beobachtet, sogar unsere Tagebücher werden gelesen, und für das, was wir geschrieben haben, werden wir wieder geschlagen. Wir können an keinen sozialen Aktivitäten teilnehmen und funktionieren wie eine für Jahre aufgezogene Uhr.

Die Armut zwingt uns dazu, unter schwersten Bedingungen zu arbeiten. Wenn wir zur Miete wohnen, arbeiten wir in der ständigen Angst, auf die Straße gesetzt zu werden. Im Allgemeinen haben wir nicht die Möglichkeit, eine Wahl zu treffen, was das Thema Arbeit angeht. Wenn zu unserer Identität als Frauen eine andere ethnische Identität hinzu kommt, stellen wir die billigste und qualitativ schlechteste Arbeitskraft dar.

In den Fabriken, Werkstätten und auf den Feldern arbeiten wir zu einem sehr viel niedrigeren Lohn als Männer. Im Allgemeinen sind wir dazu verdammt, ohne Versicherung zu arbeiten. Besonders komplizierte und auf Fingerfertigkeit angelegte Arbeit fällt meistens uns Frauen zu. Diese Arbeit wird sehr schlecht bezahlt. Auf unserem Arbeitsgebiet gibt es keine Arbeitsgarantie. Gewerkschaften werden nicht erlaubt. Deshalb sind die Arbeitszeiten sehr lang. Weil es keine Kontrolle gibt, arbeiten wir normalerweise unter gesundheitsschädigenden Bedingungen und haben keine Möglichkeiten, unser Recht durchzusetzen. Es gibt keine soziale Sicherheit, kein Arbeitsrecht und kein Wissen über Gesundheit. Von nationalen und internationalen Abkommen wissen wir nichts.

Bedingungen und Regeln des Arbeitslebens werden Männern entsprechend festgelegt. Bei Regelblutungen und ähnlichen Situationen bekommen wir nicht frei, wir können dieses Thema nicht einmal ansprechen. Urlaubszeiten wegen Geburt und Stillzeit sind sehr kurz bemessen, Krippenplätze reichen nicht aus. Schwangerschaften führen manchmal zum Rauswurf von der Arbeit. Sogar weil die Möglichkeit einer Schwangerschaft besteht, also weil wir Frauen sind, werden wir manchmal nicht eingestellt. Aufgrund von familiärem Druck und wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben wir kein Recht auf Ausbildung. Wenn die Möglichkeit zur Ausbildung besteht, können wir nur bestimmte Berufe wählen. Trotz gleicher Ausbildung werden wir gegenüber Männern im Berufsleben benachteiligt; uns wird nicht die gleiche Verantwortung zugesprochen. Unsere geschlechtliche Identität bestimmt den Grad unserer Verantwortlichkeit. Innerhalb dieser Rollenaufteilung werden wir systematisch zu Konkurrenzverhalten auch untereinander angehalten.

Bei der Arbeit sind wir permanenter Diskriminierung und Sexismus ausgesetzt. Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz sind weit verbreitet, insbesondere von Männern, die unsere Vorgesetzten oder Chefs sind. Die Angst vor Arbeitslosigkeit sowie die Sorge, an einem anderen Arbeitsplatz noch schlechter behandelt zu werden, hält uns davon ab, diese Form von Gewalt zur Sprache zu bringen. Wir sind gezwungen, die Situation auszuhalten. Wenn wir uns gegen solche Übergriffe wehren, werden wir mit einer anderen Begründung entlassen. Unsere Körper sind bei der Arbeit unter Kontrolle. Es wird festgelegt, wie wir uns anzuziehen haben und wie stark wir uns herausputzen sollen. Oftmals werden wir als Dekorationsobjekt präsentiert. In vielen Situationen ist der Mann ohne die Arbeit von Frauen zu nichts in der Lage, aber das wird nicht gesehen. Es sind Sekretärinnen, Beraterinnen, Stellvertreterinnen, Assistentinnen und Putzfrauen, die unter dem Erfolg von Männern erdrückt werden und unsichtbar bleiben.

Nicht nur unsere Arbeit, auch unsere Sexualität wird ausgebeutet. Unser Körper wird als Kapital betrachtet. Wir werden zur Sexarbeit gedrängt. Oftmals wird dieses “Kapital” von anderen benutzt. Wir werden per Vertrag, den andere miteinander abgeschlossen haben, vermietet und verkauft. Die Sexarbeit zählt als ein bedeutender Bereich des Profits in der Wirtschaft dieses Landes. Die Kriegswirtschaft, Binnen- und Auslandsflucht haben diese Situation weiter verschärft. Der Prostitutionssektor nährt die Herangehensweise der anderen Sektoren an uns und existiert in Anlehnung an diese. Wir tragen den Stempel der Werte, die in diesem Sektor entstehen. Unsere gesellschaftliche Stellung wird mit diesen Werten reproduziert. In vielen Sektoren wie Unterhaltung, Kunst, Werbung, Print- und visuellen Medien werden unsere Körper wie eine Ware angepriesen.

Der sinnentleerte Begriff von Freiheit, der in den Medien propagiert wird, begegnet uns überall. Damit wird die irrtümliche Auffassung hervorgebracht, dass wir frei seien, wenn wir ökonomisch ausreichend begütert sind. Darüber werden wir vom System getäuscht und ein weiteres Mal ausgebeutet.

Wir Frauen werden aufgrund der Art und Weise, in der wir aufwachsen, und unserer Lebensweise öfter krank als Männer. Trotzdem sind unsere Möglichkeiten medizinischer Behandlung noch begrenzter als die von Männern. Auch durch die Auswirkung der Armut gelingt es nicht, das Sterben von Kindern zu verhindern. Am stärksten sind wir davon betroffen. Denn unsere Familien und die Gesellschaft machen für den Tod von Kindern nicht die Armut verantwortlich, sondern uns.

