Schlussplädoyer im Prozess gegen Mehmet Demir vor dem OLG Hamburg

Das § 129b Verfahren gegen Mehmet Demir als vermeintlichem Kader und "Gebietsleiter" der PKK im Zeitraum Sommer 2013-August 2014 neigt sich dem Ende zu. Nachdem am 17.8. die Bundesanwaltschaft (BAW) ihr Plädoyer gehalten hat, kamen heute die Anwälte Necdal Disli und Rainer B. Ahues zu Wort. Auch Mehmet Demir selbst hielt zum Abschluss noch eine mehrseitige Erklärung in Kurmanci. Die Staatsanwalt hatte am17.8. vier Jahre für Mehmet Demir gefordert. Sie begründete diesen Antrag damit, dass die PKK im Anklagezeitraum diverse Anschläge gegen türkische Sicherheitskräfte und Armeeeinrichtungen in der Türkei durchgeführt habe. Die Verteidiger stellten die Legitimität des gesamten Prozesses in Frage. Der § 129b verfolgt "terroristische Aktionen im Ausland". Dieses Ausland sei die Türkei, so der Anwalt Disli, die selbst mit einer terroristischen Vereinigung, dem sogenannten Islamischen Staat zusammenarbeite, diesen u.a. mit Waffen beliefere, Agenten der Türkei hätten zudem in Paris Morde an drei kurdischen Frauen, darunter Sakine Cansiz, begangen. Die PKK hingegen habe tausende Menschen vor dem IS gerettet, so Disli. Er selbst als Yezide könne dies bestätigen.
Rainer Ahues der zweite Anwalt kritisierte insbesondere die Praxis der Zeugen in den bisherigen PKK-Verfahren. BKA-Beamte, Spezialbeamte, deren alleinige Aufgabe es sei, immer wieder zu beweisen, dass die PKK angeblich kriminell sei, zitierten sich immer wieder selbst aus früheren Verfahren und wären nicht in der Lage auch Veränderungen in der Struktur der Organisation wahrzunehmen, sie seien unfähig auf Veränderungen zu reagieren.
Mehmet Demir erklärte in seiner Abschlussrede der Terror ginge vom türkischen Staat aus. Die PKK setzte sich in der Region für die Geschwisterlichkeit der Völker, für Frieden und Demokratie ein.

Hier seine Erklärung im Wortlaut (Übersetzung aus dem Kurdischen):
„Am 30.10. 2014 hat der türkische Staat eine Sitzung des Sicherheitsrates einberufen und damit das Konzept einer Kriegsführung gegen die kurdische Freiheitsbewegung erarbeitet. Dass Kurden in Westkurdistan, also Rojava, einen Status erlangt haben und die PKK auf der internationalen Ebene immer legitimer wird sowie dass die kurdische Freiheitsbewegung alle Gruppen und Religionsgemeinschaften um sich versammelt und so eine gesellschaftliche Opposition gebildet hat. Der Staat hat aber die Umsetzung seines Planes wegen den bevorstehenden Wahlen zurückgestellt. Auf der darauffolgenden Sitzung des Sicherheitsrates hat der Staat das Sicherheitspaket vorbereitet und verabschiedet und das Präsidialsystem zur Diskussion gestellt.

Auf dieser Grundlage hat man begonnen nach und nach Menschen zu inhaftieren und Provokationen an den Tag zu legen. Und als der Staat gemerkt hat, dass er die Wahlen durchaus verlieren kann, wurden Drohungen ausgesprochen und zivile Menschen ermordet. Nachdem die AKP und Erdogan am 7. Juni ihr Wahlziel verfehlten, haben sie nun offiziell den Kurden, der Freiheitsbewegung und demokratischen Persönlichkeiten den Krieg erklärt. Und so haben sie mit politischen und militärischen Massakern begonnen.

In der Zeit vom 05.-09. Juni 20015 wurden 6-7 Menschen in Diyarbakir durch ISIS und Hisbollah getötet und Duzende verletzt. Und als die YPG die Stadt und Region von Til-Abyad [in Rojava] am 25. Juni von der Besatzung der ISIS befreit hat, hat die AKP-Regierung in Zusammenarbeit mit ihrem Partner ISIS 50-60 Attentäter nach Kobane geschickt, die in Kobane ein Blutbad angerichtet haben, wobei 233 Menschen getötet und Hunderte verwundet wurden, darunter mehr als 100 Kinder.

Am 20. Juni 2015 kam es in Suruc erneut zu einem Massaker gegen 300 Jugendliche, die beim Wiederaufbau von Kobane mithelfen wollten, bei diesem Angriff kamen 32 junge Menschen, die sich aus Sozialisten und Universitätsstudenten zusammensetzten, ums Leben. Sie alle fielen dem Zorn der AKP und Erdogan zum Opfer.

Es gab ein Treffen zwischen Präsident Obama und Erdogan wegen der Nutzung der Militärbasis in Incirlik für den Kampf gegen die ISIS, womit sich die Türkei einverstanden erklärte. Jedoch im Gegenzug hat die AKP-Regierung in der Nacht vom 24. Juli mit dutzenden Kampfflugzeugen die Medya-Verteidigungsgebiete der PKK in Kandil und in weiteren Regionen bombardieren lassen. Gleichzeitig wurden in fast allen Städten Kurdistans und der Türkei Mitglieder der HDP und diejenigen, die sich bei den Wahlen für die HDP engagiert hatten, festgenommen. Diese Angriffe richteten sich nicht nur gegen die Guerillas, es wurden auch Dörfer angegriffen und Massaker an zivilen Menschen angerichtet. Dabei wurden in den letzten 20 Tagen 18 Erwachsene und 14 Kinder im Alter von 9-16 Jahren getötet sowie vier Dörfer geräumt.

Bei Angriffen auf die Kandil-Region wurde auch das Dorf Zergele getroffen, wobei nach Angaben von Amnestie International und ZDF 10 Häuser zerstört und 8 zivile Menschen getötet sowie mindestens weitere 15 Menschen verletzt wurden. Das geschah am 01. Juli. In vielen Regionen Kurdistans brennen immer noch Wälder.

An dieser Stelle möchte ich die Erklärungen des Ministerpräsidenten Davutoglu sowie die seines Stellvertreters Yalcin Akdogan aufführen, um auf deren rassistische und faschistische Vorstellung, deren Lügen und unmoralischen, menschenwidrigen Verhalten aufmerksam zu machen:

Am 29. Juli 2015 hat die AKP wie immer im türkischen Parlament den Krieg gegen die PKK beschlossen, am gleichen Tag sagte Davutoglu vor der Presse folgendes: "Wir haben seit dem 24. Juli 400 Luftangriffe und Angriffe mit Bodentruppen gestartet und 390 Personen getötet, ferner haben wir 1300 Mitglieder der HDP festnehmen lassen. Wir werden diese Operationen fortsetzen, solange bis einziger kein PKKler mehr existiert."

Am 29. Juli, d.h. noch am gleichen Tag, antwortete der stellvertretende Ministerpräsident Yalcin Akdogan auf die Fragen der Presse und der Nachrichtenagenturen AA, warum der Waffenstilstand gebrochen worden sei: "Wenn sie die Wahrheit erfahren wollen, so ist zu sagen, dass der Angriff auf Suruc darauf zurückführt, dass die HDP das Streben Erdogans ein Präsidialsystem einzuführen und das Vorhaben der AKP weiterhin allein zu regieren verhindert hat. Und der zweite Grund ist, dass wir die sich in der Welt zugunsten der PKK entwickelten Sympathie brechen wollen." (Diese Erklärung wurde sowohl von der AA wie auch von der Yeni Özgür Politika veröffentlicht).

Zweifellos kann man viele Beispiele aufführen, um die Geisteshaltung von Erdogan und der AKP sowie deren rassistische Vernichtungspolitik vor Augen zu führen.

Bis heute hat die Zahl der Inhaftierten 3000 Menschen erreicht, und in Silopi, Sirnak, Cizire, Hakkari und Agri wurden 18 Menschen ermordet. Viele von ihnen waren Kinder sowie Mitglieder der HDP und Bürgermeister. Das ist die Bilanz für die Zeit zwischen dem 20. Juli und 11. August 2015.

Die Beschwerden gegen die Haltung von Erdogan und AKP nimmt unter der Bevölkerung von Tag zu Tag zu.

Seit einem Jahr kritisieren fast alle Völker der Welt, Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsorganisationen sowie die Weltpresse die Haltung Erdogans und der AKP gegenüber der Kurden und protestieren gegen diese ihre Geisteshaltung.

Und seit dem 24. Juli 2015 protestieren nicht nur die Völker und Institutionen sondern auch fast alle Staaten und Regierungen, die diese Angriffe gegen die PKK kritisieren und die Regierung von Erdogan dazu aufrufen, zum Friedenskurs zurückzukehren, um das kurdische Problem mit friedlichen Mitteln zu lösen. Diesmal hat auch der deutsche Staat und die Regierung sich dazu verhalten und die Türkei kritisiert, sie dazu aufgerufen, ihre Angriffe gegen die Kurden und die PKK einzustellen. Die staatlichen Institutionen, die Kanzlerin Angela Merkel, Herr Steinmeier und Frau von der Leyen sowie die Partei der Grünen und die Linken haben in den letzten 20 Tagen diese ihre Haltung wiederholt zur Sprache gebracht.

Ich denke, dass diese Reaktion von allen genannten Institutionen und Persönlichkeiten sehr wichtig ist. Selbst wenn sie hätte besser bereits früher geschehen müssen, so kommt sie dennoch gerade zum richtigen Zeitpunkt. Ich wünsche mir, dass weitere Forderungen und Aufrufe erfolgen, denn diese Haltung macht allen Kurden und demokratischen, friedensliebenden Menschen große Hoffnungen.

Auf der anderen Seite rufen auch die PKK, KCK und HDP auf, den Krieg einzustellen, denn die vergangenen 40 Jahre haben gezeigt, dass eine Lösung mit Gewalt nicht möglich ist. Mit Krieg kann man keine Fortschritte erzielen. Aber die Regierung von Erdogan besteht darauf, solange Krieg zu führen, solange noch ein einziger PKKler existiert.

Nun hat die Weltöffentlichkeit festgestellt, dass die AKP-Regierung den Krieg begonnen hat und dass sie niemandem gegenüber eine Rechenschaft ablegen will.

Dabei haben die Verantwortlichen der PKK und KCK einer nach dem anderen in der Zeit vom 25. Juli bis heute mittels der Presse Erklärungen dahingehend abgegeben und folgendes bekundet: "Wir wollen keinen Krieg führen, wir sind bereit für den Frieden und die Lösung, wir haben keinen Beschluss zu einer Kriegsführung gefasst. Es ist offensichtlich, dass der Staat selbst sagt, dass er 400 Angriffe durchgeführt habe und dass er sie fortsetzen möchte. Wir begrüßen die Haltung und den Aufruf der Welt zum Frieden." Sie fordern gleichzeitig die Einschaltung eines dritten Beobachters, der dann den Friedenskurs begleitet und beobachtet.

Wie ich es oben aufgeführt habe, ist nun das wahre Gesicht der AKP-Regierung ans Tageslicht gekommen, sie wird nun nicht mehr von internationalen Kräften in Schutz genommen. Denn sie haben gesehen, wie sie die Rechte aller Gesellschafsteilen verleugnet und falsche Politiken an den Tag legt. Trotzdem setzt die Türkei ihre Zusammenarbeit mit dem IS fort. Das ist also ein Verhalten gegen die gesamte Menschheit. Erdogan und die AKP wollen vom Frieden und von der Demokratie nichts wissen. Das ist in der Tat die Geisteshaltung der AKP-Regierung.“

Zum Schluss wünschte Mehmet Demir allen Menschen, die sich für Demokratie und Frieden einsetzten viel Erfolg.

Urteilsverkündung gegen ihn ist am 28.8.2015 um 10 Uhr Raum 288