Aus Kurdistan Report Nr.97

Die Frauen müssen Friedenskämpferinnen sein

Interview mit den Friedensmüttern von Istanbul

Aus den Samstagsmüttern, die auf die Situation der in dem schmutzigen Krieg Verschwundenen aufmerksam machten, gingen die Friedensmütter hervor, die sich als Frauen für ein Ende des Krieges und für eine demokratische Türkei einsetzen. Über Inhalt und Ziel ihrer Arbeit führten wir folgendes Interview mit den Friedensfrauen.

Wann und wo wurde Ihre Initiative gegründet? Welche Zielsetzung verfolgt sie und wer nimmt an dieser Initiative teil?

Die Gründung fand Ende 1996 - Anfang 1997 statt. Anlass waren die damaligen Friedensaufrufe: um weiteres Leid zu verhindern, war einseitig zum Frieden aufgerufen worden, doch diese Aufrufe blieben unbeantwortet. Am meisten litten wir Mütter darunter, deswegen war es notwendig, eine organisierte Kraft zu schaffen, die zu einer Reaktion fähig war. Trotz allem musste die Stimme der leidtragenden Seite die Stimme des Friedens sein. Unsere Initiative wurde 1998 durch das große Interesse der Mütter an der Friedensarbeit legalisiert. Es entstand die Notwendigkeit, die gesamten Aktivitäten unter einem Dach zu vereinen; so gründeten wir eine Gesellschaft, innerhalb derer wir auch jetzt arbeiten. Unser Ziel ist es, die Mütter, die viel Leid ertragen mussten, zusammen zu bringen, damit sie ihren Schmerz miteinander teilen können. An unserer Initiative beteiligen sich zwar hauptsächlich Mütter der Guerilla, aber es beteiligen sich auch einige Soldatenmütter. Vor allem sind es türkische und kurdische Frauen, die von ganzem Herzen den Frieden wollen.

Was waren bislang Ihre Aktivitäten? Können Sie uns kurz Ihre bisherige Arbeit vorstellen?

1996 wurden uns alle Türen vor der Nase zugeschlagen. Keine Organisation war bereit, mit uns zu reden. 1998 haben wir unsere Arbeit noch einmal intensiviert und durch die neue Situation und unsere positive Arbeit ging man jetzt auf unsere Forderung nach Gesprächen ein. Und diese Gespräche waren auch relativ erfolgreich. Während die politischen Parteien früher bei unserem Auftauchen die Polizei riefen, um uns gleich wieder hinauswerfen zu lassen, geleiten sie uns heute bis zur Tür und küssen uns die Hände beim Abschied. Wir haben Intellektuelle, Kolumnisten sowie Presse- und TV-Verantwortliche besucht. Außerdem haben wir Gespräche mit politischen Parteien, Bürgermeistern, Abgeordneten, Menschenrechtsvertretern und zivilen Organisationen und Initiativen geführt. Wir haben Diskussionsveranstaltungen, Presseerklärungen und Konferenzen durchgeführt und mit vielen Frauenorganisationen zusammengearbeitet. Darüber hinaus haben wir mit unterschiedlichen Kreisen an gemeinsamen Essen und Demonstrationen teilgenommen. Wir haben eine Dokumentation über den Krieg zusammengestellt und über 400 Briefe an politische Führungspersönlichkeiten, bekannte Journalisten und Politiker, Anwaltskammern, Berufsorganisationen, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, inter-national bekannte Persönlichkeiten und Vorsitzende von Frauenorganisationen geschickt. Um unsere Arbeit weiter bekannt zu machen, bringen wir jeden zweiten Monat eine Zeitschrift heraus.

Wie wird Ihre Arbeit aufgenommen? Stößt sie auf Widerhall?