Für unsere gesundheitlichen Probleme wird keine Lösung gefunden. Weil wir nicht über ausreichendes Wissen über unsere eigene Gesundheit und die der Kinder, für die wir verantwortlich sind, verfügen, können wir unsere Probleme nicht einmal zum Ausdruck bringen. Insbesondere wegen mangelnder Informationen zum Thema sexuelle Gesundheit sind wir mit gynäkologischen Krankheiten konfrontiert. Einen Frauenarzt aufzusuchen, ist ein Alptraum für uns. Wenn wir wegen Frauenkrankheiten oder Schwangerschaft zur Untersuchung gehen oder eine Abtreibung machen lassen wollen, werden wir erniedrigt. Das Gesundheitspersonal betrachtet uns als ungebildet und macht uns Vorwürfe, warum wir nicht aufgepasst haben.

Untersuchung, Behandlung und Medikamente sind sehr teuer. Da wir nicht alle krankenversichert sind, versuchen wir, mit unseren Krankheiten selbst fertig zu werden. Die Grüne Karte (Versicherungskarte) löst noch nicht das Problem der Bezahlung der Medikamente. Bei einigen Krankheiten reicht auch die Versicherung nicht aus.

Wenn wir unsere Regel und dabei körperliche Beschwerden haben, müssen wir diesen Zustand auch noch verstecken. An den Schulen und in Wohnheim bestehen überhaupt keine Bedenken, uns auf unsere Jungfräulichkeit zu untersuchen. Die meisten von uns trauen sich nicht, alleine ins Krankenhaus zu gehen. Wir werden erniedrigt, weil wir Kopftücher tragen oder nicht lesen und schreiben können oder kein türkisch sprechen. Manche Ärzte verachten uns, weil wir ungebildet sind. Ansprechpartner sind für sie unsere Ehepartner oder andere Männer, die uns ins Krankenhaus begleiten.

Frauen werden als Ersatz, als Helferin von Männern oder als Symbol ihrer Stärke gesehen. Auf jedem gesellschaftlichen Gebiet hat der Mann das Sagen. Wir werden als schutzbedürftige und schwache Geschöpfe betrachtet und erniedrigt. Der Mann geht davon aus, dass Frauen ihm unter jeder Bedingung unterlegen und von ihm abhängig sind. Wir führen ein Leben in Abhängigkeit von Männern und fühlen uns wertlos. Weil wir uns selbst nach den Wertmaßstäben der Außenwelt bewerten, leben wir nicht unser eigenes Leben, sondern das anderer. Wenn wir ausbrechen aus den vorgegebenen Rollen und Verhaltensmustern, fühlen wir eine merkwürdige Schuld oder Scham, geraten in Panik und fühlen uns allein. Wir haben kein Selbstvertrauen und warten ständig auf den männlichen Retter.

Auch wenn an einigen Orten keine groben Behandlungsweisen vorherrschen, so entsteht doch durch den status quo der gesellschaftlichen Werte ein Druck, der nur schwer zu überwinden ist. Wir sind gezwungen, unser Leben den gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Von Geburt an werden uns Geschlechterrollen aufgedrückt und im sozialen Leben unterliegen wir einer ständigen Rollenüberprüfung. Unsere Gefühle müssen wir verstecken. Lautes Lachen ist ebenso verboten wie der Ausruf “Nein, ich will nicht”. Um niemanden mit unseren Forderungen und Schwierigkeiten zu belasten, um familieninterne Probleme nicht nach außen zu tragen und um Gerede zu vermeiden, müssen wir so tun, als wären wir zufrieden mit unserer Situation. Um nicht als liederlich zu erscheinen, müssen wir unsere Leidenschaften verbergen.

Jede unserer Bewegungen ist unter ständiger Kontrolle. Von uns wird erwartet, dass wir hübsch, gepflegt, schlank, schick und enthaart sind; dass wir aufrecht gehen, immer lächeln, unsere Grenzen kennen, nicht laut lachen, keine Demarkierungen überschreiten, uns zu setzen und aufzustehen wissen, Männern gegenüber nicht die Stimme erheben, uns anpassen, das Essen pünktlich auf den Tisch stellen, den Wohnungsputz nicht vernachlässigen, Kinder gebären, ernähren und aufziehen, die Augen vor den Entgleisungen der Ehemänner verschließen; dass wir ehrbar, gefühlvoll und barmherzig sind.

Durch die Medien wird uns das genehme Frauenmodell präsentiert. Wenn wir keine Ähnlichkeiten mit diesen Frauen aufweisen, wird unser Selbstvertrauen erschüttert, denn in unserem Umfeld gibt es Menschen, die das von uns erwarten. Obwohl wir in vielerlei Hinsicht z.B. bezüglich ihrer Beziehungen, ihrer Kleidung, ihrer Körper niemals so sein können wie sie, leben wir mit diesem Traum. Die Frau in den Medien thematisiert so gut wie nie die wirklichen Problemfelder von Frauen und reproduziert kontinuierlich die gesellschaftliche Rolle der Frau als eine, die auf Kinder aufpasst, kocht und putzt. Dabei wird die Position der Frau im männlichen Herrschaftssystem benutzt, um Frauen herabzusetzen. Die negative Auswirkung der Medien auf Kinder wird direkt uns Frauen aufgeladen, weil Mütter als die Verantwortlichen betrachtet werden. Unsere Kraft reicht nicht aus für die durch die Medien geweckten Wünsche der Kinder, wir können ihre Erwartungen nicht erfüllen. Dadurch wird die Beziehung zu unseren Kindern gestört.

Wenn Männer sich untereinander sagen wollen, dass sie schwach, unfähig, verlogen, nicht vertrauenswürdig, geschwätzig sind, dann nennen sie das “wie eine Frau”. Auch Witze und Schimpfworte reproduzieren die Gewalt gegen Frauen. Da von Männern Niederlagen mit Feminisierung gleichgesetzt werden, werden wir in der Gesellschaft jede Sekunde in Kriegsausdrücken, Fußballbegeisterung und Flüchen erniedrigt.

Auf jedem Gebiet wird in unser Leben eingegriffen. Für jede Bewegung, die wir machen wollen, müssen wir zunächst die Erlaubnis bekommen. Auch wenn wir keine Erlaubnis brauchen oder eine Erlaubnis bekommen, sind damit die Probleme noch nicht vorbei. Wenn uns beispielsweise von Ehemann oder Vater erlaubt wird, zu arbeiten, dann werden wir im Viertel schräg angeguckt. Auch wenn die Erlaubnis kein Thema ist, können wir nicht so einfach das Haus verlassen, ins Krankenhaus, zum Einkaufen, zur Post oder auf Arbeitssuche gehen, weil wir entweder nicht lesen und schreiben können oder kein türkisch sprechen, weil wir kein Selbstvertrauen haben, uns vor Erniedrigung fürchten oder vielleicht behindert sind. Wenn wir nicht heiraten oder uns scheiden lassen und versuchen, auf eigenen Füßen zu stehen, werden wir von der Gesellschaft ausgeschlossen und bekommen negative Reaktionen zu spüren. Weder das Witwendasein noch eine neue Eheschließung werden akzeptiert.

