Für die sofortige Anerkennung des Genozids! Für Selbstverwaltung und Selbstschutz der Eziden in Şengal!

Die Glaubensgemeinschaft der Ezidinnen und Eziden gehört zu den ältesten noch bestehenden Glaubensgemeinschaften der Welt. Der Großteil dieser Gemeinschaft lebt – bedauerlicherweise gegenwärtig in der Vergangenheitsform, „lebte“ - im Şengal-Gebiet (Süd-Kurdistan/Nord-Irak). Über Jahrhunderte hinweg erlebten die Eziden Verfolgung, Unterdrückung, Zwangskonvertierung/Zwangsislamisierung, Verleumdung, unzählige Massaker und Genozide. Seit der Staatsgründung des Iraks – im Zuge der territorialen Verschiebungen nach dem 1. Weltkrieg – bis heute, hat man es versäumt der Stimme der Eziden Gehör zu verleihen. So wurde der Status der Eziden als Glaubensgemeinschaft bisher nicht anerkannt; weder durch den Irak, noch durch die Vereinten Nationen. Ein Versäumnis, das bittere Konsequenzen nach sich zog und zieht.

Durch den Angriff des „Islamischen Staat“ (IS) wurde die ezidische Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttert.
Mord, Vergewaltigung, Enthauptung, Verschleppung von Frauen und Kindern, Zwangskonvertierung/Zwangsislamisierung, Zwangsverheiratung, Sklaverei sowie eine Massenflucht von Hunderttausenden von Eziden aus ihrer Heimat brachte die Barbarei des IS über die ezidische Glaubensgemeinscchaft. Ein Genozid im 21. Jahrhundert mit solch einer Brutalität sollte der Weltgemeinschaft mehr als nur ein einfacher 'Fingerzeig' sein! Es müssen nun Taten folgen, die dass (Über-)Leben der Eziden nicht nur gewährleisten, sondern ihnen ermöglicht ihre Zukunft selbstbestimmt zu gestalten!

Vor allem sind Frauen und Mädchen von den brutalen Angriffen und Unmenschlichkeiten des IS betroffen.
Die Terrorgruppe IS entführen und vergewaltigen Frauen und verkaufen sie zur sexuellen Ausbeutung wie Waren. Mit ihrer Interpretation des Islams begründen sie ihre patriarchale Gewaltherrschaft. Imame vollziehen auf einige Stunden befristete "Eheschließungen", um Frauenhandel und -versklavung zu legitimieren. Menschenrechtsorganisationen schätzen, das über 2.000 Frauen auf den von den IS-Milizen aufgebauten Sex-Sklavinnenmärkten in Mossul verkauft und vergewaltigt wurden und weiterhin über 4.000 dieses bevorsteht. Es sind vor allem ezidisch-kurdische und christliche Frauen und Kinder von diesen Gräueltaten betroffen. Es konnten einige Frauen und Kinder befreit werden bzw. aus der Gefangenschaft des IS entkommen. Diese Menschen sind höchst traumatisiert und brauchen dringend unsere Hilfe und Unterstützung. Die humanitäre Situation vor Ort ist immer noch katastrophal und das Ausmaß des Genozids wird immer klarer und deutlicher – ohne Zweifel eine Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Armutszeugnis für die Menschheit.

