Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
II. Umwälzung der kurdischen Gesellschaft
II.1. Kurzer historischer Abriß
II.2. Struktur und Hintergrund der kurdischen Gesellschaft

I. Umwälzung der kurdischen Gesellschaft

II.1. Kurzer historischer Abriß



Kurdistan liegt im Herzen des Mittleren Ostens. Es ist ein Land, das für diese Region strategische Bedeutung hat. Es öffnet die Wege von Westen, aus der Levante und Kleinasien, nach Osten, nach Iran und Aserbeidschan. Nach Norden hat man Zutritt zur kaukasischen Region, nach Süden zu den arabischen Ländern. Nicht umsonst führte die Seidenstraße durch Kurdistan. Geographisch geben die zahlreichen Gebirgszüge, deren wichtigste der östliche Taurus und das Zagros Gebirge sind, fruchtbare Ebenen sowie die Flüsse Euphrat und Tigris dem Land seine beeindruckende Schönheit.

Wasser und Öl sind die wichtigsten natürlichen Reichtümer, die aufgrund ihres strategischen Wertes für die Besatzungsmächte Kurdistans einen bedeutenden Grund für die Aufrechterhaltung des kolonialen Status darstellen.

Die Erde Mesopotamiens verströmt den Geruch von Geschichte.
Zahlreiche archäologische Funde künden von der Bedeutung Obermesopotamiens und der angrenzenden Bergwelt für die frühen Zivilisationsprozesse der Menschheit.

Über die Jahrhunderte hinweg war Kurdistan immer wieder Schauplatz von Kämpfen zwischen westlichen und östlichen Mächten: Römer und Parther bzw. Sassaniden, türkische Osmanen und persische Safawiden. Wichtige historische Eckpunkte sind die Islamisierung im 7. Jh. n. Chr., die Invasionswellen turkmenischer Nomadenstämme im 11. Jh. und von Türken und Mongolen im 13. Jh. n. Chr. Die erste wichtige Teilung Kurdistans wurde zwischen dem Osmanischen Reich und dem Reich der Safawiden (Iran) 1639 im Vertrag von Qesra Serin besiegelt. Der Großteil der kurdischen Fürsten begab sich unter die osmanische Oberhoheit. Die damalige Teilung ist auch heute noch an der fast identisch verlaufenden Grenze zwischen der Türkei und dem Iran sichtbar. Das Osmanische Reich ist im 19. Jh. durch einen krisenhaften Dauerzustand gekennzeichnet. Mittels Reformen und einer Öffnung zu den zentraleuropäischen Staaten hin versuchten die Osmanen die Existenz ihres Reiches zu bewahren. Im Innern bedeutete dies Militarisierung und Intensivierung der Ausbeutung. Eine Art Beamtensystem zur Einziehung der Steuern und Abgaben wurde geschaffen, was die tiefgehende Beschneidung der Rechte der feudalen kurdischen Klasse - Mirs, Scheichs ... - beinhaltete. Diese reagierten das ganze Jahrhundert hindurch mit Aufständen, die allesamt von der Zentralmacht niedergeschlagen wurden. Im I. Weltkrieg hatte sich das Osmanische Reich auf die Seite Deutschlands, gegen England, Frankreich und Rußland, gestellt. Im Schatten dieses großen imperialistischen Krieges wurden 1915-17 in den armenischen und kurdischen Gebieten ca. 1,5 Millionen Armenier und Christen getötet. Es war der erste Völkermord dieses Jahrhunderts. Nach der Niederlage und dem Zerfall des Osmanischen Reiches wurde den Kurden im Vertrag von Sevres 1920 das Recht auf Selbstbestimmung zugebilligt. Die südwestlichen Gebiete Kurdistans waren französischer Einflußbereich und wurden so dem späteren Syrien zugeschlagen, England wurde Mandatsmacht in Irak, dem die südöstlichen kurdischen Landesteile zugefügt wurden. Zur gleichen Zeit organisierte Mustafa Kemal Atatürk den Widerstand gegen die europäischen Besatzungsmächte sowie Griechenland. Die Kemalisten propagierten eine 'Regierung der beiden Völker' und banden auf diese Weise die kurdischen Stammesführer und Scheichs in den türkischen nationalen Befreiungskampf ein. M.K. Atatürk schuf so den türkischen Nationalstaat.

In dem Friedensvertrag von Lausanne (24.07.1923) wurden die neuen Machtverhältnisse zwischen der Türkei und den Kolonialmächten England und Frankreich vertraglich festgeschrieben. Von den Versprechungen des Vertrages von Sevres gegenüber den Kurden war keine Rede mehr. Kurdistan war nun viergeteilt: die einzelnen Teile entfielen auf die Türkei, Iran, Syrien und den Irak, wobei letztere erst in den darauffolgenden Jahrzehnten ihre Unabhängigkeit erhielten.