Männer verhalten sich ihren Partnerinnen und Töchtern gegenüber anders als Frauen, denen sie draußen begegnen. Aufgrund ihres Verhaltens gegenüber Frauen außerhalb des Hauses kontrollieren sie die Frauen im Haus mit dem Vorwand, sie müssten vor anderen Männern beschützt werden. Wenn es in unserem Umfeld keinen Mann gibt, der uns unter seinen Schutz genommen hat, wird jede Form von Angriff und Ausgrenzung als gerechtfertigt betrachtet.

Wir werden dazu gezwungen, uns allem anzupassen, was die Männer erschaffen haben und vorherrschend ist. Unser Körper liegt in Ketten. Alles, was mit unserem Körper zu tun hat, wird als schändlich betrachtet. Wenn wir uns anziehen, wie wir wollen, gelten wir als “unmoralisch” und jede Art von Gewalt und Beleidigung wird als gerechtfertigt angesehen.

Als Frauen können wir nicht über unsere eigenen Körper bestimmen. Auf der Arbeit, in Schulen und an ähnlichen Orten wird sogar über Kleiderordnungsbestimmungen darüber entschieden, wie wir uns anzuziehen haben. Röcke, die über das Knie reichen, geschlossene Schuhe, halblange Ärmel...

Die meisten von uns verbringen zwangsläufig einen großen Teil ihrer Zeit und Energie damit, sich mit ihren Körpern zu beschäftigen. Wir ziehen uns nicht für uns selbst an, sondern um männliche Beachtung zu erhalten. Für viele von uns ist es eine Notwendigkeit, unsere Körper der neuesten Mode entsprechend zu formen. Übergewicht kann dazu führen, dass Frauen sich vor sich selbst ekeln. Frauen, die ihre Körperbehaarung nicht wirksam bekämpfen, werden als anormal und krankhaft betrachtet. Wenn wir Frauen uns treffen, handelt ein großer Teil unserer Unterhaltung davon, wie wir das Gefallen von Männern erwecken können.

Der Druck, der auf uns wegen traditioneller und regional üblicher Kleidung ausgeübt wird, führt dazu, dass wir uns von unserer eigenen Kultur entfernen. Staat und Gesellschaft üben über unsere Kleidung Druck auf uns auf, um uns unsere Identität zu nehmen. Wenn wir unsere Haut bedecken oder ein Kopftuch tragen, heißt es, wir würden nicht zum Image der modernen westlichen Frau passen. Wir werden sogar der “reaktionären Gefahr” zugerechnet. Aus diesem Grund werden wir von den Schulen, von Arbeitsplätzen und öffentlichen Plätzen geworfen.

Wir sind wie eine Materie ohne Identität. Wir sind die Anderen in der Welt der Männer. Wir werden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Wir erfahren keine Achtung und werden herabgesetzt. “Lange Haare, kurzer Verstand”, “Die Hände noch voll Teig, aber sich in Männerangelegenheiten einmischen” - das sind Sprichworte, die für uns gelten.

In jeder Lebensphase, sogar während wir uns noch im Bauch unserer Mütter befinden und jeder hofft, dass wir ein Junge sein mögen, bis zum Tod können wir uns nicht von unserem Dasein als Mädchen, Schwester, Weib, Mutter, Tante, Schwiegermutter, Witwe, Mätresse oder Gespielin retten.

Wir leiden unter diesem Leben, das von Unterdrückung geprägt ist. Wir haben keine Chance, so wie wir sind, ins Leben zu treten.

Nach wie vor erleben wir die Gewalt, die seit Jahrhunderten gegen uns angewandt wird. Immer noch haben wir Schwierigkeiten damit, davon zu erzählen. Die erlebte psychische, physische und sexuelle Gewalt hinterlässt bleibende Spuren auf Körper und Seele. Gewalt durchdringt jeden Bereich unseres Lebens, aber als Gefangene, Kranke, Arbeiterin, Tagelöhnerin, Sexarbeiterin, Transvestitin, Transsexuelle, Lesbe, Witwe, Geschiedene ... nimmt die Gewalt noch zu.

Die Straßen sind für uns Frauen nicht sicher. Im Gegenteil, sie sind wie Kriegsschauplätze. Insbesondere an den Tagen, an denen Fußballspiele ausgetragen werden, richten Männer ihre ganze Aggressivität gegen uns. Sie ähneln Soldaten und sehen uns als Beutestücke auf erobertem Boden an. Jeden Augenblick besteht für uns Gefahr. Und nachts gehören die Straßen ohnehin vollkommen den Männern. Wir laufen wie Fremde auf der Straße. In viele Bereiche können wir ohne männliche Begleitung gar nicht vordringen. Wenn wir auf die Straße treten, greifen sie uns in völliger Gelassenheit an, weil sie die Straße als ihr Gebiet ansehen. Insbesondere wenn wir nachts auf der Straße angegriffen werden, wird so getan, als hätten wir fremdes Terrain betreten und somit den Angriff verdient. Uns wird beigebracht, dass es sich nicht gehört, auf mündliche oder physische Übergriffe zu reagieren. Wenn wir es trotzdem tun, sind wir darauf eingegangen. Gewalt, die wir zur Selbstverteidigung anwenden, wird nicht als legitim betrachtet. Wir machen uns damit noch schuldiger als die Angreifer. Es wird uns nicht einmal das Recht zugestanden, Einspruch einzulegen. Wir werden in unsere Wohnungen gesperrt. Wir haben außerdem auch Angst davor, zuhause alleine zu sein, weil uns diese Angst beigebracht wird. Wenn wir uns zuviel außer Haus aufhalten, bekommen wir einen schlechten Ruf.