Wen erreichen Sie mit Ihrer Arbeit und sind Sie Behinderungen ausgesetzt? Obwohl unsere Arbeit in der Presse und im Fernsehen nicht das Echo findet, das wir uns wünschen, haben wir auch in dieser extrem chauvinistischen Zeit trotz aller Reden zum Krieg ständig wieder unsere Forderungen nach Frieden voller Überzeugung gestellt. Wir glauben nicht, dass wir damit kurzfristig ans Ziel kommen. Aber in dieser Zeit des zunehmenden Chauvinismus wird unsere Stimme, die immer wieder den Frieden fordert, von einem Teil der Öffentlichkeit positiv aufgenommen und gibt ihr damit gleichzeitig eine große moralische Kraft. Ein Zeichen dafür sind die Anrufe und Briefe, die uns erreichen, und die Unterstützungsanzeigen in den Zeitungen. Auf die Frage, wen wir erreichen, können wir sagen: fast jeden. Am Telefon erklärt man uns, dass man sich freue und unsere Arbeit schätzen würde; wenn es dann um persönliche Gespräche geht, wird es schon schwieriger, da werden dann oft Abwesenheit oder andere Gründe vorgeschoben. Wir sagen also nicht, dass wir keine Schwierigkeiten haben. So z.B. auch unser letzter Marsch von Diyarbakir nach Ankara: Bis 20 km vor Ankara hatten wir keine Probleme, aber dann wollte man uns nicht in die Stadt lassen. Sie haben uns nicht so deutlich aufgehalten wie sonst, sie zeigten schon ein anderes Verhalten als früher.

Was sind konkret Ihre Forderungen?

Der Beginn eines neuen Jahrhunderts bringt eine historische Chance mit sich. Wir wollen diese Chance wahrnehmen. Wir fordern, dass die universalen Menschenrechte auch auf diesem Boden ihren Platz bekommen. Wir wollen, dass die verbrannten und zerstörten Dörfer wieder aufgebaut werden und die Menschen dorthin zurückkehren können. Wir brauchen eine Verfassung, die jedem ohne Unterschied die gleichen Rechte garantiert. Wir wollen eine Generalamnestie, die ebenfalls keine Unterschiede macht, damit wir das erlittene Leid vergessen und uns an einem Neuaufbau beteiligen können. Die Demokratie in unserem Land soll nicht mehr nur auf dem Papier bestehen, sondern in die Praxis umgesetzt werden. Wir fordern Meinungsfreiheit. Die Probleme in unserem Land durch Dorfschützer, Spezialteams, Banden und Mafia zeigen, wie notwendig eine Erneuerung in unserem Land ist. Aus diesem Grund wollen wir eine demokratische Türkei und fordern deshalb, dass die Schlüsselfrage dieses Landes, die kurdische Frage, auf einem friedlichen Weg des Dialogs gelöst wird.

Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach die Frau in dieser Phase übernehmen? Was sollten ihre Aufgaben sein?

Es sind in der Geschichte immer die Frauen gewesen, die ihre Stimme für den Frieden erhoben haben. Und es sind schon immer die Frauen gewesen, die in Kriegen den höchsten Preis bezahlen mussten. Ohne Frage müssen sich die Frauen in einer Zeit massiver Friedensbemühungen als Friedenskämpferinnen erweisen. Sie müssen sich zu ihrem Frausein bekennen und sich bis in die kleinste Zelle durch ihre Gefühle befreien, um ihren Platz in der Geschichte einzunehmen. Sie müssen die Stimme des Friedens, sie müssen Kämpferinnen für den Frieden werden. Die kurdische Frau war bis vor kurzem ohne einen Namen, ohne Identität und ohne eigenes Handeln. Aber in den letzten Jahren sehen wir, dass sie die Führung bei gesellschaftlichen Umwandlungen übernimmt. Im Rahmen der Samstagsmütter, Mütter der Gefangenen etc. wurden einige wichtige gesellschaftliche und politische Forderungen formuliert.

Wie kam es zu dieser Entwicklung der Frau? Ist es eine Entwicklung, die durch die Schwierigkeiten vorangetrieben wurde?