Nach der Konsolidierung des neuen Staates wandte sich Mustafa Kemal gegen seine ehemaligen Bündnispartner im Innern. Systematisch ließ er die kurdischen Stammesführer liquidieren und setzte eine Politik 'Ein Staat - Eine Nation' durch. Unter dem Begriff 'Kemalismus' wurde ein gegen Minderheiten im Innern gerichteter aggressiver, rassistisch chauvinistischer türkischer Nationalismus entwickelt. Der kemalistische Nationalismus sah vor, innerhalb der 'Misaak-i-Milli'-Grenzen eine türkische Nation zu schaffen, die mit ihrem Land und ihrer Nation eine unteilbare Einheit bildet. Die diversen Nationalitäten und Minderheiten, die mit dieser Absicht nicht in Einklang standen, sollten im türkischen Nationalisierungsprozeß verschmelzen oder abgeschafft werden. In den Jahren 1925-40 wurde Nordwest-Kurdistan fest unter die Kontrolle des türkischen Staates gebracht. Mehrere begrenzte Aufstände - 1925 Scheich Said-Aufstand (Palu-Genc-Hani), 1930 Ararat, 1938 Dersim wurden von der überlegenen türkischen Armee sehr blutig und grausam niedergeschlagen.

Die Kurden galten im offiziellen türkischen Sprachgebrauch als 'Bergtürken'. Ihre Sprache war verboten, ihr Land der kolonialistischen Ausbeutung ausgesetzt. Allein in Ostkurdistan (Iran) und Südkurdistan (Irak) wurde der Gedanke an Widerstand, Freiheit und Unabhängigkeit aufrechterhalten. 1946 existierte in Ostkurdistan kurzzeitig die autonome Republik Mahabad. Im Irak kam es immer wieder zu Aufständen gegen die Zentralregierung in Bagdad, die jedoch allesamt mit Niederlagen endeten. Dies lag an der sozialen Struktur und an der Führung durch Stammesführer und Feudalherren, die sich immer wieder zu Spielbällen ausländischer Interessen machen ließen.

Nach dem Ende des II. Weltkrieges näherte sich die Türkei dem Westen an. Sie wurde Mitglied der NATO und hatte an der Südostflanke eine strategische Rolle gegenüber der Sowjetunion inne. Neben Israel hat sich die Türkei zum zweiten Standbein der imperialistischen Mächte in der Region entwickelt. Trotz ihrer inneren Instabilität wird versucht -vor allem seit dem Zerfall der Sowjetunion ihre regionale Bedeutung aufzuwerten.

1945 wurde die kurdische Nationalkleidung, der Sal Sapik, verboten, ebenso der Gebrauch der Sprache in der Öffentlichkeit. 1967 erfolgte ein erneutes offizielles Verbot von kurdischer Sprache, Musik, Literatur und Zeitungen.

Militärputsche sollten immer wieder dazu dienen, die Lage im Innern zu stabilisieren (1960, 1971, 1980) und den unterdrückten und in Armut lebenden Völkern und Klassen Friedhofsruhe aufzuzwingen. Ende der 60er Jahre erreichten die Türkei fortschrittliche Gedanken aus anderen Teilen der Welt, wo sich viele Völker im Aufstand gegen Kolonialismus und Imperialismus befanden. Unter diesem Einfluß setzte ein Bewußtwerdungsprozeß in Teilen der kurdischen Gesellschaft ein. Ein Ergebnis davon war 1973 die Entstehung einer festen Gruppe um Abdullah Öcalan, Haki Karer und Kemal Pir, in der eine intensive ideologische Auseinandersetzung begann. 1978 bildete sich aus dieser Gruppe die PKK-Partiya Karkeren Kurdistan, die sich den Kampf gegen Kolonialismus und Feudalismus, für das Recht auf nationale Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Sozialismus zum Ziel gesetzt hat.

1984 nahm die Partei den bewaffneten Kampf gegen den kolonialfaschistischen türkischen Staat auf. Seitdem hat sie die Unterstützung des Großteils der kurdischen Bevölkerung gewonnen. Gleichzeitig wurde eine ungeheure Dynamik von sozialen Veränderungen innerhalb der Bevölkerung in Gang gesetzt. Dieser Prozeß, seine Ursachen, seine Wirkungen, sein gesellschaftlicher Hintergrund soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Zahlen - Fakten

 Größe: 550000 qkm
 Bevölkerungsanzahl: 40 Millionen (geschätzt)
 Nordkurdistan: 20 Millionen
 Ostkurdistan: 10 Millionen
 Südkurdistan: 6 Millionen
 Südwestkurdistan: 2 Millionen
 Europa: 1 Million
 GUS: 0,5 Millionen
Quelle: nach Angaben des Instituya Kurdi, Berlin, 1995.