Das Recht auf Reisefreiheit, darauf, am gewünschten Ort das Haus zu verlassen, wird zwar nicht per Gesetz, aber durch die gesellschaftlichen Normen eingeschränkt. In manchen Gebieten können wir nicht einmal allein ein Taxi besteigen. Vor allem abends fürchten wir uns, wenn wir alleine in einem Sammeltaxi sitzen. Auch wenn wir uns nicht fürchten, so besteht dennoch ein Risiko, in das wir uns hineinbegeben haben. Denn Männer denken, dass alleine reisende Frauen es verdienen, sexuell angegriffen zu werden. Zu Übergriffen und Vergewaltigung wird in den Medien angeregt. Manche Filme tragen die Botschaft, dass Frauen vergewaltigt werden wollen, dazu aber nicht offen stehen können. Diese Art von Botschaften erhöhen die Aggressivität im Mann.

Wenn wir vergewaltigt werden, fühlen wir uns beschmutzt. Wir werden dann zur Rechenschaft gezogen: “Wie konntest du dich in eine solche Situation bringen”, “warum hast du nicht aufgepasst”, “was hattest du zu dieser Zeit dort zu tun”, “warum bist du dorthin gegangen, wo du dich gar nicht auskennst”, “was hattest du denn an” usw. Oftmals wird die gegen uns gerichtete sexuelle Gewalt mit unserer Kleidung legitimiert. Dabei sind wir aufgrund unserer gesellschaftlichen Rolle in jedem Bereich des Alltagslebens, ob zuhause, auf der Arbeit, auf der Straße, im Bus, in der Schule oder im Krankenhaus mit Übergriffen und Vergewaltigungen konfrontiert. Manchmal kommt es vor, dass uns nahestehende Männer angreifen, um uns zu bestrafen. Wenn wir sexuell belästigt oder vergewaltigt werden, haben wir nicht die Kraft, uns juristisch zur Wehr zu setzen. Die Definition von sexuellem Übergriff und Vergewaltigung schützt nicht das Opfer, sondern den Täter. Denn die Definition ist unklar. Der Begriff Vergewaltigung beinhaltet alle sexuellen Angriffe. Aber die sexuellen Angriffe, denen wir ausgesetzt sind, sind vielfältiger als die entsprechenden Gesetze.

Der jahrelang andauernde Krieg, soziale und wirtschaftliche Probleme, Gewalt in der Familie, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen im Alltagsleben und nach der Festnahme bringen uns dazu, unser eigenes Leben beenden zu wollen.

Insbesondere wenn wir uns am politischen Kampf beteiligen, steigt das Risiko sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen. Denn dann sind wir mit der organisierten Gewalt des Staates konfrontiert. Ein großer Teil der festgenommenen Frauen ist sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Viele Frauen werden auch von Polizisten vergewaltigt. Weil sich aber die meisten von uns dafür schämen, halten wir den Vorfall geheim. Wenn wir festgenommen werden, werden wir alle aufgrund unseres Geschlechts beleidigt. Sie versuchen, uns Schuldgefühle einzureden. Beispielsweise sagen sie “Du bist nicht ehrbar”. Ständig werden unsere Körper thematisiert; entweder sie werden schön gefunden, dann heißt es “lass die Finger von diesen Sachen, das ist doch nichts für dich”, oder sie werden hässlich gefunden, dann werden darüber Witze gemacht. Früher waren sexuelle Übergriffe eher nach der Festnahme weit verbreitet, nach der Einführung der Isolation in den F-Typ-Gefängnissen finden sie auch dort statt. Wenn wir staatliche sexuelle Gewalt erlebt haben, werden wir auch durch das Verhalten der Männer, mit denen wir gemeinsam kämpfen, an unsere “Beschmutzung” erinnert. Unabhängig von ihrer politischen Identität definieren Männer Frauen nach patriarchalen Werturteilen und sind dazu in der Lage, die Gewalt, die Frauen durch Männer erfahren, zu ignorieren und damit zu bestätigen. Auch in politischen Strukturen, in denen wir mit Männern zusammen arbeiten, kann es passieren, dass wir belästigt und vergewaltigt werden. Meistens sind dann wir es, die den Vorfall geheim halten und dazu gezwungen sind, die Strukturen zu verlassen. Wenn wir versuchen, den Übergriff offen zu machen und zu kämpfen, werden wir zu Schuldigen, werden ausgeschlossen und mürbe gemacht.

Wenn unsere Kinder sich an einem sozialen Kampf beteiligen, müssen wir Angst davor haben, dass sie Gewalt ausgesetzt werden. Denn unsere Kinder wachsen nie und unsere Mutterschaft hört nie auf. Wir landen gemeinsam mit ihnen im Gefängnis, werden mit ihnen zusammen gefoltert, sterben.

Vor Gericht werden wir herabgesetzt, weil wir Frauen sind. Die Richter verhalten sich manchmal wie ein Vater, Bruder oder Ehemann. Die Gesetze stehen auf Seiten des Mannes. Wenn wir Opfer von Gewalt werden, wird meistens uns die Schuld zugesprochen. Persönliche Eigenschaften von Frauen wie zum Beispiel ihr Beruf, ihre ethnische Identität oder ihre sexuelle Orientierung werden dazu benutzt, den gegen sie gerichteten Angriff als gerechtfertigt darzustellen.

Die Gefängnisverwaltungen sehen uns nicht als Ansprechpartnerinnen. Sogar Frauengefängnisse werden von männlichen Direktoren geleitet. Deshalb können wir unsere Probleme nicht wie wir wollen zum Ausdruck bringen. Die Hausordnungen sind für Männer geschrieben. Wir werden erniedrigt, die Binden, die von draußen kommen, werden zum Gegenstand des Gespötts der Soldaten, und wenn wir sie erhalten, dann sind sie schmutzig und voller Fingerabdrücke. Wenn wir ins Krankenhaus überführt werden, sind wir gezwungen, uns vor den Augen der Soldaten untersuchen und behandeln zu lassen. Bei der Festnahme werden wir nackt ausgezogen und beleidigt. Wenn wir Angehörige im Gefängnis besuchen, sind die Durchsuchungen darauf angelegt, uns zu erniedrigen. Wir werden nackt ausgezogen und alles bis auf unsere Geschlechtsorgane und sogar unsere Binden werden durchsucht.

