Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
I. Vorwort

I. Vorwort

Wenn das bleibt, was ist
Seid ihr verloren.
Euer Freund ist der Wandel
Euer Kampfgefährte ist der Zwiespalt.
Aus dem Nichts
Müßt ihr etwas machen, aber das Großmächtige
Soll zu nichts werden.
Was ihr habt das gebt auf und nehmt euch
Was euch verweigert wird.

Bertold Brecht

Wir hatten im Sommer '95 die Gelegenheit, uns längere Zeit an der Zentralen Parteischule der PKK aufzuhalten und dort am Alltag und am Unterricht teilzunehmen. Wir führten zahlreiche Interviews, Gespräche und Diskussionen mit den TeilnehmerInnen des gerade stattfindenden Lehrgangs, den KämpferInnen und KommandantInnen. Jede Frage wurde uns beantwortet, kein Vorhang blieb uns verschlossen. Es gab auch viele Fragen an uns: zur Rolle der BRD, zur Situation der Linken in der BRD und zur gesellschaftlichen Situation. Der Parteivorsitzende Abdullah Öcalan schlug uns vor, über die Diskussionen, ihre Ergebnisse und unsere Erfahrungen zu schreiben. Er selbst nahm sich trotz der umfangreichen Entwicklungen in Kurdistan und seiner damit verbundenen zahlreichen Aufgaben sehr viel Zeit, um mit uns über die Entwicklung der Revolution, aber auch über die deutsche Realität zu sprechen. Während unseres Aufenthaltes hatten wir so gleichzeitig die Chance, die Partei kennenzulernen und die ersten Ergebnisse dieses Prozesses niederzuschreiben.
Wir setzten uns schon länger auf unterschiedliche Weise mit dem kurdischen Befreiungskampf unter der Führung der PKK auseinander. Durch diese Auseinandersetzung und das tiefere Kennenlernen dieser Realität erhofften wir uns auch - mit gewissem Abstand zur Situation in Europa - einen klareren Blick auf die Ursachen der Krise der Linken zu gewinnen, um somit unsere eigene ideologische, politische, praktische Stagnation und Paralysierung überwinden zu können. Diese Auseinandersetzung kann einen gehaltvollen Impuls geben, um ein neues Politikverständnis zu entwickeln.

Das Bedürfnis für solche Bestrebungen existiert, wird aber von der bestehenden Resignation, Kapitulation und dem damit einhergehenden Rückzug an seiner Umsetzung behindert.

Warum gibt es nur so wenig schwache Ansätze einer Solidarität mit dem Befreiungskampf des kurdischen Volkes unter der Führung der PKK?

Liegt das 'nur' an der politischen und diplomatischen Arbeit der ERNK, die hierzulande bei der Linken auf soviel Nichtverständnis stößt? Oder ist das mit der eigenen fehlenden Erfahrung über die Führung eines revolutionären Prozesses begründet? Wir denken letzteres.

Die Ziele der PKK sind weitgehend 'unbekannt', da darüber nur sehr ungenaue Auseinandersetzungen geführt werden. Das zeigt sich zum Beispiel an der Kritik, die in regelmäßigen Abständen seitens der Linken geübt wird. Die Dimension des Krieges und die Erfordernisse, die sich stellen, wenn eine Massenbewegung, eine ganze Bevölkerung mit vielen Millionen Menschen, die überall verstreut auf der ganzen Welt leben, organisiert wird, wird in diese Argumentation nicht mit einbezogen.

Häufig werden Vorurteile aus der bürgerlichen und reformistischen Presse unhinterfragt übernommen, wirkliche und vermeintliche Fehler, die die Organisation begeht, werden zum Anlaß genommen, sich nicht weiter mit dem kurdischen Befreiungskampf und der PKK auseinanderzusetzen. Die Kritiker der PKK müssen sich fragen lassen, ob hinter ihrer Ablehnung nicht Bequemlichkeit steht, um damit der Notwendigkeit eigener Aktivität aus dem Weg zu gehen. Denn wirkliche Kritik sollte in der Auseinandersetzung mit den zu Kritisierenden geleistet werden. Gerade die PKK sagt: „Untersucht uns, habt Mut uns zu kritisieren!" Keine Bewegung ist offener für konstruktive Kritik. Aber dazu gehört auch, sich mit den historischen, kulturellen und sozioökonomischen Bedingungen des kurdischen Volkes und der PKK auseinanderzusetzen, mittels dieser Auseinandersetzung in die Tiefe zu gehen und nicht oberflächliche und zum Teil pharisäerhafte Bewertungen auszusprechen.

