Özgür Politika, 9. Juli 2002

Ein Weg aus bunten Tüchern

Der Weg zum vierten Frauentreffen ist mit Tüchern bedeckt. Mit kunterbunten Tüchern.

EVRIM ALATAS:

Aus aneinandergenähten Stoffstücken wird ein riesiges Tuch gemacht, unter dem Frauen in allen Farben Platz haben...

Nach Diyarbakir, Batman und Istanbul hat jetzt die Fahrt nach Konya begonnen. Seit zwei Jahren machen sich Frauen in der Hoffnung, ihr Schicksal zu ändern, auf den Weg, wenn der Frühling dem Sommer Platz gemacht hat. Von Istanbul aus sind acht Frauen auf die Reise verabschiedet worden. Auch aus Diyarbakir und Batman haben sich Frauen auf den Weg gemacht. Sie haben Tücher in ihren Händen und Fragen auf Papier... Sie sind Reisende eines gemeinsamen Schicksals und sie sind unterwegs, um die Sonne scheinen zu lassen. Alle sind sie auf der Suche nach der Zukunft, sie wollen zeigen, was sie können, sie wollen leben.

Bevor wir zum jüngsten Frauentreffen kommen, wollen wir noch einmal in die Vergangenheit schweifen, nach Diyarbakir, Batman und Istanbul. Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und Journalistinnen waren nach Diyarbakir gefahren. Dort trafen sie auf Frauen, die sich politisiert hatten, sich auszudrücken wussten und die Dinge hinterfragten. Es war das interessanteste aller Treffen. Eine Frau in den Achtzigern nahm mit großer Professionalität das Mikrofon und sprach über Befreiung, über Frauenbefreiung, über die Ursachen der Wirtschaftskrise, die EU, kulturelle Rechte und die Sorgen um ihre Kinder und Kindeskinder. Die angereisten Gäste, die von den "Frauen aus dem Osten" erwartet hatten, sie hätten Depressionen, weil sie keine Hosen tragen dürften, bekamen riesengroße Augen vor Staunen und versuchten zu erfassen, was von dem Bild, das sie sich gemacht hatten, überhaupt noch stimmte. Jahrelang hatten sie Artikel geschrieben über "Ehrverbrechen" und die Auswirkungen des Feudalismus, und jetzt mussten sie feststellen, dass diese Frauen nicht auf ihre Befreiung gewartet hatten. Es war wie eine kalte Dusche. Und auch die Betonmauer aus Begriffen wie "Terror" und "Provokation", die zwischen den Frauen stand, wurde von den Frauen aus Diyarbakir mit meisterhaftem Geschick aufgelöst. Die Mauer verschwand und die Gäste lernten "Tu cawayi" [‚Wie geht es dir' auf kurdisch] zu fragen. Dann folgten Musik und Umarmung, gegenseitiges Verstehen und letztendlich Empathie.

Später dann das Treffen in Batman... die Stadt der Frauenselbstmorde, die mit schlichten Mustern zu erklären versucht worden waren... also die Stadt, in der angeblich durch die Kontrolle von PKK und Hizbullah eine allgemeine Depression herrschte...

Die Frauen aus Batman hatten durch das Treffen in Diyarbakir gelernt und sich noch viel besser vorbereitet. Meisterhaft vorbereitet. "Warum begehen die Frauen von Batman Selbstmord?" wurde diskutiert. "Warum seid Ihr erst jetzt gekommen?" wurden die Gäste gefragt. Und auch in Batman wurde von den Frauen, die angeblich auf Rettung warteten, eine Landkarte zur Befreiung entworfen. Eine Karte, auf der alle Wege eingezeichnet sind.

Istanbul... Istanbul war noch mal ganz anders. Es wehte Istanbuler Luft bei diesem Treffen. Die Frau aus Diyarbakir, deren sechs Kinder in die Berge gegangen sind, traf sich mit der Frau aus Gölcuk, die ihre ganze Familie beim Erdbeben verloren hat. Es wurde so eindeutig über erlittenen Schmerz und Sorgen berichtet, dass das Einfühlungsvermögen weiter anwuchs. Alle beweinten sich gegenseitig.

Und jetzt haben sich die Frauen auf den Weg gemacht, um in Konya zusammen zu treffen. Sie werden sich treffen, sich von ihren Problemen erzählen, sich austauschen. In Istanbul-Kadiköy kamen sie zusammen, um acht Frauen auf den Weg nach Konya zu verabschieden. Fast alle trugen weiße Kopftücher, weite Kleider, hatten tätowierte Gesichter und hoben die Hände zum Siegeszeichen. Fast alle waren sie Kurdinnen, also Frauen, die die Landkarte zur Befreiung schon vor langer Zeit entworfen haben.

Sie hatten ihre Kinder mitgebracht. In ihren Gesichtern spiegelte sich das Selbstbewusstsein von Menschen wieder, die aktiv sind, die eigene Angst überwunden haben und eine Ahnung von der Freiheit haben. (...)