Wir scheuen davor zurück, staatliche Institutionen aufzusuchen. Wir sind dort Fremde. Auch die Frauen, die dort arbeiten, kommen uns wie Männer vor, weil sie sich den Regeln des Staates anpassen. Wir können nicht mit ihnen kommunizieren. Allein die Existenz des Staates übt Druck auf uns Frauen aus. Wir werden all zu oft Opfer der staatlichen Gewalt. Wenn wir Widerstand dagegen leisten, wird die Gewalt noch gesteigert.

Die Gesellschaft, in der wir leben, erkennt immer die Starken an und gibt ihnen recht. Gewalt wird auf allen Gebieten als legitim angesehen. Alle Menschen haben Angst. Niemand hebt die Stimme gegen Ungerechtigkeiten. Der Militarismus ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Wir sind nicht diejenigen, die Kriege erklären, aber wir leiden am stärksten unter ihnen. Alle Kriege erwecken permanente Todesangst und zwingen Menschen zur Flucht. Wir werden dazu gezwungen, in Kriegen, die wir nicht beschlossen haben, Partei zu ergreifen. Wenn unsere Häuser, unsere Dörfer niedergebrannt werden, werden wir Opfer von Übergriffen und Vergewaltigungen von staatlich Beauftragten. Wenn wir die Gewalt des Staates nicht unterstützen, richtet sich diese Gewalt mit voller Intensität gegen uns. Deshalb leben wir im Kriegsgebiet in ständiger Angst vor Übergriffen und Vergewaltigung. Wenn auch die Gefechte aufgehört haben, so wird doch die Kriegsorganisierung fortgesetzt. Das Dorfschützersystem, das dafür geschaffen wurde, ist für uns Frauen immer noch eine ernste Bedrohung. Wir werden zu Opfern der Repression und Vergewaltigung von Dorfschützern, wir werden dabei schwanger. In Kriegen werden sexuelle Angriffe auf unsere Körper als Waffe eingesetzt. Unsere Körper werden als Kriegsbeute betrachtet. Oft können wir diese Last nicht ertragen und begehen Selbstmord.

Die durch den Krieg verursachten Traumata nehmen wir mit an die Orte, an die wir flüchten. Auch hier gibt es weiterhin Ausgrenzung und Erniedrigung, unsere Häuser werden überfallen, wir leben in Angst. Wir können unsere Kinder nicht unserer eigenen Kultur entsprechend erziehen und müssen dabei zusehen, wie sie vor unseren Augen assimiliert werden. Weil wir uns an die Städte, in die wir migriert sind, nicht gewöhnen können, die Sprache nicht sprechen, unser Dorf und die Verwandten vermissen und uns fremd fühlen, werden wir immer verschlossener. Einhergehend mit dem Druck der Familie und der Umgebung schließen wir uns unter diesem Einfluss noch mehr zuhause ein.

Zwischen uns Frauen gibt es aufgrund ethnischer, sexueller, religiöser, physischer, regionaler u.a. Unterschiedlichkeiten auch verschiedene Unterdrückungsformen.

Als kurdische Frauen werden wir aufgrund unserer ethnischen Identität als potentielle Terroristinnen angesehen. Wenn wir kurdisch sprechen, kann es passieren, dass wir deshalb beleidigt werden. Weil wir nicht die Möglichkeit haben, weder unsere Muttersprache noch die Amtssprache richtig zu lernen, haben wir große Schwierigkeiten damit, uns zu entwickeln, Arbeit zu finden und uns zu organisieren. Als Ergebnis der nationalistischen und rassistischen Politik werden wir zwangssterilisiert. Von der einen Seite werden wir dazu gedrängt, viele Kinder zu bekommen, von der anderen, keine Kinder zu bekommen. Wir werden ins Haus gesperrt und erniedrigt. Es wird von uns erwartet, dass wir uns Frauen aus anderen Kulturen als Beispiel nehmen. Sogar Vereine, die sich um Frauenprobleme kümmern, akzeptieren uns nicht als das, was wir sind.

Als arabische Frauen sind wir durch die Politik zur Migration und zu einem Leben innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft gezwungen worden. Wir sind gezähmt und gesammelt und zu einem Teil dieser Gesellschaft gemacht worden. Nicht einmal unsere Existenz wird anerkannt. Wenn wir nahe der Grenze leben, wird unser Boden beschlagnahmt und wir zur Migration gezwungen. Weil wir die Sprache nicht beherrschen, müssen wir als Tagelöhnerinnen arbeiten und in Zelten leben. In unserer eigenen Sprache können wir keinen Unterricht machen. Aber dieses Problem wird nicht einmal thematisiert. Wir bleiben immer verschlossen.

Als armenische Frauen tragen wir eine schwere Last. Unsere Last ist die Stille. Wir entfremden uns von unserer Geschichte, unseren Sagen, unseren Liedern, die als gefährlich angesehen werden. Weil unsere Identität in Geschichtsbüchern oder internationalen juristischen Diskussionen verschlossen bleibt, bleiben auch unsere heutigen Probleme unsichtbar. Unsere Sprache, Kultur und Existenz ist unseren Nachbarinnen und Freundinnen fremd.

Als griechische Frauen sind wir die Wächter unserer Toten. Was gibt es schon für einen Unterschied zu den Menschen, die keine Familie haben und auf Friedhöfen leben. Wir halten Wache bei unserem Schmerz, unserer Freude, unseren Klagen. Wir haben keinen Ort, an den wir gehen können. Wir sind trotz der Angst geblieben. Wir leben weiter mit der Angst. Obwohl wir behandelt werden wie Giftschlangen, trotz der Leute, die “Madame” zu uns sagen und uns hinterherlaufen, und obwohl unsere Sprachweise zum Gespött gemacht wird, wir warten. Und das in dem Wissen, dass nichts mehr so sein wird wie früher.

Als assyrische Frauen zählen wir nicht einmal als Minderheit. Nirgendwo wird an unseren Namen erinnert. Wir haben nicht einmal das Recht, Gebete in unserer eigenen Sprache zu sprechen. Viele unserer Verwandten haben diese Gegend verlassen. Wir sind die Unterdrückten eines Volkes, das zur Angst verdammt ist.