Auch wir hatten viele Fragen und Widersprüche, auch einige Vorurteile, als wir in die Zentrale Parteischule kamen. Wir mußten sehr bald feststellen, daß man von dieser Organisation erst einmal nur lernen kann. Es ist ein langwieriger Prozeß notwendig, sie in allen ihren Ansätzen zu verstehen. Die PKK ist eine sehr dynamische Organisation. Es gibt z.B. viele erfahrene PKK'ler, die die Organisation mit aufgebaut haben und trotzdem von sich sagen: „Ich bin noch dabei zu versuchen zu verstehen, was die PKK ist."

Die PKK hält seit ihrer Gründung entschlossen an der Linie des wissenschaftlichen Sozialismus fest, die jeden Reformismus und Linksabweichungen ideologisch bekämpft. Dennoch gibt es Ziele, die zwar umrissen, aber nicht endgültig formuliert sind. Wir sind uns sicher, daß dieselben Kritiker, die die PKK bisher wegen ihres 'Dogmatismus' angegriffen haben, sie aufgrund dieser Tatsache wegen „unklarer Bestimmung" angreifen werden, was aber eher etwas über die Qualität der Kritik, als über die Ziele der PKK aussagt.

Die PKK hat heute eine Massenbasis in der Bevölkerung und eine über 30.000 KämpferInnen zählende Guerillaarmee, die gegen eine kolonialfaschistische Armee, die von der NATO mit modernster Technik ausgestattet wurde und wird, kämpft. Sie hat dabei eine Situation geschaffen, in der sie militärisch nicht mehr zu besiegen ist. Diese Stärke begründet sich nicht nur aus den objektiven revolutionären Bedingungen, sondern vor allem aus der konsequenten und sensiblen Politik der PKK.

Was machte die PKK so erfolgreich? Was sind die Wurzeln ihres Erfolges?

Das Beispiel der Praxis der PKK eröffnet uns die Möglichkeit, uns mit unserer eigenen begrenzten Praxis zu konfrontieren und praktisch die Grundlagen, Widersprüche und Dynamiken, die zur Führung eines revolutionären Prozesses nötig sind, zu erfassen. Es soll nicht behauptet werden, daß die Praxis der PKK auf die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen in der BRD übertragen werden kann. Aber die Gründe für den Erfolg der PKK zu untersuchen, kann uns Aufschluß über Ansatzpunkte einer ideologischen und praktischen Erneuerung geben. Vor allem wird anhand dieses Beispiels deutlich, daß der Imperialismus besiegbar und die Verwirklichung von sozialistischen Werten umsetzbar sind.

Die PKK geht von der Einsicht aus, daß die Errungenschaften einer revolutionären Entwicklung nur dann gesichert werden können, wenn die gesellschaftlichen Individuen durch diesen Prozeß entwickelt werden. Daß besonders diejenigen, die diese Prozesse anführen, in einem kollektiven Prozeß alle systemverhafteten Eigenschaften in ihrer Persönlichkeit zerstören, um auf diesem fortschreitenden Weg die zukünftige gesellschaftliche Perspektive darstellen zu können.

Die Arbeit an diesem Buch war durch fehlende Literatur und zu wenig Zeit für seine Fertigstellung gekennzeichnet. Einzelne haben an den verschiedenen Texten gearbeitet, daher gibt es keinen einheitlichen Stil. Der unterschiedliche politische Sprachstil sagt viel über unsere politische Herkunft aus. Er ist ein Spiegel davon. Es zeigt: Auch dies ist eine zukünftige Aufgabe: bestimmte politische Begriffe und Kategorien neu zu definieren, um die Wirklichkeit wieder begreifbar, handhabbar, veränderbar aufzufassen.

Wir sind zuversichtlich, daß Ziel und Absicht dieses Buches nachvollziehbar sind. Wir hoffen auf fruchtbare Diskussionen, die, sich die Wirklichkeit wieder aneignend, in praktischen Schritten münden.