Presseinformation, 06.06.2015

Bombenanschlag bei HDP Wahlveranstaltung in Diyarbakir – Eine Wahlbeobachtungsdelegation aus Deutschland wird Zeuge des blutigen Anschlages

Als Wahlbeobachtungsdelegation aus Deutschland wurden wir Zeugen der gestrigen schweren Angriffe auf die Demokratische Partei der Völker (HDP) und sind äußerst besorgt über die derzeitigen Entwicklungen und Einschüchterungsversuche vor den Parlamentswahlen in der Türkei.

Am 05.06 besuchte unsere 40 Personen umfassende Delegation die Wahlkampfveranstaltung der HDP in Diyarbakir. Trotz zahlreicher, teils tödlicher Angriffe auf Parteibüros, Wahlkampfveranstaltungen und
UnterstützerInnen der HDP in den vergangenen Wochen strömen Hunderttausende Menschen am
Freitagnachmittag auf das Veranstaltungsgelände. Vorbeifahrende Autos veranstalteten Hupkonzerte, überall bekundeten Passanten ihre Sympathie, Menschen sangen, tanzten und riefen Sprechchöre.
„Die Stimmung war beeindruckend. Die Hoffnung und Zuversicht der Menschen war überall zu spüren.
Während die Redner der HDP auf der Bühne zum friedlichen Zusammenleben der unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen in der Region aufgerufen haben, hat die Menge enthusiastisch applaudiert.“ sagt Anna Schroeder aus Bremen von der Delegation.

Kurz bevor der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas auftreten sollte, gab es plötzlich eine
Explosion vor der Bühne. Eine zweite, weitaus stärkere Explosion folgte drei Minuten später. Die
Delegationsteilnehmenden standen an unterschiedlichen Stellen, teilweise nur wenige Meter von den
Explosionen entfernt. „Wir haben entsetzliche Szenen gesehen. Schwer verletzte Menschen wurden durch die Menge getragen, mit zerfetzten Kleidern, schwersten Verbrennungen und blutüberströmt“ sagte Ayhan Ciftci aus Kaiserslautern. Auf dem Boden lagen Menschen, denen Gliedmaßen abgerissen wurden. Da fast keine Ambulanzen durchgekommen sind, wurden die Verletzten mit privaten Autos abtransportiert. Am Abend waren es bereits 4 Tote, darunter zwei Jugendliche und über 300 teilweise schwer Verletzte. 9 Personen verloren bei dem Anschlag Füße, darunter ein sechsjähriger Junge, der beide Beine verlor.

Anstatt den Tatort zu sichern, fuhr die türkische Polizei kurz nachdem die letzten Verletzten abtransportiert worden waren, Wasserwerfer auf und schoss ohne ersichtlichen Grund mit Tränengas und Wasser auf die wenigen am Ort der Explosion verbliebenen Menschen. Auch am Ausgang des Geländes warteten gepanzerte Polizeiwagen und Wasserwerfer auf die aufgelöste Menge.

Am Abend rief die HDP zu einer Kundgebung vor der HDP Parteizentrale in Diyarbakir auf, wo sich erneut Zehnttausende Menschen versammelten. Die Menschen waren wütend, verzweifelt und geschockt. In Sprechchören wurde der türkische Präsident Erdogan für den Anschlag verantwortlich gemacht. Selahattin Demirtas rief die Menge dazu auf, sich nicht provozieren zu lassen und ruhig zu bleiben. Trotz der angespannten Stimmung kam es nur vereinzelt zu Ausschreitungen. Immer wieder beruhigten Mitglieder der HDP die aufgebrachte Menge, so z.B. vor dem Parteibüro der AKP.

Als unabhängige Wahldelegation haben wir den Anschlag sowie die Provokationen durch die türkische
Polizei aus nächster Nähe miterlebt. Angesichts der steigenden Gewalt und Angriffe auf Mitglieder der
demokratischen Partei sind wir besorgt über den fairen Ablauf der morgigen Wahlen.

Die diesjährige Wahlbeobachtungsdelegation der Parlamentswahlen in der Türkei aus Deutschland

Für weitere Informationen und Interviewanfragen:
Ayhan Ciftci: 0049 170 238 6547
Anna Schroeder: 0090 505 112 1109