Özgür Politika, 18.03.2001

Frauen wollen Frieden

Von Evrim Alatas/Lales Arslan/Diyarbakir

Ein weiterer aussergewöhnlicher Tag für Amed: Eine Gruppe von Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Journalistinnen, die gestern auf Initiative der Soziologin Selek Pinar unter dem Namen "Frauensolidarität für den Frieden" aus Istanbul und Ankara in Diyarbakir eingetroffen ist, wurde von hunderten von Frauen mit Trillern und Friedensparolen empfangen. (...) Als die angereisten Gäste vom Balkon der Stadtverwaltung aus winkend die wartende Menschenmenge begrüsste, brach ein für Amed typischer Tumult aus. Frauen jeden Alters mit weissen Kopftüchern, die den ganzen Platz ausfüllten, grüssten mit Trillern und zum Siegeszeichen erhobenen Fingern zurück. Die Gäste waren perplex - auch wenn sie sich jahrelang in den Medien mit kurdischen Frauen beschäftigt haben, so war es sicherlich das erste Mal, dass sie mit "Biji Asiti"(=Es lebe der Frieden)-Rufen empfangen wurden. Beim Verlesen ihrer Namen hallte der Platz vor Applaus und begeisterten Trillern. Die gerechte Verteilung des Beifalls wurde nur bei der Nennung des Namens von Pinar Selek durchbrochen. Die Frauen aus Amed rasten. (...)

Nach der Begrüssung hielt die feministische Schriftstellerin Duygu Asena eine Ansprache, die sie mit den Worten begann: "Wir sind hierher gekommen, um zu sagen - ´es lebe der Frieden`." Asena wurde nach jedem Satz mit Applaus unterbrochen, von Frauen, die sie nicht verstehen konnten. "Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen. An einem Ort, an dem es keinen Frieden, keine Demokratie, keine Gedankenfreiheit und keine Menschenrechte gibt, können viele Kräfte aus uns Sklaven machen. Ihr und wir erleben verschiedene Formen der Sklaverei. Wir sind hierher gekommen, um allen Frauen hier, dort und anderswo die Botschaft zu übermitteln: Ihr seid nicht allein!"

Im Anschluss an Duygu Asena sprach Pinar Selek: "Wir fühlen alle das gleiche. Wir sind in anderthalb Stunden hierher gekommen. Die Entfernung ist nicht gross, aber der Unterschied zwischen dem Leben, den Erfahrungen ist gross. Wir sind hierher gekommen, um zuzuhören, um zu teilen und um zu verstehen. Es gibt nur einen einzigen Weg, um die erlebten Schmerzen zu überwinden - Frauen müssen zusammenkommen." Selek beendete ihre Rede mit ihrem im Gefängnis erlernten kurdisch, "Biji asiti, biji yekitiya jinan", woraufhin die Triller der Frauen kein Ende nehmen wollten.

Vielleicht ist es eine der wichtigsten Einzelheiten, dieser Reise, dass die Frauen unten den türkischen Reden applaudierten, auch wenn sie sie nicht verstanden, die angereisten Frauen oben auf dem Balkon sich jedoch gestört davon fühlten, dass sie die kurdischen Ansagen nicht verstanden. Die kurdischen Frauen liessen Tauben fliegen, die eingeladenen Frauen Nelken auf sie niederregnen. (...) So endete die Begrüssung.

Dann wartete der "schwere Teil" des Tages auf die Gäste. Hunderte weiterer Frauen sind noch dazu gekommen und füllen den Konferenzsaal der Stadtverwaltung. Als die Gäste ihre Plätze einnehmen, werden sie wieder mit Beifall empfangen. Dann sollte eigentlich ein Dialog zwischen den Schriftstellerinnen und Journalistinnen und den betroffenen Frauen aus Amed über die Bühne gehen. Die "Gastfrauen" sehen jedoch die Übersetzungen der Reden der Frauen aus Amed, die ausser kurdisch keine andere Sprache beherrschen, als unzureichend an. Eine kurze Zeitlang blicken die Frauen sich gegenseitig an. Dann nimmt die Journalistin Sükran Soner das Mikrofon, fasst kurz zusammen, warum sie hier sind, reicht das Mikro mit dem Wunsch weiter, dass ein gegenseitiges Gespräch stattfinden möge. Eine alte Frau übernimmt das Mikro und erzählt, beginnend mit den Worten "Slav u hurmet", auf Anhieb von ihrem Leben. Sie sagt "Dayiken Kurd u Tirkan ji gunehin" und wünscht die Beendigung des schmutzigen Krieges. Der ganze Saal applaudiert der Frau. Diese setzt sich, eine andere ergreift das Mikro und sagt, sie sei die Schwester von Leyla Zana. Tosender Applaus. Ihr Name ist Pirozhan Dogru. Auch sie berichtet spontan von ihrem Kummer und endet mit den Worten "Em asiti dixwazin". Auch alle, die nach ihr sprechen, fassen in Kürze ihr Leben zusammen und beenden ihre Ausführungen mit dem Wort "baris" (türkisch=Frieden) oder "asiti" (kurdisch=Frieden). Auf diese Weise vergeht die Hälfte des Tagesprogramms.

Von einigen sind Angehörige verschwunden, einige sind nach der Festnahme (sexuell) belästigt worden, anderen wurde das Dorf niedergebrannt und wieder andere haben nahestehende Menschen durch Mord von unbekannten Tätern verloren. Da die Tragik die gleiche ist, werden die Geschichten zu einer, die mit Tod und Schmerz endet. Von den Redepulten ausgehend ist der Wunsch spürbar, die Geschichten bekannt zu machen und über den Weg zu einer Lösung zu sprechen. Denn nach Ansicht der Frauen ist das Problem der Krieg und die Lösung der Frieden... Das Thema der Selbstmorde in Batman kommt zur Sprache. Junge Frauen ergreifen das Wort und erklären, dass an Orten, an denen es kein soziales Leben gibt, wo es aufgrund der Migration kulturelle Auseinandersetzungen und ökonomische Schwierigkeiten gibt, auch die Selbstmorde unvermeidlich sind.

Sükran Aydin, die Frau von Vedat Aydin, erklärt, dass nichts die Toten zurückbringen könne, und fordert von allen und insbesondere von den JournalistInnen, ihren Verstand zu benutzen, damit keine neuen Schmerzen erlebt werden müssen. Duygu Asena ergreift das Wort und sagt: "Wir können nie genau erfahren, was hier eigentlich los, weil die Zeitungen nichts darüber schreiben." Eine weitere Rednerin sagt: "Ihr Journalistinnen müsst eine Brücke bilden, damit die Wahrheit geschrieben wird."

Die "Gastfrauen" fragen, sie erzählen. Eine Frau in den siebzigern nimmt das Mikro. Sie benutzt einen Ausdruck, den die grossen SchreiberInnen der grossen Zeitungen noch nie gehört haben. "Em demokrasi dixwazin", sagt sie. (...)