Mit dem Beginn des kurdischen nationalen Befreiungskampfes und der Beteiligung der Frauen am Kampf begann eine Diskussion über die Situation der Frau. Bis dahin wurde ihre Rolle, geprägt vom Druck seitens der sie umgebenden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in einem feudalen System, als das ihr zugewiesene Schicksal angesehen. Sie wurde ausgebeutet als ungebildete Sklavin des Mannes, der sich ebenfalls in der Rolle des Sklaven befand. Mit der aktiven Beteiligung am Kampf änderte sich ihre Situation jedoch zusehends. Die Feststellung, dass "die Befreiung durch den kurdischen Kampf auch die Befreiung der kurdischen Frau" bedeutet, zeigt auch, dass sie mit ihrer Opferbereitschaft eine wichtige Komponente in den Kampf eingebracht hat und mit ihrer Kraft und ihren Worten in der Lage ist, Ketten zu sprengen. Die großen Anstrengungen der kurdischen Frau in Richtung einer gemeinsamen Aktivität haben ihr den Weg zu einer neuen Identität geebnet, die am Ende sogar die Welt in Verwunderung und Erstaunen versetzt hat. Jeder Schritt war das Resultat aus den Zwängen, denen sie in ihrem Umfeld ausgesetzt war.

Können Sie die türkischen Mütter erreichen? Welche Schwierigkeiten gibt es hierbei?

Wir können die türkischen Mütter nicht in dem Ausmaß erreichen, in dem wir das gerne tun würden. Wenn wir versuchen, mit ihnen in Verbindung zu treten, ziehen sie sich mit unterschiedlichen Begründungen zurück. Kontakte, die noch von früher her bestehen, sind weitaus positiver, einige von ihnen beteiligen sich auch an der Arbeit unserer Initiative. Das sind dann meist Mütter, deren Söhne gerade ihren Militärdienst ableisten oder die im Gegenteil nicht zum Militärdienst gegangen sind. Viele Mütter von gefallenen Soldaten bekommen eine kleine Unterstützung vom Staat und haben Angst, dass man ihnen diese streicht, wenn sie in Kontakt mit uns stehen. Unser Wunsch ist, dass die türkischen Mütter, ohne sich von den Medien beeinflussen zu lassen, so bald wie möglich ihren Teil zum Frieden beitragen.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Bis heute arbeiten wir daran, durch Dialoge, Gespräche, Pressekonferenzen, Besuche, Demonstrationen und Schriftwechsel mit allen Organisationen und Initiativen, die wir erreichen können, unsere Probleme darzulegen. In Zukunft wird unsere Arbeit auch Aktionen im demokratischen Rahmen und Korrespondenz auf diplomatischer Ebene einschließen.

Möchten Sie über unsere Zeitschrift der europäischen Öffentlichkeit etwas mitteilen?

Wir bedanken uns für diese Möglichkeit durch Ihre Zeitschrift. Die Ignoranz der europäischen Öffentlichkeit, wie sie in der Zeit zu beobachten war, als sich Abdullah Öcalan in Rom aufhielt, darf so nicht weitergehen. Das gilt auch für politische Parteien, Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen. Während wir hier Ihre Fragen beantworten, steht Herr Öcalan vor Gericht. Dieses rechtswidrige Verfahren findet vor aller Augen statt. Auch Europa ist Zeuge davon. Wenn den Fehlern, die hier begangen werden, nicht früh genug Einhalt geboten wird, ist das eine weitere Schande für die Geschichte der Menschheit. Wir ziehen alle gemeinsam an dem Strang, der ein Volk vernichtet. Später hat niemand mehr das Recht zu sagen: "Und was hast Du gemacht, damit das Richtige passiert?" Die Menschheit sollte sich auf ein neues Jahrhundert im Geist von Frieden und Geschwisterlichkeit vorbereiten. Es ist eine unbestrittene Wahrheit, dass der Wille des kurdischen Volkes frei sein muss. Trotz der antidemokratischen Umstände, unter denen wir lebten und leben werden, und trotz allen Leides, das wir erfahren haben, versuchen wir, unsere Aufgabe der Geschichte gegenüber zu erfüllen. Mit unserer ganzen Verbundenheit und unserer ganzen Überzeugung laden wir die europäische Öffentlichkeit dazu ein, ihre Aufgabe der Geschichte gegenüber ebenfalls zu erfüllen. Wir möchten an dieser Stelle alle Menschen, allen voran die Frauen, die ihren Teil dazu beitragen, das Leid zu beenden, mit unserem Respekt und unserer Liebe grüßen.