Als jüdische Frauen leben wir unter den schweigsamen Blicken der historischen Wut der Massen. Wir werden als anders, als etwas besonderes betrachtet. Wenn es uns wirtschaftlich gut geht, wird dadurch die Feindschaft uns gegenüber noch erhöht. Dabei hat kein Reichtum uns davor schützen können, als Nation eine Tragödie zu erleben, die nicht überwunden werden kann. Wo wir auch sind auf dieser Welt, haben wir Anteil am Schicksal unserer Nation. Es ist sehr schwer, in einer islamischen Gesellschaft jüdisch zu sein. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Der durch den nicht enden wollenden Krieg erschaffene Militarismus lässt am meisten uns Frauen leiden. Innerhalb dieser Struktur ist es unmöglich, zu opponieren und außerhalb der Gemeinde eine unparteiliche Haltung einzunehmen. Deshalb können wir uns nicht organisieren und kommen nicht aus der eigenen Gemeinde und einer sehr begrenzten gesellschaftlichen Gruppe heraus.

Als Romafrauen werden wir als potentielle Kriminelle betrachtet und zum Gegenstand von Gespött. Wir selber sagen: “Aus uns wird nicht mal ein Eheweib, denn wir sind Zigeunerinnen” oder “Macht man die Zigeunerin zur Dame, geht sie los und verdrischt den Mühlstein”. Denn sogar wir selbst haben keine Achtung vor uns. Aus Geldmangel können wir unsere Kinder nicht zur Schule schicken. Wenn es doch irgendwie klappt, werden sie in der Schule erniedrigt. Wir befinden uns soweit außerhalb der Gesellschaft, dass uns alles egal ist. Und je gleichgültiger wir werden, desto größer wird auch unsere Hilflosigkeit.

Als lasische Frauen wird an uns nur in Witzen gedacht oder in romantisierenden Bildchen mit Körben voller Tee und Haselnüssen auf dem Rücken. Während die Männer, die ihre Wut aus vergangener Zeit gegen uns richten und versuchen, ihre verlorene Identität mit der Waffe an ihrer Seite vergessen zu machen, in den Teehäusern rumhängen, machen wir die Feldarbeit. Während unsere Kinder, die wir mit Wiegenliedern in unserer eigenen Sprache aufgezogen haben, ihrem Lebensunterhalt hinterherlaufen müssen und dabei die Bedeutung der Wiegenlieder vergessen, fahren wir damit fort, diese Worte zu singen, die niemand mehr versteht.

Als ezidische Frauen sind wir aus dieser Gegend vertrieben worden. Wir sind als Teufel verschrien worden, wir sind gesteinigt und verbrannt worden. Unsere Dörfer, in denen wir mit unseren weißen Kopftüchern spazieren gegangen sind, gibt es nicht mehr. Der letzte Krieg hat auch sie verbrannt. Wir leben nicht mehr zusammen. Wir schweigen, wenn unser höchstes Leben als Satan verunglimpft wird. Wir sind stille Zeuginnen einer verborgenen Welt. Diese Welt existiert in unserem Inneren. Wir können sie nicht nach außen bringen.

Als tscherkessische Frauen haben wir vor Jahrhunderten hier in dieser Gegend unsere Identität verloren. Um nicht zu Sklavinnen anderer Herren zu werden, haben wir uns verschlossen. Durch Krieg und Vertreibung sind wir zu Dienerinnen unserer Männer geworden. Wir haben keine Stimme mehr und keinen Namen. Wohin wir auch fliehen, der Schmerz unserer verlorenen Geschichte lässt uns nicht los.

Als rumänische Frauen werden wir als Huren abgestempelt. Meistens werden uns beschreibende Worte als Beleidigung benutzt. Alle Frauen hier sind uns gegenüber feindlich eingestellt.

Als Flüchtlingsfrauen gibt es viel, was wir zu sagen haben. Uns fehlt der Schulz unserer Häuser, unseres Landes. Wir werden zur Migration auf langen und gefährlichen Wegen gezwungen. An den Orten, an die wir uns flüchten, begegnet und das Desinteresse der Ämter. Sie machen uns Schwierigkeiten und manchmal werden wir zu Opfern von sexuellen Übergriffen.

Als homosexuelle Frauen sind wir gezwungen, unsere sexuelle Neigung zu verheimlichen. Unsere Liebe zu Frauen, unser Lesbischsein hat keinen Wert. Weil alle existierenden Beziehungsmodelle in heterosexuelle Beziehungsmuster gepresst werden, wird versucht, auch unsere Liebesbeziehungen den bestehenden Geschlechterrollen anzupassen. Aufgrund der Fehlannahme, dass eine Seite in der Beziehung immer die Männerrolle übernehmen muss, werden wir vermännlicht. Wenn wir unser Lesbischsein nicht verstecken, verlieren wir unsere Arbeit, werden geschlagen, vergewaltigt, ausgegrenzt, erniedrigt. Weil Liebesszenen zwischen Frauen in pornografischen Filmen als Männer aufheizende Fantasien präsentiert werden, wird in der Gesellschaft unser Lesbischsein im allgemeinen als eine vorübergehende Laune, die lediglich auf Sexualität beruht, aufgefasst. Die Existenzschwierigkeiten, die Frauen im öffentlichen Raum haben, erleben wir als homosexuelle Frauen noch stärker. Wir haben nicht die Möglichkeit, in der Gesellschaft aufzugehen und Gruppen zu bilden. Wenn eine Frau lesbisch ist, werden ihre Töchter im Falle einer Scheidung dem Vater zugesprochen.

Als transsexuelle Frauen sind wir die Unterdrückten der Unterdrückten. Obwohl wir als Travestiten und Transsexuelle am stärksten von Gewalt betroffen sind, werden wir in der Gesellschaft wie Ungeheuer dargestellt. Wir werden zur Prostitution verdammt. Die Fortsetzung unserer Existenz wird rechtlich, sozial, politisch, kulturell und wirtschaftlich behindert.

Wir Frauen sind auch wegen unserer religiösen Überzeugung von Repression betroffen. Wegen des Kopftuchs werden wir aus sozialen, kulturellen und politischen Kreisen sowie aus offiziellen Institutionen ausgeschlossen. Wir können unser Recht auf Ausbildung nicht wahrnehmen.

Aufgrund unserer physischen Andersartigkeit haben wir manchmal noch größere Probleme, uns als Frauen im patriarchalen System zu behaupten. Weil wir behindert sind, werden wir noch mehr erniedrigt als andere Frauen. Wir erleben wirtschaftliche und psychologische Probleme intensiver und haben Schwierigkeiten damit, das Alltagsleben zu bewältigen.

Auch ein Altersunterschied kann zu verschiedenen Problemen bei Frauen führen. Wenn wir alt werden, sind wir allein. In der Gesellschaft hat immer die Jugend Vorrang. Alte werden nicht ernst genommen. Je älter wir werden, desto mehr werden wir beiseite gestoßen, weil wir die uns zugedachten Rollen nicht mehr ausführen können. Wir können auch zum Symbol für die Macht der Familie werden. Im Alter übernimmt der Sohn die Autorität von Vater und Ehemann.

Unsere Klassenunterschiede führen dazu, dass wir die Probleme, die aus unserem Frausein entstehen, in verschiedenen Dimensionen erleben. Wenn wir reich sind, glauben wir, dass nur arme Frauen unterdrückt werden. Wenn wir arm sind, glauben wir von reichen Frauen, dass sie frei sind und nehmen sie uns als Vorbild. Wenn wir uns treffen, tun die Reichen weiter so, als seien sie etwas besonderes, und wir alle spielen die Rollen in unserem sozialen Leben weiter. Deshalb können wir keine Freundinnen werden. Wir verstehen die Probleme nicht, die die anderen haben. Wir sind nicht solidarisch. Statt Solidarität tritt die Logik des Helfens hervor. Als Frauen verschiedener Klassen gelingt es uns nicht, zusammen zu kommen. Wir können das Repressions- und Ausbeutungsverhältnis zwischen uns nicht aufheben.

Die Frauen in den großen Städten sehen sich selbst als das Zentrum aller Dinge. Sie glauben, dass alle Probleme dort gelöst werden können. Sie sehen nicht, dass auch wir uns unserer eigenen Probleme bewusst sind und sie zu lösen versuchen. Manchmal erwarten wir auch die Lösung von ihnen.

Als Frauen, die im Ausland leben, werden wir sowohl nach den gesellschaftlichen Mustern der Türkei als auch des Landes, in dem wir leben, bewertet. Weil wir nicht beiden entsprechen können, werden wir immerzu erniedrigt und ausgegrenzt.

Wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse wird der öffentliche Raum, der uns jahrtausendelang verschlossen war, mit seinen Teilbereichen Geschichte, Religion, Wissenschaft, Rechtswesen, Sprache, Politik, Sport, Medizin usw. von Männern für Männer und männlichen Bedürfnissen entsprechend geformt. In der Sprache wird das Wort Mensch immer als Mann interpretiert. Allgemeine Ausdrücke schließen die Frau nicht mit ein. Auf akademischem Gebiet haben wir Probleme damit, uns zu behaupten und zu entwickeln. Konfrontiert mit Hindernissen sind wir nicht produktiv. Unsere künstlerischen Werke und wissenschaftlichen Untersuchungen werden unsichtbar gemacht. Unsere Theorien werden nicht ernst genommen. Texte von Frauen werden nicht gelesen. Wenn wir eine Kritik an den Sozialwissenschaften basierend auf der Hinterfragung des gesellschaftlichen Geschlechts leisten wollen, wird unsere Arbeit an den Lehrstuhl für Frauenforschung verwiesen. Unsere Kritiken werden marginalisiert. Wenn wir wissenschaftliche und künstlerische Gedanken entwickeln, wird von uns als einer „Ausnahme“ gesprochen.

Die Frau ist in der Geschichte unsichtbar. Die sichtbaren Frauen werden von Männern entstellt schriftlich festgehalten. Wir haben es noch nicht geschafft, unsere eigene Geschichte zu schreiben und können nicht von den Befreiungskämpfen von Frauen profitieren.

Wegen der Verantwortung in der Familie und unserer Unterdrückung durch gesellschaftliche Werturteile können wir auf sozialem Gebiet nicht aktiv werden. Unser Frausein zählt als Hindernis für ein politisches Leben. Unsere Ausgrenzung und Unterdrückung im sozialen Leben kann zur Begründung dafür werden, dass wir nicht die gewünschte Verantwortung zugesprochen kriegen. Der billigste Vorwand für unser Ausgestoßensein aus fast allen Bereichen ist der, dass alles nur zu unserem Schutz geschieht.

Die Männerherrschaftsmentalität zeigt sich wie in allen Lebensbereichen auch im politischen Kampf. Die männlichen Anstrengungen, die Macht nicht aus der Hand zu geben, herrschen über alle Arbeiten und Aktivitäten und machen uns einflusslos. In der zentralen Leitung der Organisationen sitzen auf den Schlüsselpositionen im Allgemeinen Männer. Sie sind es, die die Politik festlegen. Sie entscheiden auch darüber, welche Frauen Entscheidungsgewalt bekommen und sie bevorzugen Frauen, die sie unter Kontrolle halten können. Wenn wir versuchen, eine unabhängige Haltung zu entwickeln, werden wir ausgegrenzt.

Wie auf allen Gebieten werden wir auch in der Realpolitik mit sexistischem Verhalten konfrontiert. In Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, Stiftungen, Berufskammern, Kooperativen und Initiativen wird die Arbeitsteilung entsprechend der Geschlechterrollen eingerichtet.

Um angeblich unsere Arbeit auszuwerten, wird in einigen staatlichen Einrichtungen die Ausbeutung von Frauenarbeit institutionalisiert. Es wird so getan, als würden wir damit von unseren Problemen befreit werden und könnten endlich das Haus verlassen, in das wir eingesperrt sind. Dabei werden unsere gesellschaftlich festgelegten Rollen benutzt. Ebenso wie in den Textil- und Teppichwerkstätten verkaufen wir unsere Arbeit billig, leisten schwere Arbeit ohne soziale Absicherung.

In der Politik wird versucht, unsere Willensbildung durch eine Quote auszugleichen; und selbst die Umsetzung der Quote wird behindert. Die meisten politischen Parteien und Organisationen halten Frauenthemen nicht für wichtig oder betrachten sie lediglich als ein Gebiet, mit dem die Basis der Partei vergrößert werden kann. Wir werden zum Werkzeug für das Konkurrenzverhalten der Männer gemacht. Frauenthemen werden nicht als ein Ziel, sondern ein Mittel betrachtet. Der Frauenbefreiungskampf wird nicht als politischer Kampf betrachtet. Unsere Unabhängigkeitsbestrebungen werden als Spaltung angesehen.

Zu Frauenthemen arbeitende Frauen werden sowohl in der Gesellschaft als auch in politischen und in zivilgesellschaftlichen Organisationen negativ beurteilt. Feminismus wird schlechtgeredet und Feministinnen als extremistisch, männerfeindlich und unmoralisch bewertet.

Weil es uns nicht gelungen ist, das patriarchale System und die gesellschaftliche Männlichkeit ausreichend zu analysieren, fehlt unserem Kampf gegen die männliche Herrschaft die ideologische und organisatorische Grundlage. Deshalb kommen wir nicht darüber hinaus, uns mit Männern zu streiten. Während es eigentlich notwendig wäre, an der Veränderung der Machtverhältnisse zu arbeiten, sind wir nicht in der Lage, einen anderen Weg zu beschreiten, als unseren Anteil an diesen Verhältnissen zu fordern.

Weil wir die Politik von Männern gelernt haben, benutzen wir ihre organisatorischen Modelle. Wir verinnerlichen die Gewaltkultur männlicher Herrschaft und wenden sie an. Als Militante von Krieg, Militarismus, Gewalt, Ausbeutung, Diskriminierung und Moralismus bekämpfen wir uns selbst.

Das größte Hindernis unserer Organisierung sind wir selbst. Unsere Ängste, unsere Unsicherheiten, unsere Verschlossenheit, die Akzeptanz unserer gesellschaftlichen Position und unsere eigene Herabsetzung unseres Geschlechtes verhindern unseren Aufbruch. Unser Eintritt in den politischen Kampf führt nicht dazu, dass wir uns plötzlich von den Gewohnheiten und Auffassungsweisen der Vergangenheit lösen.

Weil wir keine eigenen Wertmaßstäbe haben und daran gewöhnt sind, nach den Werten anderer zu leben, bewegen wir uns auch im politischen Kampf, dem wir uns aufgrund unserer sozialen Erwartungen angeschlossen haben, entsprechend der Wertmaßstäbe der Männer. Deshalb können wir nicht mit unserer eigenen Identität existieren. Uns fehlen Kreativität und Erschaffenskraft. Für uns kann es vorrangig sein, Männern zu gefallen und geliebt zu werden, anstatt politisch zu arbeiten. Durch diese Situation stehen wir Frauen uns selbst im Weg.

Oftmals können wir nur durch Liebesbeziehungen in politischen Kreisen existieren. Vor allem führende Männer profitieren davon. Liebesbeziehungen mit Männern in führenden Positionen machen uns mürbe. Innerhalb der Organisationen können Männer uns wie sexuelle Objekte behandeln. Sie trennen das politische vom privaten Leben. Sie lassen nicht zu, dass das Privatleben hinterfragt wird.

Weil die Tagesordnung in solchen Strukturen uns stets an andere Orte treibt, können wir uns selbst innerhalb dieser Arbeiten nicht ausreichend hinterfragen und stoßen durch Lästereien und mit gegenseitig zermürbenden Methoden zusammen, anstatt uns offen zu kritisieren. Aus diesem Grund kann innerhalb des Kampfes keine Persönlichkeitswandlung stattfinden. Weil wir unsere eigene Haltung nicht offen legen, werden wir zu Objekten und Symbolen gemacht. Wir nehmen im Hintergrund oder in der Vitrine Platz.

Unsere Intoleranz gegenüber Frauen ist größer als die Männern gegenüber. Wir können uns nicht leiden und beneiden uns um unsere Erfolge. Wir konkurrieren. Die Männer profitieren aus unseren Konflikten und können uns problemlos lenken. Wie sehr wir auch das Gegenteil behaupten, wenden wir Frauen unsere Gesichter einander nicht zu. Wir können uns nicht gemeinsam organisieren aufgrund unserer Verhältnisse in bezug auf Klasse, Kultur, Region, Macht u.ä. Wir können nicht einmal Kontakt zueinander aufnehmen.

In der Türkei gibt es keine unabhängige Frauenbewegung. Die bestehenden kleinen Gruppen besitzen nicht die Qualität einer Organisation. Darüber hinaus befinden sich die meisten von ihnen in den Metropolen und sind auf einen engen Kreis beschränkt. Auch Frauen, die von sich selbst sagen, sie besäßen Geschlechterbewusstsein, organisieren sich nicht. Weil wir uns selbst nicht ernst nehmen, arbeiten wir nicht ernsthaft an der Befreiung der Frau. Wir stellen diese Arbeit nicht ins Zentrum unseres Lebens, weil wir in diesem Bereich keine Zukunft für uns sehen. Anstatt Neues zu erschaffen, halten wir die von Männern geschaffenen Strukturen für sicherer. Konkurrenz zwischen Frauen ist auch im politischen Kampf stark. Weil die Gewohnheit, sich gegenseitig zu stärken, zwischen Frauengruppen schwach ausgeprägt ist, können wir nicht zu einer gemeinsamen Stimme werden.

Solange wir uns nicht organisieren und zu einem politischen Willen werden, werden unsere Probleme zunehmen und andauern.

Wir nehmen die genannten Probleme als individuelle Probleme wahr und halten sie für unser Schicksal. Wir glauben, dass nur wir sie erleben. Jedoch handelt es sich um Probleme, die jede Frau, die in der Welt und der Kultur der Männer existieren möchte, erlebt. Wir Frauen möchten uns von diesen Problemen befreien. Um uns von ihnen befreien zu können, müssen wir sie zunächst einmal verstehen, ihre Entwicklung analysieren, hinterfragen, inwieweit wir an ihrer Entstehung beteiligt gewesen sind, und uns organisieren. Den für unsere Befreiung notwendigen Mut und die Hoffnung werden wir gemeinsam erschaffen.

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