Nach dem Beginn des Angriffs des IS auf die ezidische Gemeinschaft am 3. August 2014 und der Flucht der eigentlich zu ihrem Schutz in Şengal stationierten Peschmerga-Truppen war die Zivilbevölkerung Mord, Barbarei und Gräueltaten des IS ausgesetzt. Monatelang war das Şengal-Gebiet unpassierbar. Nur durch den furchtlosen Einsatz der Volksverteidigungseinheiten YPG aus der Selbstverwaltungsregion im benachbarten Rojava/Nord-Syrien wurde zehntausenden Eziden sowie anderen Betroffene die Flucht vor den Horden der IS ermöglicht. Der erste Schritt, um in Zukunft effektiv und nachhaltig für Şengal zu handeln, war die Gründung der Widerstandseinheiten Şengals - Yekîneyên Berxwedana Şengalê YBŞ. Diese neugeründete Einheit sind maßgeblich in Zusammenarbeit mit den FreiheitskämpferInnen der HPG / YJA-Star (Volksverteidigungskräften der PKK) und der Volksverteidigungseinheiten YPG sowie der Frauenverteidigungseinheiten YPJ aus Rojava/ Nord-Syrien dafür verantwortlich, dass weitere Übergriffe verhindert und viele Regionen in und um Şengal befreit wurden. Gemeinsam vermochten sie erste Erfolge zu erzielen bei der Befreiung des Şengal-Gebiets. Höhepunkt war bislang die Befreiung des Stadtzentrums von Şengal am 19.12.2014.

Diese Taten und Vorgehensweisen müssen für die zukünftige Politik im Nahen und Mittleren Osten berücksichtigt werden – die PKK ist für den Schutz und die Verteidigung von allen Glaubens- und Religionsgemeinschaften sowie allen ethnischen Gruppen, die nicht in das menschenverachtende Weltbild des IS passen ein unverzichtbarer politisch und militärischer Faktor geworden. Gerade wir als ezidische Glaubensgemeinschaft haben hier die Menschlichkeit der PKK erleben können. Deswegen sehen wir aber auch die Christen, Aleviten, Assyrer, Aramäer, Turkmenen etc. die PKK in unserem Heimatland als Garant für die Sicherheit und Freiheit.

Die brachiale Gewalt und Brutalität welche den Eziden widerfuhr, ist das Resultat einer gänzlich fehlgeleiteten Politik im gesamten Irak. Diese Unterdrückung und Ignoranz, offenbart sich in der völligen Verleumdung der ezidischen Glaubensgemeinschaft. Durch die nicht vorhandene Anerkennung der ezidischen Glaubensgemeinschaft (weder auf nationaler, noch auf internationaler Ebene) ist für die Eziden keine Grundlage gegeben, über ihr eigenes Schicksal mitzubestimmen.
Nach den Angriffen sowie den damit verbundenen Massakern und Vertreibungen mit dem Ziel eines Völkermordes war klar: So wie es bisher lief, kann und darf es nicht weitergehen. Eine Änderung der politischen und gesellschaftlichen Situation ist für den Schutz und die Verteidigung von Şengal unabdingbar - denn die nicht vorhandenen Strukturen zur Selbstverwaltung, zum Schutz und zur Verteidigung waren mit die ausschlaggebenden Gründe des Ausmaßes des versuchten Völkermordes sowie die Vernichtung des Ezidentums in Şengal.

Am 14.Januar 2015 hielten zweihundert ezidische Delegierte im Şengal-Gebirge eine Versammlung ab, und gründeten einen 'Rat zur Selbstverwaltung'. Dies soll dem neuen ezidischen Selbstverständnis Ausdruck verleihen, das man das eigene Schicksal und die Zukunft nicht in 'fremde' Hände geben will. Denn die Vergangenheit hat mit schmerzlicher Klarheit gezeigt, dass man nicht auf die Rechtschaffenheit und Solidarität 'fremder' Regenten vertrauen sollte. Hier zu erwähnen sei, das die Regierung der 'kurdischen Regionalautonomie' diesen Prozess der Eziden mit allen Mitteln zu verhindern sucht, in dem sie z. B. Eziden festnimmt, die einen solchen Prozess verwirklichen wollen. Die neue Selbstverwaltung ist eine repräsentative und zeitliche Körperschaft die von den Delegierten geschaffen wurde.

Die Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft und der Öffentlichkeit
Die internationale Gemeinschaft muss ihren Druck geltend machen und handeln, um die universellen Werte Freiheit, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen. Der Sieg gegen den IS in Kobanê hat den Mythos der Unbesiegbarkeit des Islamischen Staates aus der Welt geschafft. Jeder weitere Sieg gegen den IS, in Şengal und anderswo, wird nun die Ära der Schreckensherrschaft des „Islamischen Kalifats“ umso schneller zu einem Ende führen. Doch klar ist auch, dass hierfür weiterhin eine breite Unterstützung für die gegen den IS Widerstand leistenden Kräfte vonnöten ist.

Wir appellieren nun an alle unsere Freundinnen und Freunde. Lasst uns gemeinsam weiterhin für Kobanê/Rojava und Şengal sprich für die Menschlichkeit einstehen. Denn die Befreiung der Stadtgebiete sind nur die ersten Etappen. Jetzt geht es darum, die Regionen von den Banden des IS zu befreien und Sicherheit für ihre Bewohnerinnen und Bewohner herzustellen. Kobanê/Rojava und Şengal sind zu einem großen Teil zerstört. Es wird dringend Unterstützung für den Wiederaufbau, damit die hunderttausenden Flüchtlinge aus Kobanê/Rojava und Şengal, die jetzt unter elenden Bedingungen auf der türkischen Seite der Grenze ausharren, in ihre Heimat zurückkehren können. Wir hoffen auch dabei auf die Solidarität und Unterstützung aller demokratischen Kräfte.

Im Einklang mit der Europäischen Union, welche die Forderung der Rechte und den Schutz religiöser und ethnischer Minderheiten im Irak und Syrien zum Ausdruck brachte, fordern wir Unterstützung dieser Rechte (die für alle freiheitsliebenden und humanistischen Menschen unveräußerlich sind) zu erlangen und zu verteidigen.


- Jeder Mensch steht in der Pflicht und Verantwortung die Menschlichkeit zu verteidigen und zu schützen -

Aus diesen Gründen fordern wir:
 Die internationale Anerkennung der Eziden als eigenständige und unabhängige Glaubensgemeinschaft, im Einklang mit den Beschlüssen des EU-Parlaments vom 12. März 2015.
 Die Selbstverwaltung der Eziden (im Rahmen der bestehenden Grenzen) soll durch die EU, USA und die UN anerkannt, und deren demokratische Bestrebungen unterstützt werden.
 Die Unterstützung Şengals sowie aller Regionen der Êzîden und Christen auf allen Ebenen, zur Prävention weiterer Massakers
 Die Klassifizierung und Einstufung der Massaker und Gräueltaten vom 03.08.2014 (und der folgenden Zeit) als Genozid, durch die verantwortlichen Institutionen der UN.
 Anerkennung des 3. August als internationalen Tag des Völkermords an den Eziden.
 Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe durch die EU und UN, in Zusammenarbeiten mit den ezidische Organisationen.
 Die ezidische 'Widerstandseinheit Şengal' (YBŞ), welche den Schutz und zur Verteidigung der Eziden im Şengal gewährleistet, soll als solche anerkannt, und deren Ausrüstung und Ausbildung zur weiteren Bekämpfung des IS gefördert werden.
 Ein konsequentes und gemeinsames Handeln gegen die Terrormiliz IS (Islamischer Staat)
 Internationale Fonds und politische Unterstützung beim Wiederaufbau des Şengal-Gebiets sowie die Errichtung eines Hilfskorridors, um den dort erforderlichen Wiederaufbau zu ermöglichen

Unsere gemeinsame Solidarität mit dem Widerstand in Şengal und des Nord-Iraks sowie Rojava und Nord-Syriens ist heute dringender denn je! Lasst uns weitere Genozide an den Bevölkerungs- und Glaubensgemeinschaften u.a. durch das Erheben unserer Stimme für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit verhindern.

Wir verstehen und unterstützen den Widerstand als Verteidigung der Menschlichkeit!



*** Wir rufen zudem ebenfalls zur zentralen Kundgebung und Demonstration am 3. August 2015 / 15 Uhr in Genf vor dem Gebäude der Vereinten Nationen UN auf (Place de la Nation) auf ***

FKÊ - Föderation der Ezidischen Vereine e.V. / MJÊ - Rat der Ezidischen Frauen